Drucksache 17 / 18 565 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Gregor Költzsch (SPD) vom 09. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Mai 2016) und Antwort Umsetzung der neuen Veranstaltungslärm-Verordnung in der Praxis Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Veränderungen der Rechtslage ergeben sich durch die neue VeranstaltLärmVO im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nach AV LImSchG Bln? Antwort zu 1: Bis zum Inkrafttreten der Veranstaltungslärm -Verordnung (VeranstLärmVO) vom 30. September 2015 wurde der Zumutbarkeitsrahmen für die Genehmigung öffentlicher Veranstaltungen im Freien nach § 7 Absatz 1 und § 11 des Landes-Immissionsschutzgesetzes Berlin (LImSchG Bln) in den Ausführungsvorschriften zum Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin - Veranstaltungen vom 30. Dezember 2010 geregelt . Diese Ausführungsvorschriften dienten der Steuerung des Verwaltungshandelns der zuständigen Behörden der Berliner Verwaltung. Die wesentliche Rechtsänderung , die durch den Erlass der Veranstaltungslärm- Verordnung eingetreten ist, besteht darin, dass nunmehr ein Rechtsrahmen geschaffen wurde, der über die Verwaltung hinaus für alle Beteiligten und die Gerichtsbarkeit verbindlich ist und dadurch die Rechtssicherheit erhöht. Die materiellen Regelungen der Ausführungsvorschriften zum Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin - Veranstaltungen wurden weit überwiegend übernommen. Klargestellt wurde gegenüber den bisherigen Regelungen, dass erhebliche Belästigungen durch tieffrequente Geräusche in der Nachtzeit unzulässig sind (§ 8 Satz 2 Veranst- LärmVO). Störende Veranstaltungen von herausragender Bedeutung wurden als eigene Veranstaltungsart in den Regelungstext aufgenommen (§ 3 Absatz 1 Veranst- LärmVO). Frage 2: Welche Auswirkungen erwartet der Senat durch die neue Verordnung auf die bezirkliche Genehmigungspraxis für Veranstaltungen? Antwort zu 2: Der Senat erwartet eine höhere Rechtssicherheit , auch bei der Genehmigungspraxis der Bezirke. Inhaltliche Auswirkungen der Veranstaltungslärm- Verordnung auf die bezirkliche Genehmigungspraxis werden nicht erwartet, da die materiellen Regelungen wesentlich unverändert geblieben sind. Frage 3: Wie wirkt sich die Regelung in Bezug auf tieffrequente Geräusche in § 5 Absatz 3 konkret auf die Genehmigung von Veranstaltungen aus? Antwort zu 3: Sollten Geräusche von Veranstaltungen an den am stärksten betroffenen Immissionsorten die Immissionsbegrenzungen für nicht störende oder wenig störende Veranstaltungen einhalten, aber dort das Potenzial besitzen, durch den hohen Bassanteil am Gesamtgeräusch in Innenräumen erhebliche Belästigungen verursachen zu können, ist die jeweilige Veranstaltung als störende Veranstaltung zu bewerten. Deren Einwirken ist anzahlmäßig grundsätzlich auf maximal 18 Tage pro Kalenderjahr und Immissionsort begrenzt. Frage 4: Wie wirkt sich die Regelung in Bezug auf tieffrequente Geräusche in § 8 konkret auf die Genehmigung von Veranstaltungen aus? Auf welche Weise werden gemäß der Verordnung das Ausmaß und die Dauer der Einwirkung tieffrequenter Immissionen bei der Genehmigung von Veranstaltungen „besonders berücksichtigt “? Wird z.B. die Dauer oder die Häufigkeit betreffender Veranstaltungen reduziert? Antwort zu 4: Erhebliche Belästigungen durch tieffrequente Geräusche sind weitgehend zu vermeiden, weil auch bei geschlossenen Fenstern in Innenräumen oft nur ein geringer Schutz dagegen besteht. Da durch derartige erhebliche Belästigungen Störungen des Schlafes zu erwarten sind, sind diese zur Nachtzeit nicht zulässig. Für die Tagzeit wird durch § 8 in Verbindung mit § 11die maximale Zahl von Ereignissen auf grundsätzlich 18 Tage pro Kalenderjahr und Immissionsort begrenzt. In jedem Einzelfall ist unter Berücksichtigung der Pegel der zu erwartenden tieffrequenten Geräuschanteile auch über die Dauer der Einwirkung und die technischen bzw. organisatorischen Minderungsmaßnahmen zu entscheiden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 565 2 Frage 5: Wie wirkt sich in der Praxis die Regelung in § 11 aus, dass an einem Immissionsort nur an maximal 18 Tagen pro Kalenderjahr störende Veranstaltungen zulässig sind? Antwort zu 5: Diese zahlenmäßige Begrenzung ist von Bedeutung, um bei störenden Veranstaltungen die Zumutbarkeit der Geräuschbeeinträchtigungen pro Kalenderjahr sicherzustellen. Die Festlegung der maximalen Anzahl an störenden Veranstaltungen ist anhand der Rahmenbedingungen vor Ort zu treffen. Ist die maximale Anzahl erreicht, können darüber hinaus nach Maßgabe des § 12 nur in sehr seltenen Fällen Abweichungen zugelassen werden. Frage 6: Wie wird mit betroffenen Wohngebieten umgegangen , die Immissionen von Veranstaltungen in verschiedenen Bezirken ausgesetzt sind? Welche Erwartung hat der Senat an die Bezirke hinsichtlich einer Koordinierung der Genehmigungspraxis im Hinblick auf die Anzahl der Tage mit störenden Veranstaltungen (max. 18) und ihre jeweilige Dauer? Frage 7: Kann der Senat eine entsprechende Koordinierung der Bezirke unterstützen? Wenn ja, auf welche Weise? Antwort