Drucksache 18 / 10 028 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 08. November 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. November 2016) und Antwort Entwicklung der Berliner Justiz (V) - Kriminalitätsbekämpfung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hat sich die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in den Jahren 2012 bis 2016 entwickelt? Zu 1.: Mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (im Folgenden: OK) sind bei der Staatsanwaltschaft Berlin die vier Abteilungen 251, 254, 255 und 257 befasst. Dabei werden in der Abteilung 251 schwerpunktmäßig Fälle der Rockerkriminalität, der Kriminalität von Angehörigen bestimmter arabischer Großfamilien, des banden- und serienmäßigen Wohnungseinbruchs, schwere Waffen- und Geldfälschungsdelikte bearbeitet. Die Abteilung 254 ist mit der Bekämpfung organisierter Rauschgiftdelikte befasst. Die Abteilung 255 bearbeitet schwerpunktmäßig Fälle des Menschenhandels, der Schleusungskriminalität, der Kraftfahrzeugverschiebung und des serienmäßigen Geschäftseinbruchs. Die Abteilung 257 ist für die Verfolgung der organisierten Internetkriminalität zuständig. OK wird darüber hinaus im Einzelfall auch in anderen Bereichen der Staatsanwaltschaft, etwa der Abteilung 234 (Tötungsdelikte) oder (Wirtschafts -)Hauptabteilung 4 (Geldwäsche, Bestechungsdelikte ) bearbeitet. Dabei hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass einzelne organisiert-kriminelle Betätigungsfelder und Phänomene nicht die Zuständigkeit einer einzelnen OK- Abteilung, sondern gleichzeitig mehrerer Abteilungen berühren können. So sind beispielsweise die schwerpunktmäßig in der Abteilung 251 verfolgten Rocker und kriminelle Angehörige arabischer Großfamilien auch im Rauschgift- und Menschenhandel aktiv. Die Staatsanwaltschaft verfolgt bei derartigen Verfahren daher einen ganzheitlichen Ansatz, der einen engmaschigen turnusmäßigen Informationsaustausch aller mit OK befassten Abteilungen und gegebenenfalls eine abteilungsübergreifende Verfahrensbearbeitung einschließt. In Umsetzung des vorbezeichneten ganzheitlichen Ansatzes finden zudem turnusmäßige Dienstbesprechungen mit den Verantwortlichen der zuständigen Landeskriminalämter statt. Die betont enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Staatsanwaltschaft und mit der Polizei hat sich schon deshalb als sehr effektiv herausgestellt, weil damit Informationsverluste weitgehend vermieden und im Einzelfall erforderliche schnelle Reaktionen der Ermittlungsbehörden sichergestellt werden konnten. Die Staatsanwaltschaft hat im Jahre 2012 ein Konzept für eine offensivere Bekämpfung der OK in Berlin entwickelt und zunächst in Umsetzung dieses Konzeptes die mit OK befassten ursprünglichen drei Spezialabteilungen personell verstärkt. Um der sich dynamisch verändernden Kriminalitätsstruktur und den gewachsenen Ansprüchen an eine zeitgemäße Strafverfolgung Rechnung zu tragen, sind im Bereich der OK neben den Schwerpunkten mit herausgehobener Bedeutung wie beispielsweise „Rockerkriminalität “ neue Schwerpunkte im Bereich der bereits oben genannten Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität sowie der IT-Kriminalität (Cybercrime) gesetzt worden. Hinsichtlich der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls ist 2012 zudem die Task-Force Wohnungseinbruchsdiebstahl mit dem Ziel eingerichtet worden , durch eine Optimierung in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft die steigende Einbruchskriminalität effektiver zu bekämpfen. Von den OK-Abteilungen wurden die Arbeitshilfsmittel „Handreichung zur Bekämpfung professioneller Wohnungs- /Serieneinbrüche -Auslage bei dem Bereitschaftsgericht“ und „Handreichung für Wohnungs-Gewerbe und Serieneinbrüchen “ erstellt, die den am Bereitschaftsgericht und/oder während der Rufbereitschaft eingesetzten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten die Einordnung entsprechender Fälle erleichtert, was zu einer weitgehend einheitlichen Handhabung in Bezug auf die Beantragung von Durchsuchungsbeschlüssen und Haftbefehlen geführt hat. