Drucksache 17 / 19 070 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 09. September 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. September 2016) und Antwort Abschiebungen leicht gemacht (VII): Aus der Psychiatrie in den Abschiebeflieger Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass die Berliner Polizei in Amtshilfe für die Ausländerbehörde Berlin am 16. und am 18. August 2016 nachts jeweils eine Person aus der Psychiatrie des Vivantes-Klinikums Spandau abgeholt und abgeschoben hat? Wenn ja, wie waren die genauen Umstände der Abschiebungen? (Bitte Datum, Uhrzeit und Aufnahme- /Zielland der Abschiebung sowie Staatsangehörigkeit, Alter und Herkunftsland der abgeschobenen Personen angeben.) Zu 1.: Es trifft zu, dass am 16. und am 18. August 2016 jeweils eine Abschiebung stattgefunden hat, bei welcher die betroffene Person für die Rückführung von der psychiatrischen Station des Vivantes Klinikums Spandau abgeholt worden ist. Die beiden Rückführungsmaßnahmen stellten jedoch lediglich eine von der Berliner Ausländerbehörde und Polizei geleistete Vollzugshilfe für bestandskräftige Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dar. In beiden Fällen handelte es sich um eine sogenannte Dublin-Überstellung in EU- bzw. sichere Drittstaaten. Das BAMF hatte die von den Betroffenen gestellten Anträge als unzulässig abgelehnt und gemäß § 34a AsylG die Abschiebung in die für die Durchführung der Asylverfahren zuständigen Staaten Polen bzw. Norwegen angeordnet , sofern die Rückreise dorthin nicht freiwillig erfolgt . Die Vollziehbarkeit der Bescheide war in beiden Fällen bereits seit April bzw. Juni 2016 gegeben. Die am 16. August ab 07:15 Uhr durchgeführte Rückführungsmaßnahme betraf einen 41jährigen turkmenischen Staatsangehörigen sowie die Ehepartnerin und zwei minderjährige Kinder. Ausweislich des Polizeiberichtes äußerte der Betroffene im Krankenhaus, dass er nunmehr auch freiwillig zusammen mit seiner Familie hätte ausreisen wollen. Auf dem Gelände der Notunterkunft erfolgte gegen 09.15 Uhr die Zusammenführung mit der Familie. Die Betroffenen wurden nach Überführung auf dem Landweg gegen 10:00 Uhr an der Grenze zu Polen der Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder) übergeben. Bei der am 18. August ab 02:00 Uhr begonnenen Rückführungsmaßnahme handelte es sich bereits um den zweiten Abschiebungsversuch eines 24 jährigen mit afghanischer Staatsangehörigkeit. Eine erste Maßnahme ist am 13. Juni 2016 am Flughafen Berlin-Tegel abgebrochen worden, nachdem der Betroffene Widerstand leistete. Ab 4:00 Uhr erfolgte zunächst die Überführung auf dem Landweg nach Hamburg. Dort wurde der Betreffende gegen 07:30 Uhr am Flughafen der Bundespolizei übergeben und letztlich per Flugzeug nach Norwegen abgeschoben (Abflug 10:05 Uhr, Ankunft in Oslo 11:30 Uhr). 2. Fand im Vorfeld der Abschiebungen eine Kommunikation zwischen dem Vivantes-Klinikum und der Berliner Polizei bzw. der Ausländerbehörde Berlin statt? Wenn ja, wann, in welcher Form und mit welchem Inhalt? Zu 2.: In beiden Fällen war zuvor weder der Ausländerbehörde noch der Polizei bekannt, dass sich die Betroffenen zu einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus befinden. Dies hat sich erst während der Rückführungsmaßnahme nach Anfahren der Meldeanschriften durch entsprechende Auskünfte der Familienangehörigen bzw. Mitbewohner ergeben. Nach Eintreffen im Krankenhaus hat die Polizei jeweils unmittelbar persönlichen Kontakt zu den behandelnden Ärzten aufgenommen und die Rückführungsmaßnahmen besprochen. Eine vorherige , telefonische Information erfolgte nicht. 3. Seit wann waren die beiden abgeschobenen Personen jeweils in der Psychiatrie? Zu 3.: Die stationäre Aufnahme im Vivantes Klinikum Spandau war für eine Person am 13. August 2016 erfolgt. Seit wann sich die andere Person im Krankenhaus befand, ist nicht bekannt. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 070 2 4. Lagen bei den beiden abgeschobenen Personen psychiatrische Krankheitsbilder vor? Wenn ja, welches? Zu 4.: Zu einer Person wird als Diagnose eine Anpassungsstörung benannt. Weitergehende Informationen liegen nicht vor. 5. Was waren jeweils die Gründe für die Einweisungen der beiden abgeschobenen Personen in die Psychiatrie ? Zu 5.: Die nach Polen rückgeführte Person war in Begleitung von Feuerwehr und Polizei ins Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem sie sich mit – nach eigenen Angaben – suizidalen Absichten den Unterarm mit einer Rasierklinge aufgeschnitten hatte. Zu der anderen Person ist nur bekannt, dass sie sich wegen „Anfällen“ in Behandlung begeben hatte. 6. Lagen für die beiden abgeschobenen Personen Einweisungsbeschlüsse vor? Wenn ja, seit wann? Zu 6.: Einen Einweisungsbeschluss gab es nach Aktenlage für beide Personen nicht. 