Drucksache 17 / 18 386 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 12. April 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. April 2016) und Antwort Polizeieinsatz bei der rechten Demo am 2. April 2016 in Marzahn-Hellersdorf (II) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Mit welcher Begründung hinderte die Berliner Polizei eine Gruppe von anreisenden Gegendemonstrantinnen und -demonstranten, die vom U-Bahnhof Louis- Lewin-Straße zu den angemeldeten Gegenkundgebungen gegen die rechte Demonstration in Marzahn-Hellersdorf am 2. April 2016 gehen wollten, im Bereich Weißenfelser Straße/Naumburger Ring am Weitergehen und somit an der Teilnahme an den Gegenversammlungen? Zu 1.: Die genannte größere Personengruppe begab sich geschlossen und teilweise rennend, vom U-Bahnhof Louis-Lewin-Straße kommend, auf der Fahrbahn in Richtung Naumburger Ring. Vereinzelt vermummten sich Personen in der Gruppe. Hierbei wurden unter anderem Rufe gegen die Polizei aus der Gruppe heraus skandiert. Dabei zündeten einzelne Personen innerhalb der Gruppe pyrotechnische Gegenstände. Auf Grund dieses Verhaltens und vorab bekannt gewordener Blockadeaufrufe entlang der Strecke des Aufzuges „Sicherheit statt Angst! Recht auf Zukunft – Mut zum Widerstand!“ entschloss sich die Polizei dazu, die Gruppe anzuhalten. Im Zuge der polizeilichen Maßnahmen kam es unmittelbar zu einem Durchbrechen polizeilicher Sperren unter Anwendung körperlicher Gewalt durch wesentliche Teile der Personengruppe . Diese bewegten sich weiter in Richtung Quedlinburger Straße / Zerbster Straße und konnten erst später, im Bereich der ursprünglich angemeldeten Aufzugsstrecke , von Einsatzkräften wieder eingeholt werden. Friedliche Personen hätten sich jederzeit auf anderem Wege zu den Versammlungsorten begeben können, sie wurden zu keiner Zeit durch die Einsatzkräfte an ihrem Recht auf Ausübung der Versammlungsfreiheit gehindert. 2. Weswegen verzichtete die Polizei bei diesem Vorfall darauf, die Personen vor eingeleiteten Zwangsmaßnahmen anzusprechen und ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, ohne Konfrontation aus dem Bereich der polizeilichen Zwangsmaßnahmen zu gelangen? Zu 2.: Die Personen wurden im Einzelfall durch die einschreitenden Polizeidienstkräfte angesprochen. Ein Lautsprecherfahrzeug konnte auf Grund der dynamischen Lage nicht hinzugezogen werden. Es war den Personen zu jeder Zeit möglich, die polizeiliche Absperrung optisch wahrzunehmen und sich in entgegengesetzter Richtung vom Ort zu entfernen. Es wurden keine Zwangsmaßnahmen gegen friedliche Personen getroffen. 3. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte das Betreten der Räumlichkeiten der Alice-Salomon-Hochschule am 2. April 2016 im Rahmen der Beschlagnahme eines Transparentes durch die Polizei und aus welchem Grund unterblieb eine vorherige Kontaktaufnahme zu Verantwortlichen der Hochschule zum Zwecke der Deeskalation, obwohl diese vorher angeboten worden war? Zu 3.: Bereits im Vorfeld des Einsatztages fand ein Informationsgespräch des für die Einsatzdurchführung verantwortlichen Polizeiführers mit dem Rektor der Alice- Salomon-Hochschule statt. Hierbei wurde unter anderem erläutert, dass Störungen, die eine Durchführung der Versammlung unmöglich machen, sofern diese aus der Hochschule heraus erfolgen, polizeiliche Maßnahmen in der Hochschule zur Folge haben können. Für diesen Fall wurde vereinbart, den Rektor oder den Pförtnerdienst zu informieren. Zu Beginn des Einsatzes nahmen Einsatzkräfte persönlich Kontakt zu einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter der Hochschule auf, um die Vorgehensweise bei möglichen Einsatzmaßnahmen im Zusammenhang mit Versammlungsstörungen aus der Hochschule heraus abzusprechen . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 386 2 Etwas später konnten Personen beobachtet werden, die ein Transparent mit der Aufforderung „Rassist*innen Blockieren und Nazis? Angreifen!“ aus einigen Fenstern des Hochschulgebäudes hängten. Dies begründete, insbesondere in Anbetracht der sich auf dem Platz vor der Hochschule versammelnden Teilnehmenden des Aufzuges „Sicherheit statt Angst! Recht auf Zukunft – Mut zum Widerstand!“, den Anfangsverdacht einer Straftat nach § 111 Absatz (Abs.) 1 Strafgesetzbuch (StGB) (öffentliche Aufforderung zu Straftaten). Es handelte es sich demnach nicht um eine strafrechtlich unbeachtliche Versammlungsstörung, sondern es bestand der Anfangsverdacht einer Straftat, deren Hintergründe nach § 163 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) erforscht und deren Verdunkelung verhütet werden mussten . Daher betraten Einsatzkräfte das Gebäude, um Beweismittel zu sichern, Tatverdächtige und Zeugen festzustellen sowie die Fortsetzung der Straftat zu verhindern. Weil sie feststellten, dass das Pförtnerhäuschen, anders als im Vorfeld besprochen, unbesetzt war, erfolgte kein weiterer Versuch einer Kontaktaufnahme mit Vertreterinnen bzw. Vertretern der Hochschule. Um einen drohenden Beweismittelverlust abzuwenden, begaben sich die Einsatzkräfte unmittelbar zum Audimax, aus dessen Fenstern das Plakat gehängt war. Ihnen folgten etwa 20 Personen, unter denen sich auch der Hochschulrektor befand. Im weiteren Verlauf wohnte der Hochschulrektor den polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beschlagnahme des Transparents zeitweilig bei. Aufgrund der unübersichtlichen Situation konnte eine transparente Darstellung der Einsatzmaßnahmen zunächst nicht erfolgen . Sobald es die Lage zuließ, wurden dem Hochschulrektor die Maßnahmen detailliert und transparent erläutert . Die Rechtsgrundlagen der einzelnen Maßnahmen waren § 103 Abs. 1 StPO für das Betreten des Gebäudes, § 94 Abs. 1 StPO für die Beschlagnahme des Transparentes als Beweismittel, § 163 b Abs. 1 StPO für die Identitätsfeststellung von Beschuldigten und § 163 b Abs. 2 StPO für die Identitätsfeststellung möglicher Zeugen. 4. Aus welchem Anlass erfolgte die Freiheitsentziehung zweier Personen in diesem Zusammenhang und warum wurden die Personalien aller Anwesenden im Audimax der Hochschule aufgenommen? Zu 4.: Da die Tatverdächtigen nicht unmittelbar angetroffen wurden, begannen die Einsatzkräfte mit der Feststellung der Personalien der im Audimax anwesenden Personen als mögliche Tatzeugen. Im Zuge dieser Maßnahmen und der Sicherstellung des Plakats wurde eine Tatverdächtige wiedererkannt. Die Identitätsfeststellung der Zeugen wurde daraufhin unmittelbar beendet. Bei der Identitätsfeststellung leistete die Tatverdächtige Widerstand . Dies führte zu Solidarisierungen seitens der anderen anwesenden Personen. Eine Frau behinderte die Maßnahmen massiv und beleidigte die Einsatzkräfte. Diese Frau konnte ebenfalls als Tatverdächtige zur Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten identifiziert werden. Den beiden Tatverdächtigen wurde zum Zwecke der Identitätsfeststellung vorübergehend die Freiheit entzogen. 