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 028 2 Die Abteilung 251 ist zum 1. Januar 2015 um ein weiteres Dezernat verstärkt worden, um Ermittlungen zur Aufklärung der finanziellen Verhältnisse der Verfahrensbeteiligten mit dem Ziel der Gewinnabschöpfung - auch unter dem Gesichtspunkt der Geldwäsche - aus dem Geschäftsbereich der Abteilungen 251, 254, 255 und 257 zu fördern. Die am 1. August 2015 neu eingerichtete Abteilung 257 ist für die Verfolgung der organisierten Internetkriminalität (IT-Kriminalität im engeren Sinn) zuständig, bearbeitet zudem „Pilotverfahren“ zu neuen Kriminalitätsphänomenen mit IT-Bezug, unterstützt hauptabteilungsübergreifend andere Dezernate bei der Bearbeitung von sonstigen Fällen mit IT-Bezug (IT-Kriminalität im weiteren Sinn) und führt interne Fortbildungsmaßnahmen zu IT-spezifischen Themen durch. 2. Welche Maßnahmen hat der Senat für eine verbesserte Bekämpfung der Cyberkriminalität ergriffen? Zu 2.: Wie in Beantwortung zu Frage 1 bereits dargestellt , ist im August 2015 bei der Staatsanwaltschaft Berlin die Abteilung 257 neu eingerichtet worden, deren primäre Zuständigkeit in der Verfolgung organisierter Internetkriminalität liegt. Darüber hinaus beteiligen sich die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz und die Staatsanwaltschaft Berlin an der Arbeitsgruppe Cybersicherheit, die zusammen mit dem Cybersicherheitsreferat der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gebildet worden ist. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der ressortübergreifenden Betrachtung sämtlicher Themen, die die Sicherheit des Cyberraums Berlin betreffen, wozu auch Verfolgung und Bekämpfung von Cyberkriminalität gehören. Am 17. November 2016 wurde auf der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister mit Unterstützung Berlins beschlossen, dass aus technischen Entwicklungen resultierende Regelungslücken im Straf- und Strafprozessrecht geschlossen werden müssen, ohne dabei das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts aus den Augen zu verlieren. Darüber hinaus muss den Strafverfolgungsbehörden ein rechtssicherer und grundrechtskonformer Umgang mit digitalen Beweismitteln möglich sein, wozu es eindeutiger und handhabbarer rechtlicher Grundlagen bedarf. Um in dieser Hinsicht den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu prüfen und gegebenenfalls Reformvorschlägen zu erarbeiten, soll eine Arbeitsgruppe gebildet werden, an der sich die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz beteiligen wird. 3. Wie bewertet der Senat die Erfolge bei der Aufklärung und Verfolgung von BTM-Delikten? Zu 3.: Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist seit dem Jahr 2011 für Berlin einen kontinuierlichen Anstieg der registrierten Betäubungsmitteldelikte aus. Wurden im Jahr 2011 noch insgesamt 11.238 Fälle erfasst, belief sich diese Zahl im Jahr 2015 bei einer Aufklärungsquote von 87,3 % auf 15.753 Fälle. Entsprechend hat sich auch die Zahl der von der Staatsanwaltschaft Berlin im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität erledigten Ermittlungsverfahren von 11.153 im Jahr 2012 auf 14.829 im Jahr 2015 gesteigert. Das Deliktsfeld der Betäubungsmittelkriminalität ist von einer hohen Dunkelziffer geprägt. Die Steigerung der erfassten Straftaten ist bei der benannten hohen Aufklärungsquote schon unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips als positiv zu bewerten, weil die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen zureichender Anhaltspunkte Straftaten verfolgen muss. Die Kontrolle der Betäubungsmitteldelikte