Drucksache 18 / 10 001 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Carsten Schatz (LINKE) vom 31. Oktober 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. November 2016) und Antwort Gender Trouble im Berliner Strafvollzug? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie verläuft der Prozess, bzw. welche konkreten rechtlichen Regelungen und Vorgehensweisen bestehen, wenn eine Trans*Person im Berliner Strafvollzug den Prozess der Vornamensänderung und/ oder der Personenstandsänderung nach dem deutschen Transsexuellengesetz beginnen möchte? Gibt es hierbei Unterschiede zwischen deutschen und nichtdeutschen Staatsbürger_innen? Zu 1.: Der Prozess und die konkreten rechtlichen Regelungen und Vorgehensweisen, wenn eine transgeschlechtliche Person eine Vornamensänderung und eine Personenstandsänderung vornehmen möchte, sind im Transsexuellengesetz (TSG) beschrieben und gelten auch für transgeschlechtliche Personen im Berliner Strafvollzug . § 1 TSG nennt unter Abs. 1 und 2 als Voraussetzung für eine Vornamensänderung ein andauerndes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen als dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht. Hierfür werden vom Gericht nach geltender Rechtslage zwei Gutachten eingeholt (§ 4 Abs. 3 TSG). § 1 TSG Abs. 3 konkretisiert den Personenkreis der transgeschlechtlichen Personen, die im Sinne des § 1 TSG berechtigt sind, den Prozess der Vornamensänderung zu beantragen bezogen auf deren Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus. Beide Voraussetzungen gelten auch für eine Personenstandsänderung nach § 8 TSG. Sollten die betroffenen Inhaftierten bei der schriftlichen Antragstellung Hilfe benötigen, können sie sich hierfür an die kostenfreie Rechtsberatungsstelle oder an die einschlägigen Fachberatungsstellen wenden. 2. Kann Transsexuellen/ Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug eine Personenstands- und Vornamensänderung oder Hormonbehandlung aufgrund von Sicherheitsbedenken verweigert werden? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage? Zu 2.: Die rechtliche Grundlage zur Änderung der Vornamen und der Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit bietet das TSG. Liegen dessen Voraussetzungen vor, kann und wird transgeschlechtlichen Menschen im Berliner Strafvollzug eine Personenstands- und Vornamensänderung oder Hormonbehandlung gewährt werden. Gleichwohl ist der Prozess der Vornamens- und Personenstandsänderung oder der Hormonbehandlung im Einzelfall unter der individuellen vollzuglichen Situation zu betrachten und im Zusammenhang mit der Vollzugs- und Eingliederungsplanung (§ 9 Berliner Strafvollzugsgesetz (StVollzG Bln) bzw. § 11 Berliner Jugendstrafvollzugsgesetz (JStVollzG Bln)) zu stellen. 3. Ist die Weiterführung der Hormonbehandlung für Transsexuelle/Trans*Menschen im Strafvollzug garantiert , die sich bereits vor Haftantritt in Hormonbehandlung befanden? Wenn ja, gibt es dafür eine bindende rechtliche Regelung? Zu 3.: Bei medizinischer Indikation ist die Fortsetzung einer begonnen Hormonbehandlung unter Berücksichtigung aller gesundheitlichen Aspekte und des Willens der gefangenen Person geboten. Es gelten die Regelungen der Gesundheitsfürsorge des StVollzG Bln (§§ 70ff StVollzG Bln) und des JStVollzG Bln (§§ 72ff JStVollzG Bln). 4. Haben Transsexuelle/ Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug Anrecht auf Beratung und Unterstützung durch Trans*Organisationen bzw. Beratungsstellen für LSBTIQ*Menschen? Auf welcher Rechtsgrundlage wird diese verwehrt oder gewährt? Wenn ja, bekommen sie dafür Freigang? Zu 4.: Gemäß dem in § 3 Abs. 6 StVollzG Bln und in § 3 Abs. 8 JStVollzG Bln festgeschriebenen Grundsatz der Vollzugsgestaltung werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 001 2 auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Weltanschauung , Behinderung und sexuelle Identität bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall berücksichtigt . In den Grundsätzen zur Vollzugsgestaltung ist normiert , dass der Bezug der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben zu wahren und zu fördern ist. Vor diesem Hintergrund