Drucksache 17 / 18 550 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Uwe Lehmann-Brauns (CDU) vom 11. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mai 2016) und Antwort Unterbringung von Flüchtlingen in der Thielallee 88 - 94 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Eignet sich die gegenwärtig als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzte Liegenschaft Thielallee 88 - 94 in Dahlem als integrierte Erstaufnahmeeinrichtung (EAEplus)? Zu 1.: Das gegenwärtig als Notunterkunft genutzte Objekt liegt auf einem großen Areal, welches sich zwischen der Thielallee, der Boetticher Straße und Unter den Eichen erstreckt. Dort sind insgesamt zehn Häuser durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) bzw. die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft reserviert. Es werden gegenwärtig nur zwei der Häuser für die bestehende Notunterkunft genutzt. Die Planung zum Umbau der beiden Häuser zu einer Gemeinschaftsunterkunft ist abgeschlossen. Auf Grund der kleinteiligen Gebäudestruktur, den nutzbaren Gebäuden und der Anordnung der Häuser mit entsprechenden Freiflächen ist die Liegenschaft nach Einschätzung der im LAGeSo angesiedelten Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) prädestiniert, um einen gut strukturierten und vernetzten Erstaufnahme Plus- Standort (EAE+) mit verschiedenen Wohn-, Bildungsund Versorgungstätten zu entwickeln. 2. Wie hoch ist die Belegung zurzeit und wie viele Flüchtlinge könnten maximal untergebracht werden? Zu 2.: Die genannte Einrichtung ist für eine Kapazität von 326 Plätzen ausgelegt. Mit Erfassungsstichtag 17.05.2016 weist die Statistik der im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) angesiedelten Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) eine Belegung mit 295 Personen aus. 3. Welche Erkenntnisse hat der Senat über einen Zusammenhang zwischen der Zahl von Flüchtlingen in einer Einrichtung und dem Integrationserfolg, der Akzeptanz der umliegenden Wohnbevölkerung gefährden sowie der Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen Helfer? Zu 3.: Zu dem erfragten Sachverhalt verweist der Senat zunächst darauf, dass die Akzeptanz des Flüchtlingszuzugs wesentlich durch eine rasche und erfolgreiche Eingliederung der bleibeberechtigten Flüchtlinge in das hiesige soziale und wirtschaftliche Leben gefördert werden kann. Hierzu gehören vorrangig die zügige Bearbeitung der Asylanträge durch die zuständige Bundesbehörde , die Schaffung ausreichender Angebote zur Sprachund Integrationsförderung, die Vermittlung der für das Gemeinwesen maßgebenden Werte und Normen, der Zugang zu Bildungseinrichtungen, zum Wohnungsmarkt und zur beruflichen Qualifizierung sowie die Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit. Zur Gewährleistung dieser Ziele hat sich der Senat mit dem Masterplan Integration und Sicherheit auf ein umfangreiches und im Dialog mit der Zivilgesellschaft entwickeltes Maßnahmenpaket verständigt. Vor diesem Hintergrund können die Modalitäten bei der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften generell nur einen begrenzten Beitrag zur Integrationsförderung und Unterstützung der Willkommenskultur leisten, wenngleich die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Unterkunft und Betreuung auch und gerade angesichts der hohen Zuzugszahlen während der vergangenen Jahre eine wichtige sozialpolitische Aufgabe darstellt. Entscheidend ist jedoch immer die Vernetzung ins Umfeld. Empirisch gesicherte Erkenntnisse liegen zu der Fragestellung im engeren Sinne nicht vor. Auf Grund allgemeiner Erfahrungswerte geht der Senat davon aus, dass jedenfalls die Größe einer Gemeinschaftsunterkunft für sich allein weder einen unmittelbaren Einfluss auf die gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Integration der Bewohnerinnen und Bewohner noch auf die Akzeptanz der Einrichtung bzw. der dort lebenden Menschen bei der umliegenden Wohnbevölkerung auszuüben vermag . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 550 2 Für diese Einschätzung sprechen insbesondere die langjährigen Erfahrungen mit überdurchschnittlich großen , jedoch gut organisierten und betreuten Gemeinschaftsunterkünften wie etwa die Aufnahmeeinrichtung in Lichtenberg (350 Plätze) oder die Gemeinschaftsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Notaufnahmelagers in Marienfelde (700 Plätze). Die aus der Verwaltungspraxis gewonnenen Erkenntnisse sprechen vielmehr dafür, dass – neben einrichtungsspezifischen Gegebenheiten wie etwa der Größe und Ausstattung der Wohn- und Gemeinschaftsräume oder den Angeboten zu gemeinnützigen zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten – sowohl die Kompetenz, Professionalität und das Engagement der jeweiligen Heimleitungen und des vor Ort eingesetzten Personals – zu der auch die aktive Einbindung der Nachbarschaft etwa durch Feiern, Kinderveranstaltungen, Hoffeste, Begegnungsabende, Tage der offenen Tür usw. gehört – als auch die Unterstützung durch ehrenamtlich tätige Initiativen und bürgerschaftliches Engagement in Kooperation mit den verantwortlichen Heimleitungen die Bereitschaft und Fähigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner zur gesellschaftlichen Eingliederung positiv beeinflussen und das gutnachbarschaftliche Zusammenleben zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkunft und der anwohnenden Bevölkerung nachdrücklich fördern können , und dass diese Zusammenhänge unabhängig von der Größe der Unterkunft festzustellen sind. Gleichwohl wird nicht verkannt, dass sich die damit einher gehenden Herausforderungen an einen qualifizierten und konfliktfreien Heimbetrieb bei besonders großen und zudem heterogen belegten Unterkünften fordernder darstellen als bei kleinen, überschaubaren Häusern mit 100 oder weniger Plätzen. 4. Hält der Senat grundsätzlich eine zeitliche Befristung der Nutzung für Flüchtlinge, zum Beispiel auf höchstens fünf Jahre deshalb richtig, um unsere Bürger bei der großen Aufgabe der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen mitzunehmen? Zu 4.: Die Laufzeit einer Einrichtung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab (einschließlich der Notwendigkeit , in der Relation zwischen Investitionskosten und Nutzungsdauer einen wirtschaftlichen Betrieb zu erreichen ) und wird individuell vom LAGeSo im Rahmen der Kapazitäts- und Belegungsplanung festgelegt. Eine pauschale Begrenzung der Laufzeit wäre daher nicht sachgerecht , zumal die Belegungsplanung durch die volatile und kaum valide prognostizierbare Zuzugsentwicklung erschwert wird und entsprechend flexibel ausgestaltet werden muss. Die Erfahrung zeigt zudem, dass auch langjährig bestehende Gemeinschaftsunterkünfte ein hohes Maß an Akzeptanz und Unterstützung durch die Wohnbevölkerung erreichen können, sofern sie im Sinne der Antwort zu 3. professionell und unter aktiver Einbeziehung der Nachbarschaft geführt werden. Gleichwohl erachtet der Senat die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich als eine vorübergehende Lösung, um bis zum Bezug einer selbständig genutzten Wohnung dem Bedarf an Unterkunft entsprechen und Obdachlosigkeit vermeiden zu können. Dies gilt insbesondere für Notunterkünfte. Daher verstärkt der Senat seine Bemühungen , Asylsuchende – sofern sie nicht aus sicheren Herkunftsstaaten eingereist sind – möglichst schnell nach der Beendigung der gesetzlichen Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung mit privatem Wohnraum zu versorgen. Hierdurch wird perspektivisch angestrebt, die Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften zu verkürzen und die vorzuhaltenden Kapazitäten in Not- und Gemeinschaftsunterkünften verringern zu können. Diese Zielsetzung ermöglicht auch die Option, zeitweise als Flüchtlingsunterkunft genutzte Standorte schneller wieder ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung zuführen zu können. 5. Wann hält der Senat einen Freizug der Liegenschaft in Dahlem für realistisch, damit die Flächen u.a. für den erheblichen Bedarf der Forschung und Lehre entwickelt werden kann? Zu 5.: Eine pauschale Einschätzung über die Dauer der Belegung der Liegenschaft für Flüchtlingsunterkünfte kann wegen der derzeit nicht valide prognostizierbaren Zuzugsentwicklung nicht getroffen werden. Der Mietvertrag zwischen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und dem Land Berlin für das Gelände wird für eine unbestimmte Zeit geschlossen, so dass jederzeit flexibel auf die aktuelle Zuzugssituation reagiert werden kann. Bei einer Fortentwicklung zu einer EAE+ Einrichtung bietet sich zudem die Option, im Rahmen des Gesamtkonzepts dort auch Bildungs-, Forschungs- und Lehrstätten einzugliedern, welche nicht nur von den untergebrachten Asylsuchenden und Flüchtlingen, sondern von der gesamten Bevölkerung genutzt werden können. Berlin, den 30. Mai 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Juni 2016)