Drucksache 17 / 18 810 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Evers (CDU) vom 27. Juni 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Juni 2016) und Antwort „See EU later“ – Auswirkungen des BREXIT auf Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Konsequenzen der Entscheidung der britischen Wählerinnen und Wähler, die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU zu beenden, aus Berliner Sicht? Zu 1.: Der Senat bedauert die Entscheidung für den Brexit, denn die Europäische Union (EU) ist nicht nur Wirtschaftsgemeinschaft sondern auch Wertegemeinschaft . Gerade ein exportorientiertes Land wie Deutschland muss ein hohes Interesse an einem starken europäischem Wirtschaftsraum haben, der sich im globalen Wettbewerb gegenüber anderen Wirtschaftsregionen behaupten kann. Das gilt gerade auch für Berlin mit seiner wachsenden Zahl technologiestarker und exportorientierter Unternehmen. Die Berliner Wirtschaft exportierte im letzten Jahr Waren im Wert von rund 550 Millionen Euro nach Großbritannien , das damit auf Platz 7 der wichtigsten Zielländer für Produkte Made in Berlin stand. Dies entspricht einem Anteil von 3,9 % an den Berliner Exporten, was deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Allerdings sind einzelne Branchen überproportional betroffen. Dies gilt für Krafträder und Geräte zur Elektrizitätserzeugung und -verteilung. Umso wichtiger ist es jetzt trotz der Brexit-Entscheidung den Dialog mit den britischen Partnern fortzusetzen. 2. Mit welchen möglichen Folgen dieser Entscheidung ist aus der Sicht des Senats für die Berliner Wirtschaft zu rechnen? Zu 2.: Neben den vorgenannten negativen Folgen ergeben sich für Berlin als Hauptstadt der stärksten EU- Volkswirtschaft und wachsender internationaler Standort mit Technologiestärke, leistungsfähiger Digitalwirtschaft und vibrierender Gründerszene auch Opportunitäten, die der Senat jetzt nutzen wird. 3. Wie hoch ist die Summe der Direktinvestitionen von Berliner Unternehmen in Großbritannien und mit welcher Entwicklung ist nun zu rechnen? 4. Wie hoch ist die Summe von britischen Direktinvestitionen in Berlin und mit welcher Entwicklung ist nun zu rechnen? Zu 3. und 4.: Der Bestand der Berliner Direktinvestitionen im Vereinigten Königsreich lag am Jahresende 2014 bei 1,789 Mrd. Euro. Der Direktinvestitionsbestand des Vereinigten Königsreichs in Berlin belief sich Ende 2014 auf 1,276 Mrd. Euro (Quelle: Deutsche Bundesbank, jeweils unmittelbare und mittelbare Investitionen auf vorläufiger Basis). Die Auswirkungen des Brexit-Votums auf die künftige Entwicklung der jeweiligen Direktinvestitionen lassen sich derzeit nicht genau abschätzen, zumal der Zeitpunkt und die Bedingungen des EU-Austritts Großbritanniens aktuell nicht geklärt sind. Grundlegend haben eine höhere Unsicherheit und stärkere Handelshemmnisse einen dämpfenden Effekt auf Investitionen. Als Hotspot und Anziehungspunkt für technologieorientierte , international agierende Startups und junge Talente könnte Berlin bei den Investitionen gerade im Falle einer nachlassenden Standortattraktivität Londons aber auch profitieren. 5. Wie wird sich der zu erwartende Abzug von Kapital aus Großbritannien nach Einschätzung des Senats auf Berlin auswirken und ist insbesondere mit zusätzlichem Druck auf den Berliner Immobilienmarkt zu rechnen? Zu 5.: Die Auswirkungen eines Kapitalabflusses aus Großbritannien auf Berlin kann noch nicht abgeschätzt werden. Mit positiver Wirkung ist zu rechnen, wenn Venture -Capital verstärkt in Berliner Start Ups investiert wird. Investitionen in den Berliner Immobilienmarkt dürften zu einem zusätzlichen Preisdruck führen. Internationale Institutionen wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, werden sich fragen müssen, ob außerhalb der EU London noch der richtige Standort für sie ist. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 810 2 6. Wie viele Menschen britischer Staatsangehörigkeit leben in Berlin und welche Auswirkungen wird der Verlust der EU-Bürgerschaft für sie haben? Zu 6.: In Berlin leben rund 14.000 Menschen mit britischer Staatsangehörigkeit (Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Einwohnerregisterstatistik, Stand 31.12.2015). Die Auswirkungen eines Verlustes der EU- Bürgerschaft hängen vom Ausgang der Brexit- Verhandlungen ab, die noch nicht begonnen haben. 7. Welchen Anteil haben britische Gäste am Tourismusaufkommen in Berlin und wie wird sich dieser Anteil nach der Einschätzung des Senats angesichts des massiven Kursverlusts des britischen Pfunds und anderer zu erwartender Begleiterscheinungen des EU-Austritts entwickeln ? Zu 7.: Großbritannien liegt auf Platz 1 der Auslandsmärkte des Berlintourismus. Im vergangenen Jahr waren ca. 558.000 britische Gäste für rd. 1,53 Mio. Übernachtungen verantwortlich, was einem Anteil von 5,06 % an allen Übernachtungen entspricht. Sollte sich der Kursverlust des britischen Pfunds fortsetzen, könnte es zu negativen Auswirkungen auf den Berlintourismus kommen. Allerdings profitiert die Destination Berlin von einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis, was bei entsprechenden Wechselkursentwicklungen auch dazu führen kann, dass Gäste aus Großbritannien insbesondere Konkurrenzdestinationen mit ungünstigerem Preis- Leistungsverhältnis, wie z.B. Paris, meiden. Eine konkrete Aussage, wie sich das Reiseverhalten britischer Gäste bei dauerhaft niedrigem Kurs des englischen Pfunds entwickeln wird, kann deshalb gegenwärtig nicht gemacht werden 8. Wird die Entscheidung der Briten Auswirkungen auf die Pflege der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und London haben und wenn ja, welche? Zu 8.: Die Städtepartnerschaft zwischen London und Berlin wurde am 1. Oktober 2000 gegründet. Seitdem wurde sie mit unterschiedlicher Intensität gepflegt. Die städtepartnerschaftlichen Kontakte stehen grundsätzlich nicht im kausalen Zusammenhang zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Berlin pflegt schließlich auch mehrere Partnerschaften mit Städten außerhalb der Europäischen Union. In den letzten Jahren waren die Beziehungen zu London nicht sehr eng und der Austausch war nahezu zum Erliegen gekommen. Dies lag in erster Linie an dem Desinteresse des bis Mai 2016 amtierenden Londoner Bürgermeisters . Mit der Wahl des Labour-Kandidaten Sadiq Khan zum neuen Londoner Bürgermeister hofft die Senatskanzlei jetzt auf eine Wiederbelebung der städtepartnerschaftlichen Beziehungen. Die Londoner Bürgerinnen und Bürger haben mit über 60 % gegen den Brexit gestimmt, so dass davon ausgegangen werden darf, dass London die Nähe zu europäischen Hauptstädten nun eher wieder suchen wird. Ein erstes Schreiben von Bürgermeister Khan, welches in diese Richtung geht, liegt der Senatskanzlei bereits vor. Die Senatskanzlei hat darüber hinaus den Kontakt auf Mitarbeiterebene bereits wieder aufgenommen. 9. Welche positiven Auswirkungen könnte der EU- Austritt Großbritanniens für Berlin zur Folge haben? Zu 9.: Britische Unternehmen, die nach einem Austritt weiter in Europa aktiv sein wollen, sind stärker als bislang auf Niederlassungen auf europäischem Boden angewiesen . Berlin mit seiner Verankerung im größten europäischen Markt und den Sprachkompetenzen einer Weltstadt ist hierfür eine erste Adresse. Startup-Unternehmen aus London, die ihr Geschäftsmodell in Europa ausrollen und skalieren wollen, werden dies nicht mehr ohne weiteres von ihrem Heimatstandort aus können. Sie werden Zweitstandorte in Europa suchen oder ihre Aktivitäten sogar ganz verlagern. Auch für diese Unternehmen ist Berlin aufgrund seiner lebendigen Startup -Szene und der bestehenden Kontakte eine natürliche Anlaufstelle. Internationale Firmen aus Asien und Amerika mit europäischen Headquartern in London werden sich veranlasst sehen, ihren Standort zu überdenken, wenn Großbritannien aus der EU austritt. Auch hier ist Deutschland und damit Berlin als Hauptstadt des größten Mitgliedlandes der EU automatisch im Fokus. Berlin, den 14. Juli 2016 Dr. Hans R e c k e r s ........................................................ Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Juli 2016)