Drucksache 17 / 19 089 Schriftliche Anfrage 17. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Alexander Spies (PIRATEN) vom 13. September 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. September 2016) und Antwort NRW macht’s vor - Diskriminierung beenden! § 2 Nr. 2 und 3 LWG auch in Berlin abschaffen! Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Teilt der Senat die Auffassung, dass § 2 Nr. 2 und 3 LWG gegen die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verstoßen? 2. Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass Menschen , die einer Betreuung in allen Angelegenheiten unterliegen von der Wahl zum Abgeordnetenhaus ausgeschlossen sind, während Menschen, mit möglicherweise ähnlichen Voraussetzungen/Einschränkungen, die jedoch keiner Betreuung in allen Angelegenheiten unterliegen, ihr Wahlrecht behalten und an der Wahl teilnehmen dürfen ? 3. Wie bewertet der Senat, dass Menschen, die aufgrund § 20 StGB i.V.m. § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, von der Wahl zum Abgeordnetenhaus ausgeschlossen sind, während nicht straffällig gewordene Menschen mit gleichem/ähnlichem Krankheitsbild an der Wahl zum Abgeordnetenhaus teilnehmen dürfen? 4. Teilt der Senat die Auffassung, dass es ausgehend von Frage 2 und 3 keine logische Rechtfertigung für die Wahlausschlüsse nach § 2 Nr. 2 und 3 LWG gibt? 5. Wie bewertet der Senat die in der Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung getroffene Aussage, dass bei über 80% der unter § 13 Nr. 3 BWG (analog § 2 Nr. 3 LWG) fallenden Personengruppe „kein begründeter Zweifel an der normalen Fähigkeit zum Treffen rationaler und komplexer Entscheidungen besteht“ (vgl. S. 30) und in Bezug auf vorgenannte Personen „kein Grund zu der Annahme besteht, dass sie während ihrer Maßregelvollzugsunterbringung weniger in der Lage wären, das Wahlrecht auszuüben“ (vgl. S.116) als vor Beginn und nach Ende der Maßregelvollzugszeit ? Hält es der Senat weiterhin für angemessen in „generalisierender und typisierender Betrachtungsweise “ (vgl. Schriftliche Anfrage 17/18335) über die Einsichts - und Wahlfähigkeit dieser Personengruppe zu urteilen ? 6. Wie bewertet der Senat die in der Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung getroffene Aussage, dass „ein bestehendes dauerhaftes Betreuungsverhältnis in allen Angelegenheiten nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit einer grundlegenden Unfähigkeit zum Treffen komplexer rationaler Entscheidungen “ (vgl. S. 31)? 7. Im Zuge des Wahlrechtsausschlusses als automatische Rechtsfolge der Einrichtung einer Betreuung in allen Angelegenheiten kommt es dazu, dass auch Menschen ihr Wahlrecht verlieren, die in der Lage wären, ihr Wahlrecht auszuüben. Hält der Senat diesen Umstand für vertretbar? 8. Wie erklärt der Senat, dass die Wahlrechtsausschlüsse gemäß § 13 Nr. 3 BWG im Land Berlin mit 12 Ausschlüssen auf 100.000 Staatsbürger_innen ab dem 18. Lebensjahr mehr als doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt (vgl. Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung, S. 44)? 9. Wird der Senat konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der Wahlausschlüsse auf Landesebene ergreifen? Wenn ja, welche? Wenn nein, wieso nicht? Zu 1. bis 9.: Wie der Senat zuletzt in der Antwort auf Ihre Schriftliche Anfrage vom 5. April 2016 (Drucksache 17/18335) betont hat, bedürfen die Wahlrechtsausschlusstatbestände des § 13 Nr. 2 und 3 Bundeswahlgesetz (BWahlG) und § 2 Nr. 2 und 3 Landeswahl-gesetz (LWG) einer politischen Überprüfung. Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 19 089 2 Dieser auch vom Bundesrat geforderten Überprüfung sollte die von der Bundesregierung im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Auftrag gegebene und inzwischen veröffentlichte Studie zur aktiven und passiven Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Wahlen dienen. Nicht zuletzt aufgrund des eingeschränkten Untersuchungsgegen-stands des klinischpsychologischen Teils der Studie (s. S. 65 der Studie) bietet die Untersuchung nach erster Analyse allerdings nur eine sehr beschränkte Tatsachenbasis zur Bewertung der Wahlrechtsausschlüsse. Insbesondere ist auf die weitgehend fehlende statistische Validität der in der Studie getroffenen tatsächlichen Fest-stellungen hinzuweisen (vgl. insbesondere die Ausführungen auf S. 92, 95, 96, 102, 106 und 107 der Studie). Über die Ursachen für die im Ländervergleich höhere Zahl an Personen, die im Land Berlin das aktive Wahlrecht nach § 13 Nr. 3 BWahlG (= § 2 Nr. 3 LWG) nicht besitzen, ließen sich allenfalls Mutmaßungen anstellen. Die Studie stellt allerdings fest, dass dieser Wahlrechtsausschlusstatbestand selbst in Berlin mit 0,012 % nur einen „verschwindend geringen Bruchteil aller Wahlberechtigten “ erfasst (S. 45 der Studie). Eine Entscheidung über eine etwaige Gesetzesinitiative zur Änderung oder Aufhebung des § 2 Nr. 2 und 3 LWG sollte dem neu zu bildenden Senat überlassen bleiben . Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlusstatbestände im Bundestagswahlrecht - die im Berliner Landeswahlrecht nachzuvollziehen wäre – noch in diesem Jahr oder Anfang kommenden Jahres gerechnet wird Berlin, den 28. September 2016 In Vertretung Andreas Statzkowski Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Okt. 2016)