Drucksache 17 / 18 821 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 28. Juni 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Juni 2016) und Antwort Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ - Wie lange müssen Betroffene noch warten? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wann und mit welchen Maßnahmen schafft der Senat die notwendigen landesinternen Voraussetzungen, um eine Leistungsgewährung über die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ sicherzustellen? 2. Ab wann können Betroffene die Gewährung der Geldleistung beantragen und wie gestaltet sich das konkrete Prüfverfahren bezüglich einer individuellen Anerkennung des erfahrenen Unrechts und Leids? Zu 1. und 2.: Nachdem zuletzt die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin eine Einigung über die Höhe der Anerkennungsleistung und über die jeweilige staatliche Beteiligung an der Stiftung erzielt haben, können zwischen Bund, Ländern und den Kirchen unter der Federführung der künftigen Stiftungsverwaltung , dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Arbeiten zur Errichtung der geplanten nichtrechtsfähigen gemeinnützigen Stiftung des Privatrechtes (in der Sonderform der Verbrauchsstiftung) fortgesetzt werden. Derzeit werden die vertraglichen Vereinbarungen und die Satzung verhandelt. Erst nach Errichtung der Stiftung und Aufnahme der Geschäftsstellen- und Beratungstätigkeit ist es im Rahmen einer vorgesehenen vierjährigen Anmeldungsphase möglich, die entsprechenden Anträge zu stellen. In der Begründung für die beantragte Geldleistung ist dann darzulegen, inwiefern die oder der Betroffene Leid und Unrecht erfahren hat und welche andauernden Belastungen noch heute vorliegen. Diese Darlegungspflicht soll aufgrund der besonderen Situation der Menschen mit Behinderung niederschwellig und einfach möglich sein. Für die Entgegennahme der Anmeldungen ist die Einrichtung von qualifizierten Anlauf - und Beratungsstellen auf Länderebene geplant, die - auf Grundlage eines derzeit in Bearbeitung befindlichen Leitfadens - bei der notwendigen Sachverhaltsaufklärung beraten und unterstützen soll. Nach der Beratung und Aufnahme der Anmeldung werden diese zur Bearbeitung an eine bundesweite Geschäftsstelle weitergeleitet, die die weitere Bearbeitung und Auszahlung übernimmt. 3. Wie viele Anlauf- und Beratungsstellen wird es in Berlin geben und wo werden diese zu finden sein? 4. Wie stellt der Senat sicher, dass die Beratungsstruktur niedrigschwellig und barrierefrei erreichbar ist? 5. Werden auch freie Träger mit der Beratung von Betroffenen beauftragt? Stellt der Senat sicher, dass Organisationen , die das erfahrene Unrecht und Leid der Betroffenen zu verantworten haben, keine Beratungsleistungen durchführen werden? 6. Werden die Mitarbeiter_innen der Beratungsstellen mutmaßlich anspruchsberechtigte Personen gezielt aufsuchen und über eine mögliche Leistungsgewährung beraten ? Zu 3. bis 6.: Aufgrund der bisher vorliegenden Bedarfsschätzung hält der Senat eine ggf. zwei Anlauf- und Beratungsstellen in Berlin für ausreichend. Er geht derzeit davon aus, dass die Finanzierung aus den Stiftungsmitteln erfolgt. Aufgrund der Förderung und weitreichenden Vernetzung ist in Berlin in der Behindertenhilfe eine gut ausgebaute Beratungsstruktur entstanden, die niederschwellig und barrierefrei erreichbar ist. Der Senat hält es - vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung - für zielführend, wenn diese als Basis auch für die neue Aufgabe genutzt wird. Deshalb wird er im Kontakt mit den großen Interessenverbänden Träger ansprechen , die bereits über Beratungsstrukturen verfügen. Die Nutzung vorhandener Träger und Strukturen würde jedoch nicht die Aufgabe des Prinzips eines in der Sache grundsätzlichen trägerunabhängigen Beratungsangebotes bedeuten. Dies kann durch entsprechende Vereinbarungen sichergestellt werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 821 2 Bei der Auswahl wird ebenfalls zu berücksichtigen sein, ob sich ggf. durch den früheren Betrieb von eigenen Einrichtungen Konflikte im Hinblick auf die jetzt wahrzunehmende Beratungsaufgabe ergeben. Falls sich dies nicht realisieren lässt, wird der Senat prüfen, ob die Aufgaben der Anlauf- und Beratungsstelle durch eine beauftragte Stelle wahrgenommen werden kann (z. B. beim Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung). Die Beratungstätigkeit wird im Einzelfall auch durch aufsuchende Berater und Beraterinnen gewährleistet . 7. In welcher Form werden Betroffene an der Beratungsarbeit beteiligt? 8. Wo wird das Beschwerdemanagement eingerichtet? Zu 7. und 8.: Zunächst werden im Beratungsprozess die Betroffenen ihre Erfahrungen im Hinblick auf das erlittene Leid und Unrecht selbst oder mit Hilfe ihrer Betreuerinnen bzw. Betreuern oder Vertretungen schildern und den Sachverhalt gemeinsam mit den Beraterinnen und Beratern darstellen. Dabei können auf Wunsch auch Dritte hinzugezogen werden, dies können beispielsweise Angehörige, Nachbarn, aber auch andere Betroffene sein, die die oder den Antragstellenden unterstützen. Beschwerden über die Arbeit der Geschäftsstelle werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales entgegengenommen und bearbeitet. Beschwerden über die Beratungstätigkeit innerhalb der Berliner Anlauf- und Beratungsstellen können im Rahmen der zu übernehmenden Aufsichtsfunktion des Landes an die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gerichtet werden. 9. Wie bewertet der Senat die finanzielle Ungleichbehandlung der Opfer der stationären Behindertenhilfe bzw. Psychiatrien gegenüber dem Personenkreis, dem finanzielle Hilfen für ehemalige Heimkinder aus der Kinder- und Jugendhilfe zugestanden werden? Zu 9.: Unter dem Aspekt, dass es sich bei dem jetzt geplanten Verfahren – anders als bei den bereits bestehenden Fonds – bei der Anerkennungsleistung um eine feststehende Geldpauschale von mindestens 9.000 € handelt, die jeder der berechtigten Antragstellenden in Verbindung mit der o. g. niederschwelligen Darlegungspflicht erhalten soll, ist die Abweichung in den Einzelfällen, in denen es aufgrund der persönlichen Verhältnisse zu höheren Auszahlungen gekommen ist, aus Sicht des Senates noch vertretbar. Er sieht dadurch keine Ungleichbehandlung gegeben. 10. Wie wird sich das Land Berlin für eine öffentliche Anerkennung des in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in Psychiatrien erfahrenen Unrechts und Leids einsetzen ? 11. Mit welchen Maßnahmen unterstützt der Senat eine Benennung der verantwortlichen Personen und Institutionen aus Politik, Wissenschaft und Trägerstruktur sowie eine Aufarbeitung der historischen Verläufe, die zu dem erfahrenen Unrecht und Leid der Betroffenen geführt haben? Zu 10. und 11.: Ein Teil der Stiftungsmittel wird für die wissenschaftliche Aufarbeitung und die öffentliche Anerkennung zur Verfügung stehen. Zu diesen bundesweiten Vorhaben wird Berlin sowohl durch seine Beteiligung an der Stiftung als auch aktiv und unterstützend bei entsprechenden Studien sowie mit Vorschlägen für Fachbeiräte und Gremien beitragen. Berlin, den 20. Juli 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Juli 2016)