Drucksache 18 / 10 139 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (LINKE) vom 12. Dezember 2016 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Dezember 2016) und Antwort Schwarzfahren und Strafverfolgungskosten Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft teilweise Sachverhalte , die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht Ihnen eine Antwort auf Ihre Fragen zukommen zu lassen und hat daher die BVG AöR und die S-Bahn Berlin GmbH um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden nachfolgend jeweils gekennzeichnet wiedergegeben. 1. Wie viele Fahrgäste beförderten BVG und S-Bahn jeweils in Berlin im zweiten Halbjahr 2016? Zu 1.: Antwort der BVG: Für das zweite Halbjahr 2016 können derzeit nur Angaben mit Stand vom 30. Oktober 2016 gemacht werden, da die Daten erst zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen. Die Anzahl der unternehmensbezogenen Fahrgastfahrten (UBF) für Juli bis Oktober 2016 beträgt 337.926.935 UBF. Antwort S-Bahn Berlin: Für das 2. Halbjahr des Jahres 2016 liegen noch keine Zahlen vor. 2. Wie viele Fahrscheinkontrollen wurden in Berlin von BVG und S-Bahn im zweiten Halbjahr 2016 durchgeführt ? Zu 2.: Antwort der BVG: Im zweiten Halbjahr 2016 wurden von Juli bis November durch die BVG 1.956.800 Fahrausweiskontrollen durchgeführt. Antwort S-Bahn Berlin: Für das 2. Halbjahr des Jahres 2016 liegen noch keine Zahlen vor. Mit Stand 30. November 2016 wurden 3.348.448 Fahrgäste kontrolliert. 3. Wie viele Fahrgäste wurden ohne gültigen Fahrschein bei BVG und S-Bahn in Berlin im zweiten Halbjahr 2016 angetroffen? Zu 3.: Antwort der BVG: Bei der BVG wurden im zweiten Halbjahr 2016 (Juli bis November) 112.465 Fälle von erhöhtem Beförderungsentgelt (EBE) festgestellt. Antwort S-Bahn Berlin: Für das 2. Halbjahr des Jahres 2016 liegen noch keine Zahlen vor. Mit Stand 30. November 2016 wurden 137.643 Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein angetroffen. 4. Wie viele Fahrgäste wurden ohne gültigen Fahrschein bei BVG und S-Bahn in Berlin im zweiten Halbjahr 2016 angetroffen? Zu 4.: siehe Antworten auf die gleichlautende Frage 3. 5. Von wie vielen „Schwarzfahrer/innen“ im zweiten Halbjahr 2016 wurde das erhöhte Beförderungsentgelt a) verlangt, b) bezahlt/nicht bezahlt und wie hoch waren die Einnahmen daraus? Zu 5.: Antwort der BVG: Diese Angaben können aufgrund der kurzfristigen Terminierung der Anfrage von der BVG nicht beantwortet werden. Erschwert wird dies zudem, da das zweite Halbjahr 2016 noch nicht beendet ist. Antwort S-Bahn Berlin: a) Erhöhtes Beförderungsentgelt wird gefordert, wenn die kontrollierte Person keinen gültigen Fahrausweis vorweisen kann, so dass von allen festgestellten Personen ein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangt wird. b) Für das 2. Halbjahr des Jahres 2016 liegen noch keine Zahlen vor. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 139 2 6. Wie viele Strafanzeigen haben BVG und S-Bahn seit dem 1.1.2014 wegen „Schwarzfahrens“ (Erschleichen von Leistungen nach § 265 a StGB) gestellt (bitte aufschlüsseln nach Strafanzeigen pro Jahr)? Zu 6.: Antwort der BVG: Die BVG AöR stellt grundsätzlich Strafanträge nach §265a StGB gegen Personen, die in einem Zeitraum von zwei Jahren, mindestens drei Vorgänge von erhöhtem Beförderungsentgelt (Mehrfachtäter ) haben. In den letzten drei Jahren wurden pro Jahr folgende Strafanträge nach §265a StGB gestellt: 10.044 (Stand 30. November 2016) in 2016, 19.274 in 2015 und 33.723 in 2014. Antwort S-Bahn Berlin: Die S-Bahn Berlin stellt Strafanträge nach §265a StGB gegen Personen, die innerhalb von zwölf Monaten mindestens drei Feststellungen wegen Fahrens ohne Fahrschein (Mehrfachtäter) haben. Zum Zeitpunkt der Strafantragsstellung darf hierbei der älteste Vorgang die Frist von zwölf Monaten nicht überschreiten . Es wurden insgesamt gegen Personen Strafantrag gestellt einschließlich Verfahren wegen Fahrausweisfälschung : in 2014: 20.356, in 2015: 30.887, für das Gesamtjahr 2016 liegen noch keine Zahlen vor. Bis zum 30. November 2016 waren es 27.474. 