Drucksache 17 / 18 618 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Möller (LINKE) vom 25. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mai 2016) und Antwort Frauen in Not – mit neugeborenem Kind, aber ohne Wohnung, ohne Obdach? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: In die Beantwortung sind Zulieferungen der Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft eingeflossen. 1. Wie viele Fälle sind dem Senat bekannt, in denen obdach- bzw. wohnungslose Frauen in Berliner Geburtskliniken entbinden? Zu 1.: Eine genaue Summe der Fallzahlen obdachloser bzw. wohnungsloser, entbindender Frauen kann nicht ermittelt werden. Gründe hierfür sind: zum Teil wird bei der Aufnahme im Adressfeld „unbekannt“ angegeben, die Aussage wird verweigert, eine falsche Adresse oder eine Sozialstation (o. ä.) wird angegeben. Patientinnen ohne einwohneramtliche Meldung werden vom Sozialdienst der Klinik beraten. 2. Entspricht es den Tatsachen, dass es eine Regelung /Übereinkunft gibt, wonach aus Gründen des Kindeswohls keine Mutter mit neugeborenem Kind aus einer Berliner Entbindungsklinik in die Obdachlosigkeit entlassen werden darf und wenn ja, wo ist dies geregelt? Zu 2.: Der Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH ist nicht bekannt, dass eine verschriftliche Regelung diesbezüglich existiert. Es besteht aber der Grundsatz, dass hilflose und schutzbedürftige Menschen nicht in die Obdachlosigkeit entlassen werden dürfen. Ist bekannt, dass eine Frau obdach- oder wohnungslos ist, wird in diesen Fällen der Sozialdienst des behandelnden Klinikums beratend tätig. 3. Welche Möglichkeiten stehen den Krankenhäusern zur Verfügung, um obdach-bzw. wohnungslosen Müttern mit Neugeborenen zu helfen und Zugänge zu Wohnraum für sich und das Kind/die Kinder zu eröffnen? Zu 3.: Die Möglichkeit wohnungslosen Müttern mit Neugeborenen unmittelbar Zugang zu Wohnraum zu eröffnen, haben die Vivantes-Kliniken nicht. Die Versorgung mit Wohnraum erfolgt ausschließlich über die zuständigen Institutionen außerhalb der Klinik. Wie bei allen Patientinnen und Patienten, die nicht an ihren ursprünglichen Wohnort zurück können, bemüht sich der Vivantes-Sozialdienst darum, wohnungslose Menschen in eine Unterbringung (hier z. B. Notunterkunft) im Hilfesystem zu vermitteln. Im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain existiert eine Kinderschutzgruppe, bestehend aus Verantwortlichen des Klinikums, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirkes /Jugendamtes und dem Amtsarzt des Bezirkes, welche in der beschriebenen Situation, nach festgelegten Abläufen und einer Handlungskette agiert. Grundsätzlich gilt immer, den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung laut § 8 a SGB VIII einzuhalten. 4. Welche Möglichkeiten gibt es in Berlin, EU- Bürgerinnen ohne Leistungsbezug, wie z.B. Roma- Frauen, die Möglichkeit zu geben, in einer Geburtsklinik ihr Kind zur Welt zu bringen und im Interesse des Kindeswohls zu einer bezahlbaren dauerhaften Unterkunft zu gelangen? Was tut der Senat in solchen Fällen für Mütter und Kinder? 5. Wie bewertet es der Senat, wenn schwangere Frauen ohne Obdach/ohne Wohnung vor der Entbindung in einer Klinik Angst haben, weil sie befürchten, dass ihnen wegen ihrer Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit das Sorgerecht für das Neugeborene entzogen wird? 6. Kann der Senat ausschließen bzw. sind dem Senat Fälle bekannt, dass neugeborene Kinder ihren Müttern entzogen wurden, weil diese keine geregelte Unterkunft /Wohnung nachweisen konnten? Wenn ja, um wie viele Fälle handelt es sich, wie ist die Rechtslage und was tut der Senat, um eine Trennung von Mutter und Kind bzw. Kindern zu verhindern? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 618 2 7. Welche Regelungen gibt es für die ressortübergreifende Zusammenarbeit von Behörden, Institutionen, Krankenhäusern und Ärzten sowie Trägern, um Schwangeren und Müttern mit Neugeborenen Priorität bei der schnellstmöglichen Sicherung und Beschaffung von geeignetem Wohnraum zu geben? Zu 4. – 7.: Eine Regelung/Übereinkunft, wonach aus Gründen des Kindeswohls keine Mutter mit neugeborenem Kind aus einer Berliner Entbindungsklinik in die Obdachlosigkeit entlassen werden darf, ist nicht bekannt. Es sind dem Senat keine Fälle bekannt, in denen obdachlose Frauen eine Entbindung in einer Klinik abgelehnt haben. Darüber hinaus sind keine Fälle bekannt, in denen bisher obdachlose Mütter Unterbringungsangebote für sich selbst und das Neugeborene abgelehnt haben und auf eine Entlassung von sich und dem Neugeborenen in die Obdachlosigkeit bestanden haben. Die Bezirke sind verpflichtet, in jedem solcher Fälle der Mutter ein Unterbringungsangebot für sich und das Neugeborene anzubieten. Aufgabe der Jugendämter und Sozialämter ist es, entsprechend ihrer Zuständigkeit Hilfeangebote zu unterbreiten. Lehnt die Mutter dies dennoch ab, sind Maßnahmen zum Schutz des Neugeborenen zu ergreifen, auch wenn dies die Trennung von der Mutter und einen Antrag auf Sorgerechtsentzug beim Familiengericht bedeuten würde. Jugendämter sind an der Schnittstelle zum Kinderschutz und den Hilfen zur Erziehung zuständig und kooperieren mit den Stellen der Wohnungslosenhilfe in den Sozialämtern fall- und bedarfsbezogen. Durch Verwaltungsvereinbarungen zwischen Sozial- und Jugendämtern ist sicherzustellen, dass den Jugendämtern frühzeitig die Bedarfe bekannt gemacht werden, um an der Schnittstelle entsprechende Beratungsangebote an die betroffenen Frauen machen zu können. Für Unionsbürgerinnen ohne Krankenversicherung und ohne Leistungsbezug wurde der „Notfallfonds zur Finanzierung von Entbindungen bei nicht krankenversicherten Unionsbürgerinnen in prekären Verhältnissen“ eingerichtet. Aus diesem Fonds erhalten die Geburtskliniken vom Land Berlin fest vereinbarte Pauschalen für die Entbindung. Voraussetzung dafür ist eine vorgeschaltete eingehende Sozialberatung der Frauen durch die kooperierenden Beratungsstellen. Ein Bericht über den Notfallfonds wird in Kürze dem Hauptausschuss vorgelegt werden . 8. Welchen Handlungsbedarf sieht der Senat bei der Neufassung der Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe, um insbesondere Schwangeren und Müttern mit Neugeborenen im Rahmen des Netzwerks Kinderschutz wirksame Hilfe bei der Sicherung und Beschaffung von Wohnraum zu geben? Was ist konkret geplant? Zu 8.: Der Berliner Senat verfolgt bei der Überprüfung der „Leitlinien der Wohnungslosenhilfe/-politik“ das Ziel, bei der Beratung und Versorgung wohnungsloser Menschen , alle wichtigen Schnittstellen, also auch die zu Familien mit Kindern und zu Fragen des Kinderschutzes zu überprüfen. Überall dort, wo Korrekturen und Ergänzungen notwendig erscheinen, werden die erforderlichen Schritte eingeleitet, um auch dem Anliegen des Kinderschutzes noch intensiver Rechnung zu tragen. Im Übrigen können alle Angebote der Wohnungslosenhilfe , hier die Wohnraumvermittlung durch das "Geschützes Marktsegment" auch von wohnungslosen Frauen mit neugeborenem Kind in Anspruch nehmen, sofern die Berechtigung vorliegt. Der Anteil der Zielgruppe „Frauen mit neugeborenem Kind“ wird nicht erhoben, so dass der Anteil nicht bekannt ist. Berlin, den 09. Juni 2016 Mario C z a j a _____________________________ Senator für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Juni 2016)