Drucksache 17 / 18 973 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (GRÜNE) vom 11. August 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. August 2016) und Antwort Share-Deals in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Laut Medienberichten sind rund 20% aller Immobilienkäufe in Berlin Share Deals. Welche Kenntnisse hat der Senat über den Umfang von Share Deals in Berlin? Wie hoch sind die Einnahmen, die Berlin dadurch in den letzten 10 Jahren entgangen sind? (Bitte einzeln pro Jahr aufschlüsseln) Zu 1.: Sogenannte „Share Deals“, die Übertragungen von Anteilen und Anteilsvereinigungen an grundstückshaltenden Gesellschaften von mindestens 95 Prozent in einer Hand betreffen, sind grunderwerbsteuerpflichtig. Share Deals unterhalb dieser Grenze sind nicht anzeigepflichtig . Der Senat hat daher über die Höhe des Anteils dieser Share Deals keine Erkenntnisse. Der Erwerb von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften unterhalb der Quote von 95 Prozent ist nicht zu versteuern. Mangels Rechtsträgerwechsels am Grundstück sind derartige Share Deals keine Erwerbsvorgänge im Sinne des Grunderwerbsteuergesetzes . Da weder die Gesamtmenge dieser Share Deals noch die Bemessungsgrundlage ermittelt werden können, liegen dem Senat zur Höhe einer rein hypothetisch entgangenen Grunderwerbsteuer keine Erkenntnisse vor. 2. Wie haben sich in den vergangenen fünfzehn Jahren die Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer inflationsbereinigt entwickelt und welche Schlüsse sind im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Share Deals daraus zu ziehen? Zu 2.: Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer betrugen 2001 in Berlin 246,8 Mio. Euro. In den Jahren 2006 und 2007 erfolgte auch begünstigt durch unmittelbare Käufe vor Abschaffung der Eigenheimzulage zum 01. Januar 2006 und vor der angekündigten Erhöhung der Grunderwerbsteuer auf 4,5% zum 01. Januar 2007 ein deutlicher Anstieg des Aufkommens von 256,6 Mio. Euro (2005) auf 485,2 Mio. € (2006) bzw. auf 660,0 Mio. Euro (2007). In 2008 verringerten sich die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer auf 500,6 Mio. Euro und erreichten in 2009 einen zwischenzeitlichen Tiefstand von 304,5 Mio. Euro. Seither sind die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer in Berlin kontinuierlich angestiegen und haben sich in 2015 im Vergleich zu 2009 mit 960,0 Mio. Euro mehr als verdreifacht. Die Einnahmen im ersten Halbjahr 2016 betragen 604,3 Mio. Euro und lassen ein Jahresaufkommen von deutlich mehr als 1 Mrd. Euro erwarten. Schlüsse in Bezug auf ein verändertes Kaufverhalten in Richtung Share Deals können im Zusammenhang mit dem Aufkommen nicht gezogen werden. 3. Sind durch die Erhöhung auf fünf Prozent (2012) und sechs Prozent (2014) Effekte bei den Grundsteuereinnahmen zu beobachten, die Rückschlüsse auf eine Veränderung des Kaufverhaltens in Richtung Share-Deals zulassen? Wenn ja, welche? Zu 3.: Effekte, die Rückschlüsse auf eine Veränderung des Kaufverhaltens in Richtung Share Deals zulassen sind durch die Erhöhungen der Steuer auf fünf Prozent und auf sechs Prozent nicht zu beobachten. 