Drucksache 17 / 18 658 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 31. Mai 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Juni 2016) und Antwort Öffentlichkeitsfahndungen durch die Polizei Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Aufgrund welcher konkreten Rechtsgrundlagen (StPO, ASOG Bln etc.) werden polizeiliche Öffentlichkeitsfahndungen im Land Berlin durchgeführt? 2. Gibt es besondere Voraussetzungen für die Anordnung einer polizeilichen Öffentlichkeitsfahndung im Land Berlin und wenn ja, welche sind dies im Einzelnen? Zu 1. und 2.: Die Rechtsgrundlagen für eine polizeiliche Öffentlichkeitsfahndung im Land Berlin sind nach dem jeweiligen Anlass der Fahndung zu unterscheiden: Für die strafprozessuale Öffentlichkeitsfahndung, innerhalb derer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aufgrund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft tätig werden, ergibt sich die Rechtsgrundlage aus den §§ 131 Absatz 3, 131a Absatz 3 sowie aus § 131b der Strafprozessordnung (StPO). Die Suche nach Personen, die nicht als Beschuldigte oder Zeugen einer Straftat in Betracht kommen (z.B. vermisste oder suizidgefährdete Personen) fußt auf § 45 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) - Datenübermittlung an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Öffentlichkeitsfahndung ergeben sich unmittelbar aus den vorgenannten Gesetzesvorschriften. 3. Sieht der Senat einen Bedarf, die Tatbestandsvoraussetzungen dieses Ermittlungsinstruments in den Rechtsgrundlagen der polizeilichen Öffentlichkeitsfahndung hinsichtlich des Gebots der Normenklarheit und des Bestimmtheitsgrundsatzes zu überarbeiten? Wenn nein, warum nicht? (Bitte ausführlich begründen). 4. Plant der Senat derzeit eine Änderung der Rechtsgrundlagen der polizeilichen Öffentlichkeitsfahndung im Land Berlin? a) Wenn ja, welche Änderungen sind im Detail vorgesehen ? b) Wenn ja, welcher voraussichtliche zeitliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens ist vorgesehen? Zu 3. und 4.: Die Vorschriften der Strafprozessordnung sind Bundesrecht. Eine "Überarbeitung" der vorbezeichneten Rechtsgrundlagen der Strafprozessordnung durch das Land Berlin wäre daher allenfalls im Wege einer Bundesratsinitiative möglich. Eine solche ist derzeit nicht geplant. Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsfahndung zur Festnahme ist in § 131 Absatz 3 StPO geregelt, die Öffentlichkeitsfahndung zur Aufenthaltsermittlung in § 131a Absatz 3 StPO. Letztere ist - wie die Veröffentlichung von Abbildungen (§ 131b StPO) - außer bei Gefahr im Verzug - nur auf richterliche Anordnung zulässig. Die vorbezeichneten Arten der Fahndung nach Beschuldigten oder Zeugen stehen zudem unter dem Vorbehalt, dass es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln muss und andere Formen der Aufenthaltsermittlung erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wären ("Subsidiaritätsklausel"). Die Vorschriften genügen mithin den Anforderungen an Bestimmtheit und Klarheit und stellen zudem ausdrücklich klar, dass das Verhältnismäßigkeitsgebot mit Blick auf die Grundrechte der Betroffenen zu beachten ist. Es wird daher kein Anlass für eine Gesetzesänderung gesehen. Ebenso wenig besteht Überarbeitungs- oder Änderungsbedarf hinsichtlich Vorschriften, welche die polizeiliche Öffentlichkeitsfahndung betreffen und nicht das Strafverfahrensrecht berühren. Die bisherigen Regelungen werden als ausreichend angesehen und haben sich bewährt . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 658 2 5. Sind dem Senat Stellungnahmen, Berichte, Veröffentlichungen etc. der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit sowohl zu den Rechtsgrundlagen als auch zur Praxis der polizeilichen Öffentlichkeitsfahndung bekannt? Wenn ja, welche jeweils im Einzelnen? (Bitte im Original anfügen.) Zu 5.: Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat in seinem Jahresbericht 2014 unter Punkt 3.9 „Fahndung bei Facebook“ (Seite 62ff.) zur Praxis der Öffentlichkeitsfahndung bei der Polizei Berlin Stellung genommen. Der Jahresbericht ist im Internet auf der Seite www.datenschutz-berlin.de abrufbar. 6. Wie viele polizeiliche Öffentlichkeitsfahndungen nach ASOG Bln und StPO wurden durch die Berliner Polizei im Rahmen der eigenen Aufgabenerfüllung in den Jahren 2006 bis 2016 jeweils durchgeführt? (Bitte jeweils nach Rechtsgrundlagen aufschlüsseln.) 7. Wie viele polizeiliche Öffentlichkeitsfahndungen aufgrund welcher Rechtsgrundlagen wurden zwischen 2006 und 2016 auf Anfrage von Behörden anderer Bundesländer durchgeführt? (Bitte jeweils nach Rechtsgrundlagen aufschlüsseln.) 8. Was waren die häufigsten Anlässe (z.B. vermisste Person, suizidgefährdete Person, Suche nach Tatverdächtigen usw.), aus welchen in den Jahren 2006 bis 2016 polizeiliche Öffentlichkeitsfahndungen durchgeführt wurden? Zu 6., 7. und 8.: Eine gesonderte Statistik über Öffentlichkeitsfahndungen wird weder bei der Staatsanwaltschaft Berlin noch bei der Berliner Polizei geführt. 