Drucksache 17 / 18 348 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Fabio Reinhardt und Susanne Graf (PIRATEN) vom 05. April 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. April 2016) und Antwort Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Berlin (X) – Kinder- und jugendgerechte Unterbringung – Spielzimmer, Freizeit- und Schutzräume Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: In der Überschrift wird auf den Personenkreis der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge abgestellt. Die nachfolgenden Fragen lassen dagegen keine Beschränkung auf diesen Personenkreis erkennen. Der Senat geht daher davon aus, dass die Fragestellerin und der Fragesteller insoweit auch andere minderjährige Asylsuchende und Flüchtlinge einbeziehen. Daher wird die Anfrage federführend von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales unter Beteiligung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft beantwortet . Letztgenannte Senatsverwaltung ist für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zuständig. 1. Ist dem Senat die Forderung des Landesjugendrings vom 5. März 2016 bekannt, in Einrichtungen für Geflüchtete (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Notunterkünfte) kinder- und jugendgerechte Unterbringungsmöglichkeiten vorzuhalten, insb. für Rückzugsmöglichkeiten , Zugang zu Freizeitmöglichkeiten und für geschützte Räume zu sorgen? a) Wenn ja, wie bewertet der Senat diese Forderung? 2. Wie, insb. mit welchen Mitteln im Haushalt 2016/17 setzt der Senat diese Forderung um? 5. In wie vielen und in welchen vertragsgebundenen Einrichtungen für Geflüchtete (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Notunterkünfte) in welchen Bezirken befinden sich vom Land Berlin finanzierte Aufenthaltsräume, Spielzimmer oder sonstige für Kinder oder Jugendliche geschützte Räume? a) Wie groß sind diese Räume? 6. Gibt es für die Bereitstellung von Spielzimmern, Schutz- oder Aufenthaltsräumen für Kinder und Jugendliche in vertragsgebundenen Einrichtungen für Geflüchtete (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Notunterkünfte) Standards? c) Wenn ja, wo sind diese wie geregelt? 7. Wie wird sichergestellt, dass Kinder und Jugendliche in vertragsgebundenen Einrichtungen für Geflüchtete (Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Notunterkünfte) ihre Privatsphäre wahren können und vor Übergriffen Erwachsener sich schützen zu können? 8. Wie wird sichergestellt, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in ihren Unterkünften ihre Privatsphäre wahren können und vor Übergriffen Erwachsener sich schützen zu können? Zu 1. und 2. sowie 5. bis 8.: Die Forderung des Landesjugendrings ist dem Senat bekannt. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden nicht in Einrichtungen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) untergebracht. Zur Sicherung des Schutzauftrages erfolgt ihre Aufnahme und Versorgung im Rahmen der Jugendhilfe in Unterbringungsformen mit sozialpädagogischer Betreuung. Die Forderung des Landesjugendrings nach kinder- und jugendgerechten Unterbringungsmöglichkeiten wird insofern erfüllt. Das LAGeSo berücksichtigt im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Unterbringung anderer minderjähriger Asylsuchender und Flüchtlinge die Belange jugendlicher Flüchtlinge bei der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen nach § 44 Asylgesetz (AsylG) und sonstigen Gemeinschaftsunterkünften nach § 53 AsylG durch kinderund jugendspezifische Anforderungen an die Betreiberinnen und Betreiber derartiger Einrichtungen im Rahmen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 348 2 der Qualitätsanforderungen, die als Anlage zum Betreibervertrag verpflichtend sind. Diese Qualitätsanforderungen werden unter Berücksichtigung der aus dem Betrieb gewonnen Erkenntnisse laufend überprüft und bei Bedarf angepasst. So wird in den Qualitätsanforderungen in der derzeit geltenden Fassung u. a. vorgeschrieben, dass Familien mit Kindern, Ehepaare und Lebenspartnerinnen und Lebenspartner einen Anspruch auf gemeinsame