4. In welchen Fällen waren das Land Berlin oder landeseigene Gesellschaften in den vergangenen zehn Jahren als Verkäufer/Käufer bei Share-Deals beteiligt? Welche Steuermindereinnahmen sind im Vergleich zu grundsteuerpflichtigen Verkäufen dabei zu verzeichnen? (bitte einzeln aufschlüsseln) 5. In welchen Fällen handelte es sich um Wohneigentum , das sich in städtischem Besitz befand? (bitte einzeln aufschlüsseln) Zu 4 und 5.: Die Fragen betreffen Sachverhalte, die der Senat zum Teil nicht aus eigener Kompetenz beantworten kann. Um Ihnen gleichwohl eine Antwort zukommen zu lassen, wurden die städtischen Wohnungsbaugesellschaften um Auskunft ersucht, auf der die nachstehenden Ausführungen beruhen: Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 973 2 degewo: Am 15. Dezember 2011 haben die degewo AG, die GESOBAU AG und die GEDE Grundstücksbeteiligungs GmbH & Co. KG sämtliche Geschäftsanteile an der Corpus Sireo Residential No. 31 GmbH (CSIR 31) inkl. der Corpus Sireo Wohnen Service GmbH (CSWS) und der Corpus Sireo Residential No. 33 GmbH (CSIR 33) von der Unternehmensgruppe Corpus Sireo erworben. Bei einem Asset Deal wären in etwa Grunderwerbsteuern in Höhe von insgesamt ca. 15,5 Mio. Euro angefallen. Die Unternehmensgruppe CORPUS SIREO hatte die Bestandshaltende Gesellschaft im Oktober 2005 von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG AöR) erworben. Ein weiterer Share Deal wurde von degewo gemeinsam mit der WBM (Wohnungsbaugesellschaft Berlin- Mitte) abgeschlossen. Im Jahr 2016 wurde so die "Mertensstraße 16 GmbH" erworben. Grunderwerbsteuer hätte in Höhe von insgesamt ca. 8,3 Mio. Euro anfallen können. GESOBAU: Im 1. Halbjahr 2015 erfolgten Ankäufe von rd. 82 % der Geschäftsanteile des KapHag Fonds 49 "Wohnen in Berlin-Karow" AG & Co. KG von Einzelgesellschaftern. Am 03. Juni 2015 erfolgte schließlich der Abschluss eines Kaufvertrages über die Fondsimmobilie zwischen der Fondsgesellschaft und der GESOBAU AG. Die Fondsimmobilie wird zum 01. Januar 2017 dem Eigenbestand der GESOBAU AG zugehen. Auf Basis des Kaufvertrages für die Fondsimmobilie wird Grunderwerbsteuer veranlagt. Zum Erwerb von Geschäftsanteilen wird auf die Darstellung unter der degewo verwiesen. Verkäufe von Gesellschaften mit Grundbesitz durch die GESOBAU AG haben in den vergangenen 10 Jahren nicht stattgefunden. GEWOBAG: Die Share Deals, an welchen die Gewobag sowie Gewobag WB als Käuferin/Verkäuferin in den letzten 10 Jahren beteiligt waren, sind der als Anlage 1 angehängten Tabelle zu entnehmen. Hinsichtlich einer eventuellen Grunderwerbsteuerersparnis können derzeit keine exakten Angaben getätigt werden, da bis auf den Erwerb der Gratus Immobilienservice GmbH alle Erwerbe bei Überschreiten der 95%- Grenze Grunderwerbsteuer auslösen werden, die Höhe jedoch erst zum jeweiligen Zeitpunkt festgestellt wird. Es ist in allen Fällen der Erwerb von 100% und anschließende Anwachsung geplant. Der Erwerb der Gratus Immobilienservice GmbH war nicht grunderwerbsteuerpflichtig, da die Gesellschaft keinen eigenen Grundbesitz hält. Bei keinem der Erwerbe handelte es sich um vormals städtisches Wohneigentum oder sonstige städtische Immobilien , sondern um Objekte im Eigentum von Fondsgesellschaften bzw. im Eigentum von Privatpersonen. HOWOGE: Die HOWOGE hat zum Jahreswechsel 2014/2015 ihre Tochtergesellschaft GRATUS an die GEWOBAG verkauft . Hier handelte es sich um das Fremdverwaltungsgeschäft . Wohneigentum ist damit nicht verkauft worden. Weitere Share Deals der HOWOGE haben in den letzten 10 Jahren nicht stattgefunden. STADT und LAND: Die STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH hat die SWG GmbH (jetzt SUL Johannisthal GmbH) erworben. Bei diesem Ankauf handelte es sich um einen Share-Deal. Da die STADT UND LAND dabei 100% der Gesellschaftsanteile