Drucksache 17 / 18 328 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Martin Delius und Fabio Reinhardt (PIRATEN) vom 05. April 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. April 2016) und Antwort Ghettoisierung verhindern II – Ist das Übergangsprogramm „Fit for School“ ein konzeptloses Segregationsinstrument für geflüchtete Kinder und Jugendliche? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele geflüchtete schulpflichtige Kinder und Jugendliche warten zurzeit auf einen Schulplatz? a) Bei wie vielen von ihnen handelt es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge? b) Kann der Senat die Aussagen des Bezirksschulbeirats Lichtenberg und des Deutschen Roten Kreuzes im Artikel „Berlin hat keine Schulplätze für Flüchtlingskinder “ (Neues Deutschland, 22.03.2016) bestätigen, dass derzeit insgesamt mehr als 1040 geflüchtete schulpflichtige Kinder und Jugendliche im Bezirk Lichtenberg auf einen Schulplatz warten? Zu 1.: Zurzeit warten ca. 2.600 geflüchtete schulpflichtige Kinder und Jugendliche auf einen Schulplatz. Davon sind ca. 1.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie ca. 600 geflüchtete schulpflichtige Kinder und Jugendliche aus dem Bezirk Lichtenberg, die auf einen Schulplatz warten. 2. Wo ist das Konzept für das Übergangsprogramm „Fit for School“ („Fit für Schule“, vgl. Masterplan Integration und Sicherheit, 15.03.2016, S. 37) zu finden? (Sofern es online verfügbar ist bitte verlinken, wenn nicht, bitte der Schriftlichen Anfrage beifügen.) Zu 2.: Mit dem Konzept „Fit für die Schule“ sollen die Kinder und Jugendlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen schnellstmöglich ein Bildungsangebot erhalten. Das Konzept basiert darauf, dass die Kinder und Jugendlichen in der Regel vier Wochen, aber längstens bis zur Zuweisung eines Schulplatzes, in den „Fit für die Schule“ Gruppen wichtige Handlungskompetenzen, mit Fokus auf die Entwicklung der Sprachkompetenz, erwerben. Die nähere Ausgestaltung des Konzepts erfolgt, wenn die erforderlichen Ressourcen im Haushalt etatisiert sind. 3. Nach welchem pädagogischen Konzept soll die Sprachförderung im Übergangsprogramm „Fit for School“ umgesetzt werden? a) Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die Muttersprachen der geflüchteten Kinder im Programm „Fit für Schule“ zu fördern, die die Grundlage zum Erlernen der Zweit- oder Fremdsprache Deutsch bildet? b) Inwiefern hält der Senat es für sinnvoll, geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Unterkünften - ohne Kontakt zu deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen - in der Sprache Deutsch zu fördern? Zu 3.: Die Förderung der Sprachkompetenz erfolgt in angemessenen Lernsettings sowohl implizit als auch explizit . Die Förderung der sprachlichen Kompetenzen basieren auf dem individuellen Lernstand der Kinder und Jugendlichen. Die frühestmöglich einsetzende Förderung der sprachlichen Kompetenzen der zukünftigen Schülerinnen und Schüler in der Verkehrssprache Deutsch ist im Hinblick auf den individuellen Bildungserfolg von höchster Relevanz. Die Anwendung von methodisch-didaktischen Konzepten zum Erlernen des Deutschen als Zweitsprache ermöglicht erste Zugänge zur Verkehrssprache Deutsch. Die Muttersprache wird in die Sprachförderung einbezogen. Sprache ermöglicht Teilhabe, daher ist es sehr sinnvoll, den Kindern und Jugendlichen von Anfang an den Zugang zur Verkehrssprache Deutsch zu ermöglichen. Das in der Fragestellung angesprochene Lernen der Sprache Deutsch mit und von anderen Kindern und Jugendlichen kann darüber hinaus in impliziten Lernsettings erfolgen, beispielsweise in gemeinsam wahrgenommenen Angeboten der kulturellen Bildung. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 328 2 4. Wie soll der „Kontakt zu Gleichaltrigen“ im Programm „Fit for School“ gefördert werden? a) Sind mit „Gleichaltrigen“ deutschsprachige Kinder in angrenzenden Schulen gemeint? Zu 4.: Die Umsetzung des Konzepts „Fit für die Schule “ erfolgt in Kooperation mit erfahrenen Trägern. Diese planen und organisieren „Fit für die Schule Lerngruppen“ so, dass für die impliziten Lernangebote Lernorte in der Bildungsregion genutzt werden. Sie kooperieren beispielsweise mit Jugendfreizeiteinrichtungen oder mit Sportvereinen, in denen dann auch Begegnungsräume geschaffen werden. Kooperationen mit Schulen sind demnach nicht per se gemeint, aber durchaus auch eine Möglichkeit für Kontakte zu Gleichaltrigen. 5. Welche Gruppengrößen sind im Programm „Fit for School“ vorgesehen? a) Wo sind diese geregelt? Zu 5.: Vorgesehen sind 12 bis 15 Kinder und Jugendliche in einer Lerngruppe. 