Drucksache 18 / 10 102 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Gottfried Curio (AfD) vom 28. November 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. November 2016) und Antwort Kinderehen und Polygamie Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Angesichts der aktuellen Migration nach Deutschland (insb. Aus dem islamischen Kulturkreis) ist auch in Berlin von einer Zunahme an Kinderehen (d.h. einer der Eheschließenden ist unter 18) sowie von Polygamie (d.h. einer der Eheschließenden ist bereits verheiratet) auszugehen . (Alle Fragen beziehen sich auf die Situation in Berlin. Insoweit individuelle Angaben unter 1) und 2) nicht zweckmäßig erscheinen, wird um prozentuale Angaben gebeten.) 1. Kinderehen a) Wie viele Fälle von Kinderehen sind dem Senat bekannt? b) Welches Alter hat der männliche bzw. weibliche Ehepartner: 1.) gegenwärtig 2.) zum Zeitpunkt der Eheschließung? c) Welche Nationalität bzw. welchen Migrationshintergrund ? d) Bestehen Verwandtschaftsverhältnisse untereinander ? e) Wie häufig gibt es auch Kinder in diesen Beziehungen und welchen Alters sind diese? f) Wurden diese Ehen im Ausland auf der sog. Flucht oder in Deutschland geschlossen? g) Ist eine Schätzung der Dunkelziffer bekannt? h) Wie viele sind Asylsuchende (d.h. begehren Asylschutz , Flüchtlingsschutz oder aber subsidiären Schutz) und was ist ihr momentaner Anerkennungs -, Duldungs- oder Aufenthaltsstatus? Zu 1) a): Statistisch sind für den Zeitraum 2011 bis 2015 insgesamt 38 Eheschließungen im Land Berlin erfasst , an denen zumindest eine noch nicht volljährige Person beteiligt war. Nach Jahren aufgeschlüsselt verteilen sich diese wie folgt: 2011: 13, darunter acht im Ausland geschlossene Ehen 2012: 8, darunter vier im Ausland geschlossene Ehen 2013: 11, darunter neun im Ausland geschlossene Ehen 2014: 3, darunter zwei im Ausland geschlossene Ehen 2015: 3, darunter zwei im Ausland geschlossene Ehen Keine Aussage kann zur Gesamtzahl der im Inland rechtswirksam bestehenden Ehen gemacht werden, an denen nicht volljährige Personen beteiligt sind, da nur die Ehen statistisch erfasst werden, die in Deutschland geschlossen werden oder zur Nachbeurkundung gemäß § 34 Personenstandsgesetz (PStG) gelangen. Zu 1) b): 2011: Betroffen waren ausschließlich Frauen im Alter von 16 Jahren (1x) und 17 Jahren (12x) 2012: Betroffen waren zwei Frauen im Alter von 16 Jahren, fünf Frauen im Alter von 17 Jahren und ein Mann im Alter von 17 Jahren. 2013: Betroffen waren zwei Frauen im Alter von 16 Jahren, sieben im Alter von 17 Jahren und zwei Männer im Alter von 17 Jahren. 2014: Betroffen waren drei Frauen im Alter von 17 Jahren. 2015: Betroffen waren drei Frauen im Alter von 17 Jahren. Aus dem vorgenannten Alter zum Zeitpunkt der Eheschließung ergibt sich zugleich das gegenwärtige Alter. Die statistische Erfassung enthält keine Eheschließungen mit Personen, die das 16. Lebensjahr zum Eheschließungszeitpunkt noch nicht vollendet hatten, obgleich auch solche Fälle aufgefallen sind, beispielsweise im Zusam- Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 102 2 menhang mit der Beurkundung der Geburten von Kindern (siehe auch Antwort zu 1) a) und 3) a)). Zu 1) c): Angaben zur Nationalität beziehen sich auf den Eheschließungszeitpunkt: 2011: Drei libanesische Frauen, eine davon 16 Jahre alt, sieben deutsche Frauen (wobei Migrationshintergründe statistisch nicht erfasst, aber nicht ausgeschlossen sind), zwei türkische Frauen und eine mit serbischer Staatsangehörigkeit. 