Drucksache 17 / 18 900 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Carsten Schatz (LINKE) vom 20. Juli 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Juli 2016) und Antwort Trans- und Intersexuelle im Justizvollzugsdienst Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Sind dem Berliner Senat Probleme trans- und intersexueller Menschen in der Justiz und im Justizvollzugsdienst in Form von Mobbing, Beleidigungen oder Ähnlichem in den letzten fünf Jahren bekannt? 2. Gab es aufgrund solcher Fälle Anzeigen oder Dienstaufsichtsbeschwerden in der Justiz und im Justizvollzugsdienst ? Zu 1. und 2.: Im der Beantwortung zugrunde gelegten Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2015 sind weder den Berliner Gerichten und Strafverfolgungsbehörden noch dem Berliner Justizvollzug derartige Probleme, Anzeigen oder Dienstaufsichtsbeschwerden bekannt geworden . Auch die Sozialberatung der Berliner Justiz hat als innerbetriebliche Beratungsstelle keine Beratungsfälle in diesem Bereich verzeichnet. 3. Wie wurde und wird in solchen Fällen mit Täterinnen und Tätern sowie den Opfern solcher Handlungen umgegangen? Zu 3.: Mangels entsprechender Anwendungsfälle (siehe Ziffern 1 und 2) können für die Vergangenheit keine Angaben gemacht werden. Sollten den Dienststellen der Berliner Justiz und des Justizvollzugs künftig derartige Handlungen bekannt werden, würden diese gegenüber den Täterinnen und Tätern mit dem Instrumentarium des Disziplinar- und Arbeitsrechts konsequent geahndet und - je nach strafrechtlicher Relevanz - bei den Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige gebracht werden. Diese würden den Sachverhalt von Amts wegen ausermitteln und gegebenenfalls vor den Strafgerichten zur Anklage bringen. Die Opfer solcher Handlungen würden über die auf den Einzelfall passenden Beratungs- und Begleitungsangebote insbesondere der Sozialberatung der Berliner Justiz informiert werden. 4. Gibt es mittlerweile eine/n Ansprechpartnerin bzw. -partner für Sexuelle Vielfalt, Diversity und Mobbing in der Justiz und im Justizvollzugsdienst? Wenn ja, seit wann und mit welchen Aufgaben ist diese Stelle, ähnlich wie bei der Berliner Polizei, verbunden? Wenn nicht, warum nicht? 5. Welche Formen von Beratungen und Unterstützung existieren in der Justiz und im Justizvollzugsdienst für trans- und intersexuelle Menschen bei einem Outing, der Transition und im nachfolgenden Dienstalltag? Zu 4. und 5.: Das Thema „Trans- und Intersexualität“ wird in der Berliner Justiz und im Justizvollzug grundsätzlich als integraler Bestandteil des Diversitymanagements angesehen. Die Einrichtung von Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern und das Beratungsangebot folgt diesem ganzheitlichen Ansatz und ist deshalb nicht auf spezifische Einzelaspekte wie beispielsweise der sexuellen Vielfalt ausgerichtet. Insoweit unterscheidet sich die Struktur der Justiz und des Justizvollzugs von der Polizeistruktur, weil auch die Aufgaben und der Arbeitsalltag im Wesentlichen nicht vergleichbar sind. Das Diversitymanagement der Justiz und des Justizvollzugs richtet sich, soweit bereits geschaffen, an den spezifischen Bedürfnissen der Dienststellen aus, die entsprechend den teils völlig unterschiedlichen Anforderungen im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden verschieden sein können. In diesem Rahmen steht den Mitarbeitenden der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit in erster Linie die Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS) als Ansprechpartner zur Verfügung, die bei der für diese Gerichtsbarkeit als oberste Dienstbehörde zuständigen Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen angesiedelt ist. Den Mitarbeitenden der übrigen Gerichtsbarkeiten und Strafverfolgungsbehörden stehen bei Diskriminierungen die allgemein in den Dienststellen tätigen Ansprechpartner im Sinne von § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Verfügung. Im Bereich der Strafverfolgungsbehörden, deren Tätigkeit teils eng Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 900 2 mit der Berliner Polizei verwoben ist und ähnliche Anforderungen stellt, stehen als Ansprechpartner speziell für LSBTI-Angelegenheiten (Themen mit Bezug zu Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen) je eine Beamtin und ein Beamter zur Verfügung. Im Berliner Justizvollzug stehen je nach der Art des Anliegens die in einigen Justizvollzugsanstalten eingerichteten Mobbingbeauftragten oder auf die in jeder Justizvollzugsanstalt eingerichteten Kriseninterventionsteams zur Verfügung. Die derzeitige Diversitystruktur soll für den Bereich der Berliner Gerichte und