Drucksache 17 / 18 604 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 17. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mai 2016) und Antwort Verurteilung des britischen Polizeispitzels „X“ unter falscher Identität Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Ausweispapiere hat der britische Polizeispitzel „X“ bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach seiner Festnahme wegen Brandstiftung während einer Demonstration am 8. Dezember 2010 vorgelegt (siehe Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 24. Januar 2011)? Zu 1.: Es wird hier davon ausgegangen, dass sich der Anfragende auf die vorläufige Festnahme anlässlich einer Sachbeschädigung durch Feuer am Rande einer Versammlung vom 8. Dezember 2007 bezieht. Hierzu kann mitgeteilt werden, dass sich dabei ein M. S. mit einem mitgeführten britischen Reisepass, der auf diesen Namen ausgestellt war, ausgewiesen hat. 2. Zu welchem Zeitpunkt seines folgenden Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft Berlin hat „X“ bzw. die ihn führende britische Polizeibehörde auf seine Tätigkeit als Polizeispitzel hingewiesen? Zu 2.: Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (StA) Berlin zu dem in Rede stehenden relevanten Verhalten des genannten Beschuldigten waren nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist zwingend zu vernichten . Eine Auswertung der Akten im Hinblick auf die gestellte Frage ist daher nicht mehr möglich. Darüber hinaus wird auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) vom 10. Februar 2011 - 16/15194 - verwiesen. 3. Unter welchen konkreten Voraussetzungen bleibt es straffrei, gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht eine falsche Identität anzugeben und welche besonderen Regelungen existieren diesbezüglich für – ausländische – Polizist*innen? Zu 3.: Die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit billigt der oder dem Beschuldigten nicht nur das Recht zu schweigen zu, sondern gewährleistet auch die Straffreiheit von nicht zutreffenden Angaben. Dies gilt auch für Angaben zu den Personalien. Für ausländische Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die im Inland Beschuldigtenstatus erlangen, gilt dieses insoweit ebenfalls. 4. Für welche konkreten Personenkreise (außer Zeugen im Rahmen sogenannter Zeugenschutzprogramme) und unter welchen konkreten Voraussetzungen kann die Vergabe von Tarnidentitäten durch Berliner Behörden erfolgen? Zu 4.: Für den Zuständigkeitsbereich der Polizei Berlin ist das Dezernat Verdeckte Maßnahmen des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin zuständig und befugt, die Ausstellung von Dokumenten mit Tarnidentitäten für die nachfolgend aufgeführten Personenkreise zu veranlassen: 1. Verdeckte Ermittlerinnen oder Ermittler (VE). 2. Bedienstete des Zeugenschutzes. 3. Schutzpersonen in Fällen herausragender Gefährdungslagen (insbesondere des operativen Opferschutzes ) in begründeten Einzelfällen. 4. Andere Bedienstete der Polizeibehörde, die nicht VE im Sinne der Legaldefinition sind. Dies sind Bedienstete des Dezernats Verdeckte Maßnahmen, Bedienstete der Vertrauenspersonen- (VP) Führung Staatsschutz und andere unterstützende Polizeikräfte - ausschließlich in begründeten Einzelfällen . 