Drucksache 17 / 18 904 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 14. Juli 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Juli 2016) und Antwort Unterhaltsvorschuss und Beistandschaften Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch ist der Anteil an Alleinerziehenden in Berlin, die Unterhaltsvorschuss für ihre Kinder bekommen ? Zu 1.: Zum Stichtag 31.12.2015 bezogen im Land Berlin 27.328 Kinder Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). 2. Was sind die Hauptgründe, warum Unterhaltspflichtige keinen Unterhalt zahlen? 3. Woran scheitert die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Kinder? Zu 2. und 3.: Es gibt eine Vielzahl an Gründen, weshalb Unterhaltspflichtige den Kindesunterhalt nicht oder nicht vollumfänglich leisten bzw. der Unterhaltsanspruch von Kindern nicht durchgesetzt werden kann. Hierzu gehören insbesondere: • Leistungsunfähigkeit aufgrund von Arbeitslosigkeit , Bezug von Sozialleistungen z.B. nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB XII, Erwerbsunfähigkeit oder zu geringem Einkommen – z.B. wenn dieses trotz Vollzeitbeschäftigung nur knapp in Höhe des Selbstbehaltes von 1080,00 € liegt oder es bei einer Teilzeitbeschäftigung keine Möglichkeit einer Stundenerhöhung gibt –, • vermutete Verschleierung von Einkommen bei Selbstständigen oder Erwerbstätigkeit in einem Familienbetrieb mit vermeintlich geringem Einkommen, • Verzug mit unbekanntem Aufenthalt, zum Teil auch ins Ausland/Herkunftsland, • häufige Umzüge oder Arbeitgeberwechsel, • Zahlungen an weitere minderjährige Unterhaltsberechtigte , • Zahlungsverweigerung aufgrund trennungsbedingter Dissonanzen wie z.B. einer nicht rechtmäßigen Verknüpfung von Unterhaltszahlungen mit Fragen des Umgangs oder der Aufenthaltsbestimmung bis hin zu einem völligen Kontaktabbruch, • ungeklärte Feststellung der Unterhaltspflicht oder noch nicht erfolgte Unterhaltstitulierung. Durch häufig notwendige langwierige Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen wird die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche teilweise erheblich verzögert. Eine gerichtliche Unterhaltstitulierung im Ausland scheitert in vielen Fällen an der Schwierigkeit, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der dort aufenthältlichen Unterhaltspflichtigen zu ermitteln. Des Weiteren ist eine Zunahme der Fallzahlen minderjähriger Mütter festzustellen , bei denen der werdende Vater gleichaltrig und demzufolge meist noch Schüler oder Auszubildender ist. Falls bei einer unterhaltspflichtigen Person keine Leistungsfähigkeit vorliegt, kann kein Unterhaltstitel erwirkt werden. Die gesetzlich verankerte gesteigerte Erwerbsobliegenheit lässt sich im Rahmen der Titulierung des Unterhaltsanspruchs nur durch die Zurechnung fiktiver Einkünfte zum tatsächlich erzielten Einkommen umsetzen. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte erhöht zwar den Unterhaltsanspruch , ändert aber nichts an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Zahlungspflichtigen. Säumige Unterhaltspflichtige haben häufig weitere Schulden und gehen in die Privatinsolvenz, sodass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mangels pfändbaren Einkommen bzw. pfändbarer Habe erfolglos bleiben. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 904 2 4. Wie hoch ist die Rückholquote der einzelnen Jugendämter in den Bezirken? Zu 4.: Die Rückholquoten der einzelnen Jugendämter im Jahr 2015 werden in der folgenden Tabelle dargestellt: Bezirk Prozentuales Verhältnis Mitte 11,80 % Friedrichshain-Kreuzberg 14,94 % Pankow 31,41 % Charlottenburg- Wilmersdorf 20,21 % Spandau 12,81 % Steglitz-Zehlendorf 20,03 % Tempelhof-Schöneberg 12,45 % Neukölln 13,77 % Treptow-Köpenick 27,56 % Marzahn-Hellersdorf 16,12 % Lichtenberg 19,21 % Reinickendorf 13,26 % alle Bezirke 17,24 % 5. Wie viele Kinder sind im Jahr 2015 aus der Unterhaltsvorschussleistung herausgefallen, weil die Anspruchsvoraussetzungen fehlen? (Kinder sind älter als 12 Jahre oder haben schon 72 Monate UV bezogen) Zu 5.: Im Jahr 2015 sind im Land Berlin in insgesamt 8.217 Fällen die Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) eingestellt worden. 