Drucksache 18 / 10 540 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (LINKE) vom 27. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Februar 2017) und Antwort Ersatzfreiheitsstrafen in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Strafgefangene verbüßten seit 2012 in den Justizvollzugsanstalten des Landes Berlin eine Ersatzfreiheitsstrafe (bitte nach Jahren und Justizvollzugsanstalten aufführen)? a) Wegen welcher Straftaten erfolgten die Verurteilungen ? b) Wie hoch waren die ausgeurteilten Geldstrafen? Zu 1.: Die Anzahl der Gefangenen, bei denen eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, wird getrennt nach den Berliner Justizvollzugsanstalten sowie offenem und geschlossenem Vollzug jeweils quartalsweise am 2. Mittwoch des Monats (Stichtagerhebung) ermittelt. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die angefügte tabellarische Übersicht Bezug genommen. Eine darüber hinausgehende statistische Erfassung der den Ersatzfreiheitsstrafen zu Grunde liegenden Straftaten bzw. hinsichtlich der Höhe der ursprünglich verhängten Geldstrafe (Anzahl Tagessätze einschließlich Tagessatzhöhe ) erfolgt durch die Justizbehörden nicht. 2. Wie hoch waren bzw. sind die Haftkosten je Strafgefangener in den Strafvollzugsanstalten in Berlin und welche Gesamthaftkosten sind seit 2012 entstanden (bitte aufschlüsseln nach Jahren)? Zu 2.: Bereits seit dem Haushaltsjahr 1994 werden die durchschnittlichen Tageshaftkosten einer/eines Gefangenen bundeseinheitlich berechnet. Nach Beschluss des Strafvollzugsausschusses der Länder vom 15. bis 17. Mai 2013 wurde das Berechnungsschema ab dem Haushaltsjahr 2014 geändert. Danach werden die Tageshaftkosten bei Vollbelegung aller Haftplätze (entsprechend der Belegungsfähigkeit am 31.08.) der tatsächlichen Belegung im abgelaufenen Kalenderjahr gegenübergestellt. Unter Zugrundelegung des bundeseinheitlichen Berechnungsschemas zur Ermittlung der durchschnittlichen Tageshaftkosten einer/eines Gefangenen ergeben sich für das Land Berlin folgende Tagessätze: 2015 nach Belegungsfähigkeit nach tatsächlichen Hafttagen Tageshaftkosten 115,80 € 139,01 € Bau-Investitionskostensatz 1,15 € 1,38 € Sach-Investitionskostensatz 1,27 € 1,52 € Gesamt-Tageshaftkosten 118,22 € 141,91 € 2014 nach Belegungsfähigkeit nach tatsächlichen Hafttagen Tageshaftkosten 112,65 € 133,17 € Bau- Investitionskostensatz 4,03 € 4,76 € Sach- Investitionskostensatz 1,18 € 1,39 € Gesamt- Tageshaftkosten 117,86 € 139,32 € Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10540 2 Für die Vorjahre ergaben sich nach altem Berechnungsschema die folgenden Sätze: 2012 2013 Tages-Haftkosten (ohne Baukosten) 111,48 € 116,00 € Baukostensatz 38,15 € 27,14 € Gesamt 149,63 € 143,14 € Die Berechnung der Tages-Haftkosten basiert seit jeher auf den kameralen Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltsjahres. Eine Differenzierung der Haftkosten nach Haftarten erfolgt nicht. Für 2016 liegen die Tagessätze aktuell noch nicht vor. Die kameralen Einnahmen bzw. Personal-, Sach- und Investitionsausgaben der Berliner Justizvollzugsanstalten (inkl. Jugendarrestanstalt und Jugendstrafanstalt) stellen sich ab 2012 wie folgt dar: Einnahmen Ausgaben 2012 3.571.769 € 180.207.603 € 2013 3.576.469 € 182.966.718 € 2014 3.139.926 € 220.092.068 € 2015 3.529.234 € 223.005.523 € 2016 3.548.103 € 228.686.520 € 3. Ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aus Sicht des Senats auch in den Fällen sinnvoll, in denen die Haftkosten die Höhe der ursprünglich verhängten Geldstrafe übersteigen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Zu 3.: Im Hinblick auf die nicht unerheblichen Haftkosten (etwa rund 140,- Euro pro Tag im Jahr 2015) wird es bei der Gefangenengruppe mit ausschließlich zu vollziehenden Ersatzfreiheitsfreiheitstrafen als sinnvoll erachtet , die auf landesrechtlicher Ebene möglichen Maßnahmen zur Haftvermeidung bzw. Haftverkürzung zu ergreifen . Solange allerdings die bundesgesetzliche Regelung des § 43 Strafgesetzbuch (StGB) vorsieht, dass an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe Freiheitsstrafe tritt, wird es diese Gefangenengruppe in Deutschlands Justizvollzugsanstalten geben (siehe hierzu deshalb auch die Antwort zu Frage 5.) 4. Welche Kosten fielen im Land Berlin seit 2012 durch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt an (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Zu 4.: Eine Differenzierung der Haftkosten nach Haftarten erfolgt nicht (vgl. Antwort zu 2). 5. Auf der 87. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister wurde am 1. und 2. Juni 2016 unter TOP II.11 das Thema „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten - Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ erörtert und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses gebildet. In dieser Arbeitsgruppe sollen eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe sowie weitere Verbesserungen des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung eingehend geprüft und neue Vorschläge sowohl zur Anordnung als auch zur Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen erarbeitet werden. Welche (Zwischen-) Ergebnisse hat die Arbeitsgruppe bisher vorzuweisen bzw. wann wird mit Ergebnissen zu rechnen sein und mit welchen Vorschlägen bringt sich das Land Berlin aktuell in diese Arbeitsgruppe ein? Zu 5.: Im Oktober 2016 fand unter Federführung der Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenburg die konstituierende Sitzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe statt. Als wesentliches Ergebnis des Arbeitstreffens wurde ein umfangreicher Fragenkatalog zur Situation der Ersatzfreiheitsstrafe erstellt, auf dessen Grundlage nun eine Bestandsaufnahme der Ausgangssituation in den einzelnen teilnehmenden Bundesländern erfolgen wird, nachdem zwischenzeitlich die Länderdaten erfasst wurden. Die Auswertung dieser Daten wird ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt der bevorstehenden zweiten Tagung der Arbeitsgruppe sein. Ein Zwischenbericht der Arbeitsgruppe ist bis spätestens Herbst 2017 beabsichtigt; der Abschlussbericht ist für das Frühjahr kommenden Jahres ins Auge gefasst. Konkreten Vorschlägen wird im Anschluss entgegen gesehen. Unabhängig von den Ergebnissen der Bund-Länder- Arbeitsgruppe beabsichtigt Berlin jedenfalls, das Modell „Day-by-Day“ noch in der ersten Jahreshälfte auf die Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin auszuweiten, um so auch den Ersatzfreiheitsstraferinnen die Tilgung von Geldstrafen durch Ableistung freier Arbeit während des Strafvollzuges zu eröffnen. 6. In wie vielen Fällen konnten in Berlin seit 2012 Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit im Sinne der „Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit“ erreicht werden? Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 540 3 Zu 6.: Soweit die Frage auf die Zahl der Fälle abzielt, in denen die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abgewendet wurde, konnten im Jahr 2013: 202 im Jahr 2014: 215 im Jahr 2015: 230 im Jahr 2016: 238 Vollstreckungsverfahren durch diese Tilgungsart abgeschlossen werden. Dies entspricht einem prozentualen Anteil an der Gesamtzahl der jährlichen Geldstrafe- Vollstreckungsanordnungen im Land Berlin wie folgt: für das Jahr 2013: 2,25 % für das Jahr 2014: 2,28 % für das Jahr 2015: 2,4 % für das Jahr 2016: 4,95 % Wegen der automatischen und gesetzlich bedingten Teillöschung älterer Vollstreckungsdaten konnten belastbare Zahlen für das Jahr 2012 nicht mehr ermittelt werden . Seit dem 1. April 2015 besteht zusätzlich als vollzugliche Maßnahme die Möglichkeit, in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee (geschlossener und offener Männervollzug) durch freie Arbeit die Haftzeit zu verkürzen . Durch den Ansatz von „Day-by-Day“ wird Gefangenen , bei denen ausschließlich eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ermöglicht, während des Strafvollzugs freie Arbeit im Sinne der Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu leisten und somit an einem Tag zwei Tagessätze der ursprünglich zu vollstreckenden Geldstrafe zu tilgen. Dafür sind in der JVA Plötzensee, die nach dem Berliner Vollstreckungsplan primär für die Aufnahme von männlichen erwachsenen Ersatzfreiheitsstrafern zuständig ist, ausgewählte Beschäftigungsmöglichkeiten in den Eigenbetrieben der Anstalt und über ein Außenkommando bei einer Fachvermittlungsstelle im Bereich Schulsanierung geschaffen worden. In der Regel werden durchschnittlich täglich 35 bis 40 Beschäftigungsplätze für freie Arbeit innerhalb des Justizvollzugs genutzt. Mit Stand 22. Februar 2016 konnten insgesamt 7.942 Haft Tage eingespart werden. Dies entsprach schon vor Ablauf des einjährigen Pilotprojektes auf das Jahr betrachtet einer Kapazität von rund 21 Haftplätzen. Die aktuellen Zahlen (Stand: 1. März 2017) belegen, dass seit Beginn des Projektes „Day-by- Day“ nunmehr 17.693 Haft Tage zur Haftvermeidung abgearbeitet wurden und insgesamt 773 Gefangene an dieser Maßnahme teilgenommen haben. 7. Sieht der Senat andere Möglichkeiten, die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen zu reduzieren? Wenn ja, welche? Zu 7.: Neben einer Verbesserung des Angebotes im Rahmen der zu Frage 6. angesprochenen Möglichkeiten zur Ableistung freier Arbeit sind auch auf anderen Ebenen prüfenswerte Ansatzpunkte vorhanden, die zu einer Reduzierung der Zahl von zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen führen könnten. Innerhalb der Bund-Länder- Arbeitsgruppe werden ergebnisoffene Maßnahmen diskutiert , die von einer Entkriminalisierung des Schwarzfahrens über die Anwendung der Bewährungsvorschriften auch auf die Ersatzfreiheitsstrafe bis hin zu einer Effektivierung der Geldstrafenvollstreckung durch einen vermehrten Einsatz von Gerichtsvollziehern oder der bevorzugten Befriedigung staatlicher Geldforderungen (sog. Fiskusprivileg) reichen. Berlin, den 17.März 2017 In Vertretung M. Gottstein Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mrz. 2017)