zu 6 und 7: Wegen der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Bezirken und der Hauptverwaltung werden gemäß einer Absprache zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und den bezirklichen Umwelt- und Naturschutzämtern Kopien von den jeweils erteilten Genehmigungen gemäß § 11 Landes- Immissionsschutzgesetz Berlin übersendet. Nach Bedarf erfolgt weiterer Informationsaustauch. Der erforderliche Informationsaustausch zwischen den Umwelt- und Naturschutzämtern muss unmittelbar auf der bezirklichen Ebene erfolgen. Absprachen untereinander treffen die bezirklichen Umwelt- und Naturschutzämter in eigener Verantwortung . Frage 8: Wie bewertet der Senat generell das Verhältnis zwischen der nach § 4 Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin geltenden Sonn- und Feiertagsruhe und einem öffentlichen Interesse an Veranstaltungen an Sonnund Feiertagen? Auf welche Weise und nach welchen Kriterien wird ein solches öffentliches Interesse festgestellt ? Antwort zu 8: § 4 Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin greift den über Art. 140 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich normierten Schutz der Sonn- und anerkannten Feiertage auf. Die verfassungsrechtlich geregelte objektive Institutsgarantie, die einen Kernbestand gewährleistet , wird dadurch um einen subjektiven Schutzanspruch ergänzt. Als Schutzgüter sind insbesondere Erholung und individueller Ausgleich vom Alltag zu nennen. Dieser Schutzanspruch kann im Rahmen einer Genehmigung nach erfolgter Einzelfallprüfung gemäß § 11 LIm- SchG Bln zurücktreten. Generell ist also festzustellen, dass in dem Umfang, in dem eine einzelfallbezogene Genehmigung erteilt ist, § 4 LImSchG Bln nicht gilt – vergleiche § 11 S. 4 LImSchG Bln. Dabei muss u.a. ein öffentliches Bedürfnis für die öffentliche Veranstaltung im Freien vorliegen. Nach § 11 Satz 2 LImSchG Bln liegt eine öffentliches Bedürfnis in der Regel vor, wenn das Vorhaben auf historischen, kulturellen oder sportlichen Umständen beruht oder sonst von besonderer Bedeutung ist. Der Landesgesetzgeber hat mit diesen Regelbeispielen eine grundsätzliche Wertung vorgenommen . Liegt ein Regelbeispiel vor, hat dies eine Indizwirkung für ein öffentliches Interesse an der Veranstaltung . Im Genehmigungsverfahren ist anhand der Informationen des Antragstellers und der sonstigen Informationsquellen insbesondere der Veranstaltungsanlass bzw. die besondere Bedeutung für das öffentliche Interesse zu prüfen. Frage 9: Erfassen die zuständigen Senatsverwaltungen oder die Bezirke statistisch, inwiefern es Auswirkungen der neuen Verordnung auf die Genehmigungspraxis gibt? Antwort zu 9: Eine statistische Erfassung etwaiger Auswirkungen der neuen Verordnung auf die Genehmigungspraxis erfolgt durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nicht. Ob und in welchem Umfang eine solche Erfassung durch die Bezirke stattfindet, ist nicht bekannt. Frage 10: Erfassen die zuständigen Senatsverwaltungen oder die Bezirke statistisch, inwiefern es Auswirkungen der neuen Rechtslage auf die Anzahl der Beschwerden bzgl. Ruhestörung durch Veranstaltungslärm gibt? Antwort zu 10: Die Anzahl von Beschwerden zu einzelnen Veranstaltungen wird von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt systematisch erfasst. Diese Erfassung erfolgte jedoch auch schon vor dem Erlass der Veranstaltungslärm-Verordnung und zielt nicht darauf ab, etwaige Auswirkungen der Veranstaltungslärm -Verordnung zu erkennen, sondern Fehlentwicklungen im Veranstaltungsgeschehen. Ob und in welchem Umfang eine solche Erfassung durch die Bezirke stattfindet , ist nicht bekannt. Frage 11: Plant die Senatsverwaltung sonstige Erfolgskontrollen bzgl. der neuen Verordnung? Antwort zu 11: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt beobachtet fortlaufend, insbesondere anhand der Beschwerdezahlen und im regelmäßigen Austausch mit den Umwelt- und Naturschutzämtern der Bezirksämter von Berlin, wie sich das Veranstaltungsgeschehen und die damit verbundenen Belästigungen im Umfeld von Veranstaltungsorten entwickeln. Soweit Korrekturen in der Genehmigungspraxis oder der Veranstaltungslärm -Verordnung erforderlich sind, werden diese veranlasst. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 565 3 Frage 12: Ist der Senat weiter in Gesprächen mit betroffenen Anwohnern, Veranstaltern und anderen Akteuren hinsichtlich der Auswirkungen der neuen Verordnung ? Antwort zu 12: Neben dem Austausch mit den Umwelt - und Naturschutzämtern der Bezirksämter von Berlin nehmen Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt an Fachveranstaltungen unterschiedlicher Akteure teil. Die Anwohnerinnen und Anwohner von Veranstaltungsstätten werden, soweit namentlich bekannt, nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes an den Genehmigungsverfahren beteiligt, so dass auch von dieser Seite Anregungen und gegebenenfalls Kritik aufgenommen werden kann. Das gilt auch für die Veranstalter , die Antragssteller sind. Berlin, den 27. Mai 2016 In Vertretung C h r i s t i a n G a e b l e r ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Juni 2016)