erworben hat, handelt es sich um ein grunderwerbsteuerpflichtiges Geschäft. Es handelt sich hierbei nicht um aufgeteiltes Wohneigentum. Die Bestände der ehem. SWG GmbH befanden sich in der Vergangenheit in kommunalem Eigentum. In den Tochtergesellschaften wurden keine An- oder Verkäufe als Share Deal durchgeführt. WBM: Die Share Deals, an welchen die WBM in den letzten 10 Jahren beteiligt war, sind der als Anlage 2 angehängten Tabelle zu entnehmen. Die Auswahl wurde dabei auf die Share Deals beschränkt, bei denen die Zielgesellschaften Immobilienbestand aufwiesen und externe Dritte beteiligt waren.“ 6. Teilt der Senat die Auffassung, dass Share Deals ein reines Instrument zur Steuervermeidung darstellt und dieses Schlupfloch geschlossen werden sollte? Wenn ja, welche Initiativen hat der Senat dahingehend unternommen oder welche Maßnahmen plant der Senat? Wenn nein, warum nicht? Zu 6.: Unter dem Begriff Share Deal versteht man im Allgemeinen einen Rechtskauf von Geschäftsanteilen an juristischen Personen (z.B. Aktien, GmbH-Anteile) oder von Gesellschaftsanteilen an einer Personengesellschaft. Hierdurch wird der Erwerber Anteilseigner und erhält die mit der Beteiligung verbundenen Rechte und Pflichten. Daher können nicht sämtliche Erwerbe von Unternehmensbeteiligungen als reines Instrument der Steuervermeidung bei der Grunderwerbsteuer charakterisiert werden , insbesondere nicht Anteilserwerbe an Unternehmen, bei denen die Zugehörigkeit von Grundstücken im Betriebsvermögen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Während der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person oder eine Personengesellschaft grundsätzlich der Grunderwerbsteuer unterliegt, werden Share Deals (nur) im Zusammenhang mit fiktiven Rechtsträgerwechseln über die Anteilsvereinigung, die Übertragung vereinigter Anteile und über den Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft besteuert. Eine weitergehende Besteuerung von Share Deals bei der Grunderwerbsteuer ist nach der derzeitigen Systematik des Grunderwerbsteuergesetzes nicht möglich. Um sämtliche Übertragungen von Gesellschaftsanteilen grunderwerbsteuerpflichtig zu machen, müsste das gesamte Grunderwerbsteuerrecht grundlegend geändert werden. Die Aus- Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 973 3 richtung der Steuer auf Grundstückswechsel zwischen verschiedenen Rechtsträgern könnte in der jetzigen Form nicht beibehalten werden. Eine solche Reform, die im Ergebnis darin läge, die Grunderwerbsteuer (auch) als Kapitalverkehrsteuer zu etablieren, wirft ambitionierte verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragestellungen auf. Dessen ungeachtet und auch jenseits der konkreten Fragestellung teilt der Senat die Kritik an Instrumenten zur Steuervermeidung. Berlin, den 26. August 2016 In Vertretung Dr. Margaretha Sudhof Senatsverwaltung für Finanzen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Aug. 2016) Share Deals des Gewobag-Konzerns in den letzten 10 Jahren Stichtag: 22.08.2016 Datum (bei Erstübernahme) Anteil insg. 08/2016 GrESt- Pflicht Bemerkung WIR-Fonds 1 Grundstücksgesellschaft "Siegener Straße" GbR Gewobag WB 65,95% 95,38% ja GrESt eingeplant & angemeldet* WIR-Fonds 2 Grundstücksgesellschaft "Wittestraße" GbR Gewobag WB 80,32% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 3 Grundstücksgesellschaft "Gerlinger Straße" GbR Gewobag WB 66,13% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 4 Grundstücksgesellschaft "Nauener