5. Wie bewertet der Senat das auf der rechten Demonstration mitgeführte Transparent mit der Aufschrift „Linksfaschisten haben Namen und Adressen – Gemeinsam holen wir uns unsere Stadt zurück“ hinsichtlich einer strafrechtlichen Relevanz? Zu 5.: Nach Auffassung des Senats ist der Inhalt der Aufschrift zu unbestimmt, um den Anfangsverdacht einer Straftat zu begründen. Dies entspricht den noch vor Ort eingeholten Einschätzungen sowohl der Fachdienststelle des Landeskriminalamtes Berlin als auch der zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin. 6. Wurde vor Ort eine rechtliche Überprüfung des bei der rechten Demonstration mitgeführten Transparentes hinsichtlich eines möglicherweise strafbaren Gewaltaufrufes gegen politische Gegner durchgeführt und wenn ja, welche Dienststellen der Polizei und/oder Staatsanwaltschaft waren daran beteiligt? Wenn nein, warum nicht? Zu 6.: Ja. Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen . 7. Unterlag eine solche Aufschrift auf einem Transparent in der Vergangenheit einer Beauflagung seitens der Versammlungsbehörde und wenn ja, welcher? Zu 7.: Nein. 8. Wurden durch die Polizei Ermittlungsverfahren wegen des Tragens sogenannter Quarzsandhandschuhe von Teilnehmenden der rechten Demonstration von Amts wegen eingeleitet und wenn ja, in wie vielen Fällen? Wenn nein, warum nicht (vgl. https://www.flickr.com/photos/theoschneider/261008983 12/in/album-72157664400777213/ bzw. https://www.flickr.com/photos/soerenkohlhuber/2612911 5531/in/album-72157666624764866/)? Zu 8.: Im Rahmen der Einsatzmaßnahmen am 2. April 2016 sind keine Sachverhalte bekannt geworden, die einen entsprechenden Anfangsverdacht begründet hätten. Ob es sich bei den Handschuhen, die auf den in der Frage aufgeführten Internetseiten abgebildet sind, möglicherweise um verbotene Gegenstände im Sinne des Versammlungsgesetzes handelt, ist im Nachhinein, also durch bloße Sichtung der in Rede stehenden Fotos, nicht feststellbar. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 386 3 9. Wie bewertet der Senat das augenscheinlich polizeilich unbeanstandete Mitführen verbotener Aktivbewaffnung in Form von Protektoren-/Quarzsandhandschuhen durch Teilnehmer bei vergangenen Aufmärschen der rechtsextremen Szene (vgl. u.a. https://www.flickr.com/photos/paulhanewacker/25704563 761/in/album-72157665895527506/ bzw. https://www.flickr.com/photos/pm_cheung/25709581476)? Zu 9.: Es wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 10. Ist nach Ansicht des Senates eine zusätzliche Sensibilisierung der bei Demonstrationen eingesetzten Polizeikräfte hinsichtlich versammlungs- und waffenrechtlicher Bestimmungen zu bei Versammlungen verbotenen Gegenständen erforderlich? Zu 10.: Nein. 11. Warum verzichtete die Berliner Polizei auch nach dem Ausbruch von Teilnehmenden der rechten Demonstration in der Alten Hellersdorfer Straße mit dem Ziel, Gegendemonstrantinnen und -demonstranten anzugreifen, auf eine seitliche Begleitung des Aufzuges? Zu 11.: Die Polizei begleitete den Aufzug „Sicherheit statt Angst! Recht auf Zukunft – Mut zum Widerstand“ an der Spitze und am Schluss sowie anlassbezogen auch seitlich mit Einsatzkräften. Gleichwohl gelang es einem Teilnehmer dieses Aufzuges nach verbalen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrierenden, die seitliche polizeiliche Begleitung gewaltsam zu durchbrechen. Bevor es zu einem Aufeinandertreffen der widerstreitenden Lager kam, wurde der Teilnehmer durch Polizeidienstkräfte festgenommen. Es wurden die erforderlichen polizeilichen Maßnahmen durchgeführt und entsprechende Strafermittlungsverfahren eingeleitet. Weitere Fälle, bei denen Teilnehmende des Aufzuges versucht haben, Gegendemonstrierende anzugreifen, sind dem Senat nicht bekannt. Berlin, den 25. April 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Apr. 2016)