2012: Fünf deutsche Frauen (zwei davon 16 Jahre alt), wobei Migrationshintergründe statistisch nicht erfasst , aber auch nicht auszuschließen sind, zwei türkische Frauen und ein türkischer Mann. 2013: Zwei deutsche Frauen im Alter von 16 Jahren, jeweils eine siebzehnjährige Frau mit serbischer, deutscher , türkischer, indonesischer, marokkanischer, libanesischer und ungeklärter Staatsangehörigkeit und zwei siebzehnjährige Männer mit türkischer Staatsangehörigkeit . 2014: Drei siebzehnjährige deutsche Frauen (Migrationshintergründe nicht erfasst, aber nicht auszuschließen ). 2015: Zwei siebzehnjährige deutsche Frauen (Migrationshintergründe nicht erfasst, aber nicht auszuschließen) und eine mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Zu 1) d): Bestehende Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Ehegatten werden statistisch nicht erfasst. Zu 1) e): Angaben hierzu werden statistisch nicht erfasst . Zu 1) f): Die deutlich überwiegende Anzahl der sogenannten Kinderehen wurde nicht in Deutschland geschlossen (siehe auch Antwort zu 1) a)). Durch Berliner Standesämter werden Ehen, bei denen mindestens eine Person noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet hat, nicht geschlossen. Bei noch nicht volljährigen aber bereits das 16. Lebensjahr vollendet habenden Personen wird die Ehe nur unter den Bedingungen des § 1303 Abs. 2 BGB, d.h. mit der entsprechenden Befreiung der Voraussetzung des § 1303 Abs. 1 BGB (Volljährigkeit) durch das Familiengericht geschlossen. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Kinderehen auch dann noch zustande kommen können, wenn die beteiligten Personen bereits Aufenthalt in Deutschland genommen haben. Die islamischen Rechtsordnungen, welche in der Regel von einer wesentlich früheren Ehemündigkeit ausgehen als das deutsche Recht, lassen zugleich auch die Stellvertretung in der Teilnahme an der Eheschließung zu (sogenannte Handschuhehe). Das deutsche Recht wiederum erkennt auch auf diese Weise im Ausland zustande gekommene Eheschließungen als rechtswirksam für den deutschen Rechtsbereich an (vgl. Art. 11 Abs. 1 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch – EGBGB). Zu 1) g): Nein. Zu 1) h): Personenbezogene Daten werden im Zusammenhang mit der Antwort zu Frage 1) c) nicht erfasst , so dass dem Senat konkrete Angaben zur Anzahl Asylsuchender und zum Aufenthaltsstatus der in der Antwort zu Frage 1) c) genannten ausländischen Staatsangehörigen nicht möglich sind. 2. Polygamie a) Wie viele Fälle von Polygamie sind dem Senat bekannt ? b) Welches Alter hat der männliche bzw. weibliche Ehepartner: 1.) gegenwärtig zum Zeitpunkt der Eheschließung? c) Welche Nationalität bzw. welcher Migrationshintergrund ? d) Bestehen Verwandtschaftsverhältnisse untereinander ? e) Wie häufig gibt es auch Kinder in diesen Beziehungen und welchen Alters sind diese? f) Wie viele dieser Ehen jeweils wurden rechtlich legal im Ausland, auf der sog. Flucht bzw. religiös illegal in Deutschland geschlossen? g) Ist eine Schätzung der Dunkelziffer bekannt? h) Wie viele sind Asylsuchende (d.h. begehren Asylschutz , Flüchtlingsschutz oder aber subsidiären Schutz) und was ist ihr momentaner Anerkennungs -, Duldungs- oder Aufenthaltsstatus? i) Wie hoch ist der jeweilige Anteil von Ehen mit zwei, drei oder vier (ggf. mehr) Frauen? Zu 2) a) - e): Zu den Fragen 2) a) – e) liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Zu 2) f): Eine Angabe zur Fallzahl ist mangels statistischer Erhebung nicht möglich. Doppelehen muslimischer Männer werden aber unter Umständen im Rahmen der Tätigkeit der Berliner Standesämter entdeckt. Zu 2) g): Nein. Zu 2) h): Dem Senat liegen hierzu keine Erkenntnisse vor (siehe auch Antwort 2) a) bis c)). Zu 2) i): Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor (siehe auch Antwort 2) f)). Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 102 3 3. Rechtlicher Rahmen a) Sind Fälle der rechtlichen Anerkennung von Kindern bekannt, insb. mit unter 16-jährigen (vgl. OLG Bamberg)? b) Sind Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern bzw. Jugendlichen (§§ 176, 182 StGB) bekannt, bei denen der Ehestand als Rechtfertigung angesehen oder angegeben wurde bzw. bei denen aufgrund des Ehestands von einer (Weiter -) Verfolgung abgesehen wurde? c) Sind Fälle von Polygamie bekannt, die mittelbar zur Gewährung von Aufenthaltsrechten führten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz)? d) Sind Fälle der Verteilung von Witwenansprüchen (§ 34 II Sozialgesetzbuch I) aufgrund von vorheriger Polygamie des Verstorbenen bekannt? e) Sind Fälle von Betrug (§ 263 StGB) aufgrund unterlassener Meldung der weiteren Ehe(n) bekannt, z.B. mit dem Ziel der Vermeidung von finanziellen Nachteilen bei gemeinsamer Veranlagung als Bedarfsgemeinschaft bei Bezug von ALG II zu entgehen ? f) Sind Fälle bekannt, bei denen eine zuständige Verwaltungsbehörde die Aufhebung einer Kinderoder Mehrfachehe gerichtlich beantragt hat (§ 1316 I Nr. 1 BGB)? g) Gibt es in diesem Themenbereich geplante Gesetzesänderungen oder sonstige Initiativen? Zu 3) a): Die Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen auch unter Beteiligung von Personen unter 16 Jahren ist juristisch nicht ausgeschlossen (siehe auch Antwort unter 1) f)). Auch in Berlin waren sie schon zahlreich Gegenstand gerichtlicher Verfahren mit dem regelmäßigen Ergebnis ihrer Wirksamkeit auch für den deutschen Rechtsbereich, auch wenn das Kammergericht Berlin in seiner Entscheidung 1 W 79/11 vom 21.11.2011 (StAZ 2012, S.142 – 143) die Altersschwelle von 13 auf 14 Jahre angehoben hat, bei der von einem Verstoß gegen tragende Grundsätze des deutschen Rechts des Art. 6 EGBGB (ordre public) auszugehen ist. Die beteiligte Person muss demnach zum Zeitpunkt der Eheschließung mindestens 15 Jahre alt gewesen sein, um von einer für den deutschen Rechtsbereich wirksam geschlossenen Ehe ausgehen zu können. Zu 3) b): Es sind dem Senat keine Fälle bekannt, bei denen der Ehestand als Rechtfertigung angesehen oder angegeben wurde bzw. bei denen aufgrund des Ehestands von einer (Weiter-)Verfolgung abgesehen wurde. Zu 3) c): Nein. Im Übrigen ist seit 28. August 2007 in § 30 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes geregelt, dass der Ehegattennachzug eines weiteren Ehegatten nicht gestattet ist, sofern hier eine eheliche Lebensgemeinschaft bereits besteht. Zu 3) d): Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gewährt dieser Rentenversicherungsträger drei Hinterbliebenenrenten, bei denen eine Aufteilung des zustehenden Hinterbliebenenzahlbetrages unter mehreren Witwen bzw. Witwern aus einer polygamen Ehe vorgenommen wird. Eine dieser Renten wird in Berlin geleistet. Angaben anderer Rentenversicherungsträger hierzu liegen dem Senat nicht vor. Zu 3) e): Dem Senat sind keine derartigen Fälle bekannt . Zu 3) f): Dem Senat sind seit dem 01.07.1998, d.h. dem Zeitpunkt, zu dem die Beantragung der Eheaufhebung nicht mehr von der Staatsanwaltschaft erfolgt und durch die Bezirke des Landes Berlin zu beantragen ist, zwei Fälle einer Eheaufhebung infolge eines behördlichen Antrags bekannt geworden. Zu 3) g): Der Senat weist darauf hin, dass dieser Themenbereich durch Normen des Bundesrechts (insbesondere das EGBGB) geprägt ist. Gesetzentwürfe des Bundes zur Änderung des entsprechenden Bundesrechts liegen dem Senat nicht vor. Berliner Initiativen gibt es gegenwärtig nicht, zumal der Bund presseöffentlich angekündigt hat, sich der Thematik annehmen zu wollen. In der Vergangenheit ist der Komplex jedoch innerhalb des Senats erörtert worden. Berlin, den 08. Dezember 2016 In Vertretung Christian Gaebler Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Dez. 2016)