Drucksache 18 / 10 027 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 08. November 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. November 2016) und Antwort Entwicklung der Berliner Justiz (IV) - Justizvollzug Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hat sich die Zahl der Gefangenen im Berliner Justizvollzug in den Jahren 2012 bis 2016 entwickelt und wie verhält sich dem gegenüber die Zahl der belegbaren Haftplätze? Zu 1.: Die Zahl der belegbaren Haftplätze im Berliner Justizvollzug (Belegungsfähigkeit) unterliegt aufgrund ständiger Bautätigkeit zu Instandsetzungs-, Sanierungsund Renovierungszwecken permanent Schwankungen, da Hafträume zu diesem Zweck in jeweils unterschiedlicher Anzahl gesperrt werden müssen. Ebenfalls unterliegt die Zahl der in allen Berliner Justizvollzugsanstalten unterzubringenden Gefangenen (Belegung) innerhalb eines Jahres Veränderungen, so dass nachfolgend aus den vierteljährlichen Stichtagserhebungen der Durchschnitt gebildet wurde: 2012 2013 2014 2015 2016* Belegungsfähigkeit 4.682 4.797 4.781 4.689 4.610 Belegung 4.330 4.195 4.119 4.018 4.053 *bis 2.10.2016 2. Welche Maßnahmen hat der Senat in den Jahren 2012 bis 2016 zur Schaffung oder Ertüchtigung zeitgemäßer Haftplätze unternommen? Zu 2.:In dem genannten Zeitraum wurden zu diesem Zweck folgende Maßnahmen verwirklicht: Es erfolgte der Neubau der Justizvollzugsanstalt Heidering - einer der mordernsten Justizvollzugsanstalten Europas - mit 648 Haftplätzen im vorgesehenen Kostenund Zeitrahmen. Das Gebäude war im Dezember 2012 fertiggestellt, seine Inbetriebnahme erfolgte im Juni 2013, die Gesamtkosten betrugen 117 Millionen EUR. Des Weiteren erfolgte eine Grundsanierung der Teilanstalt III der Justizvollzugsanstalt Moabit mit Zusammenlegung von Hafträumen zur Schaffung von abgetrennten Sanitärbereichen mit 132 Haftplätzen. Der Abschluss der Sanierung war im August 2014, die Gesamtkosten beliefen sich auf 6,8 Millionen EUR. Ebenso geschah eine Grundsanierung des Altbaus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee (Haus A) mit einer bis zum Abschluss der Arbeiten reduzierten Belegungsfähigkeit von 90 auf 54 Haftplätze. Darüber hinaus laufen die Vorbereitungen zum Abriss der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt Tegel und zur Planung eines Ersatzbaus mit 216 Haftplätzen seit Juli 2016. Der Ersatzbau ist im Hinblick auf die äußerst angespannte Belegung im geschlossenen Männervollzug und die mit dem Verlust von Haftplätzen einhergehenden Sanierungen der alten Hafthäuser unverzichtbar. 3. Welche Maßnahmen hat der Senat unternommen, um eine verfassungsgemäße Unterbringung von Sicherungsverwahrten zu gewährleisten? Zu 3: Als gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Sicherungsverwahrung im Land Berlin sind das am 1. Juni 2013 in Kraft getretene Berliner Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (SVVollzG Bln) sowie eine Konzeption zur Vollzugsgestaltung in der Sicherungsverwahrung geschaffen worden. Zudem ist zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zum Vollzug der Sicherungsverwahrung auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Tegel ein neues Gebäude mit 60 Plätzen (6 Stationen mit je 10 Haftplätzen) errichtet worden. Es wurde im Juli 2014 mit Gesamtkosten in Höhe von 15 Millionen EUR fertiggestellt. Das Gebäude ist vom übrigen Anstaltsgelände abgetrennt, sodass die gesetzlich geforderte Trennung zwischen Sicherungsverwahrten und Strafgefangenen gewährleistet ist. Mit dem Neubau wurden die baulichen Grundlagen für den therapeutischen Rahmen einer verfassungskonformen Unterbringung Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 027 2 gelegt. Durch diese Vorschriften wird dem verfassungsrechtlich geforderten Abstandsgebot Rechnung tragen, das auf eine individuelle Behandlung und intensive Betreuung eines jeden einzelnen Untergebrachten abzielt. 