Drucksache 17 / 18 551 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt GRÜNE) vom 10. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Mai 2016) und Antwort Welche Konsequenzen zieht Berlin aus der Kritik des Europäischen Anti-Folter-Komitees? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus der Feststellung des Anti-Folter-Komitees, dass in der Klinik für Psychiatrie im St.-Joseph-Krankenhaus alle Stationen überbelegt waren und bei drei Stationen die Belegung bei mehr als 120% der offiziellen Kapazität lag? Wie hoch war die Belegung in den letzten 12 Monaten (bitte unter Angabe der Belegungsquote nach Station und Monat aufschlüsseln)? Zu 1.: Wie der „Erklärung von Delegationsleiter A. van K. zum Abschluss des 6. regelmäßigen Deutschlandbesuchs des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe – CPT (25. November – 7. Dezember 2015)“ zu entnehmen ist, wird das federführende Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz den ausführlichen Bericht voraussichtlich erst im Sommer 2016 erhalten. Darüber hinaus hat sich der CPT nachträglich an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gewandt mit der Bitte, weitere Informationen von den zuständigen Landes- bzw. Bundesbehörden einzuholen. Bei der Erklärung handelt es sich also um eine erste subjektive – im Übrigen nicht datengestützte – Einschätzung der Mitglieder des CPT zur Lage der besuchten Einrichtungen. Generell darf jedoch angemerkt werden, dass sich die Mitglieder des CPT anlässlich der „Abschlussbesprechung zum Besuch“ gegenüber dem Senator für Gesundheit und Soziales am 07. Dezember 2015 generell sehr positiv über das Alexianer St. Joseph- Krankenhaus Berlin-Weißensee geäußert haben. Die durchschnittliche stationäre Belegung auf allen psychiatrischen Stationen des Alexianer St. Joseph- Krankenhauses Berlin-Weißensee betrug im angegebenen Berichtszeitraum nicht – wie im Bericht dargestellt 120 % –, sondern im Zeitraum 05/2015 – 04/2016 98,93 %. Im gleichen Zeitraum waren die vier akutpsychiatrischen Stationen mit durchschnittlich 104,4 % naturgemäß stärker ausgelastet, als der Durchschnitt über alle Stationen . Festzustellen ist, dass die zwei gerontopsychiatrischen Stationen im o. g. Zeitraum mit ca. 106,5 % die höchste durchschnittliche Auslastung aufweisen. Durch den neuen Landeskrankenhausplan 2016 erhält das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee eine Aufstockung der psychiatrischen Kapazitäten von insgesamt 31 Betten/Plätzen. Aufgrund dieser Kapazitätsanpassung wird das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee zum 01.10.2016 eine neue psychiatrische Station eröffnen. Dadurch wird die hohe Belegung auf den Stationen reduziert werden. Die detaillierten Daten werden über das federführende Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz dem „Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung“ zur Korrektur mitgeteilt. 2. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus der Feststellung des Anti-Folter-Komitees, dass im St. Joseph- Krankenhaus die medizinische Eingangsuntersuchung insbesondere bei PatientInnen, die bei der Einweisung nicht kooperativ waren, nicht immer ordnungsgemäß durchgeführt und auch später nicht nachgeholt wird? Wie hoch war in den letzten 12 Monaten der Anteil der Einweisungen , bei denen keine ordnungsgemäße Eingangsuntersuchung stattfand? Zu 2.: Im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin- Weißensee werden pro Jahr 3.600 Fälle stationär behandelt . Die medizinische Eingangsuntersuchung ist leitliniengerecht bei jeder Patientin und jedem Patienten durchzuführen und wird im Krankenhausinformationssystem dokumentiert. Bei Patientinnen und Patienten, die bei der Aufnahme nicht kooperativ waren, wird die medizinische Eingangsuntersuchung nachgeholt, sobald sie kooperativ sind. Leider lehnen einige Patientinnen und Patienten eine intensive körperliche Untersuchung bis zur Entlassung ab. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 551 2 In der internen Nachbesprechung des Ergebnisses des Besuchs des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter oder unmenschlicher Behandlung oder Strafe wurde im Krankenhausinformationssystem für Patientinnen und Patienten, die bei Aufnahme die Erstuntersuchung ablehnten oder aufgrund der fehlenden Kooperation der/des Patientin/Patienten nicht untersucht werden konnten, eine Reminderfunktion eingeführt, so dass alle beteiligten Ärztinnen und Ärzte erinnert werden, diese Untersuchungen durchzuführen und zu dokumentieren. 3. In wie vielen Fällen musste im St. Joseph- Krankenhaus in den vergangenen 12 Monaten die Polizei gerufen werden, um dem Personal zu helfen, mit unruhigen und/oder gewalttätigen PatientInnen umzugehen? Welche Schulungsangebote in Deeskalationstechniken für das Personal gibt es? Zu 3.: Das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin- Weißensee führt seit mehr als 15 Jahren regelmäßige Schulungsangebote in Deeskalationstechniken durch. Alle Stationsteams sind geschult und werden in regelmäßigen Refresherkursen, die alle drei Monate stattfinden, erneut geschult. Trotz dieser intensiven Bemühungen in Deeskalationstechniken gibt es bei stark erregten und gewalttätigen Patientinnen und Patienten, die nicht nur körperlich gewalttätig sind, sondern zum Teil auch bewaffnet, Anlässe, um Amtshilfe bei der Polizei zu bitten. Das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin- Weißensee führt regelmäßig jährlich Kontaktgespräche mit der Polizei durch, so dass diese Einsätze möglichst schonend für die Patientin oder den Patienten durchgeführt werden können. Zusammenfassend kam es im letzten Jahr zu acht Amtshilfegesuchen. 4. Wie wird in den psychiatrischen Einrichtungen des Landes Berlin der Einsatz von Zwangsmaßnahmen wie Fixierung und Isolierung dokumentiert? Warum gibt es bis heute in Berlin kein zentrales Register für Zwangsmaßnahmen ? Zu 4.: Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen wie Fixierungen und Isolierungen werden zunächst einzelfallbezogen in der Krankenakte der jeweiligen Patientin/ des jeweiligen Patienten dokumentiert. Im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin- Weißensee wird, wie in allen Häusern des Alexianer- Verbundes, sowohl der Einsatz von Zwangsmaßnahmen und Isolierungen als auch von Zwangsmedikationen im krankenhausinternen Dokumentationssystem dokumentiert . Die Daten werden jährlich ausgewertet, mit den anderen Kliniken im Alexianerverbund verglichen und Maßnahmen zur Reduktion von Zwangsmaßnahmen daraus abgeleitet. Durch die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales wird jährlich eine Abfrage zu Unterbringung nach dem Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) und dem BGB auf der Grundlage des § 26 Abs. 2 des Landeskrankenhausgesetzes (LKG) durchgeführt. Zum Näheren wird auf die Antwort zur Schriftlichen Anfrage 17/14536 vom 11.9.2014 verwiesen. Im Rahmen der Neufassung des PsychKG wird voraussichtlich eine weitere gesetzliche Norm zur Erhebung von Daten zur Zwangsbehandlung in Kraft treten. Abschließend ist zu bemerken, dass Zwangsmaßnahmen im Krankenhaus sowohl im Rahmen der öffentlichrechtlichen (PsychKG) als auch im Rahmen der betreuungsrechtlichen (BGB) Unterbringung vorkommen. Eine ausschließlich auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung bezogene Erfassung dieser Daten ist insoweit nicht zielführend . Um Erkenntnisse über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen und vor allem die Vermeidung von Zwang zu erhalten, plant das Bundesministerium für Gesundheit eine quantitative und qualitative Erhebung zu Zwangsmaßnahmen. Hierzu erfolgte bereits die öffentliche Bekanntmachung (Interessenbekundungsverfahren) des Bundesministeriums für Gesundheit unter dem Datum 23. September 2015. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass der Bund die Einrichtung eines Zwangsregisters anstrebt, das Zwangsmaßnahmen in beiden Unterbringungsformen aufzeichnen soll. Berlin, den 26. Mai 2016 In Vertretung Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Mai 2016)