Drucksache 17 / 18 829 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 30. Juni 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Juli 2016) und Antwort Dürfen gewählte Bezirksverordnete und Bezirksämter keine Anträge an die VLB stellen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Ist es zutreffend, dass Anträge auf Überpru ̈fung der Notwendigkeit straßenverkehrsbehördlicher Maßnahmen zum Schutz vor verkehrsbedingtem Lärm nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 StVO nur betroffene Anwohnerinnen und Anwohner bei der Verkehrslenkung Berlin (VLB) stellen können und nicht die BVV als demokratisch gewählte Vertretung der Bewohner*innen des Bezirks ? Antwort zu 1.: Die Regelungen der Straßenverkehrsordnung sind hier anzuwenden. Neben Anwohnerinnen und Anwohnern können auch nicht vor Ort wohnende Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohnungen oder Mietshäusern unter Umständen solche Anträge stellen. Bei Anträgen auf straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen zum Schutz vor verkehrsbedingtem Lärm nach § 45 Absatz 1 Nr. 3 StVO kommt in besonderem Maße der drittschützende Charakter der Norm zum Tragen. § 45 Absatz 1 Nr. 3 StVO gibt dem Einzelnen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten, wenn Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs als ortsüblich hingenommen werden muss und damit zugemutet werden kann. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist ein an eine Behörde gerichteter Antrag nur dann als zulässiger Antrag anzusehen, wenn der Antragsteller die Durchsetzung oder Wahrung eigener Rechte, das heißt nicht nur die Rechte oder Interessen Dritter oder die Interessen der Allgemeinheit, verfolgt. Lärmschutz ist auf die Gesundheit der Wohnbevölkerung gerichtet, damit ist die konkrete Betroffenheit und der genaue Wohnort für die Antragsberechtigung relevant. Nur so kann eine punktgenaue Verkehrslärmberechnung durchgeführt und eine rechtssichere Ermessensausübung als Entscheidungsgrundlage vorgenommen werden. Frage 2: Wenn ja, wie erklärt sich der Senat, dass in dem ähnlich gelagerten Beschluss der BVV Friedrichshain -Kreuzberg, Tempo 30 ganztägig auf der Großbeerenstraße einzuführen (DS/2022/IV), das Bezirksamt in seiner Vorlage zur Kenntnisnahme mitteilt, dass die zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen erforderliche Verkehrserhebung mit anschließender Verkehrslärmberechnung und gutachterlicher Stellungnahme der Umweltabteilung für die Großbeerenstraße bereits beauftragt sei und damit die notwendige Prüfung zur Realisierung von Tempo 30 offenbar durch einen BVV- Beschluss angestoßen werden kann? Antwort zu 2.: Anders als in der Boxhagener Straße lag für die Großbeerenstraße der Antrag einer betroffenen Anwohnerin auf lärmmindernde Maßnahmen vor, woraufhin das Prüfverfahren in Gang gesetzt wurde. Frage 3: Gelten für die Antragstellung bei der VLB im Ost- und Westteil Berlins unterschiedliche Regelungen? Antwort zu 3.: Nein. Frage 4: Wer ist abschließend für die Beantragung von straßenverkehrsbehördlichen Maßnahmen bei der Verkehrslenkung Berlin antragsberechtigt? Antwort zu 4.: Die Verkehrslenkung Berlin prüft grundsätzlich Anregungen, Hinweise und Anträge, die von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, aber auch von Bezirksämtern, Bezirksverordneten oder Mitgliedern des Abgeordnetenhauses an sie herangetragen werden, sofern ihre Zuständigkeit gegeben ist, und ergreift verkehrliche Maßnahmen, wenn diese erforderlich sind. Für Anträge nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 StVO auf straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen zum Schutz vor verkehrsbedingtem Lärm wird auf die Antwort zu 1. verwiesen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 829 2 Frage 5: Warum wurden folgende im Bericht zum Konzeptgebiet Boxhagener Viertel aus der Lärmminderungsplanung für das Land Berlin aus dem Jahr 2008 vorgeschlagenen Maßnahmen für das genannte Gebiet auch nach acht Jahren seit Vorliegen der Vorschläge noch nicht