Drucksache 18 / 10 379 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz (SPD) vom 02. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Februar 2017) und Antwort Klimabelastung durch den Berliner Luftverkehr: ein systematisch unterschätztes Umweltproblem ? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche zentralen Erkenntnisse zur Klimabelastung durch den Berliner Luftverkehr hat der Senat aus dem Endbericht der wissenschaftlichen Studie zum „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm“ (BEK) vom November 2015 gewonnen? Zu 1.: Alle belastbaren Klimaschutzszenarien weisen darauf hin, dass unsere Gesellschaft bis zum Jahr 2050 weitgehend dekarbonisiert sein muss und deshalb arbeitet der Senat intensiv darauf hin, Berlin bis 2050 klimaneutral werden zu lassen. Für den Verkehrssektor ist eine weitreichende Trendänderung erforderlich, da sich bisher keine Abschwächung des Verkehrswachstums zeigt. Insbesondere im wachsenden Luftverkehr mit entsprechend negativen Klimaauswirkungen besteht erheblicher Handlungsbedarf . Der Luftverkehr hat schädliche Folgewirkungen für Umwelt und Gesundheit durch die Treibhausgas -, Schadstoff- und Lärmemissionen. Um den klimaschutzpolitischen Anforderungen an den Verkehrssektor gerecht zu werden und die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern zu harmonisieren, bedarf es einer ordnungspolitischen Gestaltung der Luftverkehrsentwicklung sowie der Aufhebung der wettbewerbsverzerrenden Subventionierung des Flugverkehrs. Denn die Situation der im intermodalen Wettbewerb stehenden Verkehrsträger (Straßen-, Eisenbahn-, Schiffs- und Flugverkehr ) ist sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr auf Grund von fiskalischen Regulierungen unterschiedlich . Der nichtelektrifizierte Schienenverkehr muss in Deutschland Mineralöl- und Ökosteuer entrichten und im elektrifizierten Schienenverkehr wird der Strom sowohl energiesteuerlich als auch durch den Emissionshandel belastet. Zudem werden in Deutschland Fernverkehrstickets der Bahn mit der vollen Umsatzsteuer besteuert, dagegen sind Tickets für Auslandsflüge von der Umsatzsteuer befreit. Derartige Regulierungen wirken dem Ziel der Minderung von THG 1 -Emissionen entgegen. 1 Treibhausgas Der Senat hat sich deshalb bereits in der Vergangenheit im Bundesrat (BR) wiederholt für eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Verkehrsmarkt eingesetzt und wird dies weiterhin tun. Zu den wichtigsten verkehrspolitischen Positionierungen der EU- Kommission der letzten Jahre, das Weißbuch Verkehr in 2011 und die Mitteilung zum nachhaltigen Verkehr in 2009, gehen die Stellungnahmen des Bundesrates auf Anträge Berlins zurück und fordern die Begrenzung des Luftverkehrswachstums insbesondere durch den Abbau steuerlicher Verzerrungen (vgl. BR-Drs. 179/11 (Beschluss ) und BR-Drs. 603/09 (Beschluss)). 2. Welche Klimabelastungen gehen nach den letzten vorliegenden Daten vom Verkehrssektor im Land Berlin aus? Welchen Anteil daran haben der Flugverkehr und die weiteren Bereiche? Zu 2.: Auf Basis der für das Jahr 2013 vorliegenden Energie- und CO2-Bilanz des Landes Berlin war der Verkehrssektor für 5,1 Mio. Tonnen der CO2-Emissionen aus dem Endenergieverbrauch (Verursacherbilanz) und somit für 24,5% der Gesamtemissionen verantwortlich. Auf den Luftverkehr entfielen 0,98 Mio. Tonnen und somit 4,7% der Gesamtemissionen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 379 2 Insgesamt Davon Gew.v. Steinenu. Erden, sonst.Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe Verkehr davon Haushalte, Gewerbe, Handel u. Dienstleistungen u. übrige Verbraucher Schienenverkehr Straßenverkehr Luftverkehr Binnenschifffahrt 1 000 Tonnen CO₂ 20 806 1 531 5 107 499 3 591 980 36 14 168 Anteil an Gesamt-CO₂-Emissionen in Prozent 100 7,4 24,5 2,4 17,3 4,7 0,2 68,1 3. Wie hat sich der Berliner Nutzeranteil an den Flughäfen Tegel und Schönefeld seit 2010 bzgl. Passagieren und Luftfracht entwickelt (bitte jahresweise Angaben je Flughafen)? 8. Welchen Anteil hätten die aktuellen Klimabelastungen des gesamten Berliner Luftverkehrs (siehe Frage 3) an den gesamten CO2eq-Verkehrsemissionen des Landes Berlin bei Zugrundelegung auch nur eines mittleren atr- Faktors von 5 für die verbleibenden 33 Jahre bis 2050? Zu 3. und 8.: Dem Senat liegen entsprechende Angaben nicht vor. 4. Wird der Senat im künftigen BEK auch die Berliner Nutzungsanteile am Flughafen Schönefeld (SXF) und nach der Eröffnung des Flughafens BER auch die aus Tegel (TXL) verlagerten Berliner Fluggäste und Luftfrachtanteile im Sinne einer Verursacherbilanz berücksichtigen ? Wenn ja wie, wenn nein warum nicht? Zu 4.: Mit der zukünftigen Schließung des Flughafens Tegel und der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) sind gemäß der statistischen Methodik die CO2-Emissionen nach dem Territorialprinzip dem Land Brandenburg zuzurechnen. Im Berliner Energieund Klimaschutzprogramm (BEK) wurden die CO2- Emissionen des Luftverkehrs nicht ausschließlich nach dem Territorialprinzip bewertet, da der Senat entsprechend dem Verursacherprinzip eine anteilsmäßige Berücksichtigung des Energieverbrauchs sowie der CO2- Emissionen für angemessen hielt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Studie zum Endbericht über einen Entwurf für ein Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm wurde angenommen, dass 70 % der zukünftigen Energieverbräuche des BER dem Land Berlin zugerechnet werden (Reusswig et al. 2014). 5. Wie sollte aus Sicht des Senats der Berliner Anteil an den Flugbewegungen in der Klimabilanz des Landes bzw. im BEK berücksichtigt werden? Nur die durch Einwohner (und Luftfracht) des Landes Berlins verursachten Belastungen oder auch die Berlin zuzurechnenden inländischen und ausländischen Touristenbewegungen? Zu 5.: Die Ermittlung der CO2-Emissionen im Luftverkehr erfolgt im Rahmen der statistischen Erhebung über die abgesetzten Kraftstoffe des jeweiligen Bundeslandes nach dem Territorialprinzip. Die Methodik wird durch den Länderarbeitskreis Energiebilanzen bundeseinheitlich geregelt. Eine ganzheitliche Berechnung der luftverkehrsbedingten THG-Emissionen auf Basis von zurückgelegten Personenkilometern der Berliner Einwohner und Besucher bzw. Frachtkilometer (abgehende Flüge) wäre sachgerechter, ist aber aufgrund der fehlenden nationalen Berechnungsmethodik sowie des Erhebungsaufwandes derzeit nicht anwendbar. 6. Wie beurteilt der Senat die Aussage im „Exkurs zum Luftverkehr“ des in Frage 1. genannten Berichts, dass bei Berücksichtigung der zusätzlichen Klimabelastungen durch sogenannte „non-CO2–Emissionen“ (Wasserdampf , Stickoxyde, Kondensstreifen/Zirren etc.) in großen Flughöhen („Radiative Forcing Index“ RFI-Faktor 3) bereits 2012 der Luftverkehr am Flughafen Tegel mehr als 40 Prozent der gesamten Klimabelastungen des Verkehrssektors in Berlin verursachte? Zu 6.: Der Luftverkehr trägt zum anthropogenen Klimawandel bei. Der Senat hält es daher grundsätzlich für sachgerecht, alle im Luftverkehr verursachten klimarelevanten Emissionen (Kohlendioxid, Stickoxide, Schwefeloxide , Wasserdampf, Ruß, Kondensstreifen und Zirren) zu ermitteln. Dies ist allerdings im Rahmen des BEK nicht leistbar, da sich die im § 3 Energiewendegesetz Berlin (EWG Bln.) festgesetzten Klimaschutzziele ausschließlich auf die durch den Verbrauch von Endenergie im Land Berlin verursachten Emissionen von Kohlendioxid (CO2) nach der amtlichen Methodik zur Verursacherbilanz des Landes Berlin (§ 2 Abs. 1 EWG Bln.) beziehen und des Weiteren über die exakte Höhe des RFI- Faktors noch wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 379 3 7. Wie schätzt der Senat Empfehlungen des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) vom April 2015 ein, den bisher gebräuchlichen RFI-Faktor für die „non- CO2-Emissionen“ des Luftverkehrs durch den präziseren „Average Temperature Response“ (atr-Faktor) zu ersetzen , der für einen Prognosezeitraum von 50 Jahren die Klimabelastungen durch non-CO2–Emissionen im Verhältnis zu den rein treibstoffbezogenen CO2-Emissionen des Luftverkehrs um den Faktor 3,5 (für 20 Jahre Faktor 7,6) erhöht? Zu 7.: Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführte Projekt „AviClim“ („Including Aviation in International Protocols for Climate Protection“) hat die Machbarkeit der Einbeziehung aller klimarelevanten Emissionen des Luftverkehrs in internationale Klimaschutzprotokolle und die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen Effekte umfassend analysiert und ist damit im Besonderen geeignet, zur politischen Willensbildung auf nationaler und internationaler Ebene beizutragen. 9. Wie bewertet der Senat das Luftverkehrskonzept Berlin-Brandenburg des Umweltverbandes BUND Landesverband Berlin vom April 2016 hinsichtlich des Vorschlags , die Klimabelastungen der Berliner Flüge verursachergerecht bis zum End- bzw. Zielflughafen zu berücksichtigen , womit der Berliner Flugverkehr bereits heute (bei rund 32 Mio. Fluggästen) die Klimawirkung des gesamten Berliner Fahrzeugverkehrs überträfe? Zu 9.: Der Senat hält zur Berechnung der vom Land Berlin verursachten klimarelevanten Luftverkehrsemissionen die zurückgelegten Personenkilometern bzw. Frachtkilometer der von TXL und SXF bzw. BER abgehenden Flüge für sachgerecht. Dies ist allerdings aufgrund der fehlenden nationalen Berechnungsmethodik zzt. noch nicht anwendbar. Im Rahmen des vom Bund derzeit zu erarbeitenden nationalen Luftverkehrskonzepts werden entsprechende Regelungen geprüft. 10. Wie bewertet der Senat die im „Exkurs zum Luftverkehr “ und die im Luftverkehrskonzept des BUND vorgeschlagenen Maßnahmen für eine signifikante Senkung der Klimabelastungen des Luftverkehrs und werden diese im künftigen BEK berücksichtigt? Zu 10.: Da der Luftverkehr ordnungsrechtlich maßgeblich auf Bundesebene gestaltet wird, sind die Einflussmöglichkeiten des Landes Berlin gering. Insofern ist in Bezug auf die Reduzierung der Luftverkehrsemissionen eine gemeinsame Strategie der Länder Berlin und Brandenburg sowie dem Bund erforderlich. 11. Wie bewertet der Senat grundsätzlich den zukünftig vorgesehenen Ausbau des BER unter dem Aspekt der Klimabelastungen des Luftverkehrs bis 2020 und 2050 (klimaneutrale Stadt)? Zu 11.: Der Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld vom 13.08.2004 basiert auf einer umfassenden Bewertung aller Schutzgüter. Er lässt eine maximale Kapazität des Flughafens BER bis zu 360.000 Flugbewegungen pro Jahr zu. Eine Überschreitung würde ein neues Genehmigungsverfahren unter Einschluss auch der klimapolitischen Auswirkungen erforderlich machen. Berlin, den 17. Februar 2017 In Vertretung J e n s – H o l g e r K i r c h n e r ................................ Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Feb. 2017)