Unterbringung haben. Ferner ist für die Kinder der Einrichtung mindestens ein Spielraum in ausreichender Größe und kindgerechter Ausstattung einzurichten. Unabhängig davon ist zusätzlich für die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen ein Hausaufgabenraum in ausreichender Größe und mit entsprechender Ausstattung zur Verfügung zu stellen. Das von den Betreiberinnen und Betreibern spätestens vier Wochen nach Fertigstellung der Soll-Kapazität vorzulegende Einrichtungskonzept muss u. a. eine Beschreibung der Angebote zur Betreuungs- und Freizeitgestaltung sowie eine Beschreibung des Verfahrens bei möglicher Kindeswohlgefährdung enthalten. Für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr sind die erforderliche Baby- bzw. Kleinkindernahrung und Windeln bereitzustellen , solange der Bedarf besteht. Um eine bedarfsgerechte soziale Betreuung junger Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten, ist im Bereich Soziale Arbeit sicherzustellen, dass ausreichend Fachkräfte etwa für Sozialpädagogik beschäftigt sind. Diese stehen – neben der Heimleitung - auch als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei etwaigen Konfliktsituationen zur Verfügung. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird vom LAGeSo im Rahmen der durchgeführten Begehungen kontrolliert und wurde bei der Aufstellung des Haushaltsplans für die Jahre 2016/2017 berücksichtigt. Weitergehende statistische Angaben im Sinne der Fragestellung zu 5. können nicht gemacht werden. 3. Ist dem Senat das Projekt der Organisation „Save the children“ bekannt, in einen der Hangars am Tempelhofer Feld einen 350 Quadratmeter großen Raum für Kinder und Jugendliche einzurichten? a) Wie bewertet der Senat dieses Angebot? b) Welche Informationen (Finanzierung, Bedarf und Auslastung, Spielangebote) zum Raum sind dem Senat bekannt? Zu 3.: Bei dem in der Fragestellung genannten Projekt mit der Bezeichnung „Child friendly space (Kinderfreundlicher Raum)“ handelt es sich um ein Pilotprojekt, welches in Kooperation von der Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ und der Betreiberin der Notunterkunft auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof durchgeführt wird und mit einer Sonderspende der IKEA Stiftung an diese Organisation ermöglicht wurde. Zudem hat die in Tempelhof ansässige Filiale dieses Unternehmens bei der Projektrealisierung durch Sachspenden und personelle Unterstützung geholfen. Zu a) Entsprechende Angebote stellen nach Auffassung des Senats einen wichtigen Bestandteil der begleitenden Integrationsarbeit an entsprechenden Standorten dar. Zwar sollte grundsätzlich ein Integrationsbruch zum Wohnumfeld vermieden werden; in der gegebenen Situation muss aber berücksichtigt werden, dass vergleichbare Angebote im Wohnumfeld - zumal im erforderlichen Umfang und mit der gebotenen Professionalität – nicht in angemessener Zeit und mit angemessenen Mitteln geschaffen werden können. Der Senat begrüßt daher das Engagement aller für das Projekt Verantwortlichen ausdrücklich und bekundet dem genannten Unternehmen, das maßgeblich zur Verwirklichung des Projekts beigetragen hat, sowie den persönlich beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Tempelhofer Einrichtungshauses seinen Dank für die wertvolle Unterstützung. Zu b) Mit Betriebsbeginn der Notunterkunft Tempelhof stand die Projekträgerin „Save the children“ in engem Austausch mit dem Projekt „Besondere Aufbauorganisation Tempelhof“ (BAO), um in Tempelhof deutschlandweit den ersten „Child friendly space“ zu errichten. Dieser wurde dann am 26.01.2016 im Hangar 4 eröffnet. Die Kosten für den Betrieb eines Schutz- und Spielraumes betragen ca. 600.000 Euro (ohne Entwicklungskosten ) für ein Jahr. „Save the children“ trägt diese Kosten selbst und erhält dafür Zuwendungen von der vorgenannten Stiftung sowie weiteren Partnern aus der Wirtschaft . Der Bedarf für derartige „Child friendly spaces“ ergibt sich aus folgenden Gründen: • Insbesondere für jüngere Kinder sowie für die größeren Kinder nach der Schule ist der Schutz- und Spielraum eine unverzichtbare