6. Mit welchem Bedarf an Personal rechnet der Senat für die Durchführung des Programms „Fit for School“? a) Wie viele VZE sind für welche Einrichtungen vorgesehen ? Zu 6.: Das Konzept „Fit für die Schule“ soll in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung umgesetzt und durch eine Zuwendung finanziert werden. Es werden demnach ausschließlich konsumtive Mittel benötigt. In welchen Einrichtungen „Fit für die Schule Lerngruppen“ eingerichtet werden, hängt vom Bedarf ab. 7. Wie soll das „Selbstkonzept“ der geflüchteten Kinder und Jugendlichen im Programm „Fit for School“ gefördert werden? a) Welches pädagogische Konzept ist damit konkret gemeint und wie wird es umgesetzt? Zu 7.: Geflüchtete Kinder und Jugendliche sollen sich willkommen fühlen und werden in ihrem Selbstkonzept gezielt gestärkt, indem sie die Stadt Berlin kennen lernen, andere Kinder und Jugendliche kennen lernen, die Alltagswirklichkeit sowie die sozialen und politischen Strukturen ihres neuen Lebensortes kennen lernen, Integration und Teilhabe auch durch Bewegungsangebote und Angebote der kulturellen Bildung erfahren. Die „Fit für die Schule“ Angebote befördern erste soziale Kontakte und Bindungen als wichtige soziale Komponenten für Integration und Teilhabe. 8. Mit welchen Sportvereinen sollen welche konkreten „Bewegungsangebote“ im Programm „Fit for School“ bereitgestellt werden? Zu 8.: „Fit für die Schule“ ist ein Konzept, bei dem die Organisation und Konkretisierung des Gesamtkonzepts in der Verantwortung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung liegt. Die Durchführung der „Fit für die Schule Lerngruppen“ liegt in der Verantwortung von gemeinnützigen Trägern. In einem Vernetzungstreffen sollen „Fit für die Schule“-Anbieter mit Anbietern der kulturellen Bildung und des Sports zusammengebracht und die Kooperationen befördert werden. Mit welchen Partnern aus den Bereichen Kultur und Sport die Träger kooperieren, entscheiden diese selbst. 9. Wird mit der Teilnahme des geflüchteten schulpflichtigen Kindes oder Jugendlichen an dem Programm „Fit for School“ die Schulpflicht gemäß § 42 SchulG umgesetzt? a) Wenn ja, handelt es sich beim Programm „Fit for School“ um einen Schulbesuch? b) Wenn nein, welche rechtlichen Regelungen gelten bei der Teilnahme am Programm „Fit for School“? Zu 9.: „Fit für die Schule“ ist konzeptionell darauf ausgerichtet, Bildungsangebote bis zur Zuweisung eines Schulplatzes zu machen. Dieses Angebot ist Teil einer Willkommenskultur und soll Integration und Teilhabe befördern. Analog zu den Berliner Ferienschulen entscheiden sich die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien für die Teilnahme. 10. Welche Leistungs- und Altersdifferenzierungen werden im Programm „Fit for School“ vorgenommen? Zu 10.: Es ist konzeptionell nicht vorgesehen Vorgaben zur Leistungs- und Altersdifferenzierung zu machen. Die Anbieter von „Fit für die Schule Lerngruppen“ bewerben sich mit einem umfassenden Konzept aus dem hervorgeht, welche Angebote sie für welche Altersgruppen machen werden. 11. Wie viele junge Menschen warten zurzeit auf einen Schulplatz in einer beruflichen Schule? a) Bei wie vielen von ihnen handelt es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge? b) Kann der Senat die Aussage im Artikel „Betrieb in zwei Schichten“ (Tagesspiegel, 30.03.2016) bestätigen, dass derzeit 1800 geflüchtete junge Menschen auf einen Schulplatz in einer beruflichen Schule warten? c) Wie erklärt sich der Senat die Aussage im Artikel, dass 1800 geflüchteten Jugendlichen auf einen Schulplatz in einer beruflichen Schule warten im Vergleich zu den in der Schriftliche Anfrage 17/18131 genannten 1.400 geflüchteten wartenden Jugendlichen? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 328 3 Zu 11.: In der Koordinierungsstelle für die Oberstufenzentren stehen zurzeit 1.600 Jugendliche auf der Warteliste für einen Platz in einer Willkommensklasse. Abweichungen hinsichtlich der Zahl der Wartenden ergeben sich aus tagesaktuellen Änderungen, da in kurzen Abständen neue Willkommensklassen eingerichtet und frei werdende Plätze nachbesetzt werden, aber auch Jugendliche in der Koordinierungsstelle neu angemeldet werden. Weitere Schwankungen hinsichtlich der gemeldeten Zahlen kommen durch Doppelmeldungen zustande, teilweise aufgrund von Wohnortwechseln, teilweise bedingt durch den Sachverhalt, dass Jugendliche, die einen Schulplatz zugewiesen bekamen, diesen nicht oder erst verspätet wahrnehmen. 12. Warum können - laut der Aussage des Senats in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage 17/18131 - geflüchtete Jugendliche, die auf einen Berufsschulplatz warten nicht am Programm „Fit for School“ teilnehmen? a) Plant der Senat ein ähnliches Programm für diese Zielegruppe? b) Wenn ja, welches und wann soll es umgesetzt werden ? Zu 12.: „Fit für die Schule“ ist konzeptionell für Kinder - und Jugendliche gedacht bis zur Zuweisung eines Schulplatzes in der allgemein bildenden Schule. 13. Wo ist das Programm „Fit for School“ im Haushalt 2016/17 etatisiert? Zu 13.: Die für die Umsetzung des Konzepts erforderlichen Ressourcen werden erst nach Beschluss des Masterplans etatisiert. Berlin, den 21. April 2016 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Apr. 2016)