Drucksache 18 / 10 333 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 24. Januar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Januar 2017) und Antwort Obdachlosenhilfe: Anspruch und Wirklichkeit Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie beurteilt der Senat die Situation für wohnungslose junge Erwachsene (18 bis 27 Jahre) insbesondere für wohnungslose junge EU- Ausländer/innen in Berlin allgemein und im Bezirk Mitte im Besonderen? Zu 1.: Wohnungslosigkeit trifft aufgrund der angespannten Wohnraumversorgung leider auch junge Erwachsene , zu denen u.a. EU-Ausländerinnen und EU- Ausländer zählen. Wohnungslosigkeit stellt für die Betroffenen immer eine Notlage dar. Der Senat stellt sich der Herausforderung der auskömmlichen Versorgung mit Wohnraum für Anspruchsberechtigte auch im Rahmen der Wachsenden Stadt. Er sieht soziale Wohnraumversorgung, Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und soziale Ausgrenzung als eine Schlüsselaufgabe und hat dies zu einem Schwerpunkt seines Regierungshandelns erklärt. 2. Wie beurteilt der Senat das Angebot an Beratung, Betreuung, Grundversorgung und Gesundheitsförderung für wohnungslose junge In- und Ausländer in Berlin allgemein und in Mitte im Besonderen? Zu 2.: Die vielfältigen Komponenten des nachgefragten Angebots für Wohnungslose in Berlin stellen sich zusammengefasst wie folgt dar: Unabhängig von ihrem Alter und ihrer Herkunft können sich wohnungslose Erwachsene an das jeweils zuständige Bezirksamt wenden und erhalten Hilfsangebote zur Vermeidung der Obdachlosigkeit. Die Bezirksämter sind gemäß Nr. 19 Zuständigkeitskatalog des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) verantwortlich für die Ordnungsaufgaben bei Wohnungslosigkeit , soweit keine Zuständigkeit für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Ausländerinnen und Ausländer beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten besteht. Die ordnungsrechtliche Aufgabe der Unterbringung Wohnungsloser in einer Notunterkunft dient dem Schutz vor Selbstgefährdung des Lebens bzw. der Gesundheit bei wohnungslosen Personen. Die zuständige Stelle im Bezirksamt weist der bedürftigen , wohnungslosen Person inklusiv den Haushaltsangehörigen auf der Grundlage der Aufgabenzuweisung im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) gem. § 3 AZG i. V. m. dem Allgemeinen Zuständigkeitskatalog (ZustKat AZG) Nr.14 (Sozialwesen) einen Unterkunftsplatz zu. Der Fachdienst im Sozialamt hat nach der Unterbringung darauf hinzuwirken, dass die wohnungslosen Personen alle Möglichkeiten zur Beseitigung der Wohnungslosigkeit ausschöpfen. Dies beinhaltet bei Erfüllung der sozialleistungsrechtlichen Voraussetzungen einen möglichen Anspruch auf Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) XII. Diese richteten sich an Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. Sie dienen der Überwindung dieser Schwierigkeiten und sind zu gewähren, wenn die betreffenden Personen aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Bei einer Maßnahme nach §§ 67 ff. SGB XII geht der individuelle Bedarf demnach über die Beseitigung der Obdachlosigkeit hinaus und die persönliche Hilfe steht im Fokus. Das Land Berlin erfüllt diesen gesetzlichen Auftrag und verfügt derzeit über rd. 5.100 vereinbarte Plätze (rd. 4.700 ambulant, 400 stationär) im Rahmen der sogenannten entgeltfinanzierten Einrichtungen und Dienste gem. § 75 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit § 67 SGB XII. Die vorhandenen Kapazitäten sind bedarfsdeckend. Für obdachlose Menschen, die das Regelsystem noch nicht erreicht haben, fördert das Land Berlin niedrigschwellige Projekte der Wohnungslosenhilfe und Straffälligenhilfe im Integrierten Sozialprogramm (ISP). Ziel aller Angebote ist die Versorgung und Unterstützung Wohnungsloser und die Integration der Menschen in die Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 333 2 Regelversorgung. Gefördert werden Beratungsstellen, Straßensozialarbeit, ambulante medizinische Versorgung, Bahnhofsdienste und Notübernachtungen. Ein Beispiel der guten kooperativen Zusammenarbeit ist die Arbeitsgemeinschaft Alexanderplatz. Aufgrund der starken Anziehungskraft , die dieses Gebiet auch für wohnungslose junge Erwachsene hat, sind hier einige auf diese Zielgruppe spezialisierte Träger an verschiedenen Tagen in der Woche mit festen Präsenzzeiten tätig. Diese Hilfen können in der Regel unbürokratisch, anonym und ohne besondere Zugangsvoraussetzungen in Anspruch genommen werden. Zurzeit werden im Rahmen dieses Programms 134 Notübernachtungsplätze angeboten. Eine weitere in 2016 als Modellprojekt neu eingerichtete Notunterkunft für Familien mit Kindern plant der Berliner Senat auf 100 Plätze aufzustocken. Weiterhin bietet die „Berliner Kältehilfe“ während der kalten Jahreszeit obdachlosen Menschen eine unbürokratische Übernachtungsmöglichkeit. Rund 35 Träger und Kirchengemeinden beteiligen sich jeweils mit eigenen Angeboten, wie z. B. Notübernachtungen, Nachtcafés, um zu verhindern, dass Menschen ohne Unterkunft in Berlin zu Schaden kommen. Die Federführung hierfür liegt bei den Bezirken. Derzeit bestehen 820 Notschlafplätze. Der Berliner Senat plant, die Kapazitäten in diesem Winter auf 1.000 Notschlafplätze auszuweiten. Zusätzlich können junge - vorwiegend minderjährige - wohnungslose Menschen z.B. die Kontakt- und Beratungsstelle (KuB) mit der Übernachtungseinrichtung „Sleep-In“, die dem Berliner Notdienst Kinderschutz angehört, in Anspruch nehmen. Das gesamte Angebot an Hilfen und Unterstützung steht wohnungslosen Menschen, auch jungen Erwachsenen , berlinweit - somit auch im Bezirk Mitte - zur Verfügung . 