Drucksache 18 / 10 444 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 08. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Februar 2017) und Antwort Terrorismus in Berlin – Umgang mit verurteilten Terroristen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchen Justizvollzugsanstalten sitzen momentan wie viele verurteilte Mitglieder von welchen terroristischen Vereinigungen? (Aufstellung erbeten.) Zu 1.: Das tatbestandliche Merkmal der „Mitgliedschaft “ in einer terroristischen Vereinigung wird von den §§ 129 a und 129 b des Strafgesetzbuches (StGB) vorausgesetzt . In der nachstehenden Tabelle sind darüber hinaus auch die derzeitig aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung nach § 89 a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) in Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA’en) einsitzenden Fälle aufgeführt. JVA Tegel 4 Verurteilungen nach § 129 a, b, 89 a StGB; Mord und Sprengstoffverbrechen ; Deutsche Taliban Mujahideen, Islamische Jihad Union, Al Qaida, IS, Junud al Sham, Terrorgruppe um Ilich Ramirez Sanchez alias "Carlos ". JVA Heidering 1 Verurteilung nach § 129 a StGB; Innud al Sham/IS JVA Plötzensee 1 Verurteilung nach § 129 a StGB; Al Qaida JVA für Frauen 1 Verurteilung nach § 129 b StGB; Revolutionäre Volksbefreiungspartei- Front (DHKP-C) 2. Müssen bauliche Veränderungen in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten vorgenommen werden, um den Aufbau von neuen bzw. weiteren Netzwerken durch verurteilte Mitglieder terroristischer Vereinigungen frühzeitig zu unterbinden? Wenn ja, welche? Zu 2.: Zu dem genannten Zweck mussten bislang keine baulichen Veränderungen vorgenommen werden. Sollte sich im Zuge der weiteren Entwicklung begründet spezifischer baulich-technischer Bedarf zur sicheren Unterbringung ergeben werden entsprechende Maßnahmen durchgeführt. 3. Wie viele Aus- und Fortbildungen fanden bisher in den jeweiligen Haftanstalten, der Untersuchungshaftsowie der Jugendstrafanstalt in Bezug auf den islamistischen Terrorismus und den Umgang mit verurteilten Terroristen in den letzten fünf Jahren statt? (Aufstellung erbeten.) Zu 3.: Im Rahmen der Ausbildung für den allgemeinen Justizvollzugsdienst werden den Anwärterinnen und Anwärtern auch Kenntnisse zum Thema islamistischer Terrorismus und Umgang mit verurteilten Terroristen vermittelt. Im Bereich der Fortbildungen gibt es für alle Justizvollzugsanstalten eine Vielzahl von Angeboten, die sich mit den genannten Themen befassen. Die nachfolgenden Aufstellungen berücksichtigen zum einen Fortbildungen , die zentral von der Bildungsstätte Justizvollzug für alle Justizvollzugsanstalten angeboten wurden sowie sogenannte Inhouse-Schulungen, die von den Justizvollzugsanstalten aufgrund eigener Bedarfsermittlung selbst organisiert und vor Ort durchgeführt wurden. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 444 2 5 Fortbildungsangebote der Bildungsstätte Justizvollzug: 2016 2 Veranstaltungen zum Thema „Lagebild extremistischer Beobachtungsfelder“ 2 Veranstaltungen zum Thema „Islam und Extremismus “ 1 Multiplikatorenschulung im Umgang mit radikalem Islamismus 1 Basisschulung im Umgang mit radikalem Islamismus 1 Multiplikatorenschulung zum Thema „Salafismus und Jihadismus“ 14 Inhouse-Schulungen der Justizvollzugsanstalten: Justizvollzugsanstalten 2012 2013 2014 2015 2016 Jugendstrafanstalt 0 0 0 1 Schulung zum Thema Islam, Muslimische, Jugendkulturen, Islamismus, Salafismus sowie 1 Schulung zum Thema „Neuer Terrorismus“, Islamismus, Salafismus, (De-) Radikalisierung 0 Jugendarrestanstalt 0 0 0 0 1 Einführung zum Thema „Islamismus“ für alle Mitarbeiter /-innen Justizvollzugsanstalt Moabit 0 0 0 0 1 (Info-) Veranstaltung zum Thema „Islamismus“ sowie 1 Fortbildung zum Thema „Islam und Extremismus“ Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges 0 0 0 0 0 Justizvollzugsanstalt Heidering 0 0 0 0 1 Fortbildung für Führungskräfte zum Thema „Salafismus“ Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 444 3 Justizvollzugsanstalt Tegel 1 (Info-) Veranstaltung zum Thema „Islamismus “ 4 Fortbildungen zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen des Justizvollzuges im Umgang mit islamistischen Extremismus “ 1 Fortbildung zum Thema „Islamismus“ sowie 1 Fortbildung zum Thema „Konzeption zum Umgang mit radikalem Islamismus“ Justizvollzugsanstalt Plötzensee 1 (Info-) Veranstaltung zum Thema „Umgang mit islamistischen Gefangenen“ Justizvollzugsanstalt für Frauen 0 0 0 0 0 4. Bleibt es weiterhin bei der Feststellung, dass man kein „Spezialgefängnis“ für verurteilte Terroristen in Deutschland benötigt und wenn ja, warum? Zu 4.: Spezielle Hafthäuser oder besondere Abteilungen für Terroristen werden aufgrund der negativen Erfahrungen mit derartigen Einrichtungen aus der Zeit des RAF-Terrorismus bisher nicht eingerichtet. Seinerzeit hatte eine Zusammenlegung dieser Gefangenengruppe zu einem gegenseitigen Bestärken der gewaltbereiten radikalen Gesinnung und zu einem extremen internen Gruppenzwang mit den bekannten Folgen geführt. Eine Ballung von Gefangenen mit radikal-islamistischer Einstellung könnte ähnlich unerwünschte Ergebnisse bewirken. Allerdings ist auch die dezentrale Unterbringung von Terroristen nicht unproblematisch, sie birgt die Gefahr einer Radikalisierung anderer Gefangener. Nach Bewertung der Situation in den Berliner Justizvollzugsanstalten und unter Abwägung der Risiken ist eine dezentrale Unterbringung vorzuziehen, da das quantitative Ausmaß - noch - relativ begrenzt ist und eine ausreichende Überwachung und Trennung radikaler Gefangener leistbar. Das Vorgehen steht im Einklang mit der Praxis der anderen Bundesländer . 