Drucksache 17 / 19 046 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 31. August 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. September 2016) und Antwort Großeinsatz und nichts dahinter – Schlappe von Innen- und Justizsenator im „Artemis“ Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse lagen im Vorfeld der am 13. April 2016 im Bordell „Artemis“ durchgeführten Razzia vor, die auf den damals in die Öffentlichkeit getragenen angeblichen Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität und Zwangsprostitution hinweisen? 2. Von wem bzw. welcher Behörde stammen diese vermeintlichen Erkenntnisse? Zu 1. und 2.: Aus einem Ermittlungsverfahren, welches wegen schweren Menschenhandels und Zuhälterei bei einer Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin geführt wird, die sich mit Organisierter Kriminalität befasst, ergaben sich entsprechende Verdachtsmomente. Um die weiteren Ermittlungen in dem noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem bordellartigen Betrieb „Artemis“ nicht zu gefährden, können keine weiteren Angaben gemacht werden. 3. Wie werden diese Erkenntnisse und die darauf basierenden Äußerungen u.a. der Staatsanwaltschaft und der Polizei gegenüber der Öffentlichkeit heute bewertet? Zu 3.: Eine Bewertung bleibt dem Abschluss der Ermittlungen vorbehalten. 4. Von wem bzw. welcher Behörde stammen die von Justizsenator Heilmann geäußerten weiteren vermeintlichen Erkenntnisse bzgl. angeblicher Prostitution Minderjähriger ? 5. Wie werden diese Behauptungen und die darauf basierenden Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit heute bewertet? Zu 4. und 5.: Der Senator für Justiz und Verbraucherschutz hat keine entsprechenden Äußerungen in Bezug auf den bordellartigen Betrieb „Artemis“ getätigt. Die Äußerungen bezogen sich vielmehr auf ein Strafverfahren , welches im Zusammenhang mit einem bordellartigen Betrieb in Berlin-Neukölln geführt wurde und rechtskräftig abgeschlossen ist. Ein Angeklagter wurde am 12. Juni 2015 wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er eine Minderjährige der Prostitution zugeführt hatte. 6. Inwieweit trifft es zu, dass an dem Einsatz rund 900 Beamte, darunter etwa 680 Polizisten sowie Kräfte der Zollinspektion und Steuerfahnder, beteiligt waren und warum wurde diese Razzia mit einem derart hohen Personalaufgebot durchgeführt? Zu 6.: Am Einsatztag waren berlinweit sowie im übrigen Bundesgebiet ungefähr 900 Einsatzkräfte – bestehend aus Polizei, Steuerfahndern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauptzollamtes – in den Einsatz eingebunden . Die Einsatzmaßnahmen umfassten die Vollstreckung von sechs Haftbefehlen sowie von sechzehn Durchsuchungsbeschlüssen. Letztere bezogen sich auf das Großbordell „Artemis“ sowie Firmen und Wohnanschriften in Berlin sowie im übrigen Bundesgebiet. Am Einsatzobjekt „Artemis“ waren insgesamt 531 Einsatzkräfte eingesetzt. Die Maßnahmen dort umfassten die Vollstreckung von Haftbefehlen, die Durchsuchung der Räumlichkeiten sowie die Identitätsfeststellung von insgesamt 232 im „Artemis“ angetroffenen Personen, die Sofortvernehmung von 86 Zeugen direkt vor Ort sowie das Verbringen von 118 weiteren Zeugen vom „Artemis“ zum Hauptzollamt (HZA), die dort von 100 eingesetzten Dienstkräften des HZA sofort vernommen wurden. Bei der Einsatzplanung wurde davon ausgegangen, ca. 300 Personen vor Ort anzutreffen. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 046 2 Der Kräfteeinsatz, der sich in Anbetracht der Anzahl der angetroffenen Personen und der Anzahl der zu durchsuchenden Objekte relativiert, gewährleistete einen reibungslosen Ablauf des Einsatzes. 7. Hat es im Rahmen der Ermittlungen im Zusammenhang mit dem „Artemis“ auch Maßnahmen wie Durch-suchungen, Beschlagnahmungen, Festnahmen o.