Drucksache 17 / 18 400 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Philipp Magalski (PIRATEN) vom 14. April 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. April 2016) und Antwort Kindesentführungen in Berlin? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Lässt sich die Anzahl der angezeigten Kindesentführungen (inklusive derer durch sorgeberechtigte und nicht-sorgeberechtigte Eltern) der letzten fünf Jahre in Berlin beziffern? a) Wenn ja, wie viele dieser Fälle konnten aufgeklärt werden? b) Wenn sich der Täter*innenkreis in die Kategorien „sorgeberechtigte Eltern“, „nicht-sorgeberechtigte Eltern “, „Familienangehörige“ und „Externe“ aufteilen lässt, wie ist dann die Gewichtung? c) In wie vielen Fällen konnten die Kinder zu ihren Sorgeberechtigten zurückkehren? Zu 1.: Abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls ist der in der Fragestellung enthaltene Begriff der „Kindesentführung“ verschiedenen Tatbeständen aus dem 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches (StGB) zuzuordnen („Straftaten gegen die persönliche Freiheit“). § 235 StGB (Entziehung Minderjähriger), der den Straftatbestand der „Kindesentziehung“ beschreibt, wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik mit der Schlüsselzahl 231200 als „Entziehung Minderjähriger“ ausgewiesen . Die nachfolgende Tabelle zeigt hierzu über einen Zeitraum von fünf Jahren die Anzahl der erfassten sowie der aufgeklärten Fälle: Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 Erfasste Fälle 159 142 147 134 161 Aufgeklärte Fälle 150 129 119 102 120 Im Zeitraum 2011 bis 2015 hat die Polizei Berlin einen einzigen Fall eines Menschenraubes zum Nachteil eines Kindes (und seiner Mutter) bearbeitet und aufgeklärt . Zu 1.a): Siehe Antwort zu Frage 1. Als aufgeklärt gilt für die Polizei eine Tat, zu der im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ein Tatverdächtiger erfasst worden ist. Zu 1.b): Eine statistische Erhebung hierzu erfolgt durch die Polizei Berlin nicht. Zu 1.c): Eine gesonderte statistische Erfassung hierzu erfolgt nicht. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle kehrten die Kinder bereits nach kurzer Zeit zu der Person zurück, welche die Anzeige wegen Kindesentziehung erstattet hatte. Häufig handelt es sich sowohl bei der anzeigenden als auch bei der angezeigten Person um Sorgeberechtigte im juristischen Sinne. Regelmäßig handelte es sich in der Vergangenheit bei angezeigten Kindesentziehungen um Lebenssachverhalte, bei denen die Mutter oder der Vater des Kindes entgegen bestehender Absprachen das Umgangsrecht zeitlich ausgedehnt hat, zum Beispiel durch eine verspätete Rückkehr nach einer vereinbarten und zeitlich begrenzten Reise. Neben diesen häufig festgestellten Konstellationen gibt es Fälle, in denen Kinder von Tatverdächtigen ins Ausland verbracht werden, um dort dauerhaft zu verbleiben . In diesen Fällen greifen die Regelungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) vom 25. Oktober 1980. Das Abkommen hat das Ziel, Kinder vor den schädlichen Folgen einer Entziehung oder Zurückhaltens über internationale Grenzen hinweg zu beschützen, indem die unverzügliche Rückführung angeordnet werden kann. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 400 2 2. Sind dem Senat Fälle von Kindesentführungen bekannt , wonach den Sorgeberechtigten bzw. zeitweiligen Aufsichtspersonen durch eine bestimmte „Masche“ oder einen Trick, Schutzbefohlene aus deren Obhut entrissen wurden? a) Falls ja, um welche „Maschen“ bzw. Tricks handelt es sich? Zu 2.: Nein. Zu 2.a): Entfällt 3. Welche Möglichkeiten haben Sorgeberechtigte in Berlin, die vom Tatbestand der Kindesentführung betroffen sind, psychologische und sonstige Hilfen zu erhalten? Zu 3.: In der für Kindesentziehungen, Erpresserischen Menschenraub und Geiselnahmen zuständigen Abteilung des Landeskriminalamts Berlin ist hauptamtlich eine Psychologin tätig, die sich unter anderem mit der Betreuung und der Beratung von Betroffenen befasst, die Opfer schwerer Straftaten geworden sind. Dieses Angebot umfasst auch die Unterstützung und Hilfe für Angehörige der Opfer. Darüber hinaus ist dort eine Kriminalbeamtin beschäftigt , die als Expertin für Opferschutz eine fachkundige Beratung sicherstellt, wenn es für die Betroffenen darum geht, externe psychologische oder sonstige Hilfe in Anspruch zu nehmen und Informationen über die Rechte von Opfern und Verletzten im Strafverfahren zu erhalten. Den Betroffenen von Kindesentziehungen im Ausland wird die Kontaktaufnahme mit der Zentralen Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte (ZAnK) nahe gelegt. Diese hat im Januar 2012 ihre Arbeit aufgenommen und ist beim Internationalen Sozialdienst (ISD) angegliedert. Wichtige Anlaufstellen für betroffene Sorgeberechtigte sind die Berliner Erziehungs- und Familienberatungsstellen (EFB), die im individuellen Fall psychologische Unterstützung, Beratung und Intervention bei Familienkonflikten anbieten. Die Unterstützung der EFB im Fall einer Kindesentziehung richtet sich in drei Säulen a) an das von der Entführung betroffene Elternteil, b) an das von der Entführung betroffene Kind, c) an die Eltern. In den meisten Berliner EFB arbeiten psychologisch geschulte Notfallpsychologinnen und Notfallpsychologen, die eine besondere Qualifikation für die Arbeit mit von Trauma Betroffenen mitbringen. Deren spezifische Arbeit kommt erforderlichenfalls auch langfristig zum Einsatz. Auch nach der Rückkehr eines vormals entzogenen Kindes benötigt ein betroffener Elternteil in der Regel psychologogische Unterstützung, um die weitere Entwicklung des Kindes, insbesondere die altersgerechte Autonomieentwicklung, unbelastet begleiten zu können. Hier spielt die EFB eine wichtige Rolle durch ihr Angebot der Erziehungsberatung. Um die Eltern-Kind-Beziehung auch vor dem Hintergrund einer Entziehungsgefahr zu erhalten, können Eltern in den EFB das Angebot des psychologisch begleiteten beschützten oder begleiteten Umgangs wahrnehmen. Die Berliner EFB bieten auch Präventionsarbeit zur Verhinderung von Kindesentziehungen. So ist festzustellen , dass die Etablierung eines tragfähigen Umgangskonzepts die Gefahr der Kindesentziehung und Verlustängste mindert. Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags leisten die EFB Unterstützung und Beratung zu Fragen des Umgangs nach Trennung und Scheidung. Diese Form der Beratung wird in den Berliner EFB zudem in vielen Muttersprachen und durch interkulturelle Fachpersonen durchgeführt. Das an den Berliner Bezirken ausgerichtete Pflichtversorgungssystem Psychiatrie steht allen Menschen offen, die psychiatrische, psychologische und psychosoziale Hilfe benötigen. Es umfasst eine Vielzahl an regionalen Angeboten im stationären/teilstationären (Kliniken; Tageskliniken), ambulanten (z. B. Sozialpsychologische Dienste; niedergelassene Fachärzte; Psychologische Psychotherapeuten; Institutsambulanzen; Berliner Krisendienst) sowie im komplementären Bereich (Betreutes Wohnen u. a.). Der mehrsprachig vorliegende Wegweiser „Psychiatrie in Berlin“ führt durch die bezirklichen Versorgungsangebote . Dieser Wegweiser sowie weitere Orientierungshilfen für Hilfesuchende können von der Homepage der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Landesbeauftragter für Psychiatrie, unter dem Link www.berlin.de/lb/psychiatrie/ heruntergeladen werden. Berlin, den 26. April 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mai 2016)