7. Wie viele Strafverfahren wurden aufgrund der vorbezeichneten Strafanzeigen eröffnet, zu wie vielen Einstellungen bzw. Verurteilungen ist es gekommen und wie lange stellte sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dar (Angaben bitte auch aufschlüsseln nach Jahren)? Zu 7.: Der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung liegen lediglich Daten der Strafverfolgungsstatistik über rechtskräftig Abgeurteilte nach § 265 a Strafgesetzbuch (StGB) vor. Allerdings wird in der Strafverfolgungsstatistik das Delikt des § 265 a StGB - Erschleichen von Leistungen - ohne Unterscheidung einzelner Tatbestandsalternativen erfasst. Die Strafvorschrift sanktioniert neben dem Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel auch das Erschleichen der Leistung eines Automaten, eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes und des Zutritts zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung. Im Jahr 2014 sind in Berlin aufgrund dieses Delikts insgesamt 7.870 und im Jahr 2015 insgesamt 13.946 Personen abgeurteilt (Verurteilungen und Freisprüche) worden. Aus dieser Angabe kann nicht auf die Anzahl der Strafverfahren wegen Schwarzfahrens geschlossen werden, da insbesondere die Verfahrenseinstellungen nicht enthalten sind. 8. Welche Rechtsverfolgungskosten (einschließlich der Personalkosten) sind an den Gerichten im vorbezeichneten Berichtszeitraum durchschnittlich pro durchgeführtem Strafverfahren entstanden? Zu 8.: Eine zuverlässige Aussage über die Kosten pro Strafverfahren ist nicht möglich, da diese stark variieren und insbesondere von der Erledigungsart, den verhängten Rechtsfolgen und der Möglichkeit der Beitreibung der Verfahrenskosten abhängen. 9. Wie bewertet der Senat die Effektivität der Verfolgung von Schwarzfahrer/innen mit den Mitteln des Strafrechts und die daraus entstehende Belastung der Gerichtsbarkeit ? Zu 9.: Das sog. „Schwarzfahren“ erfüllt nach weit überwiegender Auffassung der Rechtsprechung den Straftatbestand des § 265a Strafgesetzbuch (StGB). Die Berliner Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind an Recht und Gesetz und damit auch an das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland gebunden. Dem Bagatellcharakter dieses Gesetzesverstoßes wird von Seiten des Bundesgesetzgebers dadurch Rechnung getragen, dass es sich um ein Antragsdelikt handelt, vgl. §§ 265a Abs. 3 in Verbindung mit § 248a StGB. Die Berliner Strafverfolgungsbehörden machen darüber hinaus in den hier in Rede stehenden Fällen umfassend vom Opportunitätsprinzip Gebrauch. Danach besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, ein Strafverfahren einzustellen , wenn die Schuld des Täters gering erscheint (§ 153 Strafprozessordnung [StPO]), die Erfüllung von Auflagen zur Beseitigung des Strafverfolgungsinteresses ausreicht (§ 153a StPO) oder die zu erwartende Strafe neben der Sanktion für eine andere Tat des Beschuldigten nicht erheblich ins Gewicht fällt (§ 154, § 154a StPO). Entsprechende Regelungen enthält das Jugendgerichtsgesetz (§ 45, § 47 JGG). Der Senat erkennt hierbei, dass die Verfolgung von Personen, die „schwarzfahren“, zu einer nicht unerheblichen Bindung personeller und sächlicher Ressourcen der Justiz führt. Gleichwohl muss Beachtung finden, dass es sich bei der unentgeltlichen Nutzung von (öffentlichen) Verkehrsmitteln um gesellschaftsschädigendes Verhalten handelt, welches nicht sanktionslos gestellt werden kann. Der Senat sieht es stets als seine Aufgabe an, zu prüfen , ob die Verhängung von Geld- bzw. Freiheitsstrafen ein probates Mittel ist, um das sog. „Schwarzfahren“ zu bekämpfen und zu verfolgen. Dies setzt voraus, dass es als kriminal- und sozialpolitisch sachgerecht erachtet wird, dem Schwarzfahren mit der ultima ratio des Strafrechts zu begegnen. 10. Welche Alternativen zur Ahndung von Schwarzfahrer /innen mit strafrechtlichen Mitteln sieht der Senat und welche würde er ggf. ergreifen? Zu 10.: Die Frage nach möglichen Alternativen unterliegt seit Jahrzehnten dem rechtspolitischen Diskurs. Eine Alternative, die es zu prüfen gilt, liegt in der Ahndung des „Schwarzfahrens“ als Ordnungswidrigkeit. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 139 3 Dies hätte zur Folge, dass die schwarzfahrende Person weder eine Geldstrafe zu zahlen noch eine (ggf. Ersatz-) Freiheitsstrafe zu verbüßen hätte. Zudem würde aufgrund des Normverstoßes kein Eintrag in das Bundeszentralregister erfolgen. Durch eine Überführung der Strafbestimmung in das Ordnungswidrigkeitenrecht können Strafverfolgungsbehörden und Gerichte allerdings weiterhin belastet werden, denn auch ein Bußgeldbescheid unterliegt der Anfechtung , so dass auch dadurch Gerichtsverfahren stattfinden können. Außerdem bindet auch die Vollstreckung von Bußgeldern einschließlich der Bearbeitung von Ratenzahlungsgesuchen Ressourcen. Schließlich kann es auch bei Bußgeldern zu Freiheitsentzug kommen. Denn nach § 96 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) kann durch das Gericht Erzwingungshaft angeordnet werden. Anders als die Ersatzfreiheitsstrafe bei Geldstrafen, die an die Stelle der Zahlung tritt, entbindet die Verbüßung von Erzwingungshaft den Betroffenen aber nicht von der Verpflichtung zur Zahlung. Berlin, den 22. Dezember 2016 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Dez. 2016)