wurde in den letzten Jahren stark intensiviert , demzufolge traten mehr Straftaten in diesem Bereich zu Tage, die auch verfolgt und aufgeklärt werden konnten. Die beschriebene Steigerung der registrierten Straftaten ist dabei auch nicht alleine auf eine verschärfte Verfolgung von Konsumenten von Cannabis beispielsweise im Görlitzer Park zurückzuführen, in Folge deren deutlich mehr Betäubungsmittelstraftaten verfolgt werden konnten als zuvor. Vielmehr ist gerade von 2014 auf 2015 auch die Zahl der bei der Staatsanwaltschaft Berlin erledigten Ermittlungsverfahren wegen als Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedrohter Delikte insbesondere des Handelns mit Betäubungsmitteln, auf dessen Bekämpfung weiter der Fokus liegt, von 1.580 auf 2.399 angestiegen. 4. Wie haben sich in den Jahren 2012 bis 2016 die Ansätze bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität verändert und wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang die Entwicklung des „Neuköllner Modells“? Zu 4.: Im Bereich der Kinder- und Jugenddelinquenz bilden die Berliner Justiz, die Polizei, Jugend- und Sozialbehörden , Schulen und freien Träger seit Längerem ein effizientes System der Prävention und Intervention. Dieses bewährte Prinzip der interdisziplinären Zusammenarbeit wurde fortgesetzt und verstärkt. Dabei wurden auch neue Wege beschritten. So wurde unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz am 4. Juni 2013 auf dem Rütli-Campus in Berlin-Neukölln ein sogenanntes World- Café zum Thema Jugendgewalt mit rund 60 Experten aus allen mit dem Thema Jugenddelinquenz befassten Bereichen veranstaltet. Die bei dieser Veranstaltung gewonnenen Erkenntnisse wurden im weiteren Verlauf zur Weiterund Neuentwicklung von Konzepten und Maßnahmen genutzt. Unter anderem wurde das am 1. Juli 2015 gestartete Pilotvorhaben „Staatsanwalt für den Ort“ für den Bezirk Neukölln initiiert, dem die Erwartung zugrunde liegt, dass durch eine Regionalisierung der staatsanwaltschaftlichen Jugendsachbearbeitung eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahrensabläufe, eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Stellen und eine Unterstützung des besonderen Engagements im jugendstrafrechtlichen Bereich erreicht werden kann. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 028 3 Des Weiteren wurde zum 1. Juli 2014 die staatsanwaltschaftliche Jugendsachbearbeitung neu konzipiert. Damit war insbesondere eine Umstrukturierung im Bereich der täterorientierten Ermittlungen verbunden. So werden seitdem auch Verfahren gegen die als Schwellentäter eingestuften Personen in der für die Bearbeitung der Verfahren gegen Intensivtäter zuständigen Abteilung 265 geführt. Damit ist gewährleistet, dass die in dieser Abteilung vorhandenen Erfahrungen im Bereich der täterorientierten Ermittlungen genutzt werden, um junge Täter bereits an der Schwelle zur kriminellen Karriere „abzufangen “. Das bewährte Intensivtäterkonzept als besondere Ausprägung des Konzepts der täterorientierten Ermittlungen wurde im Übrigen fortgeführt. Dabei wurde verstärkt Wert gelegt auf eine Förderung der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Ausdruck dessen war unter anderem die in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vorbereitete Neufassung der von den Senatsverwaltungen für Justiz und Verbraucherschutz sowie für Inneres und Sport erlassenen Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung zur Strafverfolgung von Intensivtäterinnen und Intensivtätern (Intensivtäterrichtlinie) zum 1. März 2016. Die Änderungen gegenüber der aktuellen Fassung bezwecken insbesondere eine Verdeutlichung der Schwerpunktsetzung auf jugendliche Gewalttäter und sollen darüber hinaus die Kriterien für die Einstufung als Intensivtäter, aber auch die Löschung aus der Liste konkretisieren und transparenter