1.505 Fälle wurden wegen Vollendung des 12. Lebensjahres und 3.015 Fälle wegen Erreichen der Höchstleistungsdauer von 72 Monaten eingestellt. Die Gründe in den übrigen Fällen sind Eheschließung des betreuenden Elternteils, Zusammenziehen der Elternteile, ausreichende Bezüge des Kindes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 UVG durch Leistungen des Unterhaltsverpflichteten, Wegzug aus Berlin und sonstige Gründe. 6. Wie werden Alleinerziehende über die Möglichkeit und Aufgaben einer Beistandschaft informiert? Zu 6.: Nach Erhalt der Geburtsanzeige für ein Kind einer nicht verheirateten Mutter durch das Standesamt informiert der Bereich Kindschaftsrechtliche Beratung und Vertretung des bezirklichen Jugendamtes schriftlich über sein Unterstützungsangebot. In diesem Schreiben wird die Mutter auf die Bedeutung einer Vaterschaftsfeststellung und die Möglichkeit der Beantragung einer Beistandschaft des Jugendamtes zur Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung der Unterhaltsansprüche hingewiesen . Auch die Unterhaltsvorschussstellen, Jobcenter, Familienbüros , Kinder- und Jugendgesundheitsdienste und Elterngeldstellen weisen auf die Möglichkeit der Beantragung einer Unterhaltsbeistandschaft hin. Ferner erhalten Alleinerziehende Informationen über die Unterstützungsangebote einer Beistandschaft durch die Broschüren "Die Beistandschaft", „Der Unterhaltsvorschuss “, „Familienwegweiser“ sowie die Homepage ihres Wohnortjugendamtes, der Website der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaften (http://www.berlin.de/sen/jugend/familie-undkinder /sorgerecht-und-unterhalt/unterhalt/) sowie über viele Beratungsstellen, die Interessensvertretungen für Alleinerziehende, die Berliner Familienzentren und das Familienportal (http://www.berlin.de/familie/de/informationen/beistandsc haft-145). 7. Wie viele Alleinerziehende machen von einer Beistandschaft Gebrauch? Zu 7.: Es wird darauf hingewiesen, dass der Begriff "Alleinerziehende" im Unterhaltsrecht nicht gebräuchlich ist, da es dort nur eine Unterscheidung in betreuende oder unterhaltspflichtige Elternteile gibt. Dies bedeutet, dass nicht jede eine Beistandschaft beantragende Person zur Gruppe der Alleinerziehenden gezählt werden kann. Zum Stichtag 31.12.2015 wurden in den 12 Berliner Jugendämtern insgesamt 45.834 Beistandschaften geführt. 8. Wie viele VzÄ stehen in Berlin im Bereich der Beistandschaften aktuell zur Verfügung? Wie viele Fälle hat ein Beistand zu betreuen? Zu 8.: Aufgrund der unterschiedlichen Organisationsstrukturen innerhalb der Berliner Jugendämter im Bereich der Kindschaftsrechtlichen Beratung und Vertretung existieren keine vergleichbaren Zahlen. So gibt es nicht in allen Bezirken eine personen- und aufgabenbezogene Trennung zwischen den Bereichen Vormundschaft /Pflegschaft, Beistandschaft und Beurkundungen. Eine eindeutige Zuordnung der vorhandenen Vollzeitäquivalenten (VZÄ) zu den Beistandschaften ist auch deshalb nicht möglich, da diese neben den Beistandschaften auch andere Aufgaben im Rahmen von Beratung und Unterstützung nach §§ 52a und 18 SGB VIII sowie Beurkundungen nach § 59 SGB VIII wahrnehmen. Im Gegensatz zu den Vormundschaften existiert bei den Beistandschaften keine gesetzlich geregelte Fallobergrenze . Die Anzahl der Fälle pro Beistand schwankt aufgabenbedingt berlinweit zwischen 210 und 280. 