Drucksache 17 / 18 182 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach und Hakan Tas (LINKE) vom 08. März 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. März 2016) und Antwort Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Notunterkünfte – alles nur eine sprachliche Nuance? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Es wird zunächst klargestellt, dass der Begriff „Erstaufnahmeeinrichtung“ umgangssprachlich häufig synonym für den in §§ 44 ff Asylgesetz (AsylG) verwendeten Begriff „Aufnahmeeinrichtung“ verwendet wird. Zwar wird im Asylgesetz nicht auf die Unterscheidung zwischen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften eingegangen; jedoch lässt sich aus § 3 Absatz 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ableiten , dass es sich bei Aufnahmeeinrichtungen um Gemeinschaftsunterkünfte handelt, in welchen jedenfalls die Deckung des Bedarfs an Ernährung durch Sachleistungen – wie etwa das Angebot einer Vollverpflegung – sichergestellt wird. Dementsprechend finden sich auch in den Qualitätsanforderungen für vertragsgebundene Unterkünfte , die online von der Berliner Unterbringungsleitstelle unter der Internetadresse http://www.berlin.de/lageso/soziales/asyl-aussiedler/berli ner-unterbringungsleitstelle/informationen-zu-betreiberund -immobilienangeboten/ abgerufen werden können (Stand 01.06.2015), an mehreren Stellen diesbezüglich zusätzliche Vorgaben für derartige Einrichtungen, etwa im Abschnitt III – Anforderungen an den Betrieb, unter der Überschrift „Besonderheiten “. Begrifflich und inhaltlich zu trennen von Unterkünften nach §§ 44 ff AsylG ist die in Berlin beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) angesiedelte „Zentrale Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für Asylbewerber (ZAA)“: Eine Darstellung der Aufgaben dieser Stelle ist online unter der Internetadresse https://www.berlin.de/lageso/soziales/asyl-aussiedler/zent rale-aufnahmeeinrichtung-fuer-asylbewerber/ veröffentlicht. Aus dieser Darstellung geht insbesondere hervor, welche Aufgaben die ZAA in Abgrenzung zu Aufnahmeeinrichtungen nach §§ 44-47 AsylG wahrnimmt . (Die Einrichtung führte ursprünglich die Bezeichnung „Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber“ (ZASt) und war am Standort Motardstraße angesiedelt; in der Folgezeit wurde die Namensgebung an die asylrechtliche Terminologie „Aufnahmeeinrichtung“ angepasst. Diese Bezeichnung wurde beibehalten, auch als später die Verlagerung an einen anderen Standort erfolgte und zugleich – aus Kapazitätsgründen - die räumliche Trennung zwischen der Registrierung und der Erstunterbringung erforderlich wurde.) Ferner wird darauf hingewiesen, dass alle in den nachfolgenden Antworten genannten Zahlen zu Einrichtungen und Kapazitäten auf der Tagesstatistik der im LAGeSo angesiedelten Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) beruhen. 1. Wie viele (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen gemäß § 44 Asylgesetz (AsylG) mit welcher Kapazität an Unterbringungsplätzen jeweils unterhält das Land Berlin derzeit ? 7. Welche derzeit belegten Notunterkünfte gelten nach Ansicht des Senats als „notbelegte Erstaufnahmeeinrichtungen “ (vgl. Antwort auf Frage 19 der Schriftlichen Anfrage 17/17749)? 8. Welche derzeit belegten Notunterkünfte gelten nach Ansicht des Senats als „notbelegte Gemeinschaftsunterkünfte “ (vgl. Antwort auf Frage 19 der Schriftlichen Anfrage 17/17749)? Zu 1. sowie 7. und 8.: Mit Erfassungsstichtag 15.03.2016 werden sieben Aufnahmeeinrichtungen mit einer Gesamtkapazität von 2.477 Plätzen betrieben, wobei die Kapazität der einzelnen Einrichtungen zwischen 100 und 550 Plätzen liegt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 182 2 Ergänzend wird jedoch darauf hingewiesen, dass bei erschöpften Kapazitäten in diesen Aufnahmeeinrichtungen die Unterbringung neu eintreffende Asylsuchender auch in anderen Gemeinschaftsunterkünften (einschließlich jener mit Notbelegung) möglich und ggf. erforderlich ist, sofern das übergeordnete Ziel der Vermeidung von Obdachlosigkeit nicht auf anderem Wege gewährleistet werden kann. Sofern die Belegungssituation es erlaubt, sollen dafür aber nur Einrichtungen gewählt werden, in denen die nach § 3 Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewährenden Leistungen erbracht werden können und insbesondere der Bedarf an Ernährung durch Sachleistungen gedeckt werden kann. In diesen Einrichtungen erfolgt in diesem Fall somit ebenfalls eine „Erstaufnahme “, ohne dass diese Einrichtungen dadurch von der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) bereits als Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von §§ 44 ff AsylG geführt werden (etwa, weil die in Berlin geltenden Qualitätsanforderungen nicht oder nur teilweise erfüllt werden können, wie es insbesondere für Großquartiere, Hallen usw. zutrifft). Eine gesonderte statistische Erfassung dieser Einrichtungen erfolgt jedoch nicht. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um als Notunterkünfte hergerichtete Turn- und Sporthallen. Der Begriff „Notunterkunft“ wird im Übrigen in der Regel synonym für eine notbelegte Gemeinschaftsunterkunft verwendet. 2. Wie viele Gemeinschaftsunterkünfte gemäß § 53 AsylG mit welcher Kapazität an Unterbringungsplätzen jeweils unterhält das Land Berlin derzeit? Zu 2.: Mit Erfassungsstichtag 15.03.2016 werden – neben den sieben Aufnahmeeinrichtungen - 46 Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 AsylG mit einer Gesamtkapazität von 12.634 Plätzen betrieben, wobei die Kapazität der einzelnen Einrichtungen zwischen 40 und 700 Plätzen liegt. Hinzu kommen zum gleichen Stichtag 93 notbelegte Unterkünfte (einschl. Großquartiere, Turn-/Sporthallen u. ä. Objekte) mit einer Gesamtkapazität von 29.342 Plätzen und einer Kapazität zwischen 17 bis 2.662 Plätzen. 3. Welche Stelle bestimmt, dass eine Unterkunft als (Erst-)Aufnahmeeinrichtung gemäß § 44 AsylG genutzt wird, und welche Kriterien muss die Unterkunft dafür erfüllen? 4. Welche Stelle meldet dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), welche Unterkünfte im Land Berlin als (Erst-) Aufnahmeeinrichtungen gemäß § 44 AsylG gelten? Zu 3. und 4.: Diese Aufgaben obliegen der BUL. 5. Wie kann es sein, dass die Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) und das BAMF unterschiedliche Auffassungen darüber haben, welche Unterkünfte im Land Berlin als (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen gemäß § 44 AsylG gelten? Zu 5.: Dieser Sachverhalt ist dem Senat nicht bekannt. Denkbar ist, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für das Bundesland Berlin lediglich die „Zentrale Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für Asylbewerber (ZAA)“ ausweist; insoweit wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 6. Wie viele Unterbringungsplätze will der Senat bis zum 30. Juni 2016 sowie zum 31. Dezember 2016 in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen gemäß § 44 AsylG sowie in Gemeinschaftsunterkünften gemäß § 53 AsylG jeweils schaffen und unterhalten? 11. Welche derzeitigen Notunterkünfte sollen bis wann in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünfte mit dem entsprechenden Standard ausgebaut werden? Zu 6. und 11.: Derzeit sind rund 28.000 Geflüchtete in Notunterkünften untergebracht. Der Senat bereitet sich aufgrund derzeitiger Planungszahlen im Jahr 2016 auf die Aufnahme weitere 50.000 Geflüchteter vor. Durch den Neubau von Flüchtlingsunterkünften auf rund 60 Standorten mit insgesamt 24.000 Plätzen schafft der Senat eine angemessene Unterbringung in erheblicher Größenordnung und entlastet wirksam die angespannte Gesamtsituation . Im Einzelnen ist hierzu vorgesehen, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt auf elf Standorten Unterkünfte in modularer Bauweise mit insgesamt rund 5.000 Plätzen errichtet. Weiterhin errichten die sechs Wohnungsbaugesellschaften an zwölf Standorten Unterkünfte mit der Perspektive Wohnen mit 5.000 Plätzen in der Phase 1. Typologisch werden Wohnhäuser in vorgefertigter Systembauweise errichtet, die in den Erdgeschossen die Gemeinschafts- und Betreuungsräume aufnehmen. Schließlich errichtet eine noch zu gründende landeseigene Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der berlinovo an bis zu 27 Standorten Unterkünfte für bis zu 13.500 Plätze. Typologisch werden Häuser errichtet, die für studentisches Wohnen geeignet sind. Um den kurzfristigen Bedarf an zusätzlichen Unterbringungskapazitäten im laufenden Jahr zu decken, sollen auf Grundstücken, die wegen ihrer Beschaffenheit für die Errichtung modularer Bauten nicht geeignet sind, Wohncontainerdörfer für ca. 15.000 Menschen mit einer vorübergehenden Nutzungsdauer von bis zu drei Jahren aufgestellt werden. Zuständig für die diesbezügliche Realisierung ist die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 182 3 Zur Unterstützung der mittelfristigen Integration aller Flüchtlingshaushalte mit gesicherter Bleibeperspektive plant das LAGeSo eine gezielte Entwicklung bzw. Umwandlung von Bestandsimmobilien. Die