9. Gibt es Arbeitsrichtlinien, Verordnungen, Dienstvorschriften oder Geschäftsanweisungen, welche die Öffentlichkeitsfahndung nach ASOG Bln und StPO regeln ? Wenn ja, welche jeweils? Zu 9.: In Bezug auf die strafprozessuale Öffentlichkeitsfahndung finden die von den Senatsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz und für Inneres und Sport erlassenen Richtlinien über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen und die Nutzung des Internets sowie anderer elektronischer Kommunikationsmittel zur Öffentlichkeitsfahndung nach Personen im Rahmen von Strafverfahren (Anlage B zu den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - RiStBV) vom 12. Juni 2010 Anwendung. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Berlin hat darüber hinaus für seinen Geschäftsbereich eine Verfügung zur Regelung der Öffentlichkeitsfahndung mit Auslandsbezug erlassen. Darüber hinaus hat er verfügt, dass in Fällen der Öffentlichkeitsfahndung der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft zu unterrichten ist. Ferner finden bei der Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft die "Grundsätze für die bundesweite Ausstrahlung von Fahndungsmeldungen im Fernsehen" Anwendung. Dabei handelt es sich um eine 1987 in Kraft getretene Vereinbarung zwischen den ARD-Rundfunkanstalten und dem ZDF einerseits und den Justizministerinnen und Justizministern, Innenministerinnen und Innenministern des Bundes und der Länder andererseits. Im polizeilichen Bereich finden die Polizeidienstvorschrift (PDV) 384.1 VS-NfD, Ausgabe 2011 Fahndung Landesteil Berlin und die Geschäftsanweisung (GA) Nr. 02/1998 über Fahndungsausschreibungen von Personen in den EDV-Fahndungssystemen unter Verwendung von Dateieingabegeräten (Terminals) Anwendung. 10. Welche Fahndungshilfsmittel und Medien setzt die Berliner Polizei für die polizeiliche Öffentlichkeitsfahndung ein? Zu 10.: Als Fahndungshilfsmittel werden von der Polizei Berlin zur Öffentlichkeitsfahndung neben Fahndungsplakaten , Veröffentlichungen in Printmedien, Aufrufe in allen Rundfunkmedien sowie die elektronischen Medien Internet, Twitter und Facebook genutzt. Von der Pressestelle der Polizei Berlin wird die Veröffentlichung der Polizeimeldung auf dem Portal der Polizei Berlin durchgeführt. Parallel wird die Meldung auf diesem Portal in den Rubriken „Zeugen gesucht“, „Tötungsdelikte “ „Gesuchte Personen“, „Vermisste“, „Unbekannte Tote“ und „Sachfahndung“ veröffentlicht. 11. Welche informationstechnischen Systeme (IT- Systeme und Software) werden in Berlin für eine polizeiliche Öffentlichkeitsfahndung zu welchen jeweiligen Zwecken verwendet? Zu 11.: Die Polizei Berlin nutzt drei informationstechnische Systeme zur Öffentlichkeitsfahndung. Bei den Systemen handelt es sich um das polizeiinterne Intranet mit der Software SharePoint 2010, die Internetpräsenz der Polizei Berlin http://www.berlin.de/polizei/ im Stadtportal Berlin .de mit Imperia9, das Verbundsystem der Polizeien der Länder und des Bundes mit dem System Sitecore. 12. Welche Fahndungshilfsmittel und Medien setzt die Berliner Polizei für die Öffentlichkeitsfahndung nach der StPO ein? Zu 12.: Siehe Antwort zu Frage 10. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 658 3 13. Welche informationstechnischen Systeme (IT- Systeme und Software) werden in Berlin für eine Öffentlichkeitsfahndung nach der StPO zu welchen jeweiligen Zwecken verwendet? Zu 13.: Siehe Antwort zu Frage 11. 14. Mit welchen Maßnahmen und Vorkehrungen stellt die Berliner Polizei sicher, dass den Persönlichkeitsrechten der von der Öffentlichkeitsfahndung betroffenen Personen Rechnung getragen wird? Zu 14.: Handelt es sich um Maßnahmen nach der Strafprozessordnung, erfolgen Öffentlichkeitsfahndungen auf Anordnung und nach den Vorgaben der Staatsanwaltschaft . Danach finden die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen in der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Ermessensentscheidung Berücksichtigung , wie sie die maßgeblichen Rechtsgrundlagen vorschreiben . Insoweit wird auf die Antwort zu Fragen 3. und 4. verwiesen. Darüber hinaus sieht die in Antwort zu Frage 9. genannte Richtlinie weitere Vorgaben zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung mittels elektronischer Kommunikationsmittel vor. Die Suche nach Personen und der Aufruf zur Mithilfe an die Öffentlichkeit mit dem Ziel der Abwehr von Gefahren erfolgt auf Grundlage des § 45 ASOG. Da gemäß § 45 Absatz 1 Nr. 3 ASOG als Tatbestandsvoraussetzung die Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer Person erforderlich sein muss, worunter regelmäßig Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit zu verstehen sind, ist die Datenübermittlung in Form einer Öffentlichkeitsfahndung in Anwendung des § 45 Absatz 1 Nr. 5 ASOG nur dann zulässig, wenn die Maßnahmen im Interesse der betroffenen Person liegen bzw. diese in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung hierzu erteilen würde. Die Entscheidung über das Ob und Wie ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, hierbei insbesondere an die Erforderlichkeit und findet ihre Ausformung in der PDV 384.1 - VS-NfD. Darüber hinaus werden Öffentlichkeitsfahndungen auf Facebook und Twitter grundsätzlich mit einem Symbolbild versehen und enthalten keine persönlichen Informationen bzw. Fahndungsbilder der Gesuchten, sondern einen Link zur entsprechenden Polizeimeldung. Berlin, den 17. Juni 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Juni 2016)