gestalten. Das Konzept der täterorientierten Ermittlungen im Bereich jugendlicher Delinquenz wurde auch im polizeilichen Rahmen weiter entwickelt. So rief die Polizei Berlin im Jahr 2012 in der Polizeidirektion 5 das Pilotprojekt ,,Täterorientierte lntervention" (TOI) ins Leben. Aufgabe der drei eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es, durch Recherchen und intensive Prüfungen gefährdete Kinder und Jugendliche zu ermitteln und durch eine starke Vernetzung nach innen und nach außen zu den zuständigen Jugendbehörden einer negativen Entwicklung entgegenzuwirken . Zu der Arbeit gehören ebenso Präventionsgespräche mit den Betroffenen und deren Eltern, in die auch die Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner eingebunden werden sollen. Nach der ersten Erprobung wurde das Konzept 2014 zur Sammlung weiterer Erkenntnisse auf die Polizeidirektionen 3 und 4 erstreckt. Eine Evaluierung des Projekts wurde durch die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin durchgeführt. Bis zum Jahresende soll deren Auswertung abgeschlossen sein und ein Umsetzungsergebnis feststehen. Belebt wurde zudem der Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen der Jugendstrafjustiz und den Familiengerichten. So fand am 16. September 2014 auf Einladung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz im Kriminalgericht Moabit eine Veranstaltung zum Informations- und Erfahrungsaustausch für Richterinnen und Richtern der Jugend- und Familiengerichtsbarkeit sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälten statt. Im Anschluss an die von den Teilnehmern als positiv aufgenommene Veranstaltung wurde unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz eine regelmäßige Themensammlung bei den betroffenen Bereichen etabliert, mit der abgeklärt werden soll, ob und in welchem Umfang Erörterungsbedarf besteht. Fortgesetzt wurde die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der seit 1999 unter Federführung der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung bestehenden „Ressortübergreifenden Arbeitsgruppe Kinder- und Jugenddelinquenz“ (RÜ AG), in der Vertreterinnen und Vertreter der für Justiz, für Inneres, für Schule, für Gesundheit, für Soziales , für Stadtentwicklung und für Jugend zuständigen Senatsverwaltungen sowie des Polizeipräsidenten, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, des Landesjugendamtes sowie der öffentlichen Jugendhilfe, der Jugendstrafanstalt Berlin, der Staatsanwaltschaft und seit 2016 auch des Amtsgerichts Tiergarten regelmäßig die Arbeit am Thema Kinder- und Jugenddelinquenz abstimmen . Auch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt hat sich weiter unter anderem mit dem Thema Kinder- und Jugenddelinquenz befasst. So hat sie im Rahmen des Gesamtkonzepts zur Reduzierung der Jugendgewaltdelinquenz des Senats zum 1. Juli 2013 die „Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention “ für zunächst 5 Jahre eingerichtet. Die Arbeitsstelle wird durch die Camino gGmbH betrieben . Neben der Entwicklung von Qualitätsstandards für Präventionen und Interventionsmaßnahmen zur Reduzierung von Jugendgewaltdelinquenz gehört zu ihren Aufgaben unter anderem auch die Entwicklung und Fortschreibung eines Evaluationskonzepts sowie die Veranstaltungen von Workshops und ein sozialraumbezogenes Monitoring . Die Schwerpunktsetzungen liegen insbesondere bei der Stärkung der sozialen Kompetenzen durch Schule und Erziehung und der Verbesserung der Arbeit mit Intensiv - und Schwellentätern. Die Tätigkeit der Arbeitsstelle wird zusätzlich von einer Koordinierungsgruppe begleitet, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der am Gesamtkonzept zur Reduzierung der Jugendgewaltdelinquenz beteiligten Senatsverwaltungen zusammensetzt. Ein neuer, sehr fundierter Ansatz wurde im Bereich der Fortbildung mit der