Drucksache 17 / 18 126 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 28. Februar 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. März 2016) und Antwort Was passiert mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, wenn sie 18 Jahre alt werden? Sind sie dann kein Fall für die Jugendhilfe mehr? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele und welche Träger (unterteilt in stationäre freie Träger der Jugendhilfe und bloße ambulante Träger in Hostels oder Jugendherbergen) halten jeweils wie viele Plätze für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge während des Clearingverfahrens vor? Zu 1.: Im Auftrag des Landesjugendamtes betreuen derzeit folgende anerkannte Träger der freien Jugendhilfe unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in temporären Unterbringungseinrichtungen. Die Platzkapazität an aktuell 37 Standorten beträgt insgesamt ca. 1900 Plätze. AWO Kreisverband Südost e.V. Leuchtturm Mitte e.V. AWO pro:mensch gGmbH Malteser Chance - Bildung Jugend und Sport BJS gGmbH NaturFreunde Landesverband Berlin e.V. Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Wedding / Prenzlauer Berg navitas gGmbH Einhorn gGmbH Praxis Langer gGmbH Evangelisches Johannesstift Jugendhilfe gGmbH Stadtteilzentrum Steglitz e.V. FAMOS e.V. Stiftung Jona Integra e.V. Stiftung SPI - Sozialpädagogisches Institut Berlin Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. Regionalverband Berlin Stützrad gGmbH Kompetenz interkulturelle Jugend- und Familienhilfe e.V. Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft gGmbH (Tjfbg) Lebensnah e.V. Trialog e.V. LebensWelt gGmbh Zephir e.V. Die anerkannten Träger der Jugendhilfe FSD Stiftung, Alep e.V., Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk, Evangelisches Johannesstift und Evin e.V. bieten derzeit insgesamt 150 Clearingplätze an. 2. Wie hoch ist der Tagessatz, den ein Träger der Jugendhilfe im Clearingverfahren pro Jugendlichen erhält bzw. wie hoch ist der Tagessatz (die Gesamtkosten) für eine Unterbringung in einem Hostel oder ähnlichem (wie hoch ist der Jugendhilfekostenanteil dabei)? Zu 2.: Für Leistungen nach 34 SGB VIII i.V.m. § 42 SGB VIII (Clearingeinrichtungen) werden die Entgelte einrichtungsbezogen mit den Trägern/ Leistungserbringern vereinbart, sie betragen zwischen 130 € und 190 € pro Tag. Die Zusammensetzung der Entgelte erklärt sich anhand des jeweiligen Kostenblattes, in dem alle vereinbarten Kostenpositionen dargestellt werden und das der jeweiligen Leistung zugrunde liegt, die für die Leistungserbringung entsprechend der rahmenvertraglichen Grundlagen im Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJUG) erforderlich ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 126 2 Der Kostensatz für eine temporäre Unterbringungseinrichtung setzt sich nach einem Baukastenprinzip aus Kosten für Unterbringung, Verpflegung, sozialpädagogischer Betreuungsleistung (einschließlich Bekleidung, Taschengeld ; Fahrtkosten, Schulbedarf, persönlicher Bedarf), Wachschutz und Nachtwachen vor Ort zusammen. Die Höhe des Kostensatzes betrug ab Oktober 2015 durchschnittlich 100 € pro Person und Tag. Die Gestaltung des Kostensatzes wird derzeit der veränderten Bedarfslage aufgrund der längeren Aufenthaltsdauer in den temporären Unterbringungseinrichtungen angepasst. Darüber hinaus erhalten Jugendhilfeträger, die ein ambulantes Clearing durchführen ein leistungsgerechtes Entgelt in Form einer Fallpauschale in Höhe von 2.087,44 €. 3. Welche Genehmigungsvoraussetzungen muss ein freier Träger der Jugendhilfe erfüllen (u.a. wie viel und welches Fachpersonal mit welcher Betreuungszeit muss ein Träger vorhalten, wie hoch darf die Belegung in einem Raum sein), um als Clearingstelle von der Senatsverwaltung für Jugend zugelassen zu werden und welche Genehmigungsvoraussetzungen müssen vorliegen, wenn minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Hostels mit sozialpädagogischer Betreuung untergebracht werden? Zu 3.: In den Rahmenleistungsbeschreibungen in den Anlagen zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRV Jug) sind die Leistungsstandards für die stationären Angebote beschrieben. Sie können auf den Internetseiten der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft abgerufen werden. http://www.berlin.de/sen/jugend/recht/rahmenvertraege/br vjug/#rahmenvertrag Gleiches gilt für alle erforderlichen Informationen bezüglich der Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis durch die Einrichtungsaufsicht. http://www.berlin.de/sen/jugend/familie-undkinder /aufsicht/ Bei den temporären Unterbringungseinrichtungen handelt es sich um Übergangslösungen zur Abwendung unmittelbarer Gefahren und zur Vermeidung von Obdachlosigkeit für die keine Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII erteilt wurden. Diese Einrichtungen bzw. Unterbringungsformen dienen der zeitlich befristeten Grundversorgung und werden im Vorfeld jeder Nutzung auf ihre Eignung im Hinblick auf die räumlichen Gegebenheiten, die Brandschutzvorschriften und die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Gesundheitsämter überprüft. Neben der Prüfung der räumlichen Voraussetzungen erfolgt die Sicherstellung des Kindeswohls durch die sozialpädagogische Betreuung durch anerkannte Träger der Jugendhilfe . 4. Nach welchen Kriterien wird ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in einem Hostel oder bei einem stationären Träger der Jugendhilfe untergebracht? Zu 4.: Solange die Anzahl der in der Erstaufnahme und Clearingstelle (EAC) ankommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge die Platzkapazitäten bei den bestehenden Clearingplätzen übersteigt, werden diese, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, zur Sicherung des Schutzauftrages und zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in den temporären Unterbringungseinrichtungen versorgt. Wenn bei der Ersterfassung in der EAC oder während des Aufenthaltes in den temporären Unterbringungseinrichtungen ein besonderer Hilfebedarf deutlich wird, erfolgt die Verlegung in eine entsprechende Einrichtung der Jugendhilfe. Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, Mädchen, Schwangere und junge Mütter werden in der Regel sofort in entsprechenden Clearingplätzen bzw. spezialisierten Einrichtungen der Jugendhilfe versorgt. 5. Wie wird der Kinderschutz in Hostels oder ähnlichen Einrichtungen garantiert, der für Inobhut genommene Kinder und Jugendliche berlinweit in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe gilt? 6. Entsprechen die Vorschriften der Unterbringung in Hostels diesen kinderschutzrechtlichen Vorschriften und Standards? Zu 5. und 6.: Die Träger der sozialpädagogischen Betreuung in den temporären Unterbringungseinrichtungen sind verpflichtet, alles Erforderliche zum Schutz der von Ihnen betreuten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu veranlassen und durch geeignete Maßnahmen das Wohl der von Ihnen Betreuten sicherzustellen. Sie sind verpflichtet sicherzustellen, dass für alle Personen, die haupt- und nebenberuflich sowie ehrenamtlich kinderund jugendnah tätig sind, gemäß § 72a SGB VIII ein erweitertes Führungszeugnis vorliegt. Die Vorgaben des Jugendrundschreiben Nr.1/2015 der Senatsjugendverwaltung vom 11.05.2015 sind einzuhalten. Für die bei ihnen Beschäftigten haben die Träger die notwendigen Angebote zur Fortbildung und Supervision bereit zu halten. Wird bei in einer temporären Unterbringungseinrichtung untergebrachten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein akuter bzw. erhöhter Betreuungsbedarf festgestellt, so erhalten sie die notwendige Hilfe durch die bestehenden Angebote im Rahmen der Kranken- bzw. Jugendhilfe. Letztere hält auch spezifische Einrichtungen bzw. Angebote für Mädchen bzw. weibliche Jugendliche vor. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 126 3 7. Wie verbringen minderjährige unbegleitete Flüchtlinge ihre Zeit während sie in Hostels untergebracht werden , wer beaufsichtigt wann diese jungen Menschen? Zu 7.: Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden während ihres Aufenthaltes in den temporären Unterbringungseinrichtungen von ambulanten sozialpädagogischen Trägern betreut. Die Betreuung umfasst u.a. die Sicherstellung und Organisation einer Tagesstruktur, von Deutschkursen, den Gesundheitsuntersuchungen und den Vorbereitungen zum Schulbesuch. Darüber hinaus werden Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung angeboten und organisiert, was in besonderer Weise dann gilt, wenn der Schulbesuch noch nicht begonnen werden konnte. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden bei der Lebensgestaltung und im Alltag unterstützt, um ihre sozialen Handlungskompetenzen in dem ihnen bisher unbekannten Kulturkreis zu stärken. Hierzu gehören auch der Aufbau von Kontakten und die Anbindung an geeignete Einrichtungen im Sozialraum. Um den Aufenthalt in den temporären Unterbringungseinrichtungen so kurz wie möglich zu halten, wurde der Beginn des Clearingverfahrens u.a. durch die Einführung von ambulantem Clearing deutlich beschleunigt. Die Kapazitäten hierfür werden derzeit deutlich erweitert. 8. Wie lange dauert es, bis ein junger Mensch in einer stationären Clearingeinrichtung die Schule besucht, wie lange dauert es, wenn er in einem Hostel o.ä. untergebracht ist? Zu 8.: Der Nachweis über die gesundheitliche Erstuntersuchung und das TBC Screening sind die Voraussetzungen für den Schulbesuch. In einer konzertierten Aktion mit der Charité Universitätsmedizin wurden an zwei Wochenenden (30./31.01. und 06.02.2016) am Standort Campus Virchow erfolgreich rd. 1000 UMF aus den temporären Unterbringungseinrichtungen gesundheitsuntersucht . In der Folge konnte der Anteil derer, die die Schule besuchen, erhöht werden, die Schulbesuchsquote beträgt aktuell rd. 40 %. 9. Wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge werden monatlich während des Clearingverfahrens volljährig ? Was passiert dann mit ihnen, wer ist für sie zuständig , wie wird geprüft und garantiert, dass ihr weiterer Jugendhilfebedarf geprüft und entsprechend umgesetzt wird? Zu 9.: Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die während der Inobhutnahme volljährig geworden sind, wird nach den Vorgaben des § 41 SGB VIII (Hilfe für junge Volljährige) verfahren, d.h. der junge Mensch wird darüber informiert, dass er oder sie einen Antrag auf Hilfen zur Erziehung für junge Volljährige stellen kann und die Träger der sozialpädagogischen Betreuung haben den Auftrag, einen möglichen weiteren Jugendhilfebedarf darzulegen. Das Landesjugendamt bittet dann das zuständige bezirkliche Jugendamt zu prüfen, ob ein weiterer Jugendhilfebedarf besteht. Wird dieser bejaht, erfolgt eine Übernahme durch das zuständige Jugendamt und die Einleitung einer entsprechenden Anschlusshilfe. Wird der Jugendhilfebedarf durch das Jugendamt verneint, erfolgt eine Überleitung aus der temporären Einrichtung an das LAGESO in einem für diese Zielgruppe gesondert vereinbarten Verfahren. 10. Ist es fachlich vernünftig, dass ein junger Mensch, der seit Monaten in einer Jugendhilfeeinrichtung (Clearingunterbringung mit entsprechender sozialpädagogischer intensiver Betreuung und Integration in Schule und z.B. Sportvereine) betreut wurde und dessen Integration vorangeschritten ist, in die Obhut des LaGeSo und möglicherweise in eine Notunterkunft überführt wird? 11. Wie wird vorgegangen, wenn ein junger Mensch, der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Berlin gekommen ist und in einer Maßnahme der Hilfen zur Erziehung volljährig wird? Wird er dann nach § 41 SGB VIII weiterhin stationär betreut, was ist, wenn sich statt des stationären Bedarfes ein ambulanter Bedarf ergibt? Gibt es Überlegungen, Anschreiben oder Verwaltungsvorschriften der Senatsverwaltung an die Bezirke, dass diesen jungen Menschen keine ambulanten Hilfen nach der stationären Unterbringung bei Erreichen der Volljährigkeit gewährt werden sollen? Zu 10. und 11.: Hilfe für junge Volljährige wird nach den Vorgaben des § 41 SGB VIII in Verbindung mit § 36 SGB VIII gewährt. Der oder die junge Volljährige kann einen Antrag auf Nachbetreuung stellen. Die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII erfolgt in der Zuständigkeit der fallzuständigen bezirklichen Jugendämter, d.h. dort wird über den weiteren individuellen Hilfebedarf entschieden . Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung hat keine Anschreiben oder Verwaltungsvorschriften erlassen , die einen Ausschluss von ambulanten Hilfen nach Erreichen der Volljährigkeit zum Ziel haben noch beabsichtigt sie, dies zu tun. 12. Wie viele Unterbringungen von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen in Pflegefamilien gibt es derzeit ? Zu 12.: Gemäß Hilfeplanstatistik der Berliner Jugendämter waren zum Stichtag 31.12.2015 insgesamt 2820 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien gemäß § 33 SGB VIII untergebracht. In 14 Fällen handelt es sich hierbei um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Berlin, den 23. März 2016 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mrz. 2016)