7. Wann sollten die abgeschobenen Personen jeweils aus der Psychiatrie entlassen werden und warum haben Berliner Polizei und Ausländerbehörde Berlin nicht die Entlassung aus der Klinik abgewartet? Zu 7.: Für die am 18. August abgeschobene Person war die Entlassung bereits im Vorhinein für den Folgetag (19.08.) vorgesehen. Bei der anderen Person ist davon auszugehen, dass die Entlassung ebenfalls kurz bevorstand , da eine weitere medizinische Indikation nicht mehr gegeben war. Gründe, die Rückführungsmaßnahme abzubrechen und die Entlassung aus der Klinik abzuwarten, lagen nicht vor. Zur Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu Frage 10, 11, 13 und 14 verwiesen. Zudem ist die Durchsetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht , der auch keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, rechtlich zwingend vorgeschrieben. 8. Wann hat die Ausländerbehörde Berlin die Flüge für die Abschiebungen jeweils gebucht? Zu 8.: Von der Ausländerbehörde Berlin wurden keine Flüge gebucht. Die Rückführungsmaßnahme am 16. August nach Polen erfolgte ausschließlich auf dem Landweg und für die am 18. August durchgeführte Abschiebung nach Norwegen ist die Buchung des Fluges von Hamburg nach Oslo am 13. Juli 2016 durch die Bundespolizeiinspektion am Flughafen Hamburg vorgenommen worden. 9. Wie viele Polizist*innen und gegebenenfalls Mitarbeiter *innen der Ausländerbehörde Berlin waren bei diesen beiden Abschiebungen aus der Psychiatrie jeweils am Ort der Abholung anwesend? Zu 9.: Am 16. August waren drei und am 18. August acht Dienstkräfte der Polizei Berlin im Vivantes Klinikum Spandau eingesetzt. Mitarbeitende der Ausländerbehörde Berlin waren vor Ort nicht anwesend. 10. Wann und durch wen wurde die Reisetauglichkeit und Flugfähigkeit der abzuschiebenden Personen jeweils festgestellt? Zu 10.: In beiden Fällen ist von der Polizei unmittelbar vor Vollzug der Rückführungsmaßnahme mit den behandelnden Ärzten des Krankenhauses Rücksprache über den aktuellen Gesundheitszustand der Betroffenen gehalten worden. Aus ärztlicher Sicht stand einer Entlassung nichts entgegen. Auch Reise- und Transportfähigkeit wurden bejaht. 11. Wurden die abgeschobenen Personen während der Abschiebung jeweils ärztlich versorgt und begleitet? Zu 11.: Eine ärztliche Versorgung während der Rückführung war nach Rücksprache mit dem krankenhausärztlichen Personal nicht erforderlich. Bis zur Übergabe an die Bundespolizei wurde eine sanitätsdienstliche Betreuung gewährleistet. 12. Standen die beiden Personen bei ihrer Abschiebung jeweils unter Einfluss von Medikamenten? Wenn ja, unter welchen Medikamenten und wer hat diese Medikamente jeweils wann verordnet und verabreicht? Zu 12.: Für die mit suizidalen Absichten eingelieferte Person war aus ärztlicher Sicht keine Entlassungsmedikation vorgesehen. Die andere Person brauchte ein Beruhigungsmittel (Tavor), nachdem sie sich im Zusammenhang mit der Rückführungsmaßnahme unvermittelt hinwarf, um den Kopf auf den Boden zu schlagen. Entlassungsbrief und nicht näher angegebene Medikamente sind vom Arzt ausgehändigt und mitgegeben worden. 13. Ist die psychiatrische Behandlung der abgeschobenen Personen in den Zielländern jeweils sichergestellt? Wenn ja, mit welchen Maßnahmen haben die Berliner Polizei bzw. die Ausländerbehörde Berlin dies sichergestellt ? Zu 13.: Von einer auch für Asylantragstellerinnen und Asylantragsteller und Flüchtlinge ausreichend sichergestellten medizinischen Versorgung nach europäischen Standards ist in den hiesigen Zielländern Polen und Norwegen auszugehen. Für Polen als EU-Mitgliedsstaat gilt zudem die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 070 3 Sie regelt u. a. den Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung. Krankheit kann nur dann ein sogenanntes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis sein, wenn im Zielstaat der Abschiebung keine ausreichende therapeutische Behandlung erlangt werden kann oder dort eine Verschlimmerung der Krankheit zu befürchten ist. Die diesbezügliche Prüfung obliegt nicht der Berliner Ausländerbehörde und der Polizei, sondern ausschließlich dem BAMF. Abschiebungshindernisse wurden in beiden Fällen nicht festgestellt. 14. Schieben die Ausländerbehörde Berlin und die Berliner Polizei grundsätzlich direkt aus psychiatrischen Einrichtungen ab? Wenn ja, wie häufig wurden in den Jahren seit 2012 Personen direkt aus psychiatrischen Einrichtungen abgeschoben? Zu 14.: Einen rechtlich anerkannten "Schutzraum Psychiatrie bzw. Krankenhaus" gibt es nicht. Rechtlich maßgeblich ist allein die Frage, ob die Transport- und Reisefähigkeit des Betroffenen gegeben ist oder ob sonstige Abschiebungshindernisse vorliegen. Dies wird im jedem Einzelfall geprüft – und zwar unabhängig davon, ob die Abschiebung aus dem Krankenhaus heraus oder von einem anderen Ort aus erfolgt. Zu den erfragten Fällen liegt keine statistische Erfassung vor. 15. Wurden die Abschiebungen jeweils fachaufsichtlich thematisiert? Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis ? Zu 15.: Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat sich anlässlich von Presseanfragen bereits Anfang September im Nachgang der Rückführungsmaßnahme von der Ausländerbehörde und Polizei den ausländerrechtlichen Sachverhalt sowie Hergang der beiden Abschiebungen darlegen lassen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass etwas rechtlich oder hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden wäre. Berlin, den 22. September 2016 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Sep. 2016)