ä. in anderen Bundesländern gegeben und wenn ja, welche Maßnahmen waren dies, wo und wann haben sie stattgefunden ? Zu 7.: Am Einsatztag und in der Folgezeit wurden an sechs verschiedenen Objekten in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg Durchsuchungsbeschlüsse und sowie ein Haftbefehl in Hessen vollstreckt. 8. Wer hat die Entscheidung über die Größe des Einsatzes und insbesondere über den Personaleinsatz getroffen ? Zu 8.: Die erforderlichen Entscheidungen traf der Polizeiführer des Einsatzes aus dem Landeskriminalamtes (LKA) Berlin auf Grundlage der Bewertung aller vorliegenden Informationen. 9. War die Senatsverwaltung für Inneres und Sport mit der Entscheidung über das Ausmaß des Einsatzes, insbesondere über den Personaleinsatz, befasst und wenn ja, wann und wie? 10. War der Senator für Inneres und Sport persönlich mit der Entscheidung über das Ausmaß des Einsatzes, insbesondere über den Personaleinsatz, befasst und wenn ja, wann und wie? Zu 9. und 10.: Nein. 11. War die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz mit der Entscheidung über das Ausmaß des Einsatzes, insbesondere über den Personaleinsatz, befasst und wenn ja, wann und wie? 12. War der Senator für Justiz und Verbraucherschutz persönlich mit der Entscheidung über das Ausmaß des Einsatzes, insbesondere über den Personaleinsatz, befasst und wenn ja, wann und wie? Zu 11. und 12.: Nein. 13. Haben die für die Planung und die Durchführung des Einsatzes Verantwortlichen vor Durchführung des Einsatzes Rücksprache gehalten mit den Behördenmitarbeitern und Behördenteilen von LKA, Steuerfahndung und Hauptzollamt, die zuvor selbst zahlreiche Kontrollen vor Ort im Artemis durchgeführt hatten und □ wenn ja, wurde seitens der Behördenmitarbeiter und Behördenteile von LKA, Steuerfahndung und Hauptzollamt , die zuvor selbst zahlreiche Kontrollen vor Ort im Artemis durchgeführt hatten, geäußert, dass behördliche Maßnahmen im „Artemis“ Gefahren bergen, denen vor allem durch ein Großaufgebot an Einsatzkräften zu begegnen sein würde? □ wenn nein, mit welcher Begründung wurde auf eine solche Rücksprache verzichtet? Zu 13.: Die räumlichen Gegebenheiten der Örtlichkeit wurden insbesondere mit den Behördenmitarbeiterinnen und Behördenmitarbeitern erörtert, die zuvor selbst Kontrollen im „Artemis“ durchgeführten hatten. Im LKA erfolgte das mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des zuständigen Fachkommissariats. Die Rahmenbedingungen erforderten einen den strafprozessualen Maßnahmen entsprechenden Kräfteeinsatz. Es ging hierbei nicht um gefahrenabwehrende Kontrollmaßnahmen , die die Planung eines regelmäßig geringeren Kräfteansatzes möglich machen. Die Vielzahl der Einsatzkräfte sollte insbesondere den reibungslosen Ablauf der Identitätsfeststellungen und der Sofortvernehmungen von mehreren hundert angetroffenen Personen gewährleisten . Die Erwartungen wurden durch die Anzahl der angetroffenen Personen bestätigt. So konnten von insgesamt 232 angetroffenen Personen 204 sofort als Zeugen vernommen werden. 14. Welche Polizeieinheiten a) der Berliner Polizei und b) von Polizeien des Bundes oder anderer Bundesländer waren mit wie vielen Einsatzkräften am Einsatz im „Artemis“ am 13. April 2016 mit welchen Aufgaben beteiligt und wie viele Einsatzstunden sind insgesamt angefallen? Zu 14.: Am Einsatz im „Artemis“ waren am 13. April 2016 ausschließlich Berliner Polizeidienstkräfte der Direktion Einsatz sowie des LKA beteiligt. Der Einsatz umfasste die äußere Absperrung und Sicherung des Großobjektes „Artemis“, Vollstreckung von Haftbefehlen, Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen, Suche und Sicherung von Beweismitteln, Identitätsfeststellung von 232 angetroffenen Personen, Transport von 118 Zeugen zur Sofortvernehmung zum Hauptzollamt sowie die Vernehmung von weiteren 86 Zeugen direkt vor Ort, Verkehrsmaßnahmen sowie die Einsatzdokumentation. Die Anzahl der Einsatzkräftestunden für den Gesamteinsatz beziffert sich auf 6.146,5 Stunden. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 046 3 15. Hat der Aufwand an Einsatzkräftestunden im Rahmen des Einsatzes zu personellen Engpässen bei der Berliner Polizei in anderen Bereichen geführt und wenn ja, wo genau? Zu 15.: Nein. 16. Welche Kosten hat der Einsatz unter Berücksichtigung der Einsatzkräftestunden insgesamt verursacht (wenn keine genaue Angabe möglich, bitte Näherungswert angeben)? Zu 16.: Ausgaben für Polizeieinsätze sind grundsätzlich durch die im Haushaltsplan von Berlin für die Polizei eingestellten Haushaltsmittel gedeckt und werden deshalb nicht gesondert erhoben. 17. Wie werden diese Aufwendungen vor dem Hintergrund der mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse, beispielsweise durch den Beschluss des Kammergerichtes vom 29. Juli 2016, mit welchem die Vorwürfe der Steuerhinterziehung für haltlos erklärt wurden, beurteilt? 18. Gibt es vor dem Hintergrund der jetzigen Erkenntnisse Überlegungen zu personellen oder anderen Konsequenzen innerhalb der Ermittlungsbehörden? Wenn ja, welche (bitte genau auflisten)? Wenn nein, warum nicht? Zu 17. und 18.: Angesichts der Vielzahl der im Einsatzgeschehen behördenübergreifend zu koordinierenden und durchzuführenden Maßnahmen verlief der Einsatz erfolgreich. Im Übrigen hat das Kammergericht in den Beschlüssen vom angegebenen Tag lediglich einen dringenden Tatverdacht im Zeitpunkt der Entscheidung nach Aktenlage verneint. Die Ermittlungen werden fortgesetzt. Vor dem Hintergrund der jetzigen Erkenntnisse gibt es keine Überlegungen zu personellen oder anderen Konsequenzen innerhalb der Ermittlungsbehörde. 19. War der Senator für Inneres und Sport zu irgendeinem Zeitpunkt der Maßnahmen persönlich vor Ort bzw. im räumlichen Umfeld des „Artemis“ und wenn ja, welche Zwecke verfolgte der Senator für Inneres und Sport mit seiner persönlichen Anwesenheit? 20. Waren Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen der Pressestelle der Senatsverwaltung für Inneres und Sport zu irgendeinem Zeitpunkt der Maßnahmen persönlich vor Ort bzw. im räumlichen Umfeld des „Artemis“? Zu 19. und 20.: Ja. Der Innensenator wurde kurz nach Einsatzbeginn darüber informiert, dass es auf Grundlage richterlicher Durchsuchungsbeschlüsse eine Maßnahme der Staatsanwaltschaft Berlin gibt, an der neben Hauptzollamt und Steuerfahndung auch die Berliner Polizei beteiligt ist. Der Senator befand sich auf einem Empfang der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und hat kurzfristig entschieden , sich auf dem Nachhauseweg ein Bild vor Ort zu machen und eine entsprechende Lageeinweisung vom Polizeisprecher erbeten. Diese etwa zehnminütige Einweisung fand auf einem nahe gelegenen Parkplatz statt. Wenn es zeitlich machbar und einsatztechnisch vertretbar ist, versucht der Senator jede Gelegenheit zu nutzen, sich bei größeren Polizeieinsätzen selbst ein Bild vor Ort zu machen. Der Pressesprecher der Innenverwaltung, der als Terminbegleitung des Senators am o. g. Empfang teilgenommen hat, hat diesen auch zur Lageeinweisung vor Ort begleitet. Diese Informationen wurden so auch dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ mitgeteilt. 21. Waren Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Pressestelle der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz zu irgendeinem Zeitpunkt der Maßnahmen persönlich vor Ort bzw. im räumlichen Umfeld des „Artemis“? Zu 21.: Nein. Berlin, den 12. September 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Sep. 2016)