Strafverfolgungsbehörden, die bei der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ressortieren, bedarfsorientiert überprüft werden. Zu diesem Zweck wird derzeit ein eigenes Team für Personalentwicklung und Gesundheitsmanagement eingerichtet , das bei der Leitung der Zentralabteilung angebunden und übergeordnet tätig sein wird. Dieses Team hat unter anderem die Aufgabe, bedarfsgerechte Personalentwicklungsstrategien zu entwickeln, zu denen insbesondere auch das Diversitymanagement gehört. Die Berliner Justiz und der Justizvollzug setzen seit einigen Jahren mit Erfolg überdies insbesondere im Bereich der Beratung, aber auch im Bereich der ersten Ansprache auf ein innerbetriebliches, aber gleichzeitig dienststellenunabhängiges Modell: die Sozialberatung der Berliner Justiz. Diese freiwillige, von der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz angebotene Einrichtung steht allen Mitarbeitenden – auch den Angehörigen der Arbeitsgerichtsbarkeit – kostenfrei und während der Dienstzeit zur Verfügung. Sie fungiert als Ansprechpartner und Beratungsstelle in allen denkbaren Situationen, die die Lebensqualität und/oder Arbeitszufriedenheit beeinträchtigen, gleich ob der Grund dafür im privaten oder dienstlichen Bereich liegt. Hierzu zählen auch die in dieser Schriftlichen Anfrage genannten Themen von Trans- und Intersexuellen wie Diskriminierung, Mobbing, Beleidigungen, ebenso wie eine Erstberatung für die Prozesse des Outings und der Transition sowie der Gestaltung des sich anschließenden Arbeitsalltags. Der Vorteil der Sozialberatung der Berliner Justiz liegt darin, dass die Mitarbeitenden ihre Anliegen zunächst in einem geschützten und vertraulichen Rahmen ansprechen können, weil die Beratungsstelle keiner Dienststelle angeschlossen ist und die dort tätigen Kräfte auch gegenüber dem Dienstherrn zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Soweit aus der Sicht der Beratungsstelle für die weitere Beratung spezifisches Wissen erforderlich ist, werden Beratungssuchende gegebenenfalls an spezielle externe Beratungseinrichtungen weitervermittelt . Bei einem Outing und einer Transition wäre auch denkbar, dass die Sozialberatung der Berliner Justiz diesen Prozess nach einem Erstkontakt zusammen mit dem Dienstherrn begleitet, wenn der oder die Beratungssuchende hierzu sein Einverständnis erteilt und die Beratungsstelle insoweit von der Verschwiegenheit entbindet. 6. Wie viele Veranstaltungen und Trainings für Mitglieder der Justiz und des Justizvollzugsdienstes fanden in den letzten fünf Jahren statt, um Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte im Umgang mit und in der Ansprache von Trans- und intersexuellen Menschen innerhalb und außerhalb der Behörde zu schulen und wie viele solcher Veranstaltungen und Trainings sind noch geplant? Zu 6.: Auch bei der Auflage von Fortbildungen und Trainings legen die Berliner Justiz und der Justizvollzug grundsätzlich den bereits in Ziffer 4 und 5 beschriebenen ganzheitlichen Ansatz zugrunde. Die Belange von Transund Intersexuellen werden als Teilaspekt des übergeordneten Themas Diversity angesehen und auch im Rahmen von Fortbildungen und Trainings zum Thema Diversity behandelt. Ein Bedarf für isolierte Veranstaltungen zum Thema „Trans- und Intersexualität am Arbeitsplatz“ wurde bislang nicht angemeldet. Der Beantwortung wird der Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2016 zugrunde gelegt. In diesem Zeitraum wurden folgende Fortbildungen und Trainings durchgeführt: Der für die Fortbildung des nichtrichterlichen und nichtstaatsanwaltlichen Dienstes der Berliner Justiz (Gerichte und Strafverfolgungsbehörden) zuständige Präsident des Kammergerichts hat insgesamt sieben Schulungen zum Thema „Diversity“ und „Diversity und sexuelle Vielfalt am Arbeitsplatz“ durchgeführt. Für den richterlichen und staatsanwaltlichen Justizdienst werden spezifische Schulungen zum Thema Diversity von den insoweit genutzten Fortbildungseinrichtungen (Europäische Richterakademie, Deutsche Richterakademie ) nicht angeboten, weil diese Schulungen rein fachspezifisch , also auf bestimmte Probleme der Rechtsanwendung ausgerichtet sind. Diversityaspekte werden folglich als einer von mehreren Aspekten der Rechtsanwendung jeweils im Rahmen von fachlichen Schulungen zu denjenigen Rechtsgebieten behandelt, in denen sie Bedeutung erlangen können (Beispiel: Diskriminierung im Arbeits- oder Beamtenrecht). Für die Ausbildung zum höheren Justizdienst (Rechtsreferendariat ) bietet der insoweit zuständige Präsident des Kammergerichts im Rahmen der fakultativen Reihe „Schlüsselqualifikationen“ seit 2013 eine eintägige Veranstaltung zum Thema „Diversity, Lebensrealitäten von lesbischen, schwulen, bisexuellen, Trans* und Inter *geschlechtlichen Personen“ an, die jedoch seit 2015 aufgrund zu geringer Anmeldungen nicht stattfinden konnte. Die für die Fortbildung der Mitarbeitenden des Justizvollzugs zuständige Bildungsstätte des Justizvollzugs hat im Referenzzeitraum zum Thema „Diversity“ und „Diversity und sexuelle Vielfalt am Arbeitsplatz“ insgesamt sechs Schulungen durchgeführt. Unabhängig davon nutzen die Führungskräfte und die Mitarbeitenden der Berliner Justiz und des Justizvollzugs zu diesem Themenkomplex das allgemeine Fortbildungsund Trainingsangebot der Verwaltungsakademie Berlin (VAk) und die Einzelangebote der bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen angesiedelten Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS), die dort zusammen mit externen Partnern aufgelegt werden. Beispielhaft seien hier die mehrtägige Fortbildungsreihe „Gesellschaftliche Vielfalt“ des Vereins Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 900 3 Leadership Berlin - Netzwerk Verantwortung e.V. (in Kooperation mit der VAk) oder die mehrtägige Fortbildungsveranstaltung „Diversity – Schwerpunkt sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentitäten“ (LADS) genannt . Da es sich bei den Fortbildungen und Trainings um feste Bestandteile des jährlichen Fortbildungsprogramms handelt, werden diese gleichläufig auch in den kommenden Jahren angeboten und bei hinreichender Teilnehmerzahl durchgeführt. 7. Existieren Benutzungsregeln für geschlechtsspezifische Räume wie Toiletten, Duschen und Umkleiden im Zusammenhang mit trans- und intersexuellen Menschen in der Justiz und im Justizvollzugsdienst, und wenn ja, welche? Zu 7.: In den Dienstgebäuden der Berliner Justiz und des Justizvollzugs sind entsprechend § 6 Absatz 2 Satz 4 der Arbeitsstättenverordnung grundsätzlich Sanitärräume getrennt für Männer und Frauen eingerichtet. Die Zuständigkeit für die Einrichtung liegt bei der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM). Benutzungsregeln im Zusammenhang mit trans- und intersexuellen Menschen bestehen nicht. Trotz der teils von historischem Altbaubestand und von Raumknappheit geprägten Gebäudesubstanz der Berliner Justiz und des Justizvollzugs ist es inzwischen in drei Berliner Amtsgerichten und dem Kammergericht gelungen, zusätzlich geschlechteroffene Toiletten einzurichten . Dazu zählt das Amtsgericht Schöneberg, in dem ein entsprechendes Bedürfnis auch für die rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürger aufgrund der zentralen Zuständigkeit für die Angelegenheiten des Transsexuellengesetzes besteht. Im Dienstgebäude der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit wird demnächst eine geschlechteroffene Toilette eröffnet. In einem Amtsgericht und im Kammergericht konnten zudem geschlechteroffene Umkleidebereiche und Duschen eingerichtet werden. 8. Welche Regelungen gibt es für geschlechtsspezifische Dienstkleidung bzw. Teile der Dienstkleidung im Zusammenhang mit trans- und intersexuellen Menschen in der Justiz und im Justizvollzugsdienst hinsichtlich deren Benutzung und Kostenerstattung? Zu 8.: Die Regelungen zur Dienstkleidung für Mitarbeitende des nichtrichterlichen und nichtstaatsanwaltlichen Dienstes in der Berliner Justiz und im Justizvollzug sind im Wesentlichen geschlechtsneutral gehalten. Soweit geschlechtsspezifische Kleidungsstücke vorgesehen sind, haben die Mitarbeitenden diesbezüglich die Wahlfreiheit. Eine Ausnahme gilt nur für den Bereich der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte , für die zwar geschlechtsneutrale Roben vorgesehen sind, jedoch geschlechtsspezifische Vorschriften für den Halsbereich (Männer: weiße Krawatte oder Fliege; Frauen : weißes Tuch). Spezifische Regelungen im Zusammenhang mit trans- und intersexuellen Menschen existieren nicht. 9. Inwieweit kommt die Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 mit der „Ärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ zur Anwendung bei der Entscheidung über die Aufnahme in den Justizvollzugsdienst bzw. existiert eine gleichwertige Vorschrift für den Justizvollzugsdient? Zu 9.: Für die Einstellung von Bediensteten des allgemeinen Vollzugs-, Krankenpflege-und Werkdienstes sowie anderen Dienstkräften im Justizvollzug kommt ausschließlich die „Allgemeine Verfügung zur Durchführung von Einstellungsuntersuchungen bei Beamtinnen und Beamten des Allgemeinen Vollzugs-, Krankenpflegeund Werkdienstes sowie andere Dienstkräften (oder Beschäftigten ) im Justizvollzug“ vom 19. Juli 2006 zur Anwendung . Berlin, den 3. August 2016 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Aug. 2016)