Veranstaltung eines Kollegs im Jugendstrafrecht durch das Gemeinsame Juristische Prüfungsamt der Länder Berlin und Brandenburg gewählt. In insgesamt neun Modulen wurde den teilnehmenden Jugendrichterinnen und Jugendrichtern sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälten in den Jahren 2012 und 2013 durch Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis nicht nur das juristische Fachwissen, sondern auch die Kenntnisse in den für die Tätigkeit im Jugendstrafrecht bedeutsamen Bezugswissenschaften, wie (Sozial-) Pädagogik, Jugendpsychologie, der Jugendpsychiatrie , Kriminologie und Soziologie, vermittelt. Damit wurde auch dem Auftrag von § 37 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz Rechnung getragen, wonach die mit der Bearbeitung von Jugendstrafsachen beauftragten Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein sollen. Letztlich bleibt auch die Förderung der Konzeption des besonders beschleunigten Jugendverfahrens nach dem „Neuköllner Modell“ (NKM) ein wichtiges Anliegen des Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 028 4 Senats. Das für die Konzeption verantwortliche Amtsgericht Tiergarten arbeitet dabei eng mit der Polizei zusammen und bietet beispielsweise Schulungen an. In die Planung wurden dabei bereits die jüngsten Umstrukturierungsmaßnahmen der Polizei einbezogen. So ist geplant, dass nach flächendeckender Einrichtung der Abschnittskommissariate bei der Polizei gezielt die mit der Jugendsachbearbeitung betrauten Polizeikräfte nochmals in der Erkennung und Bearbeitung von Vorgängen unterwiesen werden, die sich für das NKM eignen könnten. Parallel wird an einer Ergänzung der Schulungskonzeption gearbeitet , die als eine Art „Nachschlagewerk" auf möglichst alle Fragen zum Themenbereich neben dem inzwischen selbstverständlichen Angebot telefonischer Rücksprache auch eine nachlesbare Antwort anbieten soll. Teilweise werden auf dieser Grundlage auch bereits eigene interne Schulungen seitens der Polizei durchgeführt. Anzumerken ist, dass auch die im Rahmen des Pilotvorhabens „Staatsanwalt für den Ort“ tätigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei Treffen mit der Polizei regelmäßig werbend auf die Voraussetzungen und Vorteile des NKM hinweisen . Schließlich weisen die vorliegenden polizeilichen Daten für das Jahr 2015 einen merklichen Anstieg der Zahlen aus. Demnach haben sich die Kontaktaufnahmen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem NKM von 2014 auf 2015 um rund 10 Prozent von 808 auf 888 erhöht. Die Zahl der nach dem NKM durchgeführten Verfahren ist auf Grundlage der polizeilichen Statistik um rund 20 Prozent von 284 auf 339 gestiegen. Hinzuweisen ist auch auf die in den Jahren 2013/2014 erfolgte Evaluation des NKM durch die Hochschule für Wirtschaft und Recht. Diese hat ergeben, dass es sich um ein sinnvolles verfahrensbeschleunigendes Instrument handelt und kein Anlass besteht, das kostenneutrale und in das jugendstrafrechtliche Verfahren ohne maßgebliche Schwierigkeiten zu integrierende NKM aufzugeben. Einhergehend mit den beschriebenen Maßnahmen hat sich gemäß der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) die Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren in den Jahren 2011 - 2015 von 26.367 auf 26.122 verringert. Die Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ), die die Anzahl der registrierten Tatverdächtigen auf die Einwohnerzahl bezieht , stieg für unter 21-Jährige von 2014 auf 2015 zwar leicht an, nachdem in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen war. Trotz dieses Anstiegs stellt der Anteil der unter 21-Jährigen an allen Tatverdächtigen im Jahr 2015 den zweitniedrigsten Wert seit Einführung einer Gesamtberliner PKS im Jahr 1991 dar. Bezogen speziell auf die Jugendgewaltkriminalität ist seit Langem ein stetiger Rückgang der TVBZ zu verzeichnen. Betrug diese im Jahr 2006 noch 2.857, verringerte sie sich im Jahr 2014 auf 1.800. 