Drucksache 17 / 18 883 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN) vom 15. Juli 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Juli 2016) und Antwort Informant und Brandstifter im Dienst der Polizei? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass der am 6. Juli 2016 in Berlin Lichtenberg wegen des Verdachts der Autobrandstiftung festgenommene Herr G. im Juli 2012 im Rahmen einer Vernehmung durch die Hamburger Polizei und einer Beamtin des Landeskriminalamts (LKA) Berlin Informationen über Personen der Berliner linken Szene sowie über den Treffpunkt Kadterschmiede in der Rigaer Straße 94 an die Polizei weitergab? (Quelle: ein auf Indymedia veröffentlichtes polizeiliches Vernehmungsprotokoll https://linksunten.indymedia.org/en/node/161112) 2. Trifft es weiterhin zu, dass die unter 1. genannte Beamtin des LKA Berlin Herrn G. mit den Worten: „Theoretisches Denkmodell, sie gehen nächste Woche nach Hause, weil sie keine Haftstrafe bekommen, wo kriegt man sie dann? Wären Sie bereit, weiter mit uns zu sprechen ?“ eine Zusammenarbeit mit der Polizei anbot? 3. Trifft es weiterhin zu, dass Herr G. daraufhin eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Rahmen von weiteren Gesprächen mit der Polizei signalisiert hat? Zu 1. bis 3.: Es trifft zu, dass Herr G. von Kräften des polizeilichen Staatsschutzes Berlin in Hamburg angehört wurde. Darüber hinaus betreffen die Fragestellungen 1 - 3 Verfahrensinhalte eines abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens und darin enthaltene einzelne strafprozessuale Maßnahmen, zu denen der Senat grundsätzlich nicht Stellung nimmt. 4. Hat es seit der Zeugenvernehmung des Herrn G. im Juli 2012 in Hamburg weitere schriftliche oder mündliche Versuche der Kontaktaufnahme entweder von Seiten des Herrn G. oder durch die Polizei Berlin - möglicherweise auch durch Vermittlung der Polizei Hamburg- mit dem Ziel einer Übermittlung von Informationen über die linke Szene, deren Angehörige und /oder ihre Aktivitäten gegeben? a) Wenn ja, wann jeweils? b) Wenn ja, von welcher Seite gingen die Kontaktaufnahmeversuche jeweils aus? c) Wenn ja, kam es seit Juli 2012 auch zu weiteren persönlichen Treffen zwischen Herrn G. und der Polizei Berlin zum Zweck der Übermittlung von Informationen über die linke Szene, deren Angehörige und / oder ihre Aktivitäten? d) Wenn ja, standen Herr G. und die Polizei Berlin noch bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 6. Juli 2016 in Form von Gesprächen und /oder Schriftverkehr in Kontakt? e) Wenn nein, kann der Senat einen solchen Kontakt ausschließen und wie kann eine solche ausgeschlossen werden? Zu 4.: Der Betreffende ist im Zeitraum zwischen Juli 2012 und dem 6. Juli 2016 mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten. Im Rahmen der strafprozessualen Erfordernisse erfolgten in diesem Zusammenhang verfahrensbedingte Kontakte. Im Nachgang des Antreffens des Betreffenden bei Kundgebungen im Januar 2016 sowie eines im Februar 2016 im Internet veröffentlichten Redebeitrages des Betreffenden von einer dieser Versammlungen erfolgte noch im Februar 2016 ein Sicherheitsgespräch mit dem Betreffenden, da in den sozialen Netzwerken zu körperlicher Gewalt gegen ihn aufgerufen worden war. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 883 2 5. Hat die Berliner Polizei nach der Vernehmung des Herrn G. im Juli 2012 in Hamburg geprüft, ob G. als Informant oder als V-Person für die Berliner Polizei in Frage kommt? a) Wenn ja, welche möglichen Tätigkeiten wurden im Einzelnen mit welchen jeweiligen Ergebnissen geprüft? b) Wenn nein, warum nicht? Zu 5.: Herr G. wurde und wird nicht als Informant oder V-Person der Polizei Berlin geführt. Siehe darüber hinaus die Beantwortung auf Frage 7. 