3. Wie beurteilt der Senat dabei die Anlauf- Kontaktund Beratungsstelle für junge Menschen auf der Straße (Klik) seit 1994? Zu 3.: Klik e.V. ist ein freier Träger und Mitglied im paritätischen Wohlfahrtsverband. Der als Fachkräfteinitiative 2012 gegründete Verein leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung gesundheitlicher Chancen und gesellschaftlicher Teilhabe wohnungsloser junger Menschen. Die Anlauf- und Kontaktstelle gibt es seit 1994 und wird seit 2013 vom Klik e.V. betrieben. Der jetzige „Kontaktladen für junge Menschen auf der Straße“ finanziert sich über Stiftungsprogramme und Privatspenden. 4. Ist dem Senat bekannt, dass der Träger der Kontaktstelle KLIK e.V. wegen Kündigung seiner Räume die Arbeit per Juni 2017 möglicherweise einstellen muss? 5. Wenn, ja, wie beurteilt er dies und welche Folgen für die Arbeit im dortigen Sozialraum und für die Klientel - wohnungslose junge Menschen, insbesondere wohnungslose EU- Binnenmigrantinnen/-migranten - sieht er? 6. Teilt der Senat die Auffassung des Bezirksbürgermeisters von Mitte von Dassel, dass der Vermieter angesichts der Gefährdung des Maßnahmeträgers des EU- Förderprogramms EHAP (Förderung für die Arbeit mit den Zielgruppen 1 und 3 im Projekt „PERSPEKTYWY“) auf die Kündigung der Gewerberäume verzichten sollte? 7. Die WBM ist seit 2012 Partner des Bündnisses für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten. Teilt der Senat die Einschätzung, dass dies zum aktuellen Vorgehen gegen Klik im eklatanten Widerspruch steht? 8. Wenn ja, was wird der Senat unternehmen, um die künftige Arbeit des KLIK e.V. über den 31. Mai 2017 hinaus sicherzustellen? 9. Wenn nein, welche Aspekte einer sozialen Wohnungspolitik durch eine städtische Gesellschaft gibt es neben der Zerschlagung bestehender Beratungsstrukturen für wohnungslose junge Menschen noch? 10. Inwieweit ist die Gefährdung der Arbeit von Klik integraler Bestandteil der in der Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters vom 12.01.2017 angekündigten Ziels des Senates für eine soziale (Mieter)Stadt Berlin? Zu 4. bis 10.: Der Träger Klik e.V. hat sich mit Schreiben vom 06.02.2017 an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gewandt und über den gekündigten Mietvertrag informiert. Die WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte GmbH (WBM GmbH) teilte hierzu mit, dass im Rahmen der Verantwortung zur Werterhaltung bzw. Wertverbesserung ihrer Immobilien jedoch Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in den Wohn- und Gewerbebeständen zwingend erforderlich seien. Im Rahmen dieser Arbeiten erfolgte die Kündigung des derzeitigen Mietvertrages mit dem KLIK e.V., da in dem Wohnkomplex an der Torstraße beginnend ab März dieses Jahres umfangreiche Sanierungsmaßnahmen umgesetzt werden sollen. Nach eigenen Angaben ist die WBM GmbH seit November 2016 mit dem Mieter KLIK e.V. in Gesprächen und auf der gemeinsamen Suche nach möglichen Alternativflächen . Dem Verein wurden bereits erste Alternativflächen angeboten und es fanden schon erste Besichtigungen statt. Zum heutigen Stand ist jedoch noch keine Entscheidung hierzu gefallen; es werden weitergehende Gespräche geführt. Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung wird in Abstimmung mit dem Bezirk Kontakt zum Träger und der WBM GmbH aufnehmen und alle Unterstützungsmöglichkeiten prüfen, um sich für den Erhalt des Kontaktladens einzusetzen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 333 3 Die WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte GmbH führt ihre Geschäfte eigenverantwortlich. Ein Weisungsrecht des Gesellschafters Land Berlin in operativen Geschäftsangelegenheiten besteht nicht. Die WBM GmbH nimmt ihre Partnerschaft im Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Wohnungen sehr ernst. Dabei nimmt sie ihre Verantwortung in den Quartieren und Beständen hinsichtlich der sozialen und kulturellen Infrastruktur nicht zuletzt durch den dargestellten Unterstützungsprozess für einen möglichen Ersatzstandort wahr. Die Vielfältigkeit der sozialen Wohnungspolitik wird umfassend im Koalitionsvertrag dargestellt. Der Senat legt nicht nur Wert auf preiswerte Mieten, sondern auch auf einen ausgewogenen Mix verschiedener sozialer Schichten in den Wohnquartieren und eine am Bedarf orientierte Vermietungspraxis. Wohn- und Gewerbeflächen sollen zu tragbaren Konditionen an Mieter und Mieterinnen vergeben werden. Berlin, den 09. Februar 2017 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Feb. 2017)