Drucksache 17 / 18 187 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bola Olalowo und Dr. Turgut Altug (GRÜNE) vom 08. März 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. März 2016) und Antwort Wie fördert Berlin die regionale und faire Lebensmittelwirtschaft? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Rolle der Lebensmittelwirtschaft für den Standort Berlin? a) Wie viele Arbeitsplätze gibt es? b) Wie viele Betriebe gibt es? c) Wie hoch ist der erwirtschaftete Umsatz? d) Wie hat sich dieser Sektor seit dem Jahr 2010 entwickelt ? Zu 1.: Angaben zur Lebensmittelwirtschaft insgesamt werden in der amtlichen Statistik nicht ausgewiesen. Zum Lebensmittel-Einzelhandel liegen Indizes zur Umsatzund Beschäftigungsentwicklung vor, allerdings keine absoluten Größen. In den Statistischen Berichten zum Verarbeitenden Gewerbe werden Daten zu den Wirtschaftszweigen "Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln " und "Getränkeherstellung" ausgewiesen, die bis zum Jahr 2015 vorliegen (für den Berichtskreis der Betriebe ab 50 Beschäftigten). Demnach hatten diese beiden Wirtschaftszweige im Jahr 2015 einen Umsatzanteil am gesamten Verarbeitenden Gewerbe von 10,6 % und einen Beschäftigtenanteil von 10,2 %. Dies zeigt, dass die Lebensmittelwirtschaft bzw. Lebensmittelindustrie einen wichtigen Stellenwert innerhalb der Berliner Industrie hat und zwischen 2010 und 2015 die Umsatz- und Beschäftigtenzahlen zudem gesteigert hat. Die Einzelangaben können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: 2015 2010 Betriebe Beschäftigte Umsatz Betriebe Beschäftigte Umsatz H.v. Nahrungs- und Futtermitteln 35 6.515 2.085.177 38 6.567 2.018.546 Getränkeherstellung 4 1.766 396.155 4 1.208 273.314 insgesamt 39 8.281 2.481.332 42 7.775 2.291.860 Veränderung absolut - 2015 gegenüber 2010 Veränderung 2015 gegenüber 2010 in % H.v. Nahrungs- und Futtermitteln - 3 - 52 + 66.631 - 7,9 - 0,8 + 3,3 Getränkeherstellung 0 + 558 + 122.841 0,0 + 46,2 + 44,9 insgesamt - 3 + 506 + 189.472 - 7,1 + 6,5 + 8,3 1 Betriebe von Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigten (einschl. prod. Handwerk). Datenquelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 187 2 2. Welcher Anteil der in Berlin konsumierten Lebensmittel wird hier erzeugt oder verarbeitet? Zu 2.: Statistische Angaben zur Beantwortung dieser Frage liegen nicht vor. 3. Berlin hat den „Milan Urban Food Policy Pact“ von 2015 unterschrieben. Welche Schritte hat der Senat bisher unternommen, um diesen umzusetzen? Welche Schritte sind noch geplant? Zu 3.: Berlin hat sich mit der Unterzeichnung des „Milan Urban Food Policy Pact“ (MUFPP) zu einer nachhaltigen und sozial gerechten Ernährungspolitik verpflichtet . Neben verpflichtenden Zielen enthält der Mailänder Pakt einen auf Freiwilligkeit setzenden Handlungsrahmen . Wenige Tage vor Unterzeichnung des MUFPP wurde das „Forum für gutes Essen“ in Berlin gegründet. Dies entspricht einer Handlungsempfehlung des Urban Food Pacts, wonach ein Dialog mit und zwischen den Akteuren des Ernährungssystems gesucht und zu diesem Zweck ein Ernährungsrat gebildet werden soll. Die Wertewochen Lebensmittel werden in diesem Jahr bereits das vierte Mal stattfinden. Leitthemen waren bisher die Wertschätzung von Lebensmitteln, Regionalität sowie Kinder und Jugendliche. Die diesjährigen Wertewochen werden vom 19. September bis 02. Oktober 2016 unter dem Leitmotiv „Esskulturen“ veranstaltet. Die Kampagne wird die Vielfalt Berlins mit seinen knapp 200 kulinarischen Nationen aufzeigen. Es werden verstärkt internationale