6. Hat die Berliner Polizei im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit auf Informationen zurückgegriffen, die Herr G. im Rahmen seiner Stellung als Informant oder V- Person für die Polizei Hamburg preisgegeben hat? a) Wenn ja, wie oft, wann jeweils und warum? b) Wenn nein, kann der Senat dies ausschließen? Zu 6.: Dem Berliner Senat liegen keine Erkenntnisse über eine Tätigkeit des Betreffenden als Informant oder Vertrauensperson (VP) für die Polizei Hamburg vor. 7. Wird eine Person dadurch, dass sie in einer polizeilichen Vernehmung die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Rahmen von weiteren Gesprächen – ähnlich wie Herr G. zum Ende der unter 1. genannten Vernehmung – signalisiert, bereits als Informant geführt? Wenn nein, welche weiteren Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass eine Person jeweils als Informant oder V-Person geführt wird? Zu 7.: Eine Person, die in polizeilichen Vernehmungen die Bereitschaft zur Zusammen-arbeit im Rahmen von weiteren Gesprächen signalisiert, wird dadurch nicht bereits als Informant geführt. Zu den weiteren Voraussetzungen im Sinne der Fragestellung kann hier keine Auskunft erteilt werden, da die Frage den operativen Kernbereich der VP-Führung betrifft . 8. Erfolgt zu Personen, welche in Vernehmungen die Bereitschaft signalisieren, mit der Polizei im Rahmen von weiteren Gesprächen zusammenzuarbeiten, eine Speicherung besonderer Vermerke oder Hinweise etc. in polizeilichen Datenbanken, Dateien oder Akten? Wenn ja, welche Vermerke oder Hinweise etc. werden in solchen Fällen in welchen Datenbanken, Dateien oder Akten und auf welcher jeweiligen Rechtsgrundlage gespeichert? Zu 8.: Die Dokumentation im Sinne der Fragestellung erfolgt im polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) auf Grundlage der §§ 42, 43 des Allgemeinen Sicherheitsund Ordnungsgesetzes (ASOG Berlin). 9. Wurde die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung II (Verfassungsschutz) von den Inhalten und Ergebnissen der Vernehmung G.s im Juli 2012 in Hamburg in Kenntnis gesetzt? Zu 9.: Die Abteilung II der Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurde durch eine Verfassungsschutzbehörde über die Vernehmung von G. in Kenntnis gesetzt. 10. Fanden die Inhalte und Ergebnisse der Vernehmung von Herrn G. im Juli 2012 in Hamburg Eingang in die Textabschnitte zum Hausprojekt Rigaer Straße 94 oder der Kneipe Kadterschmiede in den jährlichen Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin seit dem Jahr 2012? Zu 10.: Aus der Vernehmung von G. ergaben sich bezüglich der Bewertung der „Rigaer94“ für den Verfassungsschutz Berlin keine neuen Erkenntnisse. Die Erwähnung der „Rigaer94“ im Verfassungsschutzbericht Berlin 2012 (Seiten 111-112, 132-133, 233) ist vor allem auf einen schweren Landfriedensbruch im Zusammenhang mit der Veranstaltung „Polizeikongress verpiss dich“ am 28./29. Januar 2012 in der Kadterschmiede zurückzuführen , bei dem mindestens 45 Polizeidienstkräfte verletzt wurden und unter anderem auch ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des versuchten Mordes eingeleitet wurde . Dieses und weitere Ereignisse stehen selbsterklärend für die Einschätzung der „Rigaer94“ als „Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen“, die bis heute Bestand hat. 11. Wie viele Polizeidienstkräfte aus welchen anderen Bundesländern und der Bundespolizei sind jeweils in welchen Zeiträumen seit dem 22. Juni 2016 anlässlich der Geschehnissen im Zusammenhang mit der Räumung der Kneipe Kadterschmiede in der Rigaer Str. 94 angefordert und in Berlin eingesetzt worden? (Bitte aufschlüsseln nach Bundesland/Bund, Zeitraum, Anzahl der Polizeidienstkräfte.) Zu 11.: Die Polizei Berlin hat in dem angeführten Zeitraum insgesamt dreimal Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern und des Bundes im Zusammenhang mit den polizeilichen Maßnahmen in der Rigaer Straße 94 angefordert und eingesetzt. An den Einsatztagen 05. Juli 2016 und 09. Juli 2016 wurden Polizeidienstkräfte aus anderen Bundesländern und des Bundes in geringer Zahl vorübergehend stationär am Objekt Rigaer Straße 94 eingesetzt. An beiden Tagen erfolgten diese Unterstützungseinsätze sowohl aus Anlass von angemeldeten Versammlungen als auch zur Verhinderung so genannter Resonanzstraftaten, die einen Bezug zur Rigaer Straße 94 aufweisen. Am 13. Juli 2016 wurden Polizeidienstkräfte aus anderen Bundesländern angefordert und ausschließlich stadtweit eingesetzt, um so genannte Resonanzstraftaten im Zusammenhang mit der Verkündung des Urteils in der Klagesache Rigaer Straße 94 zu unterbinden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 883 3 Einsatztag Bundesland/Bund Anzahl der Polizeidienstkräfte 05. Juli 2016 Brandenburg 78 05. Juli 2016 Rheinland-Pfalz 123 05. Juli 2016 Bayern 109 05. Juli 2016 Niedersachsen 108 gesamt: 418 09. Juli 2016 Bundespolizei 