Drucksache 18 / 10 039 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten June Tomiak (GRÜNE) vom 10. November 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. November 2016) und Antwort Neonazistische Identitätskrise - Zustand der "Identitären Bewegung“ Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragestellerin: Die sogenannten Identitären sind ein Arm der Neuen Rechten, der seit circa 4 Jahren aktiv ist. Von gewöhnlichen Neonazis unterscheidet sie, dass sie keinen Rassismus im klassischen Sinne propagieren, sondern für einen Verbleib von Ethnien auf ihren „angestammten“ Gebieten werben und Menschen durch Kultur, Religion und Volksgemeinschaft zu teilen versuchen. So manifestiert sich die Angst vor einer „Umvolkung“ im Sprachgebrauch der Szene. Durch diesen eher niedrigschwelligen Ansatz in Vermischung mit einem Werben für Heimat, Tradition und deutsche Leitkultur bietet die Identitäre Bewegung Berlin Brandenburg (IBBB) Menschen einen Einstieg in den Rechtsextremismus . 1. Wie groß ist das aktuelle Personenpotential der Szene? Zu 1.: Die „Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg“ (IB BB) führt keine öffentlich einsehbaren Mitgliederlisten . Ein führender Aktivist der „Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg“ hatte im Rahmen einer Veranstaltung am 19. September 2016 angegeben, dass Berlin über circa 30 Aktivisten verfüge. Dies erscheint derzeit realistisch . 2. Wie schätzt der Senat die Bedeutung der IBBB ein? Zu 2.: Die IB BB bindet aktionsorientierte Extremistinnen und Extremisten des muslimen- und zuwanderungsfeindlichen Spektrums. Dieses ist ein Teilbereich der so genannten „Neuen Rechten“. Durch eine deutliche Zunahme von öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IB BB konnte sie ihre Bedeutung in der extremistischen Szene in Berlin steigern. Schwerpunkte der Aktivitäten der „Identitären Bewegung “ in Deutschland liegen wegen des Sitzes von Bundesregierung und Bundestag, zahlreicher Medien und politischer Organisationen in Berlin. 3. Wie viele Straftaten wurden im laufenden Kalenderjahr von Personen aus dem Spektrum der Identitären Bewegung begangen? Wie schlüsseln sich diese auf? 4. Sind dem Senat aktuell laufende Strafverfahren bekannt? Wenn ja, welche? Zu 3. und 4.: Strafverfahren, die gegen Mitglieder der IB Deutschland (IB D) geführt werden, sind im staatsanwaltlichen Aktenverwaltungssystem Mehrländer-Staatsanwalts -Automation (MESTA) nicht unter diesem Merkmal erfasst. Eine Nachfrage bei der Berliner Staatsanwaltschaft ergab Folgendes: In einem Verfahren ist ein Strafbefehl gegen ein Mitglied der „Identitären Bewegung“ wegen Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz beantragt und erlassen worden. In einem weiteren Verfahren wurden Ermittlungen gegen Unbekannt im Zusammenhang mit der unerlaubten Anbringung eines Plakates auf dem Gebäude der Technischen Universität Berlin geführt. Dieses wurde gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt , weil der Täter nicht zu ermitteln war. Ein weiteres Verfahren gegen Mitglieder der „Identitären Bewegung“ im Zusammenhang mit Äußerungen zu den Anschlägen in Ansbach und Würzburg wurde aus Rechtsgründen nach § 170 Absatz 2 StPO eingestellt. Aktuell wird ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen ein Mitglied der „Identitären Bewegung“ im Zusammenhang mit der Besteigung des Brandenburger Tores im Sommer dieses Jahres geführt. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 039 2 5. Wie viele dem identitären Spektrum zuzuordnende Personen sind in Berlin als Waffenbesitzer registriert? Zu 5.: Die beim zuständigen Dezernat des Polizeilichen Staatsschutzes im Landeskriminalamt Berlin der „Identitären Bewegung“ zugerechneten Personen verfügen nach Auskunft der zuständigen Waffenbehörde Berlin aktuell über keine gültigen waffenrechtlichen Erlaubnisse. Darüber hinaus siehe Antwort zu Frage 1. 6. Bezieht sich die Beobachtung der Bewegung nur auf den eingetragenen Verein oder werden auch Nicht- Vereinsmitglieder überwacht? Falls nein, bitte begründen. Zu 6.: Der Senat beobachtet extremistische Bestrebungen und gibt darüber unter anderem in dem jährlichen Berliner Verfassungsschutzbericht Auskunft. Seit dem Berichtsjahr 2014 werden die IB BB und ihr Spektrum dort erwähnt. 7. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat zu Rekrutierungsmaßnahmen der IBBB abseits des virtuellen Raumes vor? In welchem Umfang wird an Schulen und Hochschulen geworben? Zu 7.: Die IB BB rekrutiert ihre Aktivistinnen und Aktivisten maßgeblich über das Internet bzw. ihr Profil in dem sozialen Netzwerk Facebook. Mit einer Aktion an der Technischen Universität Berlin am 15. Juli 2016 („Aktion Islamisierung? Für eine säkulare Uni!“) dürfte die IB BB intendiert haben, im studentischen Milieu auf ihr Netzwerk aufmerksam zu machen. Weitere Aktivitäten der IB BB an Schulen oder Universitäten sind nicht bekannt. 8. Welche Kenntnis besitzt der Senat über Verstrickungen von Berliner Aktivisten mit anderen Organisationen oder Parteien des asylfeindlichen oder rechtsextremen Spektrums bundesweit? Zu 8.: Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ ist national und international vernetzt. Die IB Deutschland unterhält zu anderen „identitären“ Gruppen im europäischen Ausland Kontakte. Darüber hinaus dient vor allem die rechtsextremistische französische „Génération Identitaire “ der IB D hinsichtlich der Gestaltung von Aktionen und der politischen Zielsetzung als maßgebliches Vorbild (vergleiche Drucksache des Deutschen Bundestages 17/14811). Am 17. Juni 2016 trat bei einer angemeldeten Versammlung in Berlin einer der beiden Leiter der „Identitären Bewegung Österreich“ auf, der als einer der Chefideologen der „Identitären“ im deutschsprachigen Raum gilt. Dieser pflegt auch intensive Kontakte zu den Strukturen der so genannten „Neuen Rechten“ in Deutschland. Diese Akteure wiederum sind eng vernetzt mit den „Identitären “. Das „Institut für Staatspolitik“ sowie die rechtsgerichtete Jugendzeitschrift „Blaue Narzisse“ stehen der „Identitären Bewegung“ ebenso nahe und bewerben diese oder dienen dieser als Stichwortgeber. Führende Aktivisten der „Identitären Bewegung“ waren bei zwei Veranstaltungen des COMPACT-Magazins am 19. September 2016 und am 5. November 2016 in Berlin auf dem Podium vertreten. Berlin, den 25. November 2016 In Vertretung Bernd Krömer Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Nov. 2016)