9. Welche professionellen Standards werden bei den Beistandschaften z. Zt. eingehalten? (Qualifikation der Mitarbeiter, verbindliche Qualitätsstandards, Fortbildungen , Supervision bei schwierigen fachlichen Fragen) Zu 9.: Die Übertragung der Aufgaben des Beistands auf Beamte oder Angestellte des Jugendamtes ist in § 55 Abs. 2 SGB VIII geregelt. Diese Aufgaben werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen, die dem Fachkräftegebot nach § 72 Abs. 1 SGB VIII (sowohl Fachkräfte der Sozialpädagogik als auch aus dem nichttechnischen Verwaltungsdienst) entsprechen und an Qua- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 904 3 lifizierungslehrgängen des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Brandenburg (SFBB) oder der Verwaltungsakademie Berlin teilgenommen haben oder einen gleichwertigen Qualifizierungsnachweis anderer Bildungsträger wie z.B. des Kommunalen Bildungswerkes e.V., des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. oder des Fachverbands der Berliner Stadtvormünder erbringen können. Darüber hinaus finden kollegiale Beratung, Supervision bei Bedarf sowie eigenständige Recherchen im Internet und über Fachzeitschriften statt. Standards sind definiert im “Konzeptpapier zur Sicherung der Bearbeitungsqualität im Bereich Kindschaftsrechtliche Beratung und Vertretung/Beistandschaft in den Berliner Jugendämtern“, das von der Arbeitsgemeinschaft Kindschaftsrechtliche Beratung und Vertretung der Arbeitsgemeinschaft der Berliner öffentlichen Jugendhilfe im Januar 2014 erarbeitet wurde. 10. Welche Möglichkeiten haben die Beistände aktuell , die gesetzlich verankerte Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen durchzusetzen? Zu 10.: Der Beistand nimmt die Aufgabe eines gesetzlichen Vertreters des Kindes wahr und agiert im Rahmen der zivilrechtlichen Möglichkeiten (z.B. gerichtliche Verfahren zur Unterhaltstitulierung, Zwangsvollstreckung). Soweit Straftatbestände erfüllt sind, kann ein Verfahren auf Verletzung der Unterhaltspflicht gem. § 170 Strafgesetzbuch eingeleitet werden. Grundsätzlich sind nicht betreuende Elternteile gegenüber ihren minderjährigen Kindern verpflichtet, alles in ihrer Kraft Stehende zu tun, um einer Tätigkeit nachzugehen , die es ihnen ermöglicht, ihren und den Unterhalt des/der Kindes/Kinder zu decken. Tatsächlich gelingt dies aber aus den unter 2. und 3. genannten Gründen nicht immer. Darüber hinaus hat sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung dahin gehend verändert, dass die unterhaltsberechtigte Person nachweisen muss, inwieweit der Unterhaltspflichtige auf Grund seiner persönlichen Voraussetzungen (Alter, Ausbildung, Wohnort etc.) in der Lage wäre, einer Arbeit nachzugehen, die Unterhaltszahlungen ermöglicht. Bei einem Unterhaltspflichtigen mit Multi-Problemlagen, der evtl. auch ärztlich attestierte Vermittlungseinschränkungen hat, ist dies nur schwer möglich. 11. In wie vielen Fällen konnten im Jahr 2015 mit Hilfe einer Beistandschaft Unterhaltsansprüche durchgesetzt werden? Zu 11.: Für das Land Berlin gab es im Jahr 2015 über die Mündelbuchhaltung vereinnahmte Gesamtunterhaltszahlungen in Höhe von 41.646.388 EUR. Die Anzahl der Beistandschaften, mit deren Hilfe Unterhaltszahlungen eingezogen wurden, wird nicht statistisch erfasst. Es wird darauf hingewiesen, dass es die Möglichkeit der Direktzahlung zwischen den beteiligten Elternteilen nach Vermittlung durch den Beistand gibt, weshalb keine Angaben darüber gemacht werden können, wie viele Forderungen bereits durchgesetzt bzw. getilgt wurden. Außerdem zieht ein Beistand auch Unterhalt für die Bereiche Unterhaltsvorschuss und das Job-Center ein. Berlin, den 01. August 2016 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Aug. 2016)