Drucksache 17 / 19 062 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 06. September 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. September 2016) und Antwort Flüchtlingskinder in Berlin – wie garantiert der Senat das Kindeswohl von Flüchtlingskindern? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Flüchtlingskinder befinden sich derzeit insgesamt in Berlin (Aufschlüsselung nach U18, U14, U6)? 4. a) Wie viele der begleiteten Flüchtlingskinder sind in Gemeinschaftsunterkünften, wie viele in Notunterkünften untergebracht? Zu 1. und 4. a): Statistische Daten liegen nur hinsichtlich der in Aufnahmeeinrichtungen (AE) und Gemeinschaftsunterkünften (GU) sowie Notunterkünften (NU) lebenden Flüchtlingskinder vor. Danach waren zum Stichtag 08.09.2017 Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen wie folgt untergebracht: Unterkunftsart Bis 5 Jahre 6 - 11 Jahre 12 - 15 Jahre 16 - 17 Jahre Gesamt AE 277 275 109 50 711 GU 1.726 1.406 692 283 4.107 NU 2.901 2.483 1.265 604 7.253 Gesamt 4.904 4.164 2.066 937 12.071 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) werden nicht in Einrichtungen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) untergebracht. 2. Wie viele von Ihnen sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge? Zu 2.: Derzeit befinden sich darüber hinaus 2.803 UMF in Berlin. 3. Wie viele der UMF befinden sich derzeit in Obhut des Berliner Landesjugendamts/SenBJW und wie viele in Obhut eines bezirklichen Jugendamtes? Zu 3.: In der Obhut des Berliner Landesjugendamtes bzw. der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (SenBildJugWiss) befinden sich zurzeit 1.032 UMF, in der Obhut der bezirklichen Jugendämter 1.771 unbegleitete ausländische Minderjährige. 4. b) Wie viele der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sind in der Clearingstelle, wie viele bei zugelassenen Trägern und wie viele in temporären Unterkünften untergebracht? Zu 4. b): Derzeit sind 180 UMF in Clearingeinrichtungen untergebracht sowie ca. 850 in temporären Einrichtungen , in denen sozialpädagogische Träger eine 24- Stunden-Betreuung gewährleisten. Für das Clearing qualifizierte Träger haben zudem einen Clearingauftrag in temporären Einrichtungen. 5. Wie viele der unbegleiteten Flüchtlingskinder warten noch auf das Clearing bzw. sind noch nicht rechtmäßig in Obhut genommen? Gibt es Fälle in denen UMF nicht in Obhut genommen werden können (beispielsweise aufgrund von Personalmangel oder fehlenden Vormundschaften )? Geht der Senat in diesen Fällen von einem rechtmäßigen Zustand aus? Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 062 2 Zu 5.: Die Inobhutnahme jedes darum bittenden minderjährigen Flüchtlings ist sichergestellt. Derzeit warten noch 180 in Obhut genommene UMF auf den Beginn des Clearings. 6. Wie gewährleistet der Senat den Kinderschutz in den Erstaufnahmeeinrichtungen, den Gemeinschaftsunterkünften und den Notunterkünften. Gibt es für die unterschiedlichen Unterkünfte spezifische Maßnahmen zur Gewährleistung? 7. Gibt es allgemeine Mindeststandards für den Kinderschutz oder Mindeststandards für die unterschiedlichen Einrichtungen? Wenn ja, wie garantiert der Senat deren Einhaltung? Zu 6. und 7.: Der Senat misst dem Schutz von Frauen und Flüchtlingskindern in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE), GU und NU einen hohen Stellenwert zu. Daher wurde diese Zielsetzung auch bei der Neugestaltung des Muster-Betreibervertrags für Berliner Flüchtlingsunterkünfte explizit durch entsprechende Vorgaben berücksichtigt . So werden in der dem Vertrag als Anlage beigefügten Leistungsbeschreibung u. a. folgende Anforderungen an die Betreiberinnen und Betreiber genannt: Gewährleistung des Wohls von Kindern und Jugendlichen in der Flüchtlingsunterkunft durch Erstellung und Umsetzung eines Kinderschutzkonzeptes , respektvoller Umgang mit Kindern und Jugendlichen , Meldung konkreter Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdungen an die Krisendienste der zwölf bezirklichen Jugendämter, den „Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK)“; Beratung untergebrachter Frauen zu Schutzangebote für häusliche und sexuelle Gewalt sowie zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter; Zusammenarbeit mit den Fachdiensten der Bezirke , insbesondere den Jugendämtern, dem Kinderund Jugendgesundheitsdienst des Gesundheitsamtes , den Schulämtern, Gesundheitsämtern und den Flüchtlingskoordinatorinnen und Flüchtlingskoordinatoren der Bezirksämter; Erstellen eines