Drucksache 17 / 18 807 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 24. Juni 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Juni 2016) und Antwort Wann erfahren taubblinde Menschen im Land Berlin endlich Anerkennung? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Woraus begründet sich die Verknüpfung der Definition von Gehörlosigkeit mit einem Lebensalter von sieben Jahren im Landespflegegeldgesetz (LPflGG)? Zu 1.: Bei einer bis zur Vollendung des siebenten Lebensjahres entstandenen Gehörlosigkeit ist davon auszugehen , dass der Spracherwerb zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Es wird davon ausgegangen, dass damit derartig schwere Sprachstörungen verbunden sind, die einen Grad der Behinderung von mehr als 90 v. H. rechtfertigen. 2. Hält der Senat diese Regelung, vor allem vor dem Hintergrund, dass auf dieser Grundlage taubblinde Menschen , deren Gehörlosigkeit erst nach dem siebenten Lebensjahr eingetreten ist und die keinen Grad der Behinderung (GdB) wegen schwerer Sprachstörungen von mehr als 90 vom Hundert aufweisen, von Leistungen nach § 2 Absatz 1 Satz 2 LPflGG ausgeschlossen sind, für gerechtfertigt (bitte begründen)? Zu 2.: Das Berliner Landespflegegeldgesetz (LPflGG) orientiert sich bei der Definition der Gehörlosigkeit an der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008, Teil B, Ziffer 5.1. Danach besteht Taubheit bei einem Hörverlust von 100 v. H. Eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit wird ab einem Hörverlust von 80 v. H. angenommen. Darüber hinaus stellt das LPflGG bei der Anerkennung von Gehörlosigkeit darauf ab, dass ein Grad der Behinderung von 100 v. H. gegeben sein muss. Ein Grad der Behinderung von 100 v. H. (mehr als 90 v. H.) wird nach der Versorgungsmedizin- Verordnung vom 10. Dezember 2008 bei Eintritt von Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit nach Vollendung des siebenten Lebensjahres nur bei schweren Sprachstörungen anerkannt. Die Definition der Gehörlosigkeit richtet sich damit seit Jahrzehnten an einem bundesweiten Standard im Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht aus. 3. Wie viele blinde Menschen (im Sinne des § 1 Absatz 2 LPflGG) im Land Berlin weisen gleichzeitig eine nach dem siebenten Lebensjahr erworbene Gehörlosigkeit und keinen GdB wegen schwerer Sprachstörungen von mindestens 90 vom Hundert auf? Zu 3.: Dem Senat liegen darüber keine Angaben vor. 4. Teilt der Senat die Auffassung, dass eine Verankerung einer Definition von „Taubblindheit“ in landesgesetzlichen Regelungen des Landes Berlin, wie zum Beispiel dem Landespflegegeldgesetz, zu einer Anerkennung der besonderen Situation taubblinder Menschen im Land Berlin beitragen kann? Wenn ja, wieso ist die Verankerung bislang nicht erfolgt? Zu 4.: Das LPflGG des Landes Berlin sieht derzeit neben Bayern als einziges Land erhöhte Leistungen für Personen vor, die sowohl von einer außergewöhnlichen Seh- als auch von einer außergewöhnlichen Hörbehinderung betroffen sind. Die aktuelle Rechtslage im LPflGG geht auf den Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin am 11.12.2003 auf eine dringende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz am 04.12.2003 (Drucksache 15/2344) zurück. Eine eigenständige Definition für diesen Personenkreis „Taubblinde“ wurde dabei nicht in das Gesetz aufgenommen . Vielmehr werden erhöhte Leistungen von monatlich 1189 Euro monatlich bereitgestellt, wenn eine Person blind und zusätzlich gehörlos ist. Dadurch erfährt dieser Personenkreis schon jetzt eine Anerkennung für die besondere Schwere seiner Lebenssituation. Es war und ist das Ziel des Senats, das Ergebnis der bundesweiten Diskussion zu einer Definition von Taubblindheit und den damit verbundenen Nachteilsausgleichen im Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht zum Anlass zu nehmen, die bestehenden Voraussetzungen für die Gewährung des besonderen Pflegegeldes von 1189 Euro bei Blindheit und gleichzeitiger Gehörlosigkeit zu Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 807 2 überprüfen und gegebenenfalls durch eine spezifische Definition von Taubblindheit zu ersetzen. 5. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit die Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises nach § 1 Absatz 1 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes auf taubblinde Menschen, um die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für den Personenkreis der taubblinden Menschen zu verbessern? Zu 5.: Derzeit ist die Berechtigung, den Fahrdienst zu nutzen, auf Menschen beschränkt, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „T“ enthält. Voraussetzungen für dieses berlinspezifische Merkzeichen sind das Merkzeichen „aG“, ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 vom Hundert und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen. Das Bundeskabinett hat am 28. Juni 2016 das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Daraus könnten sich auch Veränderungen für die Inanspruchnahme des besonderen Fahrdienstes (z. B. im Hinblick auf den berechtigten Personenkreis ) ergeben. Inwieweit das auch den Personenkreis der taubblinden Menschen betrifft, wird in der Folge geprüft. 6. In der Antwort zu Frage 2 in der Drucksache 17/16263 verweist der Senat darauf, dass diesem „keine wissenschaftlich erhobenen Erkenntnisse über die reale Lebenssituation taubblinder Menschen in Berlin vor[liegen]“. Welche Maßnahmen hat der Senat seitdem unternommen, um diesen Missstand, auch im Kontext des Artikels 31 der UN-Behindertenrechtskonvention, zu beheben? Zu 6.: Hierzu verweist der Senat auf die vom Bundeskabinett am 28.6.2016 beschlossene zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans zur UN-Behindertenrechtskonvention - kurz NAP 2.0., welcher mehrere Maßnahmen für den Personenkreis der taubblinden Menschen enthält, die von den Ländern, so auch Berlin, ausdrücklich unterstützt werden. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keine Veranlassung, eine gesonderte Erhebung über die reale Lebenssituation von taubblinden Menschen in Berlin durchzuführen. 7. Decken sich die bestehenden Hilfs- und Unterstützungsangebote für taubblinde Menschen sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht aus Sicht des Senates mit den tatsächlichen Bedarfen taubblinder Menschen? Zu 7.: Die nicht vertragsgebundenen Leistungen der Eingliederungshilfe, wie beispielsweise die Einzelfallhilfe , stehen grundsätzlich allen Zielgruppen, also auch taubblinden Menschen, offen. Vertraglich abgesicherte Unterstützungsangebote speziell für taubblinde Menschen gibt es in Berlin nicht. 8. Mit welchen Maßnahmen unterstützt das Land Berlin Selbsthilfegruppen taubblinder Menschen? Zu 8.: Es besteht die Möglichkeit, dass über die Landesvereinigung Selbsthilfe auch Selbsthilfegruppen taubblinder Menschen Fördermittel erhalten. Über die Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle werden zwei Selbsthilfegruppen des Gehörlosenverbandes gefördert. Berlin, den 13. Juli 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Juli 2016)