Drucksache 17 / 18 932 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus Lederer und Katrin Lompscher (LINKE) vom 03. August 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. August 2016) und Antwort Nachfragen zur Schriftlichen Anfrage 17/18841 „Keine MietenaktivistInnen in den Mietervertretungen ?“ Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft zum Teil Sachverhalte , die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften um eine Stellungnahme gebeten. Die Beantwortung der entsprechenden Fragen erfolgt auf Basis der Angaben der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Frage 1: Nach Aussage des Senats in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Steffen Zillich „Keine MietenaktivistInnen in den Mietervertretungen?“ (Drs. 17/18841) wurde „Eine Wahlordnung (...) in einem Abstimmungsprozess zwischen den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften , der Berliner MieterInitiative Mietenvolksentscheid e.V. sowie Initiativgruppen Berliner Mieterbeiräte sowie dem Berliner Senat einheitlich als Musterwahlordnung erarbeitet“. Wie gestaltete sich dieser Prozess konkret? Antwort zu 1: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitete einen Entwurf zu einer Mustervereinbarung /Musterwahlordnung. Mit Schreiben vom 20.01.2016 wurden die landeseigenen Wohnungsunternehmen , die Berliner Mieterinitiative Mietenvolksentscheid e.V. und die Initiativgruppe Berliner Mieterbeiräte gebeten, bis zum 08.02.2016 eine Stellungnahme zu dem Entwurf einer Mustervereinbarung/ Musterwahlordnung zu verfassen. Gleichzeitig wurde dem Verband Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) und der Senatsverwaltung für Finanzen die Mustervereinbarung /Musterwahlordnung zur Kenntnis gegeben. Stellungnahmen und Änderungsvorschläge wurden eingereicht vom BBU, federführend für die landeseigenen Wohnungsunternehmen, von der Gewobag sowie von der Initiativgruppe Berliner Mieterbeiräte. Gleichzeitig übermittelte die Gesobau eine Stellungnahme von Pankower Mieterbeiräten aus ihren Wohnungsbeständen. Von der Berliner MieterInitiative Mietenvolksentscheid e.V. erhielt der Senat trotz zwischenzeitiger mündlicher Erinnerung bis zum o.g. Termin keine Antwort. Im weiteren Verfahren wurde die Mustersatzung /Musterwahlordnung durch Beschlussfassung in den Aufsichtsräten der Wohnungsbaugesellschaften zur verbindlichen Arbeitsgrundlage für die zeitnahe Wahl der Unternehmensmieterräte bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen . Die Berliner Mieterinitiative Mietenvolksentscheid e.V. hat erst mit E-Mail vom 10.03.2016 drei Änderungsvorschläge zur Mustersatzung für die Unternehmens-Mieterräte sowie einen Vorschlag zur Änderung der Musterwahlordnung übermittelt. Diese Änderungen wurden nicht nur inhaltlich, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des ggf. zu vertretenden Zeitablaufs und -verzögerung geprüft: Die Bewertung führte dazu, dass ein Verschieben des Wahlprozesses nicht gerechtfertigt ist. Die Konsequenz wäre ein erneuter Abstimmungsprozess mit allen am bisherigen Verfahren Beteiligten und hätte damit eine deutliche zeitliche Verzögerung des gewollten Mitbestimmungsprozesses der Mieterschaft zur Folge gehabt. Zu § 4 Abs. 3 der Musterwahlordnung, die sich mit der Prüfung der zur Wahl anstehenden Kandidaten durch die Wahlkommissionen befasst, wurde im Übrigen kein Änderungsbedarf seitens der Mieterinitiative Mietervolksentscheid e.V. gemeldet. Frage 2: Hat der Senat die Wahlordnung vor deren Beschluss durch die Aufsichtsräte der städtischen Wohnungsbaugesellschaften juristisch geprüft? Antwort zu 2: Der Senat hat mit juristischer Sachkenntnis den Entwurf der Musterwahlordnung erstellt. Nach Artikel 2 § 6 Absatz 4 Wohnraumversorgungsgesetz Berlin (WoVG Bln) erlassen die Aufsichtsräte der landeseigenen Wohnungsunternehmen die Wahlordnung. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 932 2 Frage 3: Wie interpretiert der Senat die in der Musterwahlordnung verwandte Formulierung für einen Ausschlussgrund , diese Mieter "gefährdeten den Frieden", und hält er diese Formulierung für rechtssicher? Antwort zu 3: Gemeint ist der innere Frieden innerhalb der Mieterschaft und zwischen Mieterschaft und Vermieter. Wenn dieser Frieden gestört ist bzw. ein diskriminierendes Verhalten einzelner Mieterinnen und Mieter gegenüber anderen Mieterinnen und Mietern und gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der landeseigenen Wohnungsunternehmen vorliegt, besteht eine Gefährdung des inneren Friedens. Eine gedeihliche Zusammenarbeit von Mieterinnen und Mietern und Wohnungsunternehmen zum Wohle beider ist unter einer solchen Voraussetzung nicht denkbar. Frage 4: Wie bewertet der Senat § 2 Absatz 1 der Wahlordnung, nach dem die Wahlkommissionen „gebildet “ werden und wie wird dabei verhindert, dass die Wohnungsunternehmen einseitig Einfluss nehmen oder bereits Ausschlüsse vornehmen und somit nur bedingt neutrale Wahlkommissionen entstehen? Antwort zu 4: Um Wahlen durchführen zu können, bedarf es einer Wahlkommission. Die Wahlkommission besteht aus Mieterinnen und Mietern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des landeseigenen Wohnungsunternehmens . Die Unternehmen entsenden zwei Mitarbeiter in die Wahlkommissionen. Die Mieterinnen und Mieter wurden über offene Aufrufe mit anschließendem Losverfahren ermittelt. In allen Wahlkommissionen sind die Mieterinnen und Mieter in der deutlichen Mehrheit. Beschlüsse werden mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Frage 5: Auf welcher rechtlichen Grundlage und mit welcher inhaltlichen Begründung wurden 108 Bewerber /innen zu den Mieterratswahlen bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften ausgeschlossen und wie wurde der Ausschluss nachvollziehbar dokumentiert? Frage 6: In wie vielen Fällen der 108 Ablehnungen wurde als Ausschlussgrund "Verstoß gegen das friedliche Zusammenleben" herangezogen, wie wurde der "Verstoß gegen das friedliche Zusammenleben" jeweils konkret begründet und welche Unterlagen kamen dabei zum Einsatz ? Frage 7: Hält es der Senat für ausreichend, dass bei der Ablehnung lediglich der Verweis auf § 3 Absatz 3 der Wahlordnung erfolgt, ohne einen konkreten Grund zu nennen? Antwort zu 5, 6 und 7: Insgesamt haben sich 1.742 Bewerberinnen und Bewerber für die Mieterratswahlen beworben. Auf der Grundlage von § 3 (Wahlberechtigung und Wählbarkeit) der Wahlordnung zur Bildung von Mieterräten bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins haben die Wahlkommissionen 108 Bewerberinnen und Bewerber ausgeschlossen. Gründe für den Ausschluss: schwer wiegende Verstöße gegen das friedliche Miteinander (12); mietvertragliche Pflichtverletzung (51); beschränkte Geschäftsfähigkeit (14); Mietvertragsdauer (9); keine/kein Hauptmieterin oder Hauptmieter (8); kein Mietverhältnis (1); schwere Verstöße gegen die Hausordnung (1); formale Gründe wegen Unvollständigkeit der Kandidatenbogen (12). Die Begriffe „Wahlberechtigt und wählbar“ sind in der Musterwahlordnung in § 3 definiert: „1. Wahlberechtigt und wählbar sind natürliche Personen , die Hauptmieterinnen oder Hauptmieter von Wohnungen im Eigenbestand des landeseigenen Wohnungsunternehmens in Berlin sind, die am Stichtag des Wahlaufrufs das 18. Lebensjahr vollendet haben und unbeschränkt geschäftsfähig sind. Der Mietbeginn muss mindestens sechs Monate vor dem Stichtag des Wahltermins liegen und das Mietverhältnis darf zu diesem Stichtag nicht gekündigt sein (ausgenommen gleichzeitige Neuanmietung einer Wohnung im gleichen Wahlbezirk desselben landeseigenen Wohnungsunternehmens ). Ein entsprechendes Wählerverzeichnis wird vom landeseigenen Wohnungsunternehmen geführt . Mieter, die zugleich Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des entsprechenden landeseigenen Wohnungsunternehmens sind, können nicht zum Mitglied des Mieterrates gewählt werden. Bewerberinnen und Bewerber für den Mieterrat müssen gesellschaftliche Funktionen sowie wirtschaftliche und persönliche Interessenkonflikte offenlegen . 2. Für jede Wohnung kann nur, unabhängig von der Anzahl der mietvertragsgemäßen Bewohner, eine Stimme abgegeben werden. Werden mehrere Stimmen für eine Wohnung abgegeben, sind diese insgesamt ungültig. 3. Die Wahlkommission wird durch Beschluss Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum Mieterrat ablehnen, sofern in der Person schwerwiegende Verstöße gegen das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung oder nachhaltige Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten vorliegen . Die Prüfung erfolgt aus Gründen des Datenschutzes ausschließlich durch das landeseigene Wohnungsunternehmen.