Drucksache 17 / 18 914 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 26. Juli 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Juli 2016) und Antwort „… und jeder bekommt das, was er verdient …“ Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Teilt die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz die Auffassung, dass Rechtsreferendare bei der politischen Betätigung die gebotene Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren haben (Neutralitätspflicht) und wenn ja, welche konkreten Verhaltensanforderungen folgen aus dieser Pflicht? 2. Teilt die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz die Auffassung, dass Rechtsreferendare sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen haben (Treuepflicht) und wenn ja, welche konkreten Verhaltensanforderungen folgen aus dieser Pflicht? Zu 1. und 2.: Die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst erfolgt in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses (§ 10 Abs. 1 Satz 2 Berliner Juristenausbildungsgesetz (JAG)). Dabei finden durch einen Verweis in § 10 Abs. 3 Satz 1 JAG im Übrigen die für Beamtinnen und Beamte auf Widerruf geltenden Vorschriften Anwendung, soweit nicht durch das JAG oder aufgrund des JAG etwas anderes bestimmt ist. Hierdurch gelten grundsätzlich auch das in § 33 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) niedergelegte Gebot des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und das in § 33 Abs. 2 BeamtStG niedergelegte Gebot zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung dem Grund nach, jedoch nach besonderer Maßgabe des nichtbeamtlichen Charakters des Ausbildungsverhältnisses. Die Schaffung des öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnisses anstelle des früheren Beamtenverhältnisses auf Widerruf geht auf Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 33 Abs. 5 und Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zurück, nach welcher der Staat für diejenigen Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, die nicht für eine Berufung ins Beamtenverhältnis in Betracht kommen, die jedoch einen Beruf außerhalb des Staatsdienstes ergreifen könnten, entweder einen gleichwertigen , nicht diskriminierenden Vorbereitungsdienst anbieten muss, der ohne Berufung ins Beamtenverhältnis geleistet werden kann, oder innerhalb seiner beamtenrechtlichen Regelung eine Ausnahmevorschrift vorsehen muss, die es gestattet, den Vorbereitungsdienst auf Wunsch außerhalb eines Beamtenverhältnisses abzuleisten (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 39, 334 - 391). Insoweit schränkt die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis in § 10 Abs. 1 Satz 2 JAG die in § 10 Abs. 3 Satz 1 JAG vorgesehene Verweisung auf die in § 33 BeamtStG vorgesehenen Grundpflichten ein („im Übrigen“). Die Grundpflichten gelten daher im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis nicht gleichermaßen. Die Referendarinnen und Referendare werden im Rahmen der Einstellung durch den Präsidenten des Kammergerichts ausdrücklich über die für sie geltenden Grundpflichten belehrt und zugleich darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an Bestrebungen, die sich gegen diese Grundpflichten richten, unvereinbar mit den Anforderungen an Referendarinnen und Referendare im öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis ist. Einen Diensteid (§§ 38 BeamtStG, 48 Landesbeamtengesetz Berlin (LBG Bln)) haben Referendarinnen und Referendare nicht zu leisten (§ 10 Abs. 3 Satz 2 JAG). Aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Lebenssachverhalte und der Notwendigkeit, im jeweiligen Einzelfall grundrechtlichen Rechtspositionen wie Religionsfreiheit , Meinungsäußerungsfreiheit, Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit , Berufsfreiheit, aktive und passive Wahlfreiheit etc. zu berücksichtigen, lassen sich konkrete Verhaltensanforderungen losgelöst vom Einzelfall nicht abstrakt benennen . Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 914 2 3. Ist die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz der Auffassung, dass schwerwiegende Verstöße gegen die Neutralitäts- oder Treuepflicht eine Entlassung aus dem juristischen Vorbereitungsdienst rechtfertigen können (15 II Nr 3 JAG) und wenn ja, unter welchen konkreten Voraussetzungen? Zu 3.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist der Auffassung, dass die Verletzung von Grundpflichten der Referendarinnen und Referendare (vgl. Antworten zu 1. und 2.) in grober Weise (§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 JAG) einen wichtigen Grund für eine Entlassung aus dem Ausbildungsverhältnis darstellen kann (§ 15 Abs. 2 Satz 1 JAG). Die Entlassungsentscheidung stellt eine Ermessensentscheidung dar. Dabei ist zunächst im Wege der Amtsermittlung (§ 24 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i. V. m. § 1 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz Berlin (VwVfG Bln)) der gesamte, für die zu treffende Ermessensentscheidung relevante Sachverhalt fehlerfrei zu ermitteln. Hierbei sind insbesondere alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Referendarin bzw. den Referendar günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 24 Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln). Ferner ist der Referendarin bzw. dem Referendar Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 28 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln). Schließlich ist unter Einstellung – unter anderem – des Ausmaßes der konkreten Verletzungen in zeitlicher, quantitativer und qualitativer Hinsicht, ihrer Folgen, des Vor- und Nachverhaltens der Referendarin bzw. des Referendars, ihrer /seiner sonstigen dienstlichen und außerdienstlichen Führung, ihrer/seiner grundgesetzlichen Schutzpositionen und der Folgen für ihr/sein Berufsleben sowie aller in Betracht kommenden staatlichen Belange eine ermessensfehlerfreie Entscheidung für oder gegen die Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst zu treffen. 