4. Haben die erheblichen baulichen Investitionen bei dem Neubau der Justizvollzugsanstalt Heidering, der Einrichtung von Mobilfunkblockern und dem Umbau von Hafträumen in der Justizvollzugsanstalt Moabit aus Sicht des Senats die erwarteten Erfolge erbracht? Zu 4.: Durch den Neubau der Justizvollzugsanstalt Heidering und den Umbau von Hafträumen in der Justizvollzugsanstalt Moabit sind von der Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofs und des Kammergerichts geforderte Grundlagen für eine verfassungsgerechte Unterbringung von Straf- und Untersuchungsgefangenen geschaffen worden. Die Haftbedingungen in den Justizvollzugsanstalten Tegel und Moabit entsprachen den Anforderungen der Rechtsprechung in weiten Teilen nicht mehr, sodass die baulichen Vorhaben zur Aufrechterhaltung eines gesetzmäßigen Justizvollzugs im Land Berlin unerlässlich waren. In der Justizvollzugsanstalt Moabit besteht nach wie vor die dringende Notwendigkeit, den in dieser Anstalt vorhandenen Haftraumbestand aus dem 19. Jahrhundert baulich in einen verfassungsgemäßen und zeitgemäßen Zustand zu versetzen. Ein im Jahre 2016 zu verzeichnender Anstieg der Untersuchungshaftzahlen bei erwachsenen Männern in der Justizvollzugsanstalt Moabit verstärkt den hier bestehenden Bedarf. Das seit September 2012 im Regelbetrieb befindliche Pilotprojekt Mobilfunkunterdrückung im Untersuchungshaftbereich Haus 9 der Jugendstrafanstalt Berlin hat bewiesen , dass die in Berlin durch das Mobilfunkverhinderungsgesetz vom 3. Juli 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin - 65. Jahrgang Nr. 17 vom 14. Juli 2009, Seite 305) untersagte Mobilfunkkommunikation durch Gefangene mittels Einsatz aufwändiger und kostenintensiver Technik unterbunden werden kann. Ob dies bei rasanter Entwicklung der Mobilfunktechnik und damit auch sich permanent erhöhenden Anforderungen an eine damit Schritt haltende Blockungstechnologie auch in Zukunft mit vertretbarem finanziellem Einsatz erreicht werden kann, wird aktuell geprüft. 5. Welche Bedeutung misst der Senat dem Offenen Vollzug im Hinblick auf die im Jahr 2012 erfolgte Evaluation bei? Zu 5.: Mit den Empfehlungen aus dem Evaluationsbericht 2012 haben sich alle im offenen Vollzug Tätigen intensiv auseinander gesetzt und wenden sie in der Praxis an. Entsprechend der Evaluation aus dem Jahr 2012 und im Einklang mit der Rechtsprechung des Kammergerichts , ist die Bereitschaft der Gefangenen zu einem Leben in sozialer Verantwortung zu fördern genauso wie ihr Wille, sich in ein System einzuordnen, das auch auf Selbstdisziplin beruht, einem Mindestmaß an Gemeinschaftsfähigkeit und Verträglichkeit entspricht sowie Aufgeschlossenheit gegenüber Behandlungskonzepten und ein Bewusstsein einfordert, sich selbst um Fortschritte bemühen zu müssen. Der offene Vollzug hat im Land Berlin mit dem neuformulierten Gesetzestext des § 16 Absatz 2 Strafvollzugsgesetz Berlin einen klaren Gesetzesauftrag erhalten. Danach sind Gefangene im geschlossenen oder dann im offenen Vollzug unterzubringen, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere also nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden. Auf ein Regel- Ausnahme-Verhältnis