Erhöhung der Kapazitäten in Gemeinschaftsunterkünften wird dabei in unterschiedlicher Weise realisiert. Ein Instrument zur Zielerreichung besteht in der Umwandlung von derzeit noch notbelegten zu „regulären“ – d. h. auch für eine längerfristige Unterbringung geeigneten - Gemeinschaftsunterkünften ; hierfür werden in Betracht kommende Einrichtungen ausgewählt und die Umwandlung entsprechend geplant. Die Zielvorgabe liegt hierbei bei 3.000 – 5.000 Unterkunftsplätzen, welche auf diesem Wege noch im Jahr 2016 geschaffen werden können. Eine weitere Option besteht in der grundständigen Planung von Gebäuden für die Nutzung als Gemeinschaftsunterkünfte ; diesbezüglich befinden sich derzeit Gebäude in Prüfung und Planung mit einer gesamten Größenordnung von 5.000 – 6.500 Plätzen. Die Fertigstellung wird ebenfalls für das Jahr 2016 angestrebt. 9. Was versteht der Senat unter „notbelegten Erstaufnahmeeinrichtungen “ und „notbelegten Gemeinschaftsunterkünften “ und welche Kriterien liegen dem zugrunde? 10. Welche Qualitätsstandards gelten in „notbelegten Erstaufnahmeeinrichtungen“ und „notbelegten Gemeinschaftsunterkünften “? Zu 9. und 10.: Bei einer notbelegten Einrichtung handelt es sich in der Regel um eine Gemeinschaftsunterkunft , welche die in Berlin geltenden Qualitätsanforderungen nicht oder nur eingeschränkt erfüllt und deshalb – oder aus anderen Gründen (etwa wegen einer nur kurzfristig möglichen Nutzungsdauer) – nicht für die längerfristige Unterbringung von asylsuchenden und Flüchtlingen geeignet bzw. vorgesehen ist. Auch provisorisch für die Unterbringung hergerichtete Turn-/Sporthallen, Großquartiere und vergleichbare Objekte werden in diesem Sinne als notbelegte Unterkünfte geführt. Sofern in diesen Einrichtungen – ungeachtet ihrer grundsätzlichen Eignung nur für eine vorübergehende Unterbringung - gleichwohl die nach § 3 Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewährenden Leistungen erbracht werden können (vgl. Antwort zu 1.), können sie auch zur Erstaufnahme von Asylbegehrenden dienen. Grundsätzlich gelten die Qualitätsanforderungen für vertragsgebundene Unterkünfte (Aufnahmeeinrichtungen nach §§ 44 ff AsylG sowie Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 AsylG) auch für notbelegte Unterkünfte, sie lassen sich allerdings vielfach auf Grund der konkreten Gegebenheiten vor Ort, der baulichen Beschaffenheit des Objekts oder anderer objektiver Faktoren nicht oder nur eingeschränkt realisieren. Die BUL vereinbart daher auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalls die entsprechenden Vorgaben jeweils individuell mit der Betreiberin bzw. Betreiber der Einrichtung. 12. Wie hat sich die durchschnittliche Verweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen, in Gemeinschaftsunterkünften sowie in Notunterkünften in den Jahren seit 2012 entwickelt? (Bitte nach Art der Einrichtung, Verweildauer und Jahr aufschlüsseln.) Zu 12.: Diese Daten werden bisher statistisch nicht erfasst . 13. Welche Planungen bezüglich der Errichtung „besonderer Aufnahmeeinrichtungen“ verfolgt der Senat, in denen Verfahren von bestimmten Asylsuchenden (Antragsteller *innen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten , Folgeantragsteller*innen etc.) beschleunigt nach § 30a AsylG (neu) bearbeitet werden sollen? Zu 13.: Wie im Asylpaket II des Bundes beschlossen, strebt der Senat für Menschen ohne Bleibeperspektive, die auf Grund der Verfahrensdauer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder anderen Behörden einige Zeit auf die endgültige Entscheidung über ihren Aufenthalt warten, die Unterbringung in speziellen Erstaufnahmeeinrichtungen an. Auf die Antwort des Senats vom 22.12.2015 auf die Schriftliche Anfrage Nr. 17/17537 vom 02.12.2015 wird insoweit verwiesen. 14. Teilt der Senat die Auffassung der CDU-Abgeordneten im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt am 27. Januar 2016, dass der Unterschied zwischen einer Erstaufnahmeeinrichtung und einer Notunterkunft allenfalls „eine sprachliche Nuance“ ist? Wenn nein, warum nicht? Zu 14.: Der Senat geht davon aus, dass er die die Merkmale, welche rechtlich und tatsächlich eine Unterscheidung zwischen Aufnahmeeinrichtungen nach §§ 44 ff AsylG, (sonstigen) Gemeinschaftsunterkünften nach § 53 AsylG und notbelegten Gemeinschaftsunterkünften ermöglichen, in den voranstehenden Antworten hinreichend erläutert hat und es daher keiner weitergehenden Kommentierung bedarf. Berlin, den 30. März 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Mrz. 2016)