Betreiberkonzepts nach Maßgabe der Qualitätsanforderungen, insbesondere Beschwerdemanagement , Verfahren zum Aussprechen von Abmahnungen und Hausverboten, Gewaltschutzkonzept . Die vorgenannten Kinderschutz-Standards geben auch die Schulung des Betreuungspersonals vor, um die Mädchen und Jungen adäquat schützen und unterstützen zu können und mit den verantwortlichen Stellen und Behörden zusammenzuarbeiten. Die Betreiberinnen und Betreiber von EAE, GU und NU haben daher dafür Sorge zu tragen, dass das eingesetzte Personal eine angemessene administrative Betreuung sowie eine sachgerechte Ausund Fortbildung erhält und an mitarbeiterspezifischen Personalentwicklungsmaßnahmen inklusive Supervision während der Arbeitszeit teilhaben kann. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird vom LAF im Rahmen der durchgeführten Begehungen kontrolliert. Auf der Grundlage der zu den Begehungen erstellten Protokolle erfolgt eine Aufforderung an die betroffenen Betreiberinnen und Betreiber, die Mängel abzustellen bzw. mitzuteilen , bis zu welchem Zeitpunkt die Mängelbeseitigung abgeschlossen werden soll. Die entsprechende Überprüfung erfolgt im Rahmen einer Nachbegehung bzw. auch bei den jährlich geplanten Routinebegehungen. Darüber hinaus hat die SenBildJugWiss den Unterkünften den Flyer „Kinderschutz - Empfehlungen für Flüchtlingseinrichtungen“ zur Verfügung gestellt, um sie über die Ansprechstrukturen im Rahmen des „Netzwerks Kinderschutz“ (z. B. über die vorhandenen Anlaufstellen für Beratung, die „Hotline-Kinderschutz“, den „Krisendienst Kinderschutz der Jugendämter“ und die berlinweiten Träger im Kinderschutz) umfassend zu informieren. Weiterhin unterstützt der Senat die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der UNICEF im Frühjahr 2016 gestartete Initiative zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften . Die Initiative wird in enger Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden umgesetzt. Zu den umfassenden Schutzstandards gehört unter anderem, dass alle Einrichtungen Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt ergreifen und alle dort tätigen Menschen entsprechend sensibilisiert werden. So wurden in ausgewählten Flüchtlingsunterkünften in Berlin zusätzliche Koordinierungsstellen für Gewaltschutz eingerichtet. Die Aufgabe der Koordinatoren besteht darin, in enger Abstimmung mit der Heimleitung Schutzkonzepte in den Einrichtungen zu erstellen und umzusetzen und Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Jugend-, Sozial- und Arbeitsämter sowie für Beratungsstellen und Frauenhäuser zu sein. 8. Wer schult und berät die a) Fachkräfte und b) die Ehrenamtlichen in den Einrichtungen, die mit geflüchteten Kindern in Kontakt sind? Zu 8.: In den Muster-Betreibervertrag für Berliner Flüchtlingsunterkünfte wurde auch die Pflicht zur Beschäftigung einer Koordinatorin/eines Koordinators für ehrenamtliche Tätigkeit aufgenommen. Zu den Aufgaben dieser Koordinierungsstelle gehören u. a. die Organisation von thematischen Informations- und Schulungsveranstaltungen für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat unter Mitwirkung von Betreibervertretern einen „Expertenzirkel Ehrenamtskoordination Unterkünfte“ etabliert, der u. a. Informationsthemen und Qualifizierungsmodulen für die Ehrenamtskoordinatorinnen und Ehrenamtskoordinatoren an den Unterkünften definiert hat; hierzu wurden die kinder- und jugendhilferelevanten Themen „Kinderschutz “ und „Zugang zu Familien- und Erziehungsberatungsstellen “ benannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 062 3 Bezirkliche Veranstaltungsformate mit Akteuren der Flüchtlingsunterkünfte thematisieren ebenfalls den Informationsaustausch zu kinder- und jugendhilferelevanten Themen. So gibt es beispielsweise in Charlottenburg- Wilmersdorf vierteljährliche Treffen mit der Fachsteuerung des Jugendamtes, im Bezirk Mitte nimmt das Jugendamt an der AG Flüchtlinge und an der AG Ehrenamt teil. Für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die im Alltag der Unterkünfte kinder- oder jugendnah tätig sind, gilt die Verpflichtung zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nach Maßgabe des Jugend-Rundschreibens Nr. 1/2015 SenBildJugWiss vom 11.05.2015. 9. Wie viele Fälle von Kindeswohlgefährdung wurden in den Monaten für 2014, 2015 und 2016 in den Unterkünften festgestellt? Gibt es Häufungen der Kindeswohlgefährdung bei der Unterbringung in bestimmten Einrichtungen , z.B. in Notunterkünften? Zu 9.: Über die Anzahl an Fällen möglicher Kindeswohlgefährdung werden seitens des LAF keine statistischen Daten erhoben, so dass hierzu keine Angaben möglich sind. 10. Wie wird bei festgestellter Kindeswohlgefährdung verfahren? 