5. Wie kann sichergestellt werden, dass sich keine Terrorzellen in den Haftanstalten bilden? Zu 5.: Der Justizvollzug kann im Hinblick auf das Phänomen des politisch-religiösen Extremismus auf jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit problematischen Gruppierungen von Gefangenen (Rechtsextremisten , Linksextremisten, Organisierte Kriminalität) aufbauen . Der Berliner Justizvollzug arbeitet hinsichtlich der Bekämpfung des radikal-islamistischen Extremismus auf der Grundlage konzeptioneller Vorgaben, die seit Anfang des Jahres 2015 erstellt und fortgeschrieben werden. Das Ziel, der Radikalisierung von Gefangenen vorzubeugen beinhaltet neben der Trennung von anderen radikalisierten Gefangenen auch eine sorgfältige Kontrolle ihrer Außenkontakte wie Telefon-, Besuchs- und Schriftverkehr. Durch intensive Beobachtung und engen Kontakt zum Personal lassen sich spezifische Auffälligkeiten im Verhalten von Gefangenen feststellen. Bereits in der Ausbildung werden Justizvollzugsbedienstete an den Umgang mit Formen der Radikalisierung des religiösideologischen Extremismus herangeführt. Die Handlungskompetenz der Bediensteten zu festigen und auf aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse angemessen und schnell zu reagieren ist auch ein vorrangiges Ziel bei der Aus- und Fortbildung. Bei Erkenntnissen, die durchaus auch aufgrund von Hinweisen der Insassen gewonnen werden, erfolgt umgehend eine Kontaktaufnahme zum polizeilichen Staatsschutz und zum Verfassungsschutz zur Abklärung der Gefährdungslage. Gefangene mit erkannter radikal-islamistischer Gesinnung und Gewaltbereitschaft erhalten umfangreiche Sicherungsverfügungen, die Bewegungs - und Kommunikationsmöglichkeiten in der Anstalt ohne unmittelbare Aufsicht ausschließen. Zum Präventionskonzept gehört überdies auch der Schutz von Gefangenen, die aufgrund ihrer Unerfahrenheit mit Gefangenensubkulturen - oft in Verbindung mit psychischer Labilität und Orientierungslosigkeit - empfänglich für extremistische Beeinflussung sind. Für die Zukunft ist mit einer konstanten Gefährdungslage und weiteren Zugängen aus diesem Umfeld zu rechnen. Je nach Entwicklung werden bestehende Konzepte und Reaktionsmuster anzupassen sein. 6. Welche konkreten Präventionsmaßnahmen gegen islamistischen Terrorismus laufen seit fünf Jahren in den Berliner Justizvollzugsanstalten? (Aufstellung erbeten.) Zu 6.: Der Berliner Justizvollzug hält seit Jahren ein sehr umfangsreiches und vielfältiges Spektrum von Maßnahmen zur Prävention radikal-islamistischer Haltungen oder Tendenzen im Gefangenenklientel vor, das ständig aktualisiert und ausgeweitet wird. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 444 4 Die wesentlichen Projekte sind: Anti-Gewalt- und Kompetenztraining Träger Violence Protection Network Zielgruppe Insassen der Justizvollzugsanstalten Tegel, Heidering, Jugendstrafanstalt Projektbeschreibung Anti-Gewalt- und Kompetenztraining für einzelne radikalisierungsgefährdete Personen und Radikalisierte im frühen Stadium Kompetenztraining in Gruppen Träger Violence Protection Network Zielgruppe Projektbeschreibung Kompetenztraining als Gruppentraining für Radikalisierte und radikalisierungsgefährdete Personen im frühen Stadium Gruppentraining „Abschied von Hass und Gewalt“ Träger Violence Protection Network Zielgruppe Männliche Jugendliche Gefangene Projektbeschreibung Anti-Gewalt- und Kompetenztraining für jugendliche Inhaftierte mit Radikalisierungstendenzen und einer erkennbaren Gewaltbereitschaft. Einzelberatung und -begleitung Träger Violence Protection Network Zielgruppe Männliche Inhaftierte aller Justizvollzugsanstalten Projektbeschreibung Individuelles Training für Radikalisierte im Strafvollzug (auch Ausreisewillige und sog. Rückkehrer) Inhouse-Schulungsveranstaltung Träger VPN Zielgruppe Mitarbeitende aller Justizvollzugsanstalten Projektbeschreibung Schulung „Radikalisierung bei jungen Menschen mit Schwerpunkt Islam“ Inhouse-Schulungsveranstaltungen Träger ZDK/Gesellschaft Demokratische Kultur Zielgruppe Mitarbeitende aller Justizvollzugsanstalten und der Sozialen Dienste der Justiz (benannte Mentorinnen und Mentoren) Projektbeschreibung Schulung „Islamismus-Relevanz im Justizvollzug“ Blockveranstaltungen mit Fallbearbeitung Berlin, den 03. März 2017 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Mrz. 2017)