zentrale Ressource innerhalb der Notunterkunft, um ihnen unter den erschwerten Bedingungen des Lebens in den beengten Verhältnissen der Notunterkunft einen geschützten Raum bieten sowie ihre Entwicklung, Bildung und Beteiligung ermöglichen zu können. Das Konzept der „Child friendly spaces“ ist gezielt auf diese Bedürfnislage ausgerichtet und gewährleistet über sichere Rückzugsräume für Kinder hinaus wichtige pädagogische Impulse mit Methoden der informellen Bildung, psychologischen Ersthilfe und Sprachbildung. • Vorbereitung auf den Besuch von Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Schulen: Damit werden insbesondere jene minderjährigen Flüchtlinge unterstützt, die bis zu ihrer Flucht entweder noch gar keine Erfahrungen mit institutionellen Bildungs- und Betreuungsangeboten gemacht oder über längere Zeiträume keine Schule besucht haben. Das Projekt führt diese Kinder behutsam an eine Lehr- und Lernumgebung heran und vermittelt die benötigten sozialen Kompetenzen für das Lernen in Gruppen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 348 3 • Der Schutz- und Spielraum ist ebenso wichtig für die Eltern: Über die Gewissheit der kindgerechten Betreuung hinaus werden ihnen Impulse für ihre eigene Erziehungskompetenz vermittelt und auch sie werden mit den Verhaltensregeln des Schutz- und Spielraums vertraut gemacht. • Schutz- und Spielräume sind darüber hinaus zentrale Plattformen, um Kinderschutz insgesamt an der Gemeinschaftsunterkunft zu etablieren: Bei Verdachtsfällen auf eine Gefährdung des Kindeswohls kontaktieren die Betreuerinnen und Betreuer die zuständigen Stellen (Jugendämter ) und stimmen ggf. erforderliche Maßnahmen ab. Die Kinderschutzbeauftragten der Betreiberin der Unterkunft arbeiten eng mit den Kinderbetreuerinnen und Kinderbetreuern zusammen und beraten individuelle Fall- Lösungen. Alle (Verdachts-) Fälle werden protokolliert und das Clearing erfolgt im Mehr-Augen-Prinzip. Der Schutz- und Spielraum hilft also, erste Fallmanagement- Strukturen aufzubauen. Um etwaige zusätzliche Kinderschutz-Risiken zu minimieren , dient der Schutz- und Spielraum außerdem als Plattform für die Umsetzung von institutionellen Schutz- Richtlinien. • Das Projekt ist weiterhin ein Ausgangspunkt für die Gewinnung und Qualifizierung geeigneter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bietet etwa Unterstützung bei der Betreuung von mehrsprachigen altersgemischten Gruppen und Kindern mit psychosozialen Auffälligkeiten. Hierfür werden Fortbildungsveranstaltungen für das in der Unterkunft eingesetzte Personal und Ehrenamtliche in Psychologischer Erster Hilfe, Kinderschutz und Safeguarding (d. h. institutionell verankerte Regeln, die weitere potentielle Kinderschutzrisiken von innen und außen minimieren sollen) angeboten. In der Woche besuchen ca. 130 Kinder den „Child friendly space“. Dieser Raum ist in drei Bereiche unterteilt : ein Empfangsbereich für die Registrierung der Eltern und Kinder, ein Lagerbereich und ein Bereich für die Aktivitäten der Kinder. Die Kinder erleben einen strukturierten Tagesablauf mit Elementen von Sprachförderung, Motorik, Kooperation und Kommunikation (Bewegungsspiele, Lesen und Brettspiele, gemeinsame Mal- und Bastelaktivitäten, zeitweise auch freies Spielen). Entsprechende Vorhaben sollen im Rahmen der Gewährleistung von Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche in der Not- und Gemeinschaftsunterkunft Flughafen Tempelhof nach Ausschöpfung der Deckungsfähigkeit im EPl 10 aus den zusätzlichen Mitteln für Integrationsmaßnahmen im Kapitel 2930, Titel 54802 in dem dort vorgesehenen Umfang finanziert werden. 4. Sind dem Senat weitere private Organisationen bekannt , die in weiteren Einrichtungen für Geflüchtete geschützte Räume oder Spielzimmer für Kinder und Jugendliche geschaffen haben? a) Wenn ja, welche Organisation haben wie viele Quadratmeter an welchen Standorten eingerichtet? Zu 4.: Hierzu können keine Angaben gemacht werden; eine diesbezügliche Statistik wird nicht geführt. Berlin, den 27. April 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Apr. 2016)