11. Wie werden die Familien von betroffenen Kindern betreut? Zu 10. und 11.: Die Regelungen und Verfahren des Kinderschutzes in Berlin gelten auch für Flüchtlingskinder . Das betrifft das Tätigwerden der Jugendämter im Rahmen ihres gesetzlichen Wächteramtes bei Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII), aber auch alle Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe , die im Einzelfall auf der Grundlage des individuellen Hilfebedarfs durch die Jugendämter gewährt werden. Liegen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor, wird das zuständige Jugendamt über die Krisendiensthotline informiert. In diesem Fall gehen die Fachkräfte diesen Hinweisen nach. Zu den Verfahrensstandards nach § 8a SGB VIII gehören insbesondere das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos sowie der Einbezug des Kindes oder Jugendlichen und der Personensorgeberechtigten - es sei denn, dass der Schutz des Kindes oder Jugendlichen dadurch in Frage gestellt wird. 12. Wie viele UMF warten auf einen Schulplatz bzw. Vermittlung an ein OSZ bzw. in eine Willkommensklasse ? Zu 12.: Mit Stand 01.07.2016 lag die Schulquote der in Obhut des Landesjugendamtes bzw. der SenBildJug- Wiss befindlichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei 83 %. 17 % (entspricht 175 der 1.032) der in Obhut des Landesjugendamtes bzw. der SenBildJugWiss befindlichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge warten noch auf einen Schulplatz bzw. eine Vermittlung an ein Oberstufenzentrum (OSZ) / in eine Willkommensklasse . Der Klärungsstelle für berufliche und zentral verwaltete Schulen liegen zurzeit insgesamt 636 (Stand 16.09.2016) Anmeldeanträge von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16-21 Jahren vor, denen noch kein Schulplatz in einer Willkommensklasse eines OSZ gewährt worden sind. Eine Aussage, wie viele von den Schulplatzsuchenden darunter den UMF zuzurechnen sind, können nicht getroffen werden, da diese nicht gesondert erfasst werden. 13. a) Wie viele Flüchtlingskinder sind im Laufe des Jahres 2016 volljährig geworden und konnten bis dato keinen Asylantrag bzw. Antrag auf Familiennachzug stellen? Wie viele der Flüchtlingskinder wurden durch die Behörden als volljährig eingeschätzt? b)Unter welche Regelungen fallen diese Personengruppen bei der Antragstellung auf Asyl und Familiennachzug? Zu 13. a): Zu der Frage, wie viele Flüchtlingskinder im Laufe des Jahres 2016 volljährig geworden sind und bis dato keinen Asylantrag bzw. Antrag auf Familiennachzug stellen konnten, werden keine Daten erhoben. Zu 13. b) Nach Mitteilung des hierzu befragten Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) muss das BAMF Asylbesuchende stets entsprechend ihres aktuellen Alters als Minderjährige oder Erwachsene behandeln und die entsprechenden gesetzlichen Regelungen anwenden. Vollendet eine Antragstellerin/ein Antragsteller das 18. Lebensjahr, besteht keine Möglichkeit mehr, sie/ihn als Minderjährige(n) zu behandeln. Abgesehen von einem Verfahrensrückstand aus dem Jahr 2015, als eine sehr hohe Anzahl von Anträgen einging, kann die Registrierung der Asylanträge unbegleiteter Minderjähriger im Bundesamt jedoch zügig erfolgen, denn diese können ihren Asylantrag schriftlich bei der Zentrale des Bundeamts in Nürnberg stellen; das BAMF hat hierzu unter der Internet-Adresse http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/Unbegleitete Minderjaehrige/unbegleitete-minderjaehrige-node.html Informationen veröffentlicht. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 062 4 Große personelle Anstrengungen seitens des BAMF haben dazu geführt, dass die Anträge seit dem Frühjahr 2016 wieder innerhalb weniger Werktage registriert werden können. Auch kann das Jugendamt, welches den unbegleiteten Minderjährigen bei seiner Ankunft in Obhut nimmt, aufgrund der Regelung des § 42a Abs. 3 SGB VIII, sofort einen Asylantrag für diesen stellen, so dass keine Verzögerungen entstehen. In Bezug auf die Beurteilung der Fluchtgründe ergibt sich jedoch keine Unterscheidung. Die anzuwendenden Rechtsgrundlagen (Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, Asyl) gelten unabhängig vom Alter der Asylbewerberin /des Asylbewerbers. Berlin, den 27. September 2016 In Vertretung Dirk G e r s t l e _____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Sep. 2016)