zwischen geschlossenem und offenem Vollzug hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet. Der offene Vollzug soll mit seinen spezifischen Möglichkeiten und Ressourcen die Gefangenen befähigen, künftig ein straffreies Leben führen zu können. Diese Ziele können für geeignete Gefangene im offenen Vollzug eher erreicht werden, als dies im geschlossenen Vollzug möglich wäre. In der Vollzugsform des offenen Vollzuges können Inhaftierte sich den alltäglichen Anforderungen stellen und Belastungssituationen des täglichen Lebens tagtäglich erlernen und erproben. Somit schafft der offene Vollzug Sicherheit und leistet einen bedeutenden Beitrag zur Resozialisierung. 6. Wie hat sich die Situation der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener in den Jahren 2012 bis 2016 entwickelt? Zu 6.: Der im Februar 2015 gegründete Beirat für die religiöse Betreuung muslimischer Inhaftierter verfolgt den Zweck, muslimischen Inhaftierten eine bedarfsgerechte religiöse Betreuung durch Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu ermöglichen . Zudem berät er die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz bei der Umsetzung dieses Vorhabens. Der Beirat setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sunniten, Schiiten und Aleviten, aus Einrichtungen der Wissenschaft, der Justizvollzugsanstalten, des Berliner Integrationsbeauftragten und des Berliner Beauftragten für Religion und Weltanschauungsgemeinschaften zusammen. Geleitet wird er durch den Staatssekretär für Justiz. Mittlerweile konnten genügend geeignete religiöse Betreuer gefunden und durch Schulungen auf ihre Tätigkeit im Justizvollzug vorbereitet werden. Seit Oktober 2016 werden nun regelmäßig in den Anstalten Freitagsgebete und andere Gruppenveranstaltungen durchgeführt. Im weiteren Verlauf wird die muslimische und alevitische Einzelseelsorge vorbereitet und - nach derzeitiger Planung - im zweiten Quartal 2017 umgesetzt. 7. Welche Anstrengungen unternimmt der Senat im Umgang mit radikalem Islamismus im Berliner Justizvollzug und welche Herausforderungen für die Zukunft sieht er hierbei? Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 027 3 Zu 7.: Für den Umgang mit Gefangenen des radikalislamistischen Täterkreises in den Justizvollzugsanstalten wurden konzeptionelle Vorgaben der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz als Fachaufsichtsbehörde entwickelt und fortgeschrieben. Sie sind für die Justizvollzugsanstalten bindend und werden dort angewandt. Basis der Umsetzung bilden Erkenntnisse, die während der Untersuchungshaft aus Haftbefehl, Anklageschrift und Beobachtungen des Vollzugspersonals erwachsen. Gefangene mit Bezügen zum radikalen Islamismus werden bei Haftbeginn umfassenden vollzuglichen Sicherungsmaßnahmen unterworfen, die gegenüber gewöhnlichen Gefangenen erhöhte Aufmerksamkeit und erhöhten Personaleinsatz durch vermehrte Kontrolle und Überwachung erfordern. Hier sind zu nennen insbesondere der Besuchsund Schrift- sowie Telefonverkehr, eine verstärkte Durchsuchung der Gefangenen sowie die häufigere Revision ihrer Hafträume und ggf. Arbeitsplätze im Hinblick auf den Besitz verbotener Gegenstände wie z. B. Waffen und Handys. Zudem wird auf Sympathisanten geachtet; wobei als potentiell anfällig erkannte Gefangene vor Einwirken und Beeinflussung durch Gefangene mit islamistischem Hintergrund geschützt werden. Alle Gefangenen werden auf Anzeichen und Hinweise einer Radikalisierung im Verhalten oder in äußeren Umständen beobachtet. Nach Rechtskraft des Urteils und