“ Frage 8: Hält der Senat Wahlen, bei denen Kandidatinnen und Kandidaten auf diese Weise von vornherein ausgeschlossen werden, für demokratisch? Frage 9: Teilt der Senat die Begründungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die zum Ausschluss von Kandidatinnen und Kandidaten geführt haben? Wenn nein: Was tut der Senat dafür, dass diese Ausschlüsse zurückgenommen werden? Antwort zu 8 und 9: Eine Entscheidung über die Zulassung zur Wahl treffen ausschließlich die Wahlkommissionen . Die unabhängig arbeitenden Wahlkommissionen bestehen in der Mehrheit aus ehrenamtlichen Mieterinnen Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 932 3 und Mietern sowie ergänzend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des landeseigenen Wohnungsunternehmens. Die Mitgliedschaft in der Wahlkommission stand bis zur konstituierenden Sitzung der Kommission allen Mieterinnen und Mietern offen. Eine Bewertung der Entscheidungen der unabhängigen Wahlkommissionen der städtischen Wohnungsunternehmen zur Einrichtung von Mieterräten steht dem Senat nicht zu. Die Wahlkommissionen entscheiden souverän auf der Grundlage der Wahlordnungen. Frage 10: Weshalb ist keine Rechtsmittelbelehrung o.ä. erfolgt, wie abgelehnte Kandidatinnen und Kandidaten gegen die Ablehnung Einspruch erheben bzw. Rechtsmittel einlegen können? Antwort zu 10: Mit dem Artikel 2 § 6 WoVg Bln sind die Aufsichtsräte ermächtigt worden, eine Wahlordnung zu erlassen. Diese Musterwahlordnung und die von den Aufsichtsräten beschlossene Wahlordnung sehen keine Verpflichtung für eine Rechtsmittelbelehrung vor. Eine solche Verpflichtung wäre auch bei diesen Entscheidungen der Wahlkommissionen, die dem Zivilrecht unterliegen , ungewöhnlich. Frage 11: Wie viele Einsprüche gegen den Ausschluss von der Wahl des Mieterrates sind bei den Wohnungsbaugesellschaften eingegangen und in welchen Fristen sowie auf welcher Grundlage werden diese entschieden? Frage 12: Welche Konsequenzen haben nicht abschließend entschiedene Einsprüche bzw. Klagen für die Durchführung und Rechtmäßigkeit der Wahlen? Antwort zu 11 und 12: Der gesamte Prozess der Wahl wurde auf der Grundlage der Wahlordnung entschieden. Alle Einsprüche wurden den Wahlkommissionen vorgelegt und von diesen auch geprüft. Von 14 eingegangenen Einsprüchen haben die Wahlkommissionen 9 Einsprüche abgeholfen. Die Wahlen finden aktuell statt. Frage 13: Trifft es zu, dass bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften Informationen über einzelne Mieterinnen und Mieter gesammelt und Akten darüber geführt werden, die bei der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten für den Mieterrat zu Rate gezogen worden sind? Antwort zu 13: Nein, Wohnungsunternehmen führen Akten über das jeweilige Wohnungsmietverhältnis. Frage 14: Wie gedenkt der Senat sicherzustellen, dass die Vorschriften der Musterwahlordnung nicht dazu führen , dass aktive Mieterinnen und Mieter als Kandidatinnen und Kandidaten für Mieterräte abgelehnt werden? Antwort zu 14: Die Musterwahlordnung kann nicht dazu führen, dass aktive Mieterinnen und Mieter als Kandidatinnen und Kandidaten grundlos für Mieterräte abgelehnt werden. Ungeachtet dessen ist eine Evaluierung der ersten Wahl für Mieterräte von Seiten des Senats vorgesehen . Frage 15: Wie begründet der Senat die in § 4 der Musterwahlordnung enthaltenen Hürden für das Zustandekommen der Wahlen für die Mieterräte (Quorum von 5 Prozent der Wahlberechtigten sowie gültige Wahl eines Mieterrates in mehr als der Hälfte der Wahlbezirke)? Antwort zu 15: Beide Kriterien sollen die demokratische Legitimation der Mieterräte stärken. Frage 16: In welchem Zeitraum ist unter diesen Rahmenbedingungen eine Wahlwiederholung vorgesehen und wie gedenken Senat und Wohnungsbaugesellschaften das zügige und rechtmäßige Zustandekommen der Mieterräte aktiv zu befördern? Antwort zu 16: Eine Wahlwiederholung ist nicht vorgesehen . Ein unrechtmäßiges Zustandekommen der Mieterräte ist nicht erkennbar. Bei der bereits abgeschlossenen Wahl des Mieterrates der Howoge haben sich 9.411 Haushalte beteiligt. Die Wahlbeteiligung liegt damit bei fast 20 %. Berlin, den 18. August 2016 In Vertretung Prof. Dr.- Ing. Engelbert Lütke Daldrup ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Aug. 2016)