Drucksache 17 / 18 881 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 12. Juli 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Juli 2016) und Antwort Begleitete unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele minderjährige Geflüchtete leben z. Zt. ohne ihre Eltern in der Obhut von Verwandten? 2. Wie viele leben bei Verwandten, die bereits länger in Berlin leben und über einen eigenen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen 3. Wie viele davon leben mit kürzlich nach Berlin geflohenen Verwandten in Erstaufnahmeeinrichtungen? Zu 1. bis 3.: Zu diesen Fragegegenständen liegen keine statistischen Erkenntnisse vor. 4. Wie wurde die Eignung der Verwandten zur Übernahme der Sorge für die minderjährigen Geflohenen festgestellt ? Zu 4.: Reist ein minderjähriger Flüchtling begleitet ein, ist es in Berlin Aufgabe des Landesjugendamtes, Verwandtschaftsverhältnisse und/oder die Erziehungsberechtigung zu prüfen, sofern keine Unterlagen vorhanden sind, die dies nachweisen. In einer getrennten Befragung der Beteiligten durch zwei Personen (in der Regel eine Sozialpädagogin/ein Sozialpädagoge und eine Psychologin /ein Psychologe) unter Zuhilfenahme einer Sprachmittleins /eines Sprachmittlers wird geprüft, ob eine gemeinsame Unterbringung dem Willen der oder des Minderjährigen und der Begleitpersonen entspricht und ob eine tragfähige Beziehung besteht. Sobald eine Vollmacht der Eltern vorgelegt wird, die bestätigt, dass die Begleitpersonen als Erziehungsberechtigte eingesetzt sind, stellt das Landesjugendamt eine Bescheinigung der Familienzusammenführung aus unter der Voraussetzung, dass keine Zweifel an der Eignung der Begleitpersonen und der Wahrung des Wohl des Kindes bestehen. Im Sozialdienst des Landesamtes für Gesundheit und Sozialdienst (LAGeSo) wurde ab November 2015 ein verbindliches Verfahren entwickelt, wobei die persönliche Situation der Verwandten und der Minderjährigen abgefragt wurde. Es wurde in jedem Einzelfall genau geprüft, ob die Begleiterin/ der Begleiter als Vormund geeignet ist. Nur in Ausnahmefällen wurde die/der Verwandte empfohlen. Der Bildungsstand und die Bindung spielten dabei eine wichtige Rolle. Generell wurde ausgeschlossen , dass Ehemänner zum Vormund minderjähriger Ehefrauen empfohlen wurden. Dies widerspricht dem Verständnis einer gleichberechtigten Partnerschaft in Deutschland. Dies wurde durchgängig im Sozialdienst eingehalten. Auch wurden unter sechzehnjährige Ehefrauen grundsätzlich nicht über den Sozialdienst des LAGeSo befragt, sondern an die für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständige Senatsverwaltung durch persönliche Absprache weitergeleitet. Eine Aufnahme in Einrichtungen des LAGeSo soll für unter sechszehnjährige Ehefrauen dadurch ausgeschlossen werden. 5. Wie wird sichergestellt, dass Missbräuche zur Ausbeutung der minderjährigen Geflohenen erkannt und verhindert werden? 6. Wie wird sichergestellt, dass den minderjährigen Geflohenen, im Rahmen dieser speziellen Sorgeverhältnisse , eine angemessene rechtliche Vertretung im ausländerrechtlichen Verfahren gewährt wird? Zu 5. und 6.: Bei Zweifeln an der Geeignetheit der Begleitpersonen als Erziehungsberechtigte wird der minderjährige Flüchtling in Obhut genommen. Sofern geprüft werden soll, ob ein minderjähriger Flüchtling in den Haushalt von Verwandten übergeben werden kann, erfolgt eine Prüfung der häuslichen Verhältnisse durch ein Bezirksjugendamt. Legt der minderjährige Flüchtling ein Verhalten an den Tag, dass Fragen offen lässt, erfolgt keine Familienzusammenführung. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 881 2 Der Sozialdienst im LAGeSo setzt sich in jedem ihm bekannten Fall dafür ein, dass die minderjährigen Ehefrauen dem Jugendamt bekannt sind. Im Falle des Zweifels an der angemessenen Versorgung und Betreuung dieser wird ein Kontakt zum Jugendamt hergestellt. Aus diesem Grund werden auch Anträge auf Vormundschaft an das Familiengericht fast ausschließlich mit der Empfehlung eines unabhängigen Vormunds weitergeleitet. Nur dieser kann bei seinem Mündel sicherstellen, dass es nicht benachteiligt wird oder gar seine Grundrechte verletzt werden. Nur durch einen unabhängigen Vormund kann im Übrigen geprüft werden, ob die rechtliche Vertretung im Asylverfahren angemessen ist. Im Sozialdienst des LAGeSo finden hierzu täglich Beratungen statt, da sich die Vormünder mit Verfahrensfragen an diesen mit Brief- oder elektronischer Post, telefonisch oder auch persönlich vor Ort wenden. 7. Wie wird der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung garantiert? Zu 7.: Die begleiteten Minderjährigen erhalten vom Tag der Registrierung ihrer Angehörigen, mit denen sie eingereist sind, ausnahmslos sämtliche Leistungen, die Asylbegehrenden zustehen, in gleicher Form. Lediglich eine Impfung kann erst mit der Einsetzung des Vormunds stattfinden, auch die medizinische Versorgung findet nach diesem Grundsatz statt. Notfallbehandlungen werden durchgeführt, jedoch muss in Fällen von schwerwiegenden Eingriffen im Eilverfahren das Familiengericht eingeschaltet werden. Dies geschieht auch im Sozialdienst des LAGeSo. Ein ärztlicher Eingriff ohne die Einwilligung einer/eines Sorgeberechtigten stellt eine Körperverletzung dar. Aus diesem Grund muss in diesen Fällen abgewogen werden, so lange noch kein Vormund eingesetzt ist. 8. Wie werden Zugang zu Bildung und Ausbildung garantiert? Zu 8.: In den Einrichtungen, in denen die minderjährigen begleiteten Flüchtlinge untergebracht sind, wird darauf geachtet, dass die Kinder die Schule besuchen. Grundsätzlich besteht Schulpflicht für alle Kinder und Jugendlichen. Aus diesem Grund sollen auch minderjährige (über sechszehnjährige) und noch schulpflichtige Ehefrauen an das Jugendamt gemeldet werden. Es soll sichergestellt werden, dass die ehelichen Pflichten nicht dem Recht auf Bildung kontraproduktiv gegenüber stehen . 9. Welche Hilfen erhalten die eingesetzten Sorgeberechtigten von der öffentlichen Jugendhilfe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben? Zu 9.: Für Angehörige bzw. Vormünder besteht ein Rechtsanspruch auf Unterstützung der Jugendhilfe für ihre Mündel. 10. Welche besondere Unterstützung erhalten sie zur Überwindung fluchtbedingter Probleme der minderjährigen Geflohenen? Zu 10.: Es können alle für Asylbegehrende und Flüchtlinge in Berlin vorgehaltenen Beratungsangebote staatlicher und nicht-staatlicher Akteure in Anspruch genommen werden, wobei eine zielgerichtete Beratung und Unterstützung sowohl durch den Sozialdienst beim LAGeSo als auch in der Beratungsstelle des Beauftragten für Integration und Migration erfolgt. In den Bezirken engagieren sich - teilweise unter Leitung des Gesundheitsamtes - ehrenamtlich tätige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Psychiaterinnen /Psychiater und andere Berufsgruppen der psychosozialen Versorgung für Geflüchtete in den Flüchtlingsunterkünften . In Berlin können sich psychisch auffällige bzw. erkrankte Geflüchtete insbesondere an die Zentrale Psychiatrische Clearingstelle der Charité für Geflüchtete, das Behandlungszentrum für Folteropfer e. V. sowie Xenion e. V. wenden. Berlin, den 04. August 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Aug. 2016)