Übergang der oder des Verurteilten in die Strafhaft wird außerdem der jeweilige Einzelfall in Vollzugskonferenzen erörtert und bestehende Sicherungsregelungen werden aus vorangegangener Untersuchungshaft den Vorschriften und Bedingungen der Strafhaft angepasst. Wie bei allen anderen rechtskräftig gewordenen Urteilen ermittelt die Einweisungsabteilung des Berliner Justizvollzuges den spezifischen Behandlungsbedarf der Gefangenen und erstellt einen ersten Vollzugsplan, soweit Feststellungen im Urteil hinsichtlich Tatbegehung und Tathintergrund zu entnehmen sind. Sodann erfolgt die Einweisung und Verlegung in eine zur sicheren Unterbringung der oder des Gefangenen geeignete Anstalt. Im weiteren Vollzugsverlauf greifen Vorkehrungen zur Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit der Anstalt bezogen auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dabei handelt es sich - unter Kooperation mit den Sicherheitsbehörden - um Maßnahmen zur Entweichungsprävention, zur Verhinderung der Radikalisierung anderer Gefangener und um die Bereitstellung besonderer Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen mit dem Ziel der Deradikalisierung. Die Berliner Justizvollzugsanstalten werden inzwischen durch eine große Anzahl von freien Trägern unterstützt , um das Betreuungs-, Bildungs- und Behandlungsangebot in diesen spezifischen Themen zu erweitern. In der Annahme, dass jede individuelle Stärkung der Persönlichkeit und die Hinwendung zu rechtskonformen und stabilen Lebensentwürfen einer Hinwendung zu extremistischen und gewaltorientierten Handlungen entgegenwirken kann, sind entsprechende Ansätze in den angebotenen Maßnahmen enthalten. Unter anderem gehört dazu das Aufzeigen von Alternativen in den Debatten um Parallelgesellschaften , „Home-Grown Terrorists“ und einer vermeintlichen Islamisierung Deutschlands und Europas. Zentrale Säulen sind Fortbildungen und Workshops für Jugendliche, politische Bildung mit jungen Muslimen und pädagogisch aufbereitete Filmpakete. Mit der Methode der Verantwortungspädagogik wird insbesondere Jugendlichen, die sich antidemokratischen Strukturen angeschlossen oder geöffnet haben, ein Weg zur Rückkehr in das demokratische Gemeinwesen aufgezeigt. Ziel der Verantwortungspädagogik und eines Anti-Gewaltund Kompetenztrainings (AKT) ist das Erlernen von Kompetenzen, die eine Distanzierung von menschenverachtenden Ideologien in einer wertschätzenden Atmosphäre ermöglicht. Zudem ist die themenspezifische Aus- und Fortbildung der Mitarbeitenden intensiviert worden. Für die Justizvollzugsanstalten werden aus dem Kreis der Mitarbeitenden sogenannte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vertieft in der Materie ausgebildet mit dem Ziel einer Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner Justizvollzuges sowie der Vermittlung von Hintergrundwissen, um das Erkennen von Radikalisierungstendenzen zu schulen und zugleich durch Aufklärung und Informationen einer Stigmatisierung von Gefangenen muslimischen Glaubens vorzubeugen. Hinsichtlich grundlegender Strategien zur Prävention und Deradikalisierung im Justizvollzug stehen die Justizministerien aller Bundesländer in engem fachlichem Austausch . Berlin beteiligt sich an länderübergreifenden Arbeitsgruppen innerhalb der Bundesrepublik sowie beim Erfahrungsaustausch auf Ebene der Europäischen Union. Für die Zukunft ist mit einer konstanten Gefährdungslage und weiteren Zugängen aus diesem Umfeld zu rechnen . Je nach Entwicklung werden bestehende Konzepte und Reaktionsmuster anzupassen