haben transgeschlechtliche Menschen im Berliner Strafvollzug Anrecht auf Teilnahme an einschlägigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Die besonderen persönlichen Belange sind auch Gegenstand des Diagnostikverfahrens und der Vollzugs- und Eingliederungsplanung. Das Diagnostikverfahren erstreckt sich auf die Persönlichkeit und Lebensverhältnisse des Gefangenen. Der Vollzugs- und Eingliederungsplan wird mit den Gefangenen erörtert. Dabei werden deren Anregungen und Vorschläge einbezogen, soweit sie der Erreichung des Vollzugsziels dienen. Der Vollzugs- und Eingliederungsplan enthält eine Zusammenfassung der maßgeblichen Ergebnisse des Diagnostikverfahrens. Insofern sieht das Gesetz vor, dass im Rahmen der Vollzugsund Eingliederungsplanung die Bedürfnisse von transgeschlechtlichen Menschen im Berliner Strafvollzug - wie auch ansonsten die anderen persönlichen Belange - einzufließen haben. Den Gefangenen im Berliner Strafvollzug steht auf Grundlage der o. g. Vorschriften die Beratung durch Mann-O-Meter e.V. oder durch die Berliner Aids-Hilfe e.V. zur Verfügung. Darüber hinaus können über den Sozialdienst im Einzelfall Kontakte zu spezialisierten Beratungsstellen aufgenommen werden. Es steht den zuständigen Beratungsstellen frei, den transgeschlechtlichen Menschen in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt aufzusuchen. Vollzugslockerungen können für Strafgefangene im Rahmen der Bestimmungen des Abschnitts 7 des StVollzG Bln/JStVollzG Bln (Lockerungen und sonstige Aufenthalte außerhalb der Anstalt) gewährt werden. Vollzugsgelockerte Gefangene können Ausgänge zur Beratung und Unterstützung durch Organisationen und Beratungsstellen nutzen. 5. Gibt es Fachpersonal im Berliner Strafvollzug zu Trans*Identität, an das sich inhaftierte Transsexuelle/ Trans*Menschen wenden können? Wenn ja, wie sind diese fortgebildet? Zu 5.: Fachpersonal ausschließlich zu Fragen der Transgeschlechtlichkeit gibt es im Berliner Strafvollzug nicht. Fachliche Expertise gibt es aber auch zu dem Thema im fachpsychiatrischen Bereich. Durch die Bildungsstätte des Berliner Justizvollzuges wurden bedarfsorientiert Seminare zum Thema „Diversity “ in Zusammenarbeit mit der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung angeboten, an der insbesondere Führungskräfte des Berliner Justizvollzuges obligatorisch teilnehmen. Bei Inhouseveranstaltungen zur Einführung und Anwendung des zum 1. September 2016 in Kraft getretenen StVollzG Bln und JStVollzG Bln werden auch Aspekte von Vielfalt und Nichtdiskriminierung thematisiert. § 3 Abs. 6 StVollzG Bln sowie § 3 Abs. 8 JStVollzG Bln verpflichten die Anstalten unter Beachtung von Artikel 3 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (GG) insbesondere aus dem Alter, dem Geschlecht, der Herkunft , dem Glauben, einer Behinderung und der sexuellen Identität resultierende unterschiedliche Bedürfnisse der Gefangenen sowohl bei der Vollzugsgestaltung als auch im Einzelfall zu berücksichtigen. Der Berliner Verein „Mann-o-Meter“, die Berliner Aids-Hilfe e.V. und andere freie Träger bieten neben der Insassenbetreuung in den Berliner Justizvollzugsanstalten auch die Beratung und Information von Vollzugsbediensteten zu zielgruppenspezifischen Fragestellungen an. Somit werden unmittelbar mit transgeschlechtlichen Personen befasste Mitarbeitende gesondert geschult und sensibilisiert. Darüber hinaus besteht für das Fachpersonal der Berliner Justizvollzugsanstalten die Möglichkeit das Seminar - und Trainingsangebot der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS-Akademie) zu nutzen. 