5. Welche Erkenntnisse hat der Senat aus dem Pilotprojekt „Staatsanwalt für den Ort“ für die Zukunft gewonnen ? Zu 5.: Zum Zwecke der fortlaufenden Evaluation des am 1. Juli 2015 begonnenen und auf drei Jahre angelegten Pilotvorhabens „Staatsanwalt für den Ort“ berichtet die Staatsanwaltschaft Berlin halbjährlich den Sachstand. Die ersten Berichte über das zweite Halbjahr 2015 und das erste Halbjahr 2016 stimmen optimistisch. Sie zeugen von einem erheblichen Engagement der an dem Pilotvorhaben beteiligten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die Anzahl der von ihnen bearbeiteten Verfahren entspricht der in anderen Jugendabteilungen. Dabei wurde zügig gearbeitet. So konnten zwei Drittel der Verfahren binnen eines Monats erledigt und damit dem in Jugendstrafsachen besondere Bedeutung zukommenden Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen werden. Daneben wurden aber auch noch in erheblichem Umfang Zusatzaufgaben mit dem Ziel übernommen, durch ein verstärktes Engagement bei der Zusammenarbeit mit den übrigen Beteiligten eine qualitative Steigerung der Bearbeitung der Jugendstrafverfahren zu erreichen. Die von den Beteiligten in diesem Zusammenhang aufgebrachte zusätzliche Arbeitszeit belief sich im ersten Jahr auf rund 440 Stunden. Dadurch konnte bereits eine merkliche Verbesserung der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft Berlin mit den übrigen Verfahrensbeteiligten erreicht werden. Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt Neukölln, hier insbesondere der Jugendgerichtshilfe Neukölln , die durch die Regionalisierung der staatsanwaltschaftlichen Jugendsachbearbeitung merklich an Qualität gewonnen hat. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat in diesem Zusammenhang auch an der Erarbeitung des Neuköllner Handlungskonzept Prävention und Intervention bei Kinder- und Jugendkriminalität mitgewirkt, das unter Federführung des Bezirksamts Neukölln insbesondere auf jugendliche Intensivtäter abzielt. Die neue Struktur und das verstärkte Engagement haben im Weiteren zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Jugendrichterinnen sowie Jugendrichtern beigetragen. Es wurde häufiger kommuniziert und damit in der Wahrnehmung der Beteiligten auch eine Verbesserung der Arbeitsatmosphäre erreicht. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat darüber hinaus durch Schulungen die Einführung eines vertieften kriminalprognostischen Informationsaustauschs zwischen Polizei und Jugendgerichtshilfe nach dem so genannten „Oberhausener Modell“ vorangetrieben. Ziel ist es, dass die Polizei die Jugendgerichtshilfe bereits frühzeitig und durchgängig über kriminalprognostisch relevante Umstände bezüglich der beschuldigten Jugendlichen informiert und die Jugendgerichtshilfe auf diese Weise bestmöglich unterstützt wird. Die so schon verstärkte Einbindung der polizeilichen Arbeit soll noch vertieft werden. Dabei werden weitere Verbesserungen durch die bei der Polizei derzeit stattfindenden Umstrukturierungen (Einführung der Abschnittskommissariate ) erwartet. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 028 5 Das Vorhaben entwickelt sich somit erfreulich. Hervorzuheben ist, dass durch die personelle Kontinuität auch die persönlichen Kontakte zu den anderen Ressorts gesteigert werden konnten. Für die Beteiligten schafft dies ein angenehmes Arbeitsklima und fördert somit die Produktivität . Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Es ist beabsichtigt, nach Hälfte der Laufzeit des Pilotvorhabens in einer Runde mit Vertreterinnen und Vertretern aller Verfahrensbeteiligten eine Zwischenbilanz zu ziehen . Berlin, den 25. November 2016 In Vertretung Straßmeir Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Nov. 2016)