sein. 8. Wie bewertet der Senat die Personalsituation im Justizvollzug? Zu 8.: Seit 2013 wird jede Justizvollzugsanstalt in einem rollierenden System organisatorisch betrachtet. An Hand der Ergebnisse dieser Organisationsbetrachtungen konnte für den Haushalt 2016/2017 aufgezeigt werden, welche sach- und bedarfsgerechte Personalausstattung der Justizvollzug benötigt, um einen ordnungs- und verfassungsgemäßen Vollzug unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung durchführen zu können. In Folge hat der Justizvollzug die Finanzierung von 100 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten (VZÄ) erhalten, um der benötigten Personalausstattung in den Jahren 2016 und 2017 gerecht zu werden. Mit Blick auf die Fluktuation und den damit verbundenen Personalbedarf hat der Justizvollzug begonnen, ab 2014 im allgemeinen Justizvollzugsdienst (AVD) wieder auszubilden. Die angemeldete Ausbildungsplanung bis 2020 sieht vor, dass jährlich 125 Anwärterinnen und Anwärter ausgebildet werden. Um die Übernahme der Ausgebildeten gewährleisten zu können bleibt es oberstes Ziel, die derzeit im Haushaltsplan 2016/2017 noch nicht Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 027 4 finanzierten 109 Stellen im AVD in den Stellenplänen der Justizvollzugsanstalten mit dem Haushalt 2018/2019 finanziell abzusichern und dann besetzen zu können. Bei Betrachtung der vergangenen vier Jahre hat sich die Situation im AVD mit Blick auf die Zukunft verbessert . Nach dem derzeitigen Fluktuationsstand wird die Talsohle erst ab 2018 überwunden sein. Für den Haushalt 2018/2019 sind neben den oben beschriebenen Ausfinanzierungsbedarfen im Rahmen der fortgeführten Organisationsuntersuchungen weitere Bedarfe in allen Berufsgruppen des Justizvollzuges ermittelt worden. Für die jetzige Personalsituation kommt in den Berufsgruppen außerhalb des AVD erschwerend hinzu, dass freie Stellen zum Teil mangels Bewerbungen nicht zu besetzen sind. Außerhalb der bekannten Mangelberufe im Justizvollzug (z. B. IT-Fachpersonal, Ärzte) zeichnet sich deutlich ab, dass vor allem bei den Verwaltungs- und Sozialberufen eine spürbare Konkurrenz zu anderen Landesbehörden und zu den Bundesbehörden besteht. Dies liegt neben der grundsätzlichen Besoldungssituation innerhalb des Landes Berlins unter anderem daran, dass die Besoldungsstruktur der Justizvollzugsanstalten als nachgeordnete Einrichtungen Stellenobergrenzen und einem vorgegebenen Bewertungsrahmen unterliegt. 9. Welche Maßnahmen hat der Senat ergriffen, um die Arbeitsplätze im Berliner Justizvollzug attraktiv zu gestalten ? Zu 9.: Neben den Besoldungserhöhungen der vergangenen Jahre wurde erreicht, dass der Justizvollzug seit dem 1. Januar 2016 Anwärtersonderzuschläge in Höhe von 60 % des Grundgehaltes für Anwärterinnen und Anwärter gewähren kann. Somit erhält eine Anwärterin oder ein Anwärter derzeit monatlich ca. 1.600,00 EUR Anwärterbezüge (zuvor monatlich ca. 900,00 EUR). Außerdem konnten die Voraussetzungen zur Angleichung der Höhe der Vollzugslage für die Justizvollzugsanstalten an die Höhe der Vollzugszulage der Polizei und Feuerwehr geschaffen werden. In diesem Zuge ist es außerdem gelungen, dass Beamtinnen und Beamten des Justizvollzugs in den ersten beiden Jahren einer Beschäftigung im Justizvollzug die Vollzugszulage in Höhe von 95,53 EUR erhalten bleibt und die Zulage ab dem dritten Jahr auf 127,38 EUR angehoben wird. Damit konnte eine Angleichung an die Zulagenregelung bei Polizei und Feuerwehr erreicht werden. Darüber hinaus wurden für den