Drucksache 17 / 18 125 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 01.März 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. März 2016) und Antwort Rechte Bürgerwehren in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Kenntnisse hat der Senat über selbsternannte Bürgerwehren in Berlin? Zu 1.: Ab Januar 2016 wurde insbesondere in den sozialen Netzwerken im Zusammenhang mit dem anhaltenden Zuzug von Asylbegehrenden und geflüchteten Menschen nach Deutschland und den verübten Straftaten in der Silvesternacht 2015 in Köln, Hamburg und Stuttgart eine zunehmende Diskussion über das Aufstellen von „Bürgerwehren“ festgestellt. In der Folge wurden auch in Berlin Gruppen im Kontext „Bürgerwehr“ im sozialen Netzwerk Facebook wie folgt gegründet/initiiert/angeregt: 1. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin“ URL*: https://www.facebook.com/groups/165692650462043/ 2. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin“ URL: https://www.facebook.com/groups/846971745418805/ 3. Facebook-Gruppe „-Bürgerwehr Berlin-„ URL: https://www.facebook.com/groups/614833618657063/ 4. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin (ST)“ URL: https://www.facebook.com/groups/1116874948356527/ 5. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin Reinickendorf“ URL: https://www.facebook.com/groups/461138740757774/ 6. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Wilmersdorf Charlottenburg Berlin“ URL: https://www.facebook.com/Bürgerwehr-Wilmersdorf-Charlottenburg-Berlin-1672174676404036/ 7. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin Wilmersdorf” URL: https://www.facebook.com/groups/1619253748362077/ 8. Facebook-Gruppe „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen & Kinder (wir helfen)“ URL: https://www.facebook.com/groups/943869205726403/ 9. Facebook-Seite „Berlin-Christliche-Bürgerwehr“ URL: https://www.facebook.com/Berlin-Christliche-Bürgerwehr-1661049020817836/?fref=ts 10. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin Hellersdorf“ URL: https://www.facebook.com/groups/674008762741159/ 11. Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Berlin/ potsdam“ URL: https://www.facebook.com/groups/1672570696349124/ Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 125 2 12. Facebook-Seite „Bürgerwache Berlin” URL: https://www.facebook.com/Bürgerwache-Berlin-883773485074135/ 13. Facebook-Gruppe „Bürgerschutz Berlin 1/2016” URL: https://www.facebook.com/groups/168637550164062/ *(URL = Uniform Ressource Locator) Der Kreisverband Pankow der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) berichtet auf seinem Facebook-Profil seit August 2015 unregelmäßig über sogenannte Kiezstreifen, die nach dem mehrfachen Aufruf zur Gründung von „Bürgerwehren“ in Berlin die einzigen tatsächlichen Aktivitäten in diese Richtung blieben. Es handelt sich bei den sporadischen „Kiezstreifen“ allerdings nicht um eine „Bürgerwehr“, sondern um eine Art uniformierte Straßenpräsenz, mit denen für die NPD geworben wird. So wurde im letzten Jahr an Frauen Reizgas zur Selbstverteidigung verteilt. Für den 25. Februar 2016 wurde erstmals eine Kiezstreife offiziell als Versammlung angemeldet, an der ca. 30 NPD-Anhängerinnen und -Anhänger teilnahmen. Bezüglich „Kiezstreifen“ unter Beteiligung der NPD wird auch auf die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/17275 über „Rechte ‚Kiezstreifen‘ und Verteilung von Pfefferspray“ verwiesen. 2. Wie viele Bürgerwehren gibt es derzeit in Berlin (Bitte nach Bezirk, Name, Anzahl der Mitglieder, Datum der Gründung aufschlüsseln)? Zu 2.: Aufgrund der Dynamik in den sozialen Netzwerken kann keine valide Antwort über eine konkrete Anzahl von Aufrufen zu sogenannten Bürgerwehren gegeben werden, zumal diese nicht anmeldepflichtig sind und es sich bei den Gründungen im sozialen Netzwerk Facebook nach jetzigem Stand um bloße Absichtsbekundungen handelt, ohne dass eine konkrete Umsetzung feststellbar ist. Tatsächlich wurde dem Senat noch keine aktive „Bürgerwehr“ in Berlin bekannt. Die auf Facebook gegründete Gruppe „Bürgerschutz 1/2016“ organisierte am 30. Januar 2016 ein Kennenlerntreffen in einem Lokal in Berlin. Nach Recherchen sollen sich in der Folge am 21. Februar 2016 vier Mitglieder zu einem weiteren Kennenlerntreffen am Alexanderplatz getroffen haben. Weitere Aktionen wurden bislang nicht festgestellt. 3. Welche der unter 2. genannten Bürgerwehren in Berlin sind als rechtspopulistisch/ rechtsextrem einzuschätzen ? Zu 3.: Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 4. Welche Kenntnisse hat der Senat über Organisator *innen der Bürgerwehren in Berlin? Zu 4.: In zwei Fällen ist der Name des Administrators einer Facebook-Gruppe der Polizei Berlin bekannt geworden . 5. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Beteiligung (Organisation/Teilnahme/ Mitgliedschaft) des Landesverbandes der NPD oder dessen Mitglieder an Bürgerwehren in Berlin? Zu 5.: Siehe Antworten zu Frage 1 und 2. 6. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Beteiligung (Organisation/Teilnahme/ Mitgliedschaft) der Gruppierung / Facebook-Seite „Nein zum Heim Marzahn- Hellersdorf“ oder dessen Mitglieder an Bürgerwehren in Berlin? Zu 6.: Auf der Facebook-Seite „Nein zum Heim – Marzahn-Hellersdorf” wurde am 17. Januar 2016 ein Beitrag veröffentlicht, auf dem über die Gründung einer „Bürgerwehr“ berichtet wurde. („Bürgerwehr formiert sich in Marzahn-Hellersdorf“). Am Nachmittag des 17. Januar 2016 postete diese Facebook-Seite unter dem Titel „Kiezstreife in Hellersdorf“ ein Foto von einer größeren Menschengruppe. Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Bild der Demonstration „Gegen linke Gewalt und gegen Gewalt durch Ausländer“ am gleichen Tag. Von den Aktivisten der Facebook-Seite wurde die Demonstration in dem Posting zu einer Kiezstreife umgedeutet . Bereits am 30. September 2014 rief die inzwischen nicht mehr existente Facebook-Seite „Bürgerbewegung Hellersdorf“ ihre Anhängerschaft zur Beteiligung an Kiezstreifen auf, um „Anwohnern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, als Ansprechpartner für besorgte Anwohner zu fungieren sowie Straftaten von kriminellen Ausländern aber auch natürlich von Deutschen, zum Beispiel Linken oder Gutmenschen, anzuzeigen und nachzugehen .“ Am 7. Oktober 2014 kam es daraufhin in einer Begegnungsstätte für Flüchtlinge im Bezirk Marzahn- Hellersdorf zu einem Zwischenfall, als Rechtsextremisten versuchten, sich dort Zutritt zu verschaffen. In der Öffentlichkeit wurde diese Begebenheit als erste und einzige Folge des Aufrufs der „Bürgerbewegung Hellersdorf“ zur Durchführung von „Kiezstreifen“ gewertet. Weitere Aktionen wurden nicht bekannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 125 3 7. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Beteiligung (Organisation/Teilnahme/ Mitgliedschaft) weiterer rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien/ Bürgerbewegungen / Gruppierungen oder dessen Mitglieder an Bürgerwehren in Berlin? Zu 7.: Siehe Antwort zu Frage 2. 8. Welche Kenntnisse hat der Senat über „Kiezstreifen “ der NPD-Pankow? Zu 8.: Die Absicht der NPD Pankow, „Kiezstreifen“ durchzuführen und die hierzu erfolgten Thematisierungen und Berichterstattungen innerhalb der „rechten Szene“ sind dem Senat seit Oktober 2014 bekannt. Erst im August 2015 wurde eine erneute Thematisierung auf der Facebook-Seite der NPD Pankow registriert. Siehe auch Antwort zu Frage 1. 9. Welche Kenntnisse hat der Senat über Straftaten und Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Bürgerwehren oder deren Mitglieder in Berlin? Zu 9.: Der Begriff „Bürgerwehr“ ist kein statistisches Merkmal im Polizeilichen Landessystems zur Information , Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) und somit nicht recherchefähig. Im Zusammenhang mit „Bürgerwehren “ sind der Polizei Berlin in jüngster Zeit keine Straftaten bekannt geworden. Im Jahr 2013 rief der Landesverband der NPD auf seiner Facebook-Seite zur Gründung einer „Bürgerwehr“ auf. Nach Erlass einer Löschungs - und Unterlassungsverfügung unter Androhung eines Zwangsgeldes durch die Polizei Berlin erfolgte die Löschung des Aufrufs seitens der NPD. 10. Welche Gefahren gehen nach Einschätzungen des Senates von den Bürgerwehren aus? Wie schätzt der Senat das Gewaltpotenzial dieser ein? (Bitte einzeln nach Bürgerwehren aufschlüsseln) Zu 10.: Der Senat beobachtet Entwicklungen über Aufrufe oder tatsächliche Gründungen von sogenannten Bürgerwehren oder ähnliche nicht legitimierte Tätigkeiten sehr genau und wird notfalls mit allen rechtlichen Mitteln verhindern, dass das staatliche Gewaltmonopol in Teilen Berlins in Frage gestellt oder unterlaufen wird. 11. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um gegen Bürgerwehren vorzugehen und Anwohner*innen sowie geflüchtete Menschen vor diesen zu schützen? Zu 11.: Zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine konkreten Erkenntnisse vor, die ein tatsächliches Tätigwerden einer „Bürgerwehr“ belegen. Die bei Facebook festgestellten „Bürgerwehren“ mit Berlin-Bezug bedienen programmatisch die gesamte Bandbreite, angefangen vom ausdrücklich gewaltfreien Zeigen von Präsenz auf der Straße bis hin zum Aufruf zu konsequentem Vorgehen gegen missliebige Personen. Im Ergebnis einer bereits erfolgten Prüfung wurde festgestellt, dass mit dem derzeitigen Sachstand keine ordnungsrechtlichen Maßnahmen im Sinne einer Unterlassungs-/ oder Löschverfügung der Einträge bei Facebook möglich sind. Unabhängig davon werden bei Vorliegen von Anhaltspunkten für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung grundsätzlich alle gefahrenabwehrrechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen sowie im engen Zusammenwirken mit den Ordnungsbehörden sonstige Möglichkeiten der Untersagung geprüft und - sofern rechtlich zulässig - durchgeführt beziehungsweise veranlasst. Darüber hinaus informiert der Senat die Öffentlichkeit regelmäßig über aktuelle Entwicklungen in den extremistischen Phänomenbereichen und benennt extremistische Initiatoren von vordergründig partei- und organisationsunabhängigen Initiativen wie beispielsweise bei den „Nein-zum-Heim“-Bürgerinitiativen oder eventuellen Aufrufen zur Gründung von „Bürgerwehren“. Berlin, den 17. März 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mrz. 2016)