5. Bei Vertrauenspersonen ist die Beschaffung und Verwendung von Tarnpapieren grundsätzlich nicht gestattet. In begründeten Einzelfällen im Rahmen der Strafverfolgung ist eine Entscheidung der StA oder des Gerichtes auf dem Dienstweg über die Amtsleitung einzuholen. In begründeten Einzelfällen im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts ist eine Entscheidung der Amtsleitung auf dem Dienstweg herbeizuführen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 604 2 Die konkreten Voraussetzungen ergeben sich aus den entsprechenden Rechtsgrundlagen (§§ 110a III, 161, 163 Strafprozessordnung (StPO), §§ 17 I, 26 I, II Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) Berlin, § 5 Zeugenschutzharmonisierungsgesetz). Der Einsatz von Tarnidentitäten durch den Berliner Verfassungsschutz erfolgt gemäß § 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 des Berliner Verfassungsschutzgesetzes (VSG Bln). Die Vergabe von Tarnidentitäten erfolgt nur zu dienstlichen Zwecken. Die Dokumente werden ausschließlich an Personen ausgegeben, die zur Nutzung und Verwendung nach den aufgeführten Gesetzen dazu berechtigt sind. 5. Wie viele Personen sind derzeit mit von Berliner Behörden ausgestellten und auf eine falsche Identität lautenden Ausweispapieren legendiert? Zu 5.: Die Frage betrifft den operativen Kernbereich verdeckter Ermittlungen. Deshalb wird dazu keine Auskunft gegeben. 6. Inwiefern müssen Urteile, die gegen eine falsche Identität ergangen sind, nach Bekanntwerden der wahren Identität im Strafregister der betreffenden Person gespeichert werden, und unter welchen Voraussetzungen kann davon abgesehen werden? Zu 6.: Sowohl im staatsanwaltschaftlichen Aktenverwaltungssystem Mehrländer-Staatsanwalts-Automation (MESTA) als auch dem Bundeszentralregister (BZR) werden sämtliche zu einer Person bekannten (Alias-) Identitäten erfasst. Die Einzelheiten der Speicherung der Daten im BZR sind im Bundeszentralregistergesetz (BZRG) geregelt. 7. Inwiefern haben etwaige Urteile (auch Einstellungen nach §153 StPO) nach Bekanntwerden der wahren Identität überhaupt Bestand? Zu 7.: Die Voraussetzungen für die Aufhebung rechtskräftiger Urteile sind in den §§ 359 fortfolgende der StPO abschließend geregelt. Bei einer Einstellung nach § 153 StPO ist allein der Umstand, dass eine weitere Identität der oder des Beschuldigten bekannt wird, noch kein Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens. 8. Welche Möglichkeiten gibt es, wenn jemand unter falscher Identität verurteilt wurde, bei einer erneut von dieser Person begangenen Straftat sicherzustellen, dass die vorangegangene Verurteilung bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden kann? Zu 8.: Siehe Antwort zu Frage 6. 9. Da es laut dem Berliner Senat nicht möglich ist, ausländische verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler disziplinarrechtlich zu verfolgen (vgl. Drs 17/17964), welche weiteren Regelungen hält der Senat diesbezüglich für notwendig oder nicht notwendig? Zu 9.: In der Geschäftsanweisung LKA Nummer 4/2008 (Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)), Nummer 10 Absatz 1, wird darauf hingewiesen , dass VEs - auch ausländische - keine Straftaten begehen dürfen. 10. Welche Angaben kann der Senat zur Frage machen , in welchem Umfang europäische Polizeibehörden vor der Entsendung ihrer Polizeispitzel der vom früheren Polizeipräsidenten Glietsch im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung am 24. Januar 2011 als „Höflichkeit “ bezeichneten Praxis einer Unterrichtung der lokalen Behörden des Ziellandes (hier: Berlin) nachkommen oder dies vernachlässigen? Zu 10.: Mit der durch das Bundeskriminalamt (BKA) am 25. April 2012 erstellten Handreichung (VS-NfD) wurde für Bund und Länder geregelt, dass dienstliche Aufenthalte von VE ausländischer Dienststellen durch diese mitgeteilt werden müssen. Die Aufenthalte ausländischer VE sind von der zuständigen inländischen Dienststelle zu betreuen. Seit Inkrafttreten der Handreichung wurden der VE-Dienststelle der Polizei Berlin Berlin- Aufenthalte ausländischer VE gemeldet. Über nicht gemeldete Berlin-Aufenthalte ausländischer VE liegen keine Erkenntnisse vor. Berlin, den 07. Juni 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juni 2016)