allgemeinen Justizvollzugsdienst und den mittleren Verwaltungsdienst 375 Stellen in höherwertige Stellen umgewandelt. Aufgrund dieser Umwandlungen konnten 375 Personen nach entsprechender Auswahl im Rahmen regulärer Stellenbesetzungsverfahren befördert werden. Weiterhin bildet das betriebliche Gesundheitsmanagement einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt, mit dem auch die Attraktivität der Arbeitsplätze im Justizvollzug verbessert werden soll. Im Zusammenwirken der Behördenleitungen der Justizvollzugsanstalten, der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, der örtlichen Beschäftigtenvertretungen und der Gesamtbeschäftigtenvertretungen wurde entschieden, in einem ersten Schritt ein externes Beratungsunternehmen mit der fachlichen Expertise für das Gesundheitsmanagement zu beauftragen , in einem ganzheitlichen Ansatz sowohl die Arbeitsbedingungen in den Justizvollzugsanstalten nachhaltig zu verbessern als auch das Gesundheitsbewusstsein und die Gesundheitskompetenzen der Beschäftigten zu stärken. Zentrale Themen dabei sind die Verbesserung der Kommunikation und der Entscheidungsspielräume, die Stärkung der Führungskultur und die Verbesserung der Qualifizierung der Mitarbeitenden. In einem weiteren Schritt wurde der sogenannte „Gesundheitspakt “ geschlossen, mit dem sich die oben genannten Beteiligten verpflichten, für bestimmte Kernanliegen im Kontext des Gesundheitsmanagements einzutreten . Zu den Kernanliegen gehören die Verbesserung der Führungskompetenz, die Schaffung einer offenen und transparenten Informations- und Kommunikationskultur, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf und die Schaffung zeitgemäßer Organisationsstrukturen . 10. Wie hat sich die Praxis des Vollzugs von Ersatzfreiheitsstrafen in den Jahren 2012 bis 2016 entwickelt? Zu 10.: Die Zahl der Gefangenen, bei denen ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, ist auch in den letzten vier Jahren für den Berliner Justizvollzug nicht unerheblich geblieben. Im Wesentlichen liegen die Zahlen durchschnittlich deutlich über 350 Gefangene pro Monat und in den Sommermonaten zumeist bei etwas weniger, mithin zwischen 265 und 290 Gefangene pro Monat. Da die Mehrzahl dieser Gefangenengruppe sich nicht selbst zum Vollzug stellt, erfolgen die Zuführungen durch die Polizei schwankend, so dass es immer wieder Monate mit für die Anstalten nicht vorhersehbaren Spitzen gibt. Im Jahr 2014 ist die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz in konkrete Überlegungen in Abstimmung mit dem Leitenden Oberstaatswalt in Berlin und der dortigen Vollstreckungsabteilung eingetreten, wie zusätzliche vollzugliche Maßnahmen zur Haftverkürzung oder Haftvermeidung für diese Gefangenengruppe ergriffen werden können. Ergebnis dieser Bemühungen war das seit 1. April 2015 in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee für einen Zeitraum von einem Jahr gelaufene Pilotprojekt „Day-by-Day“. Da das Pilotprojekt einen erfolgreichen Abschluss gefunden hat, wird es im Berliner Justizvollzug fortgeführt. Durch den Ansatz von „Day-by-Day“ wird es Gefangenen, bei denen ausschließlich eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ermöglicht, während des Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 027 5 Strafvollzugs freie Arbeit im Sinne der Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu leisten und somit an einem Tag zwei Tagessätze der ursprünglich zu vollstreckenden Geldstrafe zu tilgen. Dafür sind in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, die