Kulturvereine, religiöse Gemeinschaften sowie vielfältigste Gewerbetreibende eingebunden, darüber hinaus wird die Integration von Geflüchteten thematisiert . Der Mix der Kulturen und Traditionen und die Hervorhebung von Chancen und Gemeinsamkeiten sollen sich in den diesjährigen Wertewochen wiederfinden. Bräuche, Rezepte und die lukullischen Welten von geflüchteten Neuberlinern werden ebenfalls Teil der stadtweiten Kampagne sein. Die eigentlichen Events finden zwischen Mitte September und voraussichtlich dem Erntedank -Wochenende statt, um auch einen zeitlichen Zusammenhang zu weiteren Veranstaltungen wie dem Stadt Land Food Festival, dem Schulgartenwettbewerb oder der Berlin Food Week herstellen zu können. Die Wertewochen Lebensmittel sowie das Forum für gutes Essen stellen geeignete Instrumente dar, welche die Umsetzung einzelner Ziele und Empfehlungen des Mailänder Pakts unterstützen können. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz fördert zudem unterschiedliche Projekte, die sich inhaltlich mit dem Themenbereich „Nachhaltige Ernährung“ befassen, bspw. „Vom Acker auf den Tisch“, „Stadt Land Food“, „Gemüse- Ackerdemie“ sowie den „Schulgartenwettbewerb“. 4. Wie schätzt der Senat die wirtschaftlichen Verluste ein, die dem Berliner Lebensmittelhandel durch die Verschwendung von Lebensmitteln entstehen? Wie gedenkt der Senat diese Verluste in Zukunft einzudämmen? Zu 4.: Lebensmittelabfälle können entlang der gesamten Wertschöpfungskette anfallen. Der Lebensmittelhandel selbst ist somit nur für einen Teil der weggeworfenen Lebensmittel in Deutschland verantwortlich. Im Jahr 2012 hat das damalige Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Studie zur „Ermittlung der Mengen weggeworfener Lebensmittel und Hauptursachen für die Entstehung von Lebensmittelabfällen in Deutschland“ durchführen lassen. Dort wird speziell für den Handel auf Ergebnisse einer Studie der EHI Retail Institute GmbH aus dem Jahr 2011 verwiesen. Diese Ergebnisse werden im Folgenden wiedergegeben. Eine ausschließliche Darstellung der Situation in Berlin ist nicht möglich. Für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel wird ein jährlicher Umsatzverlust von 1,1 % an verlorenen Lebensmitteln ausgewiesen, was einer Menge von rund 310.000 t pro Jahr entspricht. In dieser Menge sind keine Lebensmittel enthalten, welche an karitative Einrichtungen weitergeben werden (bspw. die Tafeln). Die im Einzelhandel tatsächlichen Verluste an Lebensmitteln sind somit höher und betragen rund 500.000 t pro Jahr. Im Bereich des Großhandels wurde eine Abfallmenge von rund 43.500 bis 87.000 t pro Jahr ermittelt. Dies entspricht etwa 0,5 % - 1 % der jährlich umgeschlagenen Menge. Diese Schwankungsbreite betrachtet jedoch ausschließlich organische Abfälle und beinhaltet z.T. auch Pflanzen- und Blumenabfälle, welche gemeinsam mit Lebensmitteln entsorgt werden. Als Hauptursachen für die Entstehung von Lebensmittelabfällen werden für den Handel volle Regale bis Ladenschluss (mit Backwaren, Obst, Gemüse und anderen leicht verderblichen Waren), Beschädigung von verderblichen Lebensmitteln (z.B. eingedrücktes Obst), Ablauf von Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum, Überbestände durch kaum kalkulierbares Einkaufsverhalten sowie falsche Lagerung und Schäden beim Transport angegeben . Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sensibilisiert im Rahmen verschiedener geförderter Projekte für die Themen Lebensmittelverschwendung und Wertschätzung von Lebensmitteln. 