Drucksache 18 / 10 604 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 02. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. März 2017) und Antwort Weiterhin aktuell? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Hält der Senat weiterhin an den Grundsätzen der Sozialraumorientierung fest? Was hat sich dabei bewährt? Was muss weiterentwickelt werden? 2. Wie schätzt die zuständige Senatsverwaltung für Jugend und Familie dazu die Umsetzung in dem Bereich Jugend und Familie in der vergangenen Legislaturperiode ein und welche Schwerpunktaufgaben sieht sie für die nächsten fünf Jahre auf Senats- und Bezirksebene? 3. Welche finanziellen und personellen Ressourcen plant die zuständige Senatsverwaltung für die weitere Umsetzung der Sozialraumorientierung für den Bereich Jugend und Familie mit welchen Zielstellungen? 4. Wie steht es im Zusammenhang mit der Sozialraumorientierung um die Umsetzung des Musterjugendamtes ? Hält die zuständige Senatsverwaltung nach wie vor an diesem Vorhaben fest? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 5. Wie stehen die Bezirke aktuell zu dieser Frage? Zu 1. bis 5.: Flankierend zur Einführung des Fachprinzips Sozialraumorientierung ab dem Jahr 2006 hat die für Jugend zuständige Senatsverwaltung im Zeitraum 2009 bis 2010 gemeinsam mit den Bezirken ein Modell für ein „sozialräumliches Musterjugendamt“ entwickelt, das u. a. im Hinblick auf die Frage des Personalbedarfs weiterhin als Referenzrahmen herangezogen wird. Unabhängig davon, dass die damaligen Vorschläge zur Gestaltung einer sozialräumlich ausgerichteten Aufbau- und Ablauforganisation der Berliner Jugendämter mit Verweis auf die bezirkliche Globalsummenautonomie nicht umgesetzt worden sind, hält der Senat jedoch weiterhin an den zwischen der für Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung und den Bezirken (Jugendämtern) vereinbarten Grundsätzen der Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe fest. Die Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe ist zunächst ein Fachprinzip mit einer spezifischen Methodik, die eine frühzeitige und passgenaue (bedarfsgerechte) Unterstützung von jungen Menschen und Familien durch die systematische Erschließung von sozialräumlichen Ressourcen ermöglichen soll. Diese einzelfallübergreifenden Ressourcen und fallunspezifischen Leistungen können je nach Bedarf im Einzelfall die individuellen Hilfen nach § 27 ff. Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ergänzen, verkürzen oder ersetzen. Die Berliner Jugendämter sind u.a. aufgrund der Ausführungsvorschriften zur Hilfeplanung und zum Kinderschutz verpflichtet, die bezirkliche Aufbau- und Ablauforganisation des Fallmanagements sozialräumlich auszurichten und zu gestalten. Die Grundsätze und Methoden sozialräumlichen Arbeitens (wie z.B. die Fallteamberatungen unter Einbeziehung der im Sozialraum tätigen freien Träger) werden systematisch und berlineinheitlich durch die Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Berlin- Brandenburg (SFBB) vermittelt. Insbesondere die Fachkräfte der Regionalen Sozialpädagogischen Dienste der Jugendämter (RSD) erhalten regelmäßig entsprechende Fort- und Weiterbildungen. Wesentliche Ziele der Fortbildungen sind die Verbesserung der fachlichen Entscheidungsfindung in der Fallbearbeitung im Hinblick auf die Lebenswelten der Familien und die Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts und hinsichtlich der Verpflichtung zur Beteiligung. Weiterhin sollen durch die intensivere Kooperation von öffentlichen und freien Trägern möglichst frühzeitige und passgenaue Lösungen für familiäre Problemlagen gefunden werden. Die fallunspezifische Arbeit eröffnet dabei neue Perspektiven , die über die Einzelfallarbeit hinausreichen – vom Fall zum Feld. Im regionalen Fallteam arbeiten freie Träger an der Gestaltung und an der Entscheidungsfindung einer passgenauen, wirksamen Hilfe mit. Diese Zusammenarbeit in den Feldern der Jugendarbeit /Jugendförderung trägt wesentlich zu Qualität und Wirksamkeit sozialräumlichen Arbeitens bei. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 604 2 Die Jugendämter und die beteiligten freien Träger bekommen zur laufenden Qualifizierung der Ressourcen-, Lösungs- und Sozialraumorientierung Fortbildungsunterstützung , die vom SFBB geleistet und koordiniert wird. Ziel der Fortbildungen ist es, in Berlin vergleichbare Standards für die Fallbearbeitung und das sozialräumliche Arbeiten zu schaffen. Jede/jeder „Neu im RSD“-Beschäftigte in den bezirklichen Jugendämtern nimmt an einem 20-tägigen Kurs zur „Hilfeplanung“ teil, indem, neben Familien- und Verwaltungsrecht , die sozialraumorientierte Fallarbeit im Mittelpunkt steht. Ergänzend werden regelmäßig themenspezifische Module zum Fallteamtraining und zur fallunspezifischen Arbeit, zur Team-entwicklung und kollegialen Beratung angeboten. Der bei der für Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung angesiedelte Beirat zur Weiterentwicklung sozialräumlicher Arbeit in der Berliner Jugendhilfe unterstützt die Weiterentwicklung durch spezifische Empfehlungen und themenbezogene Veranstaltungen (http://www.berlin.de/sen/jugend/jugend-undfamilienpolitik /sozialraumorientierung). Die sozialräumlich organisierte Jugendhilfe hat dabei veränderte Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und sich auf neue Zielgruppen und Herausforderungen (z.B. im Zusammenhang mit der Integration von unbegleiteten jungen Flüchtlingen) einzustellen und entsprechend methodisch weiter zu entwickeln. Das sozialräumliche Arbeiten wird in den Bezirken organisiert und gestaltet, auf gesamtstädtischer Ebene werden Mittel und personelle Ressourcen im Rahmen der Fort- und Weiterbildung durch die Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Berlin- Brandenburg sowie zur Fallunspezifischen Arbeit und Fallteamarbeit bereit gestellt (siehe Rote Nr. 0072, 004 A UA Bez). Die (Weiter)Entwicklung einer ressortübergreifenden sozialräumlichen Infrastruktur einerseits und andererseits die im Zusammenhang mit der geplanten SGB VIII- Novellierung stehende Gestaltung und Umsetzung der veränderten Rahmenbedingungen für die Finanzierung an der Schnittstelle zwischen individuellen Hilfen und sozialräumlichen Angeboten sind Schwerpunkte für die nächsten Jahre. Der Senat verfolgt grundsätzlich weiterhin das Ziel, die Aufgabenfelder nach SGB VIII an den jeweiligen Schnittstellen trotz unterschiedlicher Finanzierungs - und Verfahrensgrundlagen stärker inhaltlich und strukturell miteinander zu verknüpfen. Berlin, den 20. März 2017 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mrz. 2017)