nach dem Berliner Vollstreckungsplan primär für die Aufnahme von männlichen erwachsenen Ersatzfreiheitsstrafern zuständig ist, ausgewählte Beschäftigungsmöglichkeiten in den Eigenbetrieben der Anstalt und über ein Außenkommando bei einer Fachvermittlungsstelle im Bereich Schulsanierung geschaffen worden. In der Regel werden durchschnittlich täglich 35 bis 40 Beschäftigungsplätze für freie Arbeit innerhalb des Justizvollzugs genutzt. Mit Stand 22. Februar 2016 konnten insgesamt 7.942 Hafttage eingespart werden. Dies entsprach schon vor Ablauf des einjährigen Pilotprojektes aufs Jahr betrachtet einer Kapazität von rund 21 Haftplätzen. Die aktuellen Zahlen (Stand: 21.11.2016) belegen, dass seit Beginn des Projektes „Day-by-Day“ nunmehr 15.348 Hafttage zur Haftvermeidung abgearbeitet wurden und insgesamt 687 Gefangene an dieser Maßnahme teilgenommen haben. Daneben stehen weitere und bewährte haftverkürzende und haftvermeidende Maßnahmen beim ausschließlichen Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zur Verfügung. Zum einen werden mit den Gefangenen unmittelbar nach der Aufnahme die finanziellen Möglichkeiten beleuchtet , die weitere Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Tilgung der Geldstrafe abzuwenden oder eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft zu schließen oder zu erneuern. Zum anderen besteht seit 2015 die zusätzliche Möglichkeit durch Geldverwaltung und Abtretungserklärung gegenüber dem Jobcenter, sofern Transferleistungen bezogen werden, die Geldstrafen in Raten zu tilgen und somit die weitere Freiheitsentziehung zu vermeiden. Schließlich bildet auch der diesjährige Gnadenerweis aus Anlass des Weihnachtsfeste 2016 weiterhin die bewährte Praxis ab, dass Gefangene mit ausschließlich zu vollziehender Ersatzfreiheitsstrafe auch darunter fallen und bereits zum 23. November 2016 unter bestimmten Voraussetzungen entlassen werden können. Für den Berliner Frauenvollzug ist für die Jahre 2015 und 2016 noch eine temporäre Besonderheit zu ergänzen: Aufgrund erheblicher personeller Unterdeckung der JVA für Frauen Berlin, insbesondere beim Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD), sind im Jahr 2015 Sicherheitsrisiken entstanden, die dauerhaft nicht zu verantworten waren. Es war deshalb erforderlich, die JVA für Frauen durch die kurzfristige Schließung des Standortes Pankow zu entlasten . Der Standort Pankow wird insbesondere im Hinblick auf die Ausbildungsabschlüsse bei den Anwärterinnen und Anwärtern für den AVD ab Januar 2017 den Betrieb wieder aufnehmen. Da die Schließung des Standortes Pankow Mitte 2015 eine Verteilung der dortigen Gefangenen auf die übrigen Standorte erforderlich machte, war mit Blick auf die verbliebene verfassungsgemäße Belegungsfähigkeit der JVA für Frauen ein Vollstreckungsaufschub für weibliche Gefangene, bei denen ausschließlich eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, erforderlich . Nach Abstimmung mit allen zu beteiligenden Akteuren ist hierzu eine entsprechende Regelung gemäß § 455a Strafprozessordnung in Kraft gesetzt worden, die im März dieses Jahres einmalig verlängert wurde und nun zum 31. Dezember 2016 ausläuft. Diejenigen Frauen, die die zwischenzeitliche Phase nicht genutzt haben, um ihre Geldstrafe zu tilgen, werden daher erneut ab Januar 2017 sukzessive durch die Staatsanwaltschaft Berlin zum Haftantritt für die Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe geladen werden. Berlin, den 25. November 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Nov. 2016)