Drucksache 17 / 18 356 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Uwe Doering und Dr. Klaus Lederer (LINKE) vom 07. April 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. April 2016) und Antwort Wenn Buchstaben und Wörter einfach verschwinden – IT-Chaos in der Berliner Justiz Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. An welchen Berliner Gerichten sind bislang welche Module des IT-Fachverfahrens forumSTAR zu welchem Zeitpunkt eingeführt worden? Zu 1: Folgende Module sind von forumSTAR in der Vergangenheit ausgerollt worden: a) Vollstreckung Insolvenz (VSINS) am Amtsgericht Charlottenburg am 12. November 2012, b) Vollstreckung Mobiliar (VSMOB) an den Amtsgerichten Lichtenberg und Köpenick am 2. Dezember 2013, c) Modul Zentrales Vollstreckungsgericht (ZenVG) im Amtsgericht Mitte am 2. Januar 2013, d) Modul Familie am Amtsgericht Pankow /Weißensee am 1. Juni 2015, e) Modul Familie am Amtsgericht Köpenick am 1. März 2016. 2. An welchen Berliner Gerichten sind in den letzten zwei Jahren zu welchem Zeitpunkt welche Änderungen am Betriebssystem der IT-Arbeitsplätze – z.B. Etablierung einer Server Based Computing (SBC)-Umgebung – vorgenommen worden? Zu 2.: Die Einrichtung der sogenannten SBC- Infrastruktur für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit erfolgte im Wesentlichen im Jahre 2005 mit gleichzeitigem Übergang des Betriebes auf das IT- Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ). Wegen notwendiger Erneuerung der Software war es 2014 notwendig, diese Infrastruktur einschließlich der überwiegenden Zahl der Endgeräte an allen Standorten zu modernisieren. 3. Wie viele und welche Störungsfälle im Zusammenhang mit Änderungen am Betriebssystem und/oder der Einführung von forumSTAR gab es in den letzten zwei Jahren an den einzelnen Gerichtsstandorten und wie viele Arbeitsplätze waren davon jeweils betroffen? Zu 3.: Vorab ist anzumerken, dass die Störungen im Bereich der beim ITDZ betriebenen verfahrensunabhängigen IT auftreten. Im Wesentlichen sind sie unabhängig von der Fachanwendung, d. h. auch Nutzer der Altanwendungen sind betroffen. Die Fachanwendung forumSTAR ist zwar auslösender Faktor der Modernisierung, aber nicht die Ursache für die Betriebsstörungen. Seit Januar 2016 werden die aufgetretenen Probleme vor allem im Bereich des Antwortzeitverhaltens in Rahmen einer Task Force vom ITDZ analysiert und sukzessive gelöst. Es konnte nunmehr ein Zustand erreicht werden , der die gemeldeten Störungen gegenwärtig auf ein normales Niveau reduziert. 2014 2015 2016 SBC alt 176 226 190 SBC 2014 0 23 46 davon Großstörungen 7 19 5 In forumSTAR arbeiten ca. 150 Nutzerinnen und Nutzer in 4 Fachmodulen an 4 Gerichten. In den letzten 2 Jahren war dazu nach den hiesigen Aufzeichnungen folgendes Ticketaufkommen zu verzeichnen: 2014 2015 2016 forumSTAR allg. 160 132 26 VSINS 122 120 22 VSMOB 0 0 41 Familie 0 11 43 Nicht berücksichtigt sind bei beiden Übersichten Probleme, die direkt beim Rollout/im Projekt auftreten. Die Anzahl der jeweils betroffenen Endgeräte wird nicht im Ticket erfasst. Es kann sich also um Störungen bei einer einzelnen Nutzerin oder einem einzelnen Nutzer oder auch um eine Störung der gesamten Fachanwendung handeln. Eine Zuordnung zum Standort erfolgt zwar auf die Melderin oder den Melder bezogen, hat aber nur Relevanz , wenn es sich um eine Großstörung handelt (d. h. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 356 2 von der Störung sind mehrere Standorte betroffen). Die unter „forumSTAR allgemein“ aufgeführten Störungen betreffen oftmals die Projektgruppe und stellen keine Störungen im Betriebsablauf dar. 4. Inwieweit treffen Berichte zu, nach denen Richterinnen und Richter sowie andere Beschäftigte an den Gerichtsstandorten mit Computerarbeitsplätzen zu kämpfen haben, bei denen Buchstaben und Wörter auf dem Bildschirm verschwinden, bei denen es zu plötzlichen Systemabstürzen kommt oder bei denen Dokumente nicht korrekt ausgedruckt werden können? Zu 4.: Diese Probleme sind in der Tat aufgetreten. 5. Wie viele und welche Störungsmeldungen, Beschwerden oder sonstige Anliegen im Zusammenhang mit Änderungen am Betriebssystem der IT-Arbeitsplätze an den Gerichten und/oder der Einführung von forumSTAR sind an den Justizsenator herangetragen worden und wie wurde darauf jeweils reagiert? Zu 5.: Es wird keine Statistik geführt, wie viele und welche Störungsmeldungen, Beschwerden oder sonstige Anliegen im Zusammenhang mit der Erneuerung der SBC-Umgebung oder der Einführung von forumSTAR unmittelbar an den Justizsenator herangetragen wurden. Herr Senator Heilmann hat jeweils unverzüglich die zuständigen Stellen informiert – auch an Wochenenden – und sich über den Fortgang der Störungsbeseitigung unterrichten lassen. Zusätzlich hat er angeordnet, dass er vom ITDZ täglich Statusberichte zum Stand der Störungsbeseitigung erhält. 6. Was wurde unternommen, um die Ursachen der Probleme zu ermitteln und welche Erkenntnisse liegen hierzu bereits vor? Zu 6.: Die beim ITDZ unter Beteiligung der Justiz und externer Kräfte eingerichtete Task Force prüft unter Hochdruck alle beteiligten Hard- und Software- sowie Systemkomponenten. In die Analyse werden auch die Hersteller, z. B. Citrix und HP, mit einbezogen. Einzelne Maßnahmen, wie z.B. Updates oder die Verlagerung von Speicherorten führten zu kleinen, aber noch nicht durchgreifenden Erfolgen. Damit die Ursachen auch eindeutig identifiziert werden können, müssen die Maßnahmen sequentiell durchgeführt und vorher auf Wirksamkeit und ggf. zusätzliche Störeffekte getestet werden. Dadurch gestalten sich die Maßnahmen leider zeitaufwändig. Die im Bereich forumSTAR speziell und zusätzlich aufgetretenen Störungen wurden gesondert untersucht. Die zunächst vom ITDZ durchgeführte und anfangs auch notwendige Kapselung der Fachverfahrensserver von forumSTAR in einem „Silo“ hat sich als nicht tragfähig herausgestellt. Eine Reihe von Problemen z. B. im Bereich Anmeldung und Drucken werden hierauf zurückgeführt . Die Verlagerung der Fachanwendung aus dem Silo zu den Terminalservern wird derzeit vorbereitet. Sie gestaltet sich aber zeitlich und organisatorisch aufwändig. 7. Mit welchen Maßnahmen und welchem Zeitplan arbeitet der Senat daran, die Probleme mit dem Betriebssystem und forumSTAR zu lösen und welche Stellen sind damit konkret befasst? Zu 7.: Siehe Antwort zu Fragen 3 und 6. 8. Wie sehen die zeitlichen und organisatorischen Planungen bezüglich der weiteren Einführung von forum- STAR an den Berliner Gerichten sowie die weiteren Entwicklung der IT-Betriebsumgebung aus und inwieweit sind diese Planungen angesichts der Probleme und Störungen angepasst worden? Zu 8.: Oberste Priorität hat die nachhaltige Behebung der aufgetretenen Störungen in den Bestandssystemen. Erst nach Erreichen dieses Ziels werden nächste Einführungsschritte vollzogen. Das Projekt forumSTAR Berlin hatte für den 2. Mai 2016 die Einführung des Moduls Zivil am Amtsgericht Neukölln geplant. Angesichts des Fehlerbildes wurde diese Planung ausgesetzt. Insoweit ist eine Anpassung angesichts der Störungen und der Probleme vorgenommen worden. Eine darüberhinausgehende Planung besteht konkret aktuell nicht. Siehe ferner Antwort zu Frage 6. Die Einführung von forumSTAR als zentrales Verfahrenssystem für die ordentliche Gerichtsbarkeit