4. Ist die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz der Auffassung, dass Verstöße gegen die Neutralitäts - oder Treuepflicht Disziplinarmaßnahmen nach dem Landesdisziplinargesetz begründen können und wenn ja, welche Maßnahmen kommen in Betracht? Zu 4.: Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist der Auffassung, dass Verstöße gegen die Grundpflichten der Referendarinnen und Referendare (vgl. Antworten zu 1. und 2.) das Begehen eines Dienstvergehens darstellen können. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 JAG finden auf das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis im Übrigen die für Beamtinnen und Beamte auf Widerruf geltenden Vorschriften Anwendung. Gemäß § 1 Satz 1 Disziplinargesetz (DiszG) gilt dieses Gesetz für Beamtinnen und Beamte im Sinne des LBG Bln. Indem das Beamtenverhältnis auf Widerruf ein Beamtenverhältnis im Sinne des LBG Bln darstellt (§§ 2, 6 LBG Bln, 4 Abs. 4 BeamtStG), gilt das DiszG in persönlicher Hinsicht auch für Referendarinnen und Referendare. In sachlicher Hinsicht gilt das DiszG für von Beamtinnen und Beamten während ihres Beamtenverhältnisses begangene Dienstvergehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 DiszG). Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Beamt StG). Bei der Einschätzung, ob ein Dienstvergehen vorliegt, ist dem nichtbeamtlichen Charakter des öffentlich -rechtlichen Ausbildungsverhältnisses und den grundrechtlichen Schutzpositionen der Referendarin bzw. des Referendars Rechnung zu tragen. Als Disziplinarmaßnahmen kommen ausschließlich die Erteilung von Verweisen (§ 6 DiszG) und die Auferlegung von Geldbußen (§ 7 DiszG) in Betracht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 DiszG). Hinsichtlich der Entlassung von Referendarinnen und Referendaren aus dem Vorbereitungsdienst stellt § 15 JAG gegenüber §§ 5 Abs. 3 Satz 2 DiszG, 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 BeamtStG eine Spezialvorschrift dar. 5. Ist die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz der Auffassung, dass öffentliche Äußerungen außerhalb der Dienstzeit, mit denen z.B. zur "Säuberung" von andersdenkenden Menschen durch eine Rechtsreferendarin aufgerufen wird (siehe nur: BZ, Bild vom 20.07.2016 auch zu weiteren Äußerungen), eine Verletzung der Neutralitäts- oder Treuepflicht darstellen und wenn ja, welche dienstrechtlichen Konsequenzen folgen daraus? Zu 5.: Die die Grundpflichten der Referendarinnen und Referendare (vgl. Antworten zu 1. und 2.) betreffenden Vorschriften sind im Lichte der Grundrechte, insbesondere auch der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit auszulegen. Meinungsäußerungen von Referendarinnen und Referendaren außerhalb des Dienstes sind grundsätzlich nicht dem Dienstherrn, sondern diesen selbst zuzurechnen . Sie genießen grundsätzlich Grundrechtsschutz (Artikel 5 Abs. 1 GG). Insbesondere können Referendarinnen und Referendare ihre politische Auffassung in Wort und Schrift äußern und vertreten (vgl. entsprechend für den richterlichen Dienst etwa BVerfG, Beschluss vom 30. August 1983 – 2 BvR 1334/82 – NJW 1983, 2691). Der Maßstab zur Prüfung, ob eine politische Meinungsäußerung die Grundpflichten verletzt, ist die Frage, ob sie nach ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstößt und inwieweit die Äußerung geeignet ist, sich auf den Dienstbetrieb auszuwirken. Dies bedarf einer konkreten Prüfung im Einzelfall (vgl. Antwort zu 3.). Hierfür reicht die Würdigung etwa eines Zeitungsartikels oder einer losgelösten Äußerung nicht aus. Auch weitere erläuternde Äußerungen , die geeignet wären, die Annahme eines Missverständnisses oder einer fehlerhaften Übersetzung nahezulegen , wären zu berücksichtigen. Die Frage kann deshalb nicht abstrakt beantwortet werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 914 3 6. Wie viele Rechtsreferendare wurden in den Jahren 2006 bis 2016 wegen grober Pflichtverletzungen aus dem juristischen Vorbereitungsdienst entlassen (bitte aufschlüsseln nach Jahren und Art der Vergehen)? Zu 6.: In den Jahren 2006 bis 2016 wurden keine Referendarinnen oder Referendare wegen grober Pflichtverletzungen aus dem juristischen Vorbereitungsdienst entlassen . 7. Gegen wie viele Rechtsreferendare wurden in den Jahren 2006 bis 2016 wegen Pflichtverletzungen Disziplinarmaßnahmen verhängt (bitte aufschlüsseln nach Jahren, Art der Vergehen sowie Art und Höhe der Disziplinarmaßnahmen )? Zu 7.: In den Jahren 2006 bis 2016 wurden gegen Referendarinnen und Referendare wegen Pflichtverletzungen keine Disziplinarmaßnahmen nach §§ 6, 7 DiszG verhängt . Es wurden folgende sonstige Disziplinarmaßnahmen verhängt: - Kürzung der Bezüge bei unentschuldigtem Fehlbleiben vom Dienst gemäß §§ 9 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG), 10 Abs. 3 Satz 1 JAG, - Attestauflagen bei sich häufenden kurzfristigen Krankmeldungen ohne Attest, obgleich bei Einstellung in den Vorbereitungsdienst erklärt wurde, dass keine Einschränkungen der Gesundheit vorliegen . Die verhängten sonstigen Disziplinarmaßnahmen wurden statistisch nicht erfasst, so dass keine Auskünfte über die Zahl der Disziplinarmaßnahmen und die Art der Pflichtverstöße gegeben werden können. Berlin, den 10. August 2016 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Aug. 2016)