Straße" GbR Gewobag WB 0,47% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 5 Grundstücksgesellschaft "Bergener Straße" GbR Gewobag WB 94,70% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 6 Grundstücksgesellschaft "Rodenbergstraße/Greifenhagener Straße" GbR Gewobag WB 0,31% 0,00% ja verkauft; GrESt auf Käuferseite WIR-Fonds 7 Grundstücksgesellschaft "Falkenseer Chaussee" GbR Gewobag WB 83,19% 98,05% ja GrESt eingeplant & angemeldet* WIR-Fonds 8 Grundstücksgesellschaft "Schönhauser Allee 181" GbR Gewobag WB 72,47% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 9 Grundstücksgesellschaft "Nelly-Sachs-Park" GbR Gewobag WB 67,62% 99,78% ja GrESt eingeplant & angemeldet* WIR-Fonds 10 Grundstücksgesellschaft "Pappelallee" GbR Gewobag WB 1,07% 100,00% ja GrESt gezahlt; Anwachsung auf WB WIR-Fonds 11 Grundstücksgesellschaft "Ostseestraße" GbR Gewobag WB 4,89% 98,59% ja GrESt eingeplant & angemeldet* KG-Fonds Frobenstraße 22 GmbH & Co. KG Gewobag WB 0,00% 01.04.2015 96,70% ja GrESt eingeplant & angemeldet* KG-Fonds Alvenslebenstraße 6 GmbH & Co. KG Gewobag WB 0,00% 01.04.2015 99,50% ja GrESt eingeplant & angemeldet* KG-Fonds Mackensenstraße 5 GmbH & Co. KG Gewobag WB 0,00% 01.04.2015 99,90% ja GrESt eingeplant & angemeldet* KG-Fonds Prinz-Eugen-Straße 20 GmbH & Co. KG Gewobag 0,00% 01.09.2015 88,00% ja GrESt ist erst bei Überschreiten der 95% fällig, für spätere Jahre eingeplant Gewobag KA GmbH & Co. KG (vormals Grundstücksgesellschaft Köpenicker Allee… UG) Gewobag 0,00% 01.07.2016 94,70% ja GrESt ist erst bei Überschreiten der 95% fällig, für spätere Jahre eingeplant GRATUS Immobilienservice GmbH Gewobag 0,00% 01.01.2015 100,00% nein Verschmelzung auf Gewobag VB 2015 erfolgt * Aufgrund neuer Bewertungsmethodik (bisher: steuerlicher Bedarfswert) wurden noch keine Bescheide festgesetzt. Anteilsübernahme innerhalb der 10 Jahre Gesellschaft anteilshaltende Gesellschaft Anteil vor 10 Jahren Anlage 1 zu den Fragen 4 und 5 auf die Schriftliche Anfrage Drs. 17/18973 vom 11. August 2016 über Share-Deals in Berlin Transaktion Transaktionsart Jahr Grunderwerbsteuerersparnis Bemerkungen Berlin-Anlagen-Agentur Bassmann GmbH & Co. Erste Beteiligungs KG Kauf 2011 0,00 € Beendigung einer sale-and-lease-back-Konstruktion, kommunaler Immobilienbestand; Kauf von 93,75% der Gesellschaftsanteile und anschließende Anwachsung SUSIK Grundstücks-Vermietungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Handelszentrum KG Anwachsung nach Austritt der Komplementärin (externer Investor) 2011 € 1,1 Mio. Beendigung einer sale-and-lease-back-Konstruktion, kommunaler Immobilienbestand JALEA Grundstücks-Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG Anwachsung nach Austritt der Komplementärin (externer Investor) 2012 € 4,3 Mio. Beendigung einer sale-and-lease-back-Konstruktion, kommunaler Immobilienbestand MAVIS Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG Anwachsung nach Austritt der Komplementärin (externer Investor) 2013 € 14,2 Mio. Beendigung einer sale-and-lease-back-Konstruktion, kommunaler Immobilienbestand Mertensstraße 16 GmbH Kauf 2016 € 4,15 Mio.* *anteilig für WBM, GrESt.-Ersparnis insgesamt € 8,3 Mio. ; WBM und degewo erwarben jeweils 47,45% Anteile an einer Projektgesellschaft; Wohnungsneubau von 1.024 Wohnungen Anlage 2 zu den Fragen 4 und 5 auf die Schriftliche Anfrage Drs. 17/18973 vom 11. August 2016 über Share-Deals in Berlin S17-18973 02_Anlage 1-S17-18973-AE-16-08-25 03_Anlage 2-S17-18973-AE-16-08-25