Drucksache 18 / 10 551 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Georg Kössler (GRÜNE) vom 28. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. März 2017) und Antwort Berliner Luft I - Verbessert die Umweltzone die Berliner Luftqualität? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie viele Kraftfahrzeuge besitzen in Berlin die grüne, gelbe, rote bzw. gar keine Plakette? (Bitte um Aufführung getrennt nach PKW und LKW) Antwort zu 1: Mit Stand 31.12.2016 ergaben sich nach Auskunft der Zulassungsbehörde Berlin folgende Zahlen: Plakette PKW LKW grün 1.157.329 96.893 gelb 9.435 5.451 rot 2.559 2.964 keine 27.773 12.063 In den Zahlen der Lkw’s sind statistisch auch alle Busse, Zugmaschinen, selbstfahrenden Arbeitsmaschinen und sonstige Kraftfahrzeuge (z.B. Feuerwehren, Krankenkraftwagen oder Verkaufsfahrzeuge) erfasst. Die Zahl der Pkw ohne Plakette enthält die in Berlin zugelassenen Oldtimer, die gemäß Anlage 3 Nr. 10 der 35. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz generell vom Verkehrsverbot in Umweltzonen ausgenommen sind. Frage 2: Wie viele von den Auflagen der Berliner Umweltzone ausgenommene Kraftfahrzeuge sind in Berlin zugelassen und auf welche Arten von Ausnahmegenehmigungen stützen sich diese? (Bitte um Aufführung getrennt nach PKW und LKW) Antwort zu 2: Vom Verkehrsverbot der Umweltzone ausgenommen sind bundesweit alle in der Anlage 3 der 35. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgeführten Fahrzeuge oder Fahrzwecke. Dies umfasst mobile Maschinen und Geräte, Arbeitsmaschinen, landund forstwirtschaftliche Zugmaschinen, zwei- und dreirädrige Kraftfahrzeuge, Krankenwagen und Arztwagen im Einsatz, Kraftfahrzeuge mit denen außergewöhnlich gehbehinderte , blinde oder hilflose Menschen fahren oder gefahren werden, Fahrzeuge mit Sonderrechten nach § 35 StVO 1 (z.B. Müllfahrzeuge, Polizei, Feuerwehr), Fahrzeuge der Nato und Bundeswehr sowie Oldtimer. Das bedeutet nicht, dass alle Fahrzeuge diese Kategorie die für die Umweltzone geltenden Emissionswerte auch überschreiten . Wie viele Fahrzeuge in Berlin zugelassen sind, die unter diese Ausnahme fallen, kann kurzfristig nicht ermittelt werden. Viele dieser Fahrzeuge erfüllen zudem die Kriterien der grünen Plakette. Bekannt ist mit Stand 31.12.2016, dass in Berlin 13.414 Oldtimer zugelassen waren. Weitere Ausnahmen vom Verkehrsverbot ergeben sich aus den nur in Berlin geltenden Ausnahmeregelungen. Dies sind zum einen Ausnahmen, die durch eine Allgemeinverfügung erteilt wurden. Damit dürfen folgende Fahrzeuge ohne Plakette in der Umweltzone fahren: Kraftfahrzeuge, mit denen Personen mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie fahren oder gefahren werden, Fahrzeuge mit rotem Händlerkennzeichen und Fahrzeuge mit Kurzzeitkennzeichen, sofern diese Fahrzeuge aufgrund ihrer Abgasstandards kennzeichnungsfähig wären, Fahrzeuge ausländischer diplomatischer Missionen und internationaler Organisationen sowie Versuchs- und Erprobungsfahrzeuge nach § 70 Abs. 1a oder § 19 Abs. 6 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Zulassungszahlen zu diesen Fahrzeuggruppen sind nicht bekannt. Bei all diesen Fahrzeugen ist davon auszugehen, dass in der Mehrzahl die Kriterien der grünen Plakette erfüllt werden. Zum anderen können auf Antrag befristete Einzelausnahmen erteilt werden. Dies ist möglich für Fahrzeuge gehbehinderter Menschen mit geringem Einkommen und für nichtnachrüstbare Sonderfahrzeuge. Derzeit sind für 71 in Berlin zugelassene Fahrzeuge derartige Einzelausnahmen gültig, davon 18 Lkw. 1 Straßenverkehrsordnung Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 551 2 Frage 3: Welche Spezialfahrzeuge (wie z.B. Schneeräumfahrzeuge und Streufahrzeuge) sind von den Auflagen der Umweltzone ausgenommen und wie stellt der Senat auch bei diesen eine kontinuierlich sinkende Umweltbelastung sicher? (Bitte um Fahrzeugtypenweise Aufführung) Antwort zu 3: Spezialfahrzeuge sind von der Umweltzone ausgenommen, wenn sie als mobile Maschinen und Geräte, als Arbeitsmaschinen oder land- und forstwirtschaftliche Zugfahrzeuge zugelassen sind oder Sonderrechte nach § 35 StVO, z.B. Straßenreinigung, in Anspruch nehmen dürfen. Daten zu Fahrzeugtypen und Anzahl liegen nicht vor. Soweit diese Fahrzeuge im Eigentum der öffentlichen Hand Berlins sind oder in ihrem Auftrag eingesetzt werden , müssen sie Umweltanforderungen der Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt einhalten, so dass die Umweltbelastungen reduziert werden. Auf Fahrzeuge in der Privatwirtschaft kann kein Einfluss genommen werden . Frage 4: Wie hoch ist die absolute Zahl und der Anteil der Neuzulassungen in Berlin, die eine rote Plakette bekommen ? Antwort zu 4: Kraftfahrzeuge, die aufgrund der Emissionsklasse eine rote oder gelbe Plakette erhalten würden, können aufgrund der gültigen Emissionsvorschriften nicht mehr erstmalig zugelassen werden. Frage 5: Wie viele Verstöße gegen die Bestimmungen der Umweltzone wurden in den vergangenen Jahren verzeichnet ? (Bitte um Angabe der Verstöße in den letzten fünf Jahren je Stadtbezirk) Antwort zu 5: Die jeweilige Anzahl der Verstöße ist der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen: Verwaltungsbezirk Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeigen im Jahr* 2012 2013 2014 2015 2016 Charlottenburg-Wilmersdorf 10.447 13.286 15.022 14.477 11.854 Friedrichshain-Kreuzberg 4.486 4.390 11.766 16.020 13.486 Lichtenberg 49 10 12 18 13 Mitte 15.483 16.766 21.114 21.681 23.255 Neukölln 3.265 3.044 2.187 1.476 1.290 Pankow 17.643 20.687 20.775 16.488 14.108 Tempelhof-Schöneberg 1.747 592 459 1.152 590 Treptow-Köpenick 12 23 29 8 75 Gesamt 53.132 58.798 71.364 71.320 64.671 Frage 6: Wie hoch war die Gesamtsumme an Bußgeld, welches durch die Ahndung von Verstößen gegen die Bestimmungen der Umweltzone eingenommen wurde? Antwort zu 6: Wegen notwendiger Datenauslagerungen bei der Bußgeldstelle kann eine Aussage lediglich für das vergangene Jahr getroffen werden. Aus der Ahndung von Verstößen gegen die Vorschriften der Umweltzone resultierten im Jahr 2016 insgesamt 1.430.939,79 Euro. Frage 7: Hält der Senat die aktuelle Durchsetzung der Umweltzone angesichts der hohen Anzahl sichtbarer roter Plaketten in der Innenstadt für ausreichend? Wenn ja, wieso? Wenn nein, was wird er dagegen tun? Frage 8: Durch welche Maßnahmen stellt der Senat die Integrität der Umweltzone sicher und wird er diese Maß-nahmen angesichts der kontinuierlichen Überschreitungen weiter intensivieren? Wenn ja, wie genau und bis wann? Frage 9: Würde aus Sicht des Senates eine Intensivierung der Kontrollen der Plaketten einen positiven Einfluss auf die Luftschadstoffbelastung haben? Antwort zu 7, 8 und 9: Die Fragen werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 551 3 Bei einer im September 2015 durchgeführten Kennzeichenerfassung an sieben Straßen innerhalb und außerhalb der Umweltzone Berlin wurden Fahrzeuge anhand der technischen Daten den Plaketten zugeordnet. Der Anteil der Fahrzeuge, die nur die Kriterien der roten Plakette erfüllten lag innerhalb der Umweltzone bei 0,3 %, außerhalb zwischen 0,2 und 0,4 %. Die Kriterien der grünen Plakette erfüllten innerhalb der Umweltzone 98 % der Fahrzeuge, außerhalb 97 %. Damit ist der Senat der Ansicht, dass die Umweltzone ausreichend durchgesetzt wird. Intensivere Maßnahmen über die bereits bestehenden Kontrollen sind nicht erforderlich . Intensivere Kontrollen würden keinen erkennbaren positiven Einfluss auf die Luftschadstoffbelastung haben. Frage 10: Welche generellen Konsequenzen zieht der Senat aus dem „Dieselgate“ der deutschen Automobilindustrie und welche konkreten Maßnahmen schlussfolgert hieraus für die Berliner Verkehrspolitik mit Blick auf die Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner? Antwort zu 10: Aus dem „Dieselgate“ ergeben sich aus Sicht des Senats folgende generelle Konsequenzen: Alle von Abschaltvorrichtungen betroffenen Fahrzeuge müssen in Einklang mit geltenden Vorschriften gebracht werden. Dies muss vom Kraftfahrtbundesamt überwacht werden. Es ist schnellstmöglich durch die Bundesregierung eine herstellerunabhängige Feldüberwachung , d.h. eine verbindliche, regelmäßige Nachkontrolle des Emissionsverhaltens von im Betrieb befindlichen Fahrzeugen einzuführen. Die von Fahrzeugherstellern im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens gemessenen realen Fahremissionen sind vollständig und bürgerfreundlich an einem zentralen Ort zu veröffentlichen . Die Weiterentwicklung der Plaketten für emissionsarme Fahrzeuge für Fahrverbote in Städten (Umweltzonen) muss sich an den Emissionen im realen Betrieb orientieren. Für konkrete Maßnahmen der Berliner Verkehrspolitik ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen: Über die derzeitige Umweltzone hinausgehende Fahrverbote dürfen nicht allein die formale Einhaltung eine Abgasstandards, z.B. Euro 6, fordern , sondern müssen die realen Emissionen berücksichtigen . Bei neubeschafften Bussen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) muss die Einhaltung von Euro VI im realen Betrieb nachgewiesen werden. Die Förderung des Umstiegs vom Auto auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Fuß- und Radverkehr, Öffentlicher Personennahverkehr [ÖPNV]) ist noch wichtiger geworden, da Emissionsminderungen in der Pkw-Flotte derzeit schwer erreichbar sind. Frage 11: Wie ist der aktuelle Stand bei der Erarbeitung des neuen Luftreinhalteplans? Antwort zu 11: Für den neuen Luftreinhalteplan liegen die Daten zur Luftqualität bis 2016 vor. Die Aktualisierung der Emissionskataster für die Quellgruppen Industrie , Gewerbe, Haushalte, Bausektor, sonstiger Verkehr und sonstige Quellen sind abgeschlossen. Derzeit wird das Emissionskataster Verkehr berechnet, für das erst Anfang diesen Jahres die notwendigen Verkehrsmengen für das gesamte Straßennetz vorlagen. Aufbauend auf den vollständigen Emissionskatastern werden im April die Modellrechnungen für die Luftschadstoffkonzentrationen an allen Straßen und im städtischen Hintergrund vorliegen . Erst damit ist eine Beurteilung des vollständigen Handlungsbedarfs möglich. Frage 12: Welche Maßnahmen des Luftreinhalteplans 2011-2017 wird der Senat noch in diesem Jahr umsetzen, um seiner Schutzpflicht gegenüber den Berlinerinnen und Berlinern ausreichend nach zu kommen? Antwort zu 12: Vorrangig umgesetzt werden sollen im Jahr 2017 folgende Maßnahmen: Sukzessive Umstellung der Dienstfahrzeugflotte auf Hybrid- und Elektro-Kfz und für die verstärkte Nutzung von Dienstfahrrädern und Carsharing -Fahrzeugen Nachrüstung von weiteren ca. 270 BVG-Bussen mit Stickoxidminderungskatalysatoren Erhöhung der Beförderungskapazitäten im ÖPNV Anordnung von Tempo 30 an weiteren schadstoff - und lärmbelasteten Hauptverkehrsstraßen mit dem Ziel der Verstetigung des Verkehrsflusses auf einem stadtverträglichen Geschwindigkeitsniveau Weiterer Ausbau von Radverkehrsanlagen Weiterer Ausbau von Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge Optimierung des umweltsensitiven Verkehrsmanagements in der Invalidenstraße Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 551 4 Frage 13: Wie unterstützt der Senat die Erhöhung der Sensibilität der BerlinerInnen im Bezug auf die Luftschadstoffbelastung ? Antwort zu 13: Zentrales Instrument für die Sensibilisierung für die Thematik Luftqualität ist die Veröffentlichung von Messwerten zur Schadstoffbelastung. Diese Veröffentlichung erfolgt über das Internet. Um die Daten attraktiver bereitzustellen, soll in diesem Jahr der Internetauftritt für das Luftgütemessnetz Berlin überarbeitet werden. Des Weiteren bietet der Senat im Internet, aber auch auf Veranstaltungen wie dem Umwelttag im Juni zahlreiche Informationen zur Luftqualität und zu Maßnahmen der Luftreinhaltung an. Um bürgernäher informieren zu können, wurde zudem zum Luftreinhalteplan 2011-2017 eine Bürgerbroschüre mit den zentralen Aussagen des Luftreinhalteplans und graphischer Aufbereitung erstellt, die nach Fortschreibung des Luftreinhalteplans entsprechend aktualisiert werden wird. Frage 14: Wie bewertet der Senat die Idee eines online -gestützten Feinstaub-Alarmsystems (wie etwa smogalarm .org) und wird er ein berlinweites System, etwas über die Website von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz einrichten? Antwort zu 14: Episoden mit sehr hoher Feinstaubbelastung treten in Berlin immer seltener auf, auch wenn es aufgrund der Wettereinflüsse von Jahr zu Jahr starke Schwankungen gibt. Zentrales Problem der Luftreinhaltepolitik ist die Überschreitung des Jahresgrenzwertes für Stickstoffdioxid. Für eine Reduzierung dieser Belastung sind dauerhaft wirksame Maßnahmen notwendig. Maßnahmen wie in Stuttgart, Oslo oder Paris, die nur während relativ weniger Tage mit hoher Feinstaubbelastung greifen , würden zur Lösung wenig beitragen. Die Idee eines online-gestützten Feinstaub-Alarmsystems wird daher für die Luftreinhaltung in Berlin als wenig sinnvoll eingestuft . Berlin, den 14. März 2017 In Vertretung S t e f a n T i d o w ................................ Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mrz. 2017)