6. Haben Transsexuelle/ Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug die Möglichkeit einer freien Arztwahl für die (von dem medizinischen Dienst der Krankenkassen) geförderte Psychotherapie sowie für Hormontherapie oder bei geschlechtsangleichenden Operationen? Auf welcher Rechtsgrundlage wird diese verwehrt oder gewährt? Wird dabei darauf geachtet, dass sowohl Psychotherpeut_innen als auch behandelnde Ärzt_innen Expertise zu dem Thema Trans*Identität bzw. Transsexualität haben? Zu 6.: Die medizinischen Behandlungen erfolgen im Justizvollzug nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip. Hierbei besteht grundsätzlich keine freie Arztwahl. Soweit es auch für gesetzlich Versicherte vorgesehen ist, ist ein Zweitmeinungsverfahren möglich. Sofern notwendige Expertise innerhalb des Vollzugssystems nicht zur Verfügung steht, sind die Gefangenen ggf. in ein Krankenhaus oder eine andere entsprechend geeignete medizinische Einrichtung außerhalb des Vollzugs zu bringen (§ 71 Abs. 1 i. V. m. § 76 oder 17 Abs. 2 StVollzG Bln, bzw. § 72 Abs. 1 i. V. m. § 78 JStVollzG Bln oder § 19 Abs. 2 JSt- VollzG Bln). Medizinische Leistungen wie z. B. eine Psychotherapie , eine Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operationen können erbracht werden, wenn die medizinische Indikation vorliegt. 7. Gab es in der Vergangenheit bereits genehmigte geschlechtsangleichende Operationen für Transsexuelle/ Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug und wenn ja, wurden diese unter freier Arztwahl durchgeführt? Zu 7.: Hierüber wird keine Statistik geführt. Aus der Erinnerung heraus gab es in den vergangenen Jahren einzelne geschlechtsangleichende Operationen. Aufgrund Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 001 3 der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes können hierzu keine näheren Angaben gemacht werden. 8. Welches Anrecht auf hormonelle Behandlung, geschlechtsangleichende Operationen und Psychotherapie haben Transsexuelle/ Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug , die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben? Gibt es dafür eine bindende rechtliche Regelung? Zu 8.: Die Gesundheitsfürsorge besteht für alle Gefangenen ohne Unterschiede bezogen auf die Staatsangehörigkeit , den Aufenthaltsstatus oder andere Merkmale (Abschnitt 11 StVollzGBln bzw. JStVollzG Bln) - vgl. Antwort zu 1. 9. Wurden in der Vergangenheit Anfragen von Transsexuellen / Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug zu ihrem Schutz in Einzelhaft, in Isolationshaft oder in den Krankentrakt verlegt? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage und für welche Dauer? Wurde dies auf ihren Wunsch veranlasst oder angeordnet? Wie ist die gegenwärtige Praxis und Rechtsgrundlage dazu? Zu 9.: In einem Fall musste in der Vergangenheit eine transgeschlechtliche inhaftierte Person mehrmals auf Anordnung in Einzelhaft und in das Krankenhaus verlegt werden, weil sie massiv Selbstverletzungen beging. Besondere Sicherungsmaßnahmen werden gegen Gefangene insbesondere bei Gefahr der Fremd- oder Selbstverletzung nach § 86 StVollzG und § 88 JStVollzG angeordnet . 10. Gab es in der Vergangenheit Anfragen von Transsexuellen / Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug zur Verlegung in die Frauen- oder Männervollzugsanstalt? Wenn ja, wie viele? Wie viele davon wurden genehmigt bzw. abgelehnt? Zu 10.: Anfragen von transgeschlechtlichen Menschen zur Verlegung in den Frauen- oder Männervollzug werden statistisch nicht erhoben. Aus der Erinnerung bekannt ist ein Fall, in dem eine Person nach Änderung des Personenstandes in die Haftanstalt verlegt wurde, die ihrem Personenstand nach der Personenstandsänderung entsprach . 11. Wie viele Transsexuelle/Trans*Menschen waren insgesamt 2014, 2015, 2016 im Berliner Strafvollzug inhaftiert? Wie viele waren es in den letzten 10 Jahren? Zu 11.: Hierzu gibt es keine statistische Erhebung. Der Erinnerung nach liegt die Fallzahl bezogen auf die letzten 10 Jahre im einstelligen Bereich. 12. Gibt es Statistiken zu der Anzahl von Transsexuellen / Trans*Menschen im Berliner Strafvollzug? Wenn ja, von wem werden die Statistiken erhoben und welche Trans*Menschen werden darin aufgeführt? (Nur jene, die im Prozess einer Vornamens- und/oder Personenstandsänderung waren oder sind? Oder werden alle inhaftierten Personen, die sich selbst als trans*, genderqueer, genderfluid , agender, nicht-binär oder Transvestit bezeichnen, darin aufgeführt?) Gibt es ein unabhängiges Controlling /Monitoring der Statistikerhebung und werden die Statistiken öffentlich gemacht? Zu 12: Nein. Berlin, den 17. November 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Nov. 2016)