Drucksache 17 / 18 999 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (LINKE) vom 18. August 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. August 2016) und Antwort Sachmittelgutscheine in den Berliner Jobcentern Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft teilweise Sachverhalte , die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl um eine sachgerechte Antwort bemüht und hat daher die zuständige Regionaldirektion Berlin-Brandenburg (RDBB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) um Stellungnahme gebeten , die bei der nachfolgenden Beantwortung berücksichtigt ist. 1. In welchen Fällen und auf welcher Rechtsgrundlage werden in den Berliner Jobcentern Regelleistungen in Form von Sachleistungen (Sachmittelgutscheinen) anstelle von Geldleistungen ausgegeben? Zu 1.: Die Erbringung von Sachleistungen in Form von Sachmittelgutscheinen anstelle von Geldleistungen erfolgt nach den Vorschriften des § 24 Absatz 1 und 2 SGB II sowie nach § 31a Absatz 3 SGB II. Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt der Träger der Grundsicherung den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt ein entsprechendes Darlehen nach den Vorschriften des § 24 SGB II. Sofern sich der bzw. die Leistungsberechtige, insbesondere bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, aber auch in Folge unwirtschaftlichen Verhaltens, als ungeeignet erweist, den Regelbedarf zu decken, kann dieser Bedarf anteilig oder in voller Höhe als Sachleistung und in Folge dessen, als Sachmittelgutschein erbracht werden. In Folge der Minderung des Arbeitslosengeldes II nach den Vorschriften der §§ 31, 32 SGB II um mehr als 30 v.H. der maßgeblichen Regelleistung, erbringt der Träger der Grundsicherung auf Antrag Sachleistungen, insbesondere in Form von Sachmittelgutscheinen. 2. Wie viele Sachmittelgutscheine sind von den Berliner Jobcentern in den Jahren seit 2014 an Leistungsbezieher *innen ausgegeben worden? (Bitte nach Jahr und Jobcenter aufschlüsseln.) 3. Welcher Gesamtbetrag an Regelleistungen ist durch Berliner Jobcenter in den Jahren seit 2014 in Form von Sachmittelgutscheinen an Leistungsbezieher*innen ausgegeben worden? (Bitte nach Jahr und Jobcenter aufschlüsseln .) Zu 2. und 3.: Es erfolgen keine statistischen Erhebungen zu Sachmittelgutscheinen. Eine statistische Auswertung ist daher nicht möglich. 4. Trifft es zu, dass die Berliner Jobcenter Vorschüsse an Leistungsbezieher*innen bei Mittellosigkeit überwiegend nicht mehr in Form von Geldleistungen, sondern als Sachmittelgutscheine ausgeben? Wenn ja, warum und auf welcher Rechtsgrundlage? Zu 4.: Wegen ihrer Bedarfsdeckungsfunktion werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für jeden Monat der Hilfebedürftigkeit im Voraus erbracht. Mit dem Regelbedarf soll die leistungsberechtigte Person ihren Lebensunterhalt sichern. Daraus folgt, dass die Leistungsberechtigten diese Leistung insbesondere für die Bedarfe des täglichen Lebens einsetzen sollen. Wird dem Träger bekannt, dass die leistungsberechtigte Person den Regelbedarf anderweitig verwendet und somit ihren Lebensunterhalt und ggf. auch den der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gefährdet, kann der Träger den Regelbedarf ganz oder teilweise als Sachleistung erbringen. Eine nicht zweckgemäße Verwendung liegt insbesondere dann vor, wenn der Regelbedarf überwiegend zur Befriedigung von Drogen- oder Alkoholsucht genutzt wird oder durch unwirtschaftliches Verhalten vorzeitig verbraucht wird (§ 24 Abs. 2 SGB II). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 18 999 2 In laufenden Leistungsfällen kann gemäß § 42 Absatz 2 SGB II im Ausnahmefall Arbeitslosengeld II/Sozialgeld , das im nächsten Monat fällig ist, teilweise vorzeitig geleistet werden, wenn die Leistungsbezieherin/der Leistungsbezieher dies beantragt. Die vorzeitige Leistungserbringung bedarf einer Ermessensentscheidung und ist auf 100,00 EUR je Person begrenzt. Die vorfällige Zahlung kann auch ganz oder teilweise abgelehnt werden. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist auch über die Form der vorzeitigen Leistungserbringung zu entscheiden. Im Regelfall soll die Auszahlung zusätzlicher Leistungen als Geldleistung erfolgen. Bei häufigeren Vorsprachen können jedoch auch Lebensmittelgutscheine ausgehändigt werden. 5. Wie bewertet der Senat diese Praxis der Berliner Jobcenter, Regelleistungen zunehmend in Form von Sachmittelgutscheinen anstelle von Geldleistungen an die Leistungsbezieher*innen auszugeben, vor dem Hintergrund des tendenziell diskriminierenden Charakters von Sachleistungen und des Vorrangs von Geldleistungen im Sozialgesetzbuch (SGB) II? 6. Wird der Senat sich dafür einsetzen, die Praxis der Berliner Jobcenter, Sachmittelgutscheine anstelle von Geldleistungen auszugeben, zu beenden? Wenn nein, warum nicht? 8. Wie bewertet der Senat die Bevormundung von Leistungsbezieher*innen und deren Einschränkung in ihrem Konsumverhalten durch die zunehmende Ausgabe von Sachmittelgutscheinen anstelle von Geldleistungen durch die Berliner Jobcenter? Zu 5., 6. und 8.: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind grundsätzlich als Geldleistung zu erbringen (§ 4 Abs.1 SGB II i. V. m. § 1 Abs.1 SGB II). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Form von Sachleistungen sind nur dort zulässig, wo es gesetzlich ausdrücklich bestimmt ist, z.B. bei der abweichenden Erbringung von Leistungen nach § 24 SGB II und im Zusammenhang mit Sanktionen nach § 31a Abs. 3 SGB II. Mit dem Regelbedarf soll die leistungsberechtigte Person ihren Lebensunterhalt sichern. Daraus folgt, dass die Leistungsberechtigten diese Leistung insbesondere für die Bedarfe des täglichen Lebens einsetzen sollen. Wird dem Träger bekannt, dass die leistungsberechtigte Person den Regelbedarf anderweitig verwendet und somit ihren Lebensunterhalt und ggf. auch den der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gefährdet, kann der Träger den Regelbedarf ganz oder teilweise als Sachleistung erbringen . Der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet im Wege pflichtgemäßen Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) darüber, ob die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Einzelfall als Sachleistung zu erbringen sind. Er hat den Leistungsberechtigten vor seiner Entscheidung hierzu anzuhören (§ 24 SGB X). Dem Senat liegen keine Erkenntnisse vor, dass die Berliner Jobcenter unzulässig und unangemessen Sachleistungen vorrangig gegenüber Barleistungen gewähren. Leistungen in Form von Sachmitteln dienen im konkreten Einzelfall der Sicherstellung des Grundsicherungsbedarfes und somit dem eigentlichen Zweck der Leistung. Der Senat sieht eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung in diesem Zusammenhang weder als diskriminierend noch bevormundend an. 7. Bei welchen Handelspartner*innen können Leistungsbezieher *innen die Sachmittelgutscheine der Berliner Jobcenter einlösen? Zu 7.: Grundsätzlich können die Gutscheine bei allen großen Handelspartnern eingelöst werden. 9. Welches Gutscheinverfahren (System, Anbieter etc.) kommt in den Berliner Jobcentern jeweils zum Einsatz ? (Bitte nach Jobcenter aufschlüsseln.) 10. In welcher Höhe entstehen den Berliner Jobcentern jeweils zusätzliche Kosten durch das Gutscheinsystem ? Zu 9. und 10.: Das Gutscheinverfahren wird in dezentraler Verantwortung durch die Jobcenter umgesetzt. Eine berlinweite Auswertung in der gewünschten Form liegt dem Senat und der RDBB nicht vor. Berlin, den 01. September 2016 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Sep. 2016)