umgesetzt: a) Förderung Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV- Nutzung b) Erweiterung der Tempo 30-Regelung auf den Tageszeitraum in der Boxhagener Straße c) Aufhebung des Gehwegparkens d) Verlegen des Parkens auf die Fahrbahn e) Neuorganisation des ruhenden Verkehrs f) Sanierung der Straßenbahngleise mit Priorität Bereiche mit Großverbundplatte in der Boxhagener Straße g) Sanierung der Fahrbahnoberflächen in der Boxhagener Straße, Wühlischstraße, Holteistraße / Weichselstraße , Scharnweberstraße, Gärtnerstraße h) Einrichtung von Radverkehrsanlagen in der Boxhagener Straße i) Eindämmung des Durchgangsverkehrs durch veränderte Verkehrsführungen insbesondere für LKWs Antwort zu 5.: Die benannten Maßnahmen sind im Lärmaktionsplan Berlin 2008 den mittel- bis langfristigen Maßnahmenoptionen zugeordnet. Der Lärmaktionsplan führt dazu aus, dass für diese noch umfangreiche Prüfbedarfe bestehen. Prüfung und gegebenenfalls Umsetzung waren für einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren vorgesehen. Die Prüfung und gegebenenfalls auch die Umsetzung von Maßnahmen erfolgt in enger Kooperation mit den für die Umsetzung zuständigen Bereichen, z.B. dem Straßenbaulastträger beim jeweiligen Bezirksamt. Dieses Verfahren ist aufwändig und wurde im betroffenen Konzeptgebiet dadurch erschwert, dass einige der genannten Maßnahmen unter dem Vorbehalt einer Änderung der Straßenbahnlinienführung im Zusammenhang mit dem Ausbau des Bahnhofs Ostkreuz stehen. Erst damit und mit der Klärung der Maßnahmenfinanzierung besteht die Grundlage zur Weiterführung der Planung. Trotz dieser Einschränkung konnten bereits einige der benannten Maßnahmen umgesetzt werden, wie die Einrichtung einer Parkraumbewirtschaftungszone im westlichen Teil des Konzeptgebietes und eine Fahrbahnsanierung im Bereich des Gleisbettes der Wühlisch- und Weichselstraße mit lärmarmem Asphalt. Die in der Lärmminderungsplanung für das Boxhagener Viertel kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen, wie die Einführung von Tempo 30 nachts in der Boxhagener Straße und der Bau einer Mittelinsel in der Grünberger Straße, sind ebenfalls bereits ausgeführt. Frage 6: Welche der oben genannten Maßnahmen konnten nicht umgesetzt werden, weil die VLB nicht die erforderlichen straßenverkehrsbehördlichen Anordnungen erteilt hat? Antwort zu 6.: Keine. Frage 7: Plant der Senat die restriktive Genehmigungspraxis der VLB bei der Anordnung von Tempo 30 (oder niedrigerer Geschwindigkeiten) entsprechend den zahlreich geäußerten Wünschen der Anwohnenden nach Lärm- und Schadstoffreduzierung in ihren Wohnvierteln anwohnerfreundlicher zu gestalten? Antwort zu 7.: Seitens der Verkehrslenkung Berlin gibt es keine restriktive Genehmigungspraxis. Grundlage ist die bundesrechtliche Regelung in der Straßenverkehrsordnung . Das Land Berlin hat sich dafür eingesetzt, die Anordnung von Tempo 30 zu erleichtern, das zuständige Bundesministerium hat entsprechende Veränderungen auf den Weg gebracht. Das Antragsverfahren ist anwohnerfreundlich und ergibt sich, wie in der Antwort zu Frage 1 ausgeführt, aus den rechtlichen und praktischen Anforderungen . Beim sich daran anschließenden Prüf- und Genehmigungsverfahren im Zusammenhang mit der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen sind in jedem Einzelfall neben den Belangen der Anwohnerinnen und Anwohner auch vielfältige weitere verkehrliche Aspekte, wie beispielsweise die Flüssigkeit des Verkehrs, eine Verdrängung des Verkehrs in Wohnstraßen oder die Belange des öffentlichen Personennahverkehrs zu berücksichtigen . Bezirksämter und Bezirksverordnete, die sich mit dem Wunsch der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Gründen des Lärmschutzes an die Verkehrsverwaltung des Senats wenden, werden daher regelmäßig gebeten, betroffene Bürgerinnen und Bürger zu ermuntern , direkt entsprechende Anträge bei der Verkehrslenkung Berlin zu stellen. Berlin, den 18. Juli 2016 In Vertretung Christian Gaebler ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Juli 2016)