184 09. Juli 2016 Thüringen 93 09. Juli 2016 Brandenburg 95 09. Juli 2016 Sachsen 107 09. Juli 2016 Sachsen-Anhalt 63 09. Juli 2016 Niedersachsen 123 gesamt: 665 13. Juli 2016 Hamburg 113 13. Juli 2016 Rheinland-Pfalz 122 gesamt: 235 12. Wie viele Autobrandstiftungen mit wie vielen jeweils beschädigten Fahrzeugen hat die Polizei seit dem 22. Juni 2016 wann in Berlin registriert? a) In wie vielen Fällen dieser Autobrandstiftungen ermittelt die Polizei gegen unbekannte Täter*innen, in wie vielen Fällen gegen namentlich bekannte Tatverdächtige ? b) In wie vielen Fällen dieser Autobrandstiftungen nimmt die Berliner Polizei ein politisches Motiv an? c) Welche jeweiligen politischen Motive werden bei diesen Autobrandstiftungen angenommen? (Bitte aufschlüsseln nach Datum, Zahl der Autobrandstiftungen , Zahl der beschädigten Fahrzeuge und dem jeweiligen Motiv.) Zu 12.: Die statistischen Erhebungen zu Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen (Kfz) weisen die Anzahl der Fälle sowie die Anzahl der angegriffenen Kfz aus. Werden in einem örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mehrere Kfz in Brand gesetzt (vermutlich gleiche Taturheberschaft), erfolgt die statistische Erfassung dieser Kfz als ein Fall mit der entsprechenden Anzahl der angegriffenen Kfz. 2016 22.06.2016 – 20.07.2016 PMK-Fälle 25 dabei direkt angegriffene Kfz 43 Nicht-PMK-Fälle 27 dabei direkt angegriffene Kfz 27 Gesamt Fälle 52 direkt angegriffene Kfz Gesamt 70 Zu a): In 7 Fällen wurde ein Tatverdächtiger ermittelt, die übrigen Verfahren werden gegen Unbekannt geführt. Zu b): In 25 Fällen dieser Autobrandstiftungen wird eine politische Motivation angenommen. Zu c): Bei einer Brandstiftung an Kfz am 8. Juli 2016 mit einem direkt angegriffenen Fahrzeug wird von einer Tat der Politisch motivierten Kriminalität - rechts ausgegangen , hier wurde ein Fahrzeug in Mitleidenschaft gezogen . Bei weiteren 24 Fällen von Brandstiftungen an Kfz, bei denen insgesamt 42 Fahrzeuge direkt angegriffen wurden, werden Taten der Politisch motivierten Kriminalität - links vermutet. In folgender Tabelle werden die Brandstiftungen an Kfz, aufgeschlüsselt nach Datum, Anzahl der direkt angegriffenen Fahrzeuge, in Mitleidenschaft gezogenen Fahrzeugen sowie dem vermuteten Motiv, aufgelistet. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 883 4 Fälle Datum Anzahl der direkt angegriffenen Kfz /in Mitleidenschaft gezogene Kfz Vermutetes Motiv 1 23.06.2016 2 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 2 23.06.2016 2 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 3 23.06.2016 2 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 4 23.06.2016 1 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 5 24.06.2016 3 / 5 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 6 25.06.2016 1 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 7 26.06.2016 1 / 0 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 8 26.06.2016 1/ 4 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 9 26.06.2016 1 / 1 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 10 26.06.2016 4 / 4 Gentrifizierung, Antikapitalismus (Resonanzstraftat Rigaer 94) 11 26.06.2016 1 / 0 unklar 12 27.06.2016 1 / 0 unklar 13 29.06.2016 1 / 1 unklar 14 01.07.2016 1 / 0 Antirepression 15 03.07.2016 1 / 2 unklar 16 05.07.2016 1 / 2 unklar 17 08.07.2016 1 / 1 Polarisation 18 09.07.2016 1 / 1 Antikapitalismus, Gentrifizierung, Nachgang zur Kiezdemo gegen Verdrängung 19 10.07.2016 2 / 2 Antikapitalismus, Gentrifizierung, Nachgang zur Kiezdemo gegen Verdrängung 20 10.07.2016 1 / 1 Antikapitalismus, Gentrifizierung, Nachgang zur Kiezdemo gegen Verdrängung 21 10.07.2016 3 / 0 Antikapitalismus, Gentrifizierung, Nachgang zur Kiezdemo gegen Verdrängung 22 10.07.2016 5 / 0 Antikapitalismus, Gentrifizierung, Nachgang zur Kiezdemo gegen Verdrängung 23 13.07.2016 1 / 0 Möglicher Bezug: Gerichtsverhandlung Rigaer 24 18.07.2016 4 / 3 Antirepression, Gentrifizierung 25 18.07.2016 1 / 2 Gentrifizierung 13. Wird bei den Autobrandstiftungen am 6. Juli 2016 in Lichtenberg, die Herrn G. zur Last gelegt werden, ein politisches Motiv angenommen? Wenn ja, welches (links, rechts etc.) und aus welchen genauen Gründen? Zu 13.: Nein. Berlin, den 03. August 2016 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Aug. 2016)