wurde im Jahr 2009 vertraglich festgelegt. forumSTAR wird nicht gemäß dem ursprünglich geplanten Zeitplan eingeführt. Seit 2012 versucht die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz Einfluss auf den Länderverbund und den dahinter liegenden Dienstleiter IBM zu nehmen, um wesentliche Verbesserung im Programm zu erreichen. Einige Verbesserungen wurden inzwischen umgesetzt, andere stehen bedauerlicherweise noch aus. 9. Wie ist die Koordinierung und Steuerung der Einführung von forumSTAR an den Gerichten einerseits und der weiteren Entwicklung der IT-Betriebsumgebung andererseits organisiert und inwieweit sind welche Beschäftigtenvertretungen dabei regelmäßig mit welchen Beteiligungsrechten einbezogen? Zu 9.: Die Koordinierung und Steuerung der Einführung von forumSTAR an den Gerichten erfolgt im Rahmen eines üblichen Projektmanagements. Dafür wurden Projektgremien eingerichtet. Die Beschäftigtenvertretungen sind an der Abstimminstanz als Kontrollgremium beteiligt, die maßgeblichen Entscheidungen erfolgen über den Lenkungsausschuss. Die Einbindung der Beschäftigtenvertretungen und ihre Beteiligung regelt eine Dienstvereinbarung zur Einführung von forumSTAR aus dem Juli 2011. Sie wurde mit dem Gesamtpersonalrat der Berliner Justiz, dem Gesamtrichterrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Gesamtfrauenvertreterin der Berliner Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 356 3 Justiz, der Gesamtschwerbehindertenvertretung der Berliner Justiz sowie der Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit abgeschlossen. Die Dienstvereinbarung wurde gemäß § 74 Personalvertretungsgesetz Berlin (PersVG Bln) und § 53 Richtergesetz Berlin (RiGBln) zur Ausübung aller betroffenen Mitbestimmungsrechte des Gesamtpersonalrats der Berliner Justiz, insbesondere nach § 85 Abs. 1 Nr. 13 lit. b und Abs. 2 Nr. 9 PersVG Bln, und aller betroffenen Mitbestimmungsrechte des Gesamtrichterrats der ordentlichen Gerichtsbarkeit, insbesondere gemäß § 41 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 RiGBln, geschlossen. Eine etwa erforderliche Mitwirkung des Gesamtpersonalrats der Berliner Justiz gemäß § 90 Nr. 3 PersVG Bln ist ebenfalls abgedeckt . Die Einführung von SBC 2014 erfolgt in einer analogen Projektstruktur. Die Gremien tagen bei weitgehender Personenidentität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeweils direkt nacheinander. 10. Trifft es zu, dass sich verschiedene Gremien der Beschäftigtenvertretung in der Vergangenheit mit Verweis auf die ungelösten technischen Probleme mehrfach gegen die weitere Einführung von forumSTAR-Modulen an Berliner Gerichten ausgesprochen haben und dass diesem Ansinnen nicht entsprochen wurde? Zu 10.: Es trifft zu, dass sich die Beschäftigtenvertretungen in der jeweiligen Abstimminstanz des Projektes forumSTAR Berlin gegen die Einführung des Moduls Familie in den Amtsgerichten Pankow/Weißensee und Köpenick ausgesprochen haben, wobei die Begründungen sich jeweils nicht nur auf das Störungsbild bezogen. Zumindest in Pankow/Weißensee existierte eine relativ stabile Performance, der Aufbau der neuen Infrastruktur war aber noch nicht abgeschlossen. Die Gremienvertreter haben sich auch ausdrücklich gegen eine Einführung von forumSTAR im Amtsgericht Neukölln zum 2. Mai 2016 ausgesprochen. Der Lenkungsausschuss hat jeweils im Gegensatz dazu die Einführung befürwortet. In den Amtsgerichten Pankow/Weißensee und Köpenick wurde sie auch vollzogen. Von einer Einführung im Amtsgericht Neukölln zum 2. Mai wurde nun Abstand genommen (siehe auch Antwort zu 8.). Berlin, den 25. April 2016 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Apr. 2016)