Drucksache 18 / 10 634 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 23. Februar 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. März 2017) und Antwort Islamistische Gefährder in Berlin – Welche Konsequenzen wurden nach dem Vorfall mit Rafik Y. gezogen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Warum hat das Land Berlin keine eigene Überwachungsstelle für den Einsatz von Fußfesseln und worin besteht der Vorteil, dass diese zentralisiert in Hessen verläuft? Zu 1.: Eine isolierte Lösung für das Land Berlin wäre erheblich kostenintensiver als die derzeit bestehende Lösung. Die Kosten für die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder (GÜL) werden nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt. Bei einer isolierten Lösung müssten bei der Führungsaufsichtsstelle der Justiz des Landes Berlin neue Strukturen geschaffen werden, die das technische Monitoring und die fachliche Überwachung rund um die Uhr, sieben Tage die Woche (24/7) gewährleisten. Ferner müsste auch die technische Infrastruktur beschafft und bereitgestellt werden. Das Vorhalten einer zentralisierten fachlichen und technischen Überwachung hat unter anderem die Vorteile, dass bundesweit einheitliche Verfahren und Standards gewährleistet sind und Zeitverzögerungen durch Signalversendung im Alarm- / Störungsfall von Berlin nach Hessen durch die genutzte Technik entfallen. Die Aufgabe der GÜL ist es, die eingehenden Alarm- und Ereignismeldungen im 24/7-Betrieb entgegenzunehmen und die Maßnahmen im Einzelfall - anhand der für jede Trägerin/ jeden Träger eines Geräts zur „Elektronischen Aufenthaltsüberwachung “ (EAÜ) vom zuständigen Bundesland individualisiert festgelegten Vorgaben - vorzunehmen, insbesondere die umgehende Alarmierung der zuständigen Einsatzleitzentrale (ELZ) des jeweiligen Bundeslandes , damit diese die erforderlichen gefahrenabwehrenden Maßnahmen und Ermittlungen einleiten kann. Die GÜL berücksichtigt die in jedem Einzelfall gegebenenfalls differierenden Aspekte bei der Überwachung der die „Fußfessel“ tragenden Personen. Grundlage dafür sind die in den Fallkonferenzen abgestimmten Ergebnisse, die der GÜL übermittelt werden. Je nach Ergebnis der Fallkonferenz kann die GÜL beispielsweise bei faktischen Weisungsverstößen vor sofortiger Alarmierung der ELZ der Polizei Berlin zur Ermittlung der Ursache mit der Person telefonisch in Kontakt treten, sie befragen und sie auf den Verstoß bzw. die technische Störung hinweisen und dadurch Abhilfe verschaffen . Die weit überwiegende Zahl der Alarme sind Fehlalarme aufgrund technischer Störungen. Als Ergebnis der Fallkonferenz wäre jedoch ebenso denkbar, der GÜL aufzutragen, in keinem Fall Kontakt zur überwachten Person aufzunehmen, sondern in jedem Fall die ELZ sofort zu unterrichten. Hessen hatte zunächst im Rahmen eines Modellprojektes die so genannte elektronische „Fußfessel“ zur Haftvermeidung eingeführt. Im Jahre 2011 wurde die EAÜ bundesgesetzlich verankert. Zunächst schloss Hessen dazu Verwaltungsvereinbarungen mit allen weiteren Bundesländern ab, um die technische Umsetzung der EAÜ durch Nutzung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) als technischen Dienstleister zu ermöglichen (technisches Monitoring, d. h. technische anonymisierte Überwachung der Fußfesselträger). Später wurde zur Gewährleistung der fachlichen Überwachung der hoheitlichen Aufgaben zunächst zwischen Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ein Staatsvertrag abgeschlossen, der am 1. Januar 2012 in Kraft trat und die Einrichtung einer Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) bei der IT-Stelle der hessischen Justiz in Bad Vilbel zum Gegenstand hatte (fachliches Monitoring). Alle übrigen Bundesländer sind diesem Vertrag anschließend beigetreten; das Land Berlin am 21. Dezember 2012. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 634 2 2. Weshalb vergingen am 17.09.2015 insgesamt 40 Minuten bis man Rafik Y. lokalisierte und welche Schlussfolgerungen wurden in den letzten zwei Jahren aus dem Vorfall gezogen? Zu 2.: Die nach Alarmierung um 08:58 Uhr zunächst eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen der zum Wohnort des Rafik Y. entsandten Polizeikräfte des zuständigen Polizeiabschnittes 21 unter Einbindung des Fachkommissariats des Polizeilichen Staatsschutzes im LKA verliefen ohne Erfolg. Da der Proband sein Überwachungsgerät entfernt hatte, war eine Ortung durch die GÜL nicht mehr möglich. Daher wurde unter anderem versucht, Rafik Y. über Mobilfunk zu erreichen sowie Kontakt mit dessen Bewährungshelfer aufzunehmen, um sofort Hinweise auf seinen aktuellen Aufenthalt zu erlangen. Um 09:48 Uhr erfolgte über den Polizeinotruf eine Mitteilung eines Passanten, der im Bereich 13595 Berlin- Spandau, Gatower Straße/Heerstraße eine männliche Person beobachtete, die offen ein Messer mitführte und bereits Personen bedroht hatte, ohne diese anzugreifen. Kurz vor 10:00 Uhr trafen erste zum Ort entsandte Einsatzkräfte des Polizeiabschnitts 23 ein, die Besatzung wurde umgehend durch den Rafik Y. attackiert. Darüber hinaus verweise ich auf die Antwort zu den Fragen 16 und 17 Ihrer Schriftlichen Anfrage Nr. 17/18519 vom 28. April 2016. 3. Ist der Senat der Auffassung, dass in diesem Fall die Alarmkette vollständig funktioniert hat oder lassen sich Fehler in der Informationsweitergabe zwischen Hessen und Berlin sowie der Direktion und dem Polizeiabschnitt feststellen und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen? Zu 3.: Die vorgegebene Alarmierungskette hat funktioniert . Die GÜL hat die ELZ verfahrenskonform informiert . In der weiteren Folge wurde der Polizeiabschnitt 21 veranlasst, eine Wohnortüberprüfung durchzuführen. Wie in der Antwort auf Ihre Schriftliche Anfrage Nr. 17/18519 geschildert, sind im Hinblick auf den Zeitablauf und die sofortige Umsetzung der festgelegten Reaktionen seitens der GÜL die Arbeitsabläufe der GÜL nicht zu beanstanden , ein Optimierungsbedarf wird nicht gesehen. Zu den angefragten Konsequenzen verweise ich auf die Antwort zu Frage 7. 4. Konnte geklärt werden, ob die eingesetzten Beamten wussten, dass es sich um einen islamistischen Gefährder handelt und wenn ja, mit welchem Ausgang? Zu 4.: Die zur Überprüfung der Wohnanschrift entsandten Einsatzkräfte des Polizeiabschnittes 21 wurden bei Entsendung über diesen Einsatzhintergrund eingewiesen . Die später zum Einsatzort Gatower Straße/Heerstraße entsandten Kräfte des Polizeiabschnittes 23 hatten darüber keine Kenntnis. Ihr Auftrag war es, eine mutmaßlich psychisch gestörte Person zu überprüfen. 5. Erhalten die Polizeiabschnitte, in denen sich Gefährder zumeist aufhalten oder wohnhaft sind, spezielle Schulungen für den Umgang mit ihnen und wenn nein, warum nicht? Zu 5.: Das Aus- und Fortbildungsprogramm der Polizei Berlin berücksichtigt beim Thema „Eigensicherung“ beispielsweise das „Festnahmetraining“. Es werden vielfältige Situationen möglicher Szenarien trainiert, ohne explizit auf „islamistische“ Gefährder in diesem Zusammenhang abzustellen. Darüber hinaus verweise ich auf die Antwort zu Frage 19 Ihrer o. g. Schriftlichen Anfrage Nr. 17/18519. 6. Bleibt es bei der im November 2015 getroffenen Feststellung, dass das SEK Berlin allein für terroristische Lagen zuständig ist (Drs. 17/17260) oder ist künftig eine gesonderte Einