Drucksache 17 / 18 157 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Andreas Baum (PIRATEN) vom 03. März 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. März 2016) und Antwort Bonitätsprüfungen bei BVG und S-Bahn: Warum müssen Menschen mit wenig Einkommen mehr für den ÖPNV zahlen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die S- Bahn Berlin um Stellungnahmen gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden nachfolgend entsprechend gekennzeichnet wiedergegeben. Frage 1: Wie viele Bonitätsprüfungen haben BVG A.ö.R: und S-Bahn Berlin GmbH in den Jahren seit 2006 im Zusammenhang von Antragstellung, Verlängerung oder Änderung von Abonnementverträgen sowie von Lastschriftverfahren vorgenommen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl der Prüfungen.) Antwort zu 1: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die Einführung der Boni-Prüfung erfolgte bei der BVG im Jahr 2008. Anzahl Boni-Prüfungen in Tsd. Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Boni-Prüfungen 49,6 86,9 65,0 70,3 64,6 66,9 66,4 82,2 „ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Vor dem Abschluss von Abo-Neuanträgen führt die S-Bahn Berlin monatlich eine Bonitätsprüfung durch. Die Prüfung erfolgt jeweils vor dem ersten Gültigkeitsmonat sowie der Zusendung der Wertabschnitte. Die Anzahl der effektiven Neukunden pro Jahr lag bei der S-Bahn in den letzten Jahren zwischen 4.000 und 5.000 Kunden.“ Frage 2: In welchen Fällen bzw. auf welche spezifischen Anlässe hin werden Bonitätsprüfungen von Kund*innen oder möglichen Kund*innen vorgenommen? Antwort zu 2: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Mit der Einführung der Bonitätsprüfung 2008 verfolgt die BVG das Ziel, Forderungsausfälle bei Abonnements zu reduzieren. Die BVG prüft ausschließlich bei Neuantragsstellung die Bonität des potenziellen Abonnenten . Auf die VBB-weit geltende Kann-Prüfung bei Tarifwechsel bzw. Vertragsverlängerungen verzichtet die BVG.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Da das Abonnement-Verfahren im VBB-Tarif ausschließlich ein Lastschriftverfahren vorsieht und der Kunde bereits im Vorfeld der Zahlung einen Großteil seiner Wertabschnitte erhält, liegt ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse des Verkehrsunternehmens i.S.d. § 28 Abs. 1, Satz 1, Nr. 1 i.V.m. § 29 Abs. 2, Ziff. 1 des BDSG* zur Durchführung einer Bonitätsprüfung vor. Veranlasst werden die Bonitätsprüfungen ausschließlich im Rahmen einer erstmaligen Beantragungen von Abonnements.“ ____________ * BDSG: Bundesdatenschutzgesetz Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 157 2 Frage 3: Wie viele Antragsteller*innen von Abonnements oder Teilnahme an Lastschriftverfahren wurden in den Jahren seit 2006 wegen Bonitätsprüfungen abgelehnt bzw. von Abonnements oder Lastschriftverfahren ausgeschlossen ? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Anzahl der Ablehnungen.) Antwort zu 3: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Anzahl Ablehnungen in Tsd. Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Ablehnungen 3,0 4,4 4,4 4,0 3,5 3,0 2,9 3,1 „ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Bisher wurde bei der S Bahn Berlin kein Kunde aufgrund negativer Bonitätsmerkmale vom Abonnement ausgeschlossen.“ Frage 4: Werden auch beim Verkauf von Handy- Tickets mittels BVG-App "Fahrinfo Plus" oder VBB-App "Bus & Bahn" Bonitätsprüfungen eingeholt? Wenn ja, a. wie viele Bonitätsprüfungen von Antragssteller *innen auf Teilnahme am Lastschriftverfahren, um Zugang zu Handy-Tickets zu erhalten, wurden in den Jahren seit 2011 vorgenommen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Anzahl.) b. wie viele Antragssteller*innen auf Teilnahme am Lastschriftverfahren, um Zugang zu Handy-Tickets zu erhalten, wurden in den Jahren seit 2011 nach Bonitätsprüfungen abgelehnt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Anzahl.) Antwort zu 4: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die Bonitätsprüfung für Kunden im BVG- Onlineshop erfolgt nicht durch die BVG. Die Bezahlabwicklung erfolgt über einen externen Finanzdienstleister und ist in den bestehenden AGB* beschrieben. Im Zusammenhang mit der Bezahlung der bestellten Ware wurde vertraglich vereinbart, dass unser Dienstleister, die LogPay Financial Services GmbH, im Rahmen des Registrierungsprozesses für das Lastschriftverfahren eine Überprüfung der Bonität des Kunden durchführt. Angaben zu Anzahl der Bonitätsprüfungen und ggfs. Ablehnungen liegen der BVG nicht vor.“ ____________ * AGB: Allgemeine Geschäftsbedingungen Frage 5: Nach welchen Kriterien werden Anträge auf Abonnementverträge oder Teilnahme am Lastschriftverfahren im Zuge von Bonitätsprüfungen abgelehnt? Antwort zu 5: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Unser Dienstleister Creditreform Boniversum GmbH prüft bei einer Bonitätsabfrage in seinem Datenbestand, ob zur angefragten Person Negativmerkmale vorhanden sind. Anhand eines bestimmten Scoring-Verfahrens werden die Kunden entweder ohne Negativmerkmal oder mit Negativmerkmal anhand eines Ampelstatus an die BVG zurückgemeldet. Die Ablehnung eines Abonnementantrages erfolgt ausschließlich auf Grund der Ampelmeldung ´rot´ des externen Dienstleisters.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Nach Eingang der Bonitätsanfrage prüft der Dienstleister der S-Bahn Berlin anhand seines Datenbestands - in Form eines EDV-gestützten Abgleichs -, ob zur angefragten Person Negativmerkmale vorhanden sind. Danach werden die Kunden auf Grundlage eines bestimmten Scoring-Verfahrens eingestuft, d.h. in die drei Kategorien ohne, mit mittlerem oder hartem Negativmerkmal, bevor sie an die S-Bahn Berlin zurückgemeldet werden. Nur bei ´hartem Negativ-merkmal´ würde eine Ablehnung erfolgen . Kunden mit ´mittlerem Negativmerkmal´ erhalten zunächst nur drei Wertabschnitte und bei korrekter Zahlung dann die restlichen Abschnitte zugesandt.“ Frage 6: Welche Unternehmen wurden von BVG A.ö.R. und S-Bahn Berlin GmbH in den Jahren seit 2006 beauftragt, Bonitätsprüfungen vorzunehmen?" Antwort zu 6: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die BVG arbeitet für die Einholung von Wirtschaftsauskünften und Bonitätsprüfungen im Fahrscheinabonnement nur mit der Firma Creditreform Boniversum GmbH zusammen.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Die S-Bahn Berlin arbeitet seit dem Jahr 2002 mit folgendem Dienstleister zusammen: InfoScore Consumer Data GmbH Rheinstr. 99 76532 Baden Baden“ Frage 7: Welche vertraglichen Regelungen haben BVG A.ö.R. und S-Bahn Berlin GmbH mit den für Bonitätsprüfungen beauftragten Unternehmen geschlossen, um den Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Kund*innen zu gewährleisten? Antwort zu 7: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die BVG hat neben den üblichen vertraglichen Bestandteilen gesonderte vertragliche Regelungen für die Themen ´Speicherung von Daten´ und ´Datenschutz´ getroffen.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Die Bonitätsprüfungen werden aufgrund des berechtigten Interesses der S-Bahn Berlin i.S. des § 28 Abs. 1, Satz 1, Nr.1 BDSG durchgeführt. Eine besondere vertragliche Regelung für die Durchführung von Bonitätsprüfungen ist datenschutzrechtlich nicht vorgeschrieben. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Kunden Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 157 3 wird bei der S-Bahn Berlin insofern gewährleistet, als dass der Kunde bei Neuabschluss eines Abonnementvertrages über die Durchführung einer Bonitätsabfrage mit dem Antragsformular informiert wird.“ Frage 8: Kann der Senat mit Sicherheit ausschließen, dass BVG A.ö.R., S-Bahn Berlin GmbH oder die von ihnen für Bonitätsprüfungen beauftragten Unternehmen Kundendaten zu anderen Zwecken weiterverarbeitet oder an Dritte weiter gegeben haben? Antwort zu 8: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die BVG selbst verwendet die aus Bonitätsprüfungen erhaltenen Ergebnisse ausschließlich für den vertragsgegenständlichen Zweck und gibt sie nicht an Dritte weiter. Mit dem Dienstleister ist vertraglich vereinbart, dass überlassene Daten absolut vertraulich behandelt werden müssen und nicht für Dritte zugänglich sein dürfen. Weiterhin müssen die mit der Durchführung beauftragten Mitarbeiter des Dienstleisters nach dem Berliner Datenschutzgesetz (Bln. DSG) auf das Datenschutzgeheimnis verpflichtet sein und gewährleisten, dass die Vorschriften dieses Gesetzes und anderer bereichsspezifischer Regelungen zum Datenschutz eingehalten werden.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Nach deutschem Datenschutzrecht gilt der Grundsatz der engen Zweckbindung, d.h. Daten dürfen nur im Rahmen der bestehenden Zweckbestimmung verarbeitet werden .“ Frage 9: Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass Menschen mit geringen Einkommen, mit Schulden oder einer Schuldenvergangenheit von den günstigeren Abonnement -Tarifen ausgeschlossen werden? Antwort zu 9: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Die wirtschaftlichen Kriterien (geringes Einkommen, Schulden oder Schuldenvergangenheit) eines Kunden sind der BVG nicht bekannt und werden auch nicht durch den Dienstleister Creditreform Boniversum GmbH an die BVG übermittelt. Wir erhalten lediglich einen Ampelstatus verbunden mit einem Scorewert. Weiterhin besteht auch für Kunden mit einem roten Ampelstatus die Möglichkeit einer individuellen Lösung zum Abonnement. Diese Kunden erhalten zunächst nur 3 Wertabschnitte bzw. eine fahrCard (je nach Tarifprodukt), welche im Fall von Rücklastschriften umgehend gesperrt werden kann. Bei korrekter Zahlung erhalten die Kunden dann die restlichen Abschnitte zugesandt und werden ins reguläre Abonnementgeschäft überführt.“ Die S-Bahn Berlin hat hierzu übermittelt: „Bei der S-Bahn Berlin wurden bisher keine Kunden aufgrund eines negativen Bonitätsprüfungsergebnisses abgelehnt. Sollte dennoch ein solcher Fall eintreten, würde aus Kulanzgründen zunächst nur die Zusendung von 3 Wertabschnitten erfolgen. Bei ordnungsgemäßem Zahlverhalten wäre in der Folge auch die Zusendung der restlichen Wertabschnitte möglich. Bei der Nutzung von Chipkartenprodukten ist es auch für diese Kundengruppe ohne Einschränkung möglich, ins Abo einzusteigen. Bei Zahlungsunregelmäßigkeiten würde dann ggf. eine zeitnahe Sperrung erfolgen.“ Frage 10: Mit der Einführung der VBB-fahrCard und des zentralen Kontroll- und Sperrlistenservice (KOSES) können nichtbezahlte Abonnements durch Lese- oder Kontrollgeräte technisch einfach gesperrt werden. Hält der Senat vor diesem Hintergrund Bonitätsprüfungen von Abonnement- oder Handy-Ticket-Kund*innen für entbehrlich ? Und wenn nein, warum nicht? Antwort zu 10: Die BVG hat hierzu übermittelt: „Während der Einführung der VBB-fahrCard wird es keine Änderung an der Bonitätsprüfung geben. Ob es nach der vollständigen Einführung zu einer Änderung kommt, kann die BVG zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.“ Berlin, den 22. März 2016 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. März 2016)