5. Wie unterstützt der Senat Betriebe in Berlin um die Ziele des Urban Food Policy Pact zu erreichen? Wie und mit welchen Instrumenten sollen Unternehmen gefördert werden, die biologisch, regional und fair Lebensmittel in Berlin produzieren, verarbeiten und vertreiben? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 187 3 Zu 5.: Ein Förderinstrument für landwirtschaftliche Unternehmen stellt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) dar. Gemäß den Grundsätzen zur einzelbetrieblichen Förderung können landwirtschaftliche Unternehmen Investitionsförderung erhalten. Neben der Verbesserung von Produktionsbedingungen kann auch die Erhöhung der betrieblichen Wertschöpfung gefördert werden, zu der beispielsweise auch Investitionen zur Direktvermarktung gehören. Die Förderung wird auf der Grundlage des Landwirtschaftsstaatsvertrages von den entsprechenden Verwaltungsstellen des Landes Brandenburg umgesetzt. 6. Wie viele städtische Markthallen gibt es in Berlin? Bitte mit Adresse und ggf. namentlich aufführen. Wie viele werden auch als solche genutzt? Wie viele wurden seit 1990 geschlossen? Welche Gründe bestanden dafür? Zu 6.: Von dem Landesunternehmen Berliner Großmarkt GmbH wird die Marheineke-Markthalle, Marheinekeplatz 15 in 10961 Berlin, als Markthalle betrieben. Dem Portfolio der Berliner Großmarkt GmbH wurden 1990 die Arminius-Markthalle, die Eisenbahn-Markthalle und eben die Marheineke-Markthalle zugeordnet. Keine dieser Markthallen wurde geschlossen. Die Arminius- Markthalle und die Eisenbahn-Markthalle wurden verkauft , werden jedoch weiterhin als Markthallen genutzt. 7. Wie schätzt der Senat die Spielräume ein, die das Land Berlin im Bereich der Förderung regionaler und biologischer Lebensmittelproduktion hat? Wie wurde das durch den Abschluss des Landwirtschaftsstaatsvertrags mit Brandenburg verändert? Zu 7.: Der Förderrahmen für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume ist durch die rechtlichen Vorgaben der EU sowie der Verteilung der finanziellen Mittel vorgegeben . Auf dieser Grundlage wurden länderspezifische Entwicklungspläne erarbeitet. Die Länder Berlin und Brandenburg haben einen gemeinsamen Entwicklungsplan (EPLR) erarbeitet. Eine weitere rechtliche Grundlage stellt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ dar. Auf diesen Grundlagen wurden einzelne Förderrichtlinien für Brandenburg und Berlin erarbeitet, wobei das Land Berlin in die Abstimmungsprozesse eingebunden war. Das Förderspektrum Brandenburgs findet in Berlin nicht 1:1 Anwendung . Für den Bereich der Landwirtschaft in Berlin gibt es zum einen die zu Frage Nr. 5 genannte Möglichkeit zur einzelbetrieblichen Förderung. Die Investitionsneigung der landwirtschaftlichen Unternehmen ist aus verschiedenen Gründen vergleichsweise gering (hoher Anteil Pachtflächen , geringe Eigenkapitalausstattung), sodass im Durchschnitt der letzten Jahre nur ein Projekt/zwei Jahre gefördert wurde. Zum anderen können gemäß den Grundsätzen der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 ökologisch wirtschaftende Betriebe im Rahmen der „Förderung umweltgerechter, landwirtschaftlicher Produktionsverfahren…“ (Kulturlandwirtschaftsprogramm (KULAP)-Richtlinie) eine Flächen bezogene Förderung im Rahmen der jährlichen Agraranträge beantragen. Für beide Förderbereiche wurden entsprechende Mittel der EU, des Bundes und des Landes für die Umsetzung eingeplant. Die genannten Förderprogramme stellten und stellen für Berlin wichtige Förderbereiche dar, die vor Abschluss des Landwirtschaftsstaatsvertrages in der Senatsverwaltung für Wirtschaft entsprechend umgesetzt worden sind. Im Zuge des Vertragsabschlusses wurden die Förderrichtlinien der Länder Berlin und Brandenburg zusammengeführt und gelten mit erforderlichen Anpassungen fort. Spezielle Förderprogramme für die Lebensmittelproduktion sind nicht bekannt. 8. Was hat der „Rat für gutes Essen“ bislang gemacht? Bitte eine Chronologie der Aktivitäten. Was sind die weiteren Pläne? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen dem Rat und der Zivilgesellschaft? Zu 8.: Das Forum für gutes Essen wurde am 28.09.2015 offiziell gegründet, befindet sich aber noch in einem sehr frühen Entwicklungsstand. Nach der ersten konstituierenden Sitzung traf sich das Forum am 18.11.2015 ein weiteres Mal im Plenum. Weitere Treffen folgten bisher nicht. Bei der Arbeit des Forums handelt es sich um einen ergebnisoffenen Prozess, in dem die Mitglieder des Forums die Themen und die Vorgehensweise gemeinsam festlegen. Es wird keine Beschlüsse etc. aufgrund von Mehrheiten geben. Basis ist die Konsensfindung, zum Beispiel bei der Definition, was „gutes Essen“ eigentlich ist. Die Mitwirkenden des Forums decken die folgenden Themenfelder ab: Produktion von Lebensmitteln, konventionell, ökologisch, regional, großindustriell, kleinbäuerlich Verarbeitung, Lagerung, Transport, Logistik, Entsorgung Groß- und Einzelhandel Konsumenten/Verbraucher, Verbraucherschutz, Gesundheit, Genuss, Ernährungssicherheit, soziale und interkulturelle Aspekte Wissenschaft, Forschung Bildung, Ausbildung biologische Vielfalt, Boden, Flächen, Klimawandel , Wasser überregionale Zusammenarbeit (Land Brandenburg , national, international). Um eine neutrale Organisation des Forums zu gewährleisten und zu verhindern, dass Entscheidungen durch Mehrheiten getroffen werden können, bedarf es einer professionellen Moderation, welche die Stiftung Zukunft Berlin übernommen hat. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 187 4 Es ist außerdem vorgesehen, den Aufbau des Forums durch wissenschaftliche Begleitung zu unterstützen. Ein entsprechendes Vergabeverfahren wird derzeit durchgeführt . Im Anschluss kann das Forum die Arbeit aktiv aufnehmen und die weiteren Handlungsschritte beraten. 9. Wie bewertet der Senat die Aktivitäten der Zivilgesellschaft , einen „Ernährungsrat Berlin“ zu gründen? Zu 9.: Die offizielle Gründung des „Ernährungsrats Berlin für eine zukunftsfähige Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik in der Region“ erfolgt am 22.04.2016. Gemäß Satzung, die bereits am 07.03.2016 beschlossen wurde, tritt der Ernährungsrat mit dem Ziel an, den zukunftsfähigen Wandel des Ernährungssystems in der Region aktiv voranzutreiben. Der Ernährungsrat Berlin bildet eigenen Angaben nach eine Plattform aller lokal und regional tätigen Akteure dieses angestrebten Wandels und entwickelt gemeinsame Ziele und Strategien und setzt diese in politische Aktivitäten und Aktionen um. Der Senat begrüßt die Gründung des Ernährungsrats Berlin und wird dessen Entwicklung mit Interesse verfolgen . 10. Wie gedenkt der Senat die Zusammenarbeit mit dem Ernährungsrat zu gestalten? Zu 10.: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt umfasst die Zusammenarbeit die Teilnahme an der Gründungsveranstaltung . Die weitere Ausgestaltung der Zusammenarbeit kann derzeit nicht eingeschätzt werden, da sich der Ernährungsrat noch in der Gründungsphase befindet und dem Senat künftige Aktivitäten und Aktionen unbekannt sind. Berlin, den 23. März 2016 In Vertretung Henner B u n d e .......................................... Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Mrz. 2016)