Drucksache 18 / 10 438 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 14. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Februar 2017) und Antwort Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Land Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge kamen 2016 nach Berlin (bitte nach monatlichen Zugängen auflisten)? 2. War dieser Zugang zu den beiden Jahren davor ein weiterer Aufwuchs? Wenn ja, warum und wenn nein, warum nicht? 3. Wie viele der 2016 nach Berlin gekommenen Minderjährigen waren weiblich, wie viele männlich und aus welchen Ländern kamen sie? Zu 1., 2. und 3.:Im Jahr 2016 wurden 1.381 Erstmeldungen in der zentralen Erstaufnahme- und Clearingstelle des Landes Berlin für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) gezählt. Der Anteil der männlichen UMF in den Erstmeldungen lag 2016 bei 91,4 %. Damit lag die Anzahl unter dem Wert von 2015 mit 4.252 Erstmeldungen . Im Jahr 2014 wurden insgesamt 1.085 Erstmeldungen von UMF gezählt. Die Zahl der Erstmeldungen liegt somit 2016 bei einem Drittel der Zugangszahlen von 2015 und 27 % höher als 2014 und entspricht damit den allgemein niedrigeren Zugangszahlen von Flüchtlingen im Jahr 2016 im Vergleich zu 2015. Die Hauptherkunftsländer 2016 waren: Afghanistan, Syrien, Guinea, Gambia, Libanon. Aus diesen fünf Herkunftsländern kamen ca. 43 % der UMF. Tabelle 1: Erstmeldungen 2016 nach Monaten: Jan. 16 Feb. 16 März 16 April 16 Mai 16 Juni 16 Juli 16 August 16 Sept. 16 Okt. 16 Nov. 16 Dez. 16 gesamt 324 186 124 83 73 83 121 78 67 78 82 82 1.381 4. Bei wie vielen musste eine Altersfeststellung eingeleitet werden und wie hoch lag nach Abschluss des Verfahrens die Ablehnung der Inobhutnahme? Gab es dabei Klientinnen und Klienten aus bestimmten Ländern, die besonders häufig keine zutreffenden Altersangaben machten ? Zu 4.: Im Jahr 2016 wurden 1.853 Inaugenscheinnahmen gemäß § 42 f Abs.1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) zur Prüfung der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme durchgeführt . Es wurde in 15 Fällen eine medizinische Begutachtung zur Altersfeststellung eingeleitet. Bei 71 % der Untersuchten zeigte das Ergebnis, dass es sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um eine volljährige Person handelt . Eine statistische Erhebung zu Altersangaben /Herkunftsländern wird nicht geführt. 5. Wie lange dauerte in der Regel das Verfahren der Altersfeststellung und konnte dabei das angestrebte Ziel des Senats von zwei Monaten erreicht werden? Wenn ja, wie wurde dieses Ziel erreicht? Wenn nein, warum war dies nicht möglich? 9. Kann der Senat den unbegleiteten Minderjährigen vom ersten Tag an Inobhutnahme nach Standards der Jugendhilfe gewährleisten? Welche besonderen Probleme ergeben sich dabei vor allem bei der Bestellung der rechtlichen Vertretung, der psychosozialen Betreuung und einer bedarfsgerechten Unterbringung? Zu 5. und 9.: Im Laufe des Jahres 2016 ist es gelungen , die Wartezeit bis zur qualifizierten Inaugenscheinnahme durch das Landesjugendamt ab dem Monat September 2016 auf wenige Tage zu verkürzen. Aktuell erhalten alle neu Ankommenden in der Regel am nächsten oder übernächsten Tag einen Termin zum Erstgespräch Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 438 2 im Rahmen der Inobhutnahme, bei dem auch das Alter eingeschätzt wird. Sofern eine Inobhutnahme durch das Landesjugendamt erfolgt, beginnt das Vorclearing gem. § 42 b SGB VIII. Mit der Inobhutnahme wird zudem eine Vormundschaft beim zuständigen Familiengericht angeregt. Für alle UMF werden die Standards der Jugendhilfe gewährleistet . Seit Januar 2017 werden alle UMF nach dem Vorclearing in Clearingeinrichtungen untergebracht. 6. Welche Hilfen wurden den so festgestellten jungen Volljährigen nach Paragraph 41 SGB VIII sowie den in diesem Zeitraum 18 Jahre alt gewordenen Flüchtlingen zuteil und um wie viele Jugendliche handelte es sich dabei ? Zu 6.: Personen, die offensichtlich volljährig sind und eine Altersschätzung erhalten, werden nach einem mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) abgestimmten Verfahren an dieses weitergeleitet und unterliegen dem Erstverteilungsverfahren von Asylbegehrenden (EASY-Verfahren), sodass nicht alle diese Personen in Berlin verbleiben. Anträge auf Hilfen nach § 41 SGB VIII werden grundsätzlich beim zuständigen Jugendamt am Ort der Verteilung gestellt. Die Prüfung, ob Hilfen über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden und in welcher Form, obliegt für die nach Berlin verteilten jungen Volljährigen dem zugewiesenen Bezirksjugendamt . Bevor unbegleitet eingereiste Minderjährige, die sich in der Obhut des Landesjugendamtes befinden, das 18. Lebensjahr erreichen, wird der Träger, der mit der Betreuung beauftragt ist, gebeten, eine sozialpädagogische Einschätzung zur Persönlichkeitsentwicklung und der Fähigkeit zur eigenständigen Lebensführung abzugeben . Derzeit erhalten 484 junge Volljährige Hilfen nach § 41 SGB VIII. 7. Welche besonderen Probleme ergaben sich bei dieser Gruppe bei der Sicherstellung der Beratung, Unterbringung , Betreuung, Versorgung sowie ggf. Beschulung und Ausbildung? Zu 7.: Junge Volljährige mit Jugendhilfebedarf werden von den bezirklichen Jugendämtern nach entsprechenden Hilfeplanverfahren in geeigneten Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. Die Beschulung der jungen Volljährigen wird auch nach dem Wechsel in die Bezirke weitergeführt. 8. Gibt es weiterhin junge Volljährige, die in Sammelunterkünften oder Hostels untergebracht sind? Wenn ja, warum und um welche Anzahl handelt es sich? Zu 8.: Am 20.02.2017 befanden sich zwei junge Volljährige in einer Unterkunft des Landesjugendamtes und warteten dort auf die Zustellung der Terminkarte, mit der ein persönlicher Termin im LAF vereinbart wird. Die Zustellung der Terminkarte nimmt ein bis zwei Werktage in Anspruch. Darüber hinaus befinden sich ca. zehn junge Volljährige in temporären Unterkünften, für die ein Jugendhilfebedarf vom zuständigen bezirklichen Jugendamt anerkannt wurde und die noch nicht untergebracht werden konnten. 10. Wie und durch wen erfolgen für die unbegleiteten Minderjährigen die Maßnahmen für die Sicherstellung des Erwerbs der deutschen Sprache sowie eines zeitnahen Schulbesuchs bzw. einer Ausbildung? Zu 10.: Alle UMF werden von den mit der Betreuung beauftragten Trägern in der Clearingphase in Schulen bzw. Willkommensklassen angemeldet. In einer Stichtagsabfrage zum 31.01.2017 besuchen 78 % der vom Landesjugendamt/Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBildJugFam) betreuten minderjährigen Flüchtlinge eine Schule bzw. Willkommensklassen. 4 % besuchen eine Grundschule, 53 % die Oberstufe, 43 % Oberstufenzentren bzw. Berufsschulen. UMF werden nach Bestätigung der Inobhutnahme und mit Beginn der Clearingphase für einen Schulplatz angemeldet. 11. Welche Träger der Jugendhilfe betreuen und versorgen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge? Führt der Senat regelmäßige Erfahrungsaustausche mit ihnen durch, um mit ihnen gemeinsam die Situation zu verbessern? Welche Fragen und Probleme wurden vorrangig besprochen und einer Lösung zugeführt? Zu 11.: Im Februar 2017 betreuten im Auftrag des Landesjugendamt/SenBildJugFam 15 Träger die in Obhut befindlichen UMF. In regelmäßigen Runden, die alle zwei Monate stattfinden, klären Träger und das Landesjugendamt /SenBildJugFam Fragen, die sich aus der konkreten Betreuung der UMF ergeben. Darüber hinaus finden seit Januar 2016 in größeren Abständen regelmäßig Treffen der Hausleitung mit Trägervertretern statt, die der Steuerung , Kooperation und Zusammenarbeit dienen. 12. Auf welche Höhe belaufen sich die Kosten für die Versorgung und Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in den Jahren 2014, 2015 und 2016 und mit welchen Kosten rechnet der Senat für das laufende Jahr? Zu 12.: Für 2014 beliefen sich die Ausgaben des Landesjugendamtes /SenBildJugFam auf rd. 8,0 Mio. €, für 2015 auf rd. 18,2 Mio. € und für 2016 auf rd. 85,1 Mio. €. Bei den dargestellten Kosten ist zu berücksichtigen, dass die meisten UMF in der zweiten Hälfte 2015 und in den ersten drei Monaten 2016 kamen. Die Bearbeitung der Verfahren und damit auch der Großteil der Unterbringungskosten der hohen Anzahl von UMF fielen hauptsächlich in 2016 an. 2017 verzögert sich durch den hohen Platzbedarf in der Jugendhilfe der Übergang in Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung, so dass in diesem Jahr Unterbringungskosten auf mittlerem Niveau zu erwarten sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 438 3 13. Welche kurz- und langfristigen Aufgaben will der Senat im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in diesem Jahr angehen? Zu 13.: Der Senat plant, die letzten temporären Einrichtungen bis Mitte dieses Jahres aufzugeben und den Ausbau von Clearingplätzen bedarfsgerecht zu erweitern. Der Senat prüft zudem, inwieweit der Aufbau von Plätzen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe erforderlich ist, um nach der Clearingphase dort ein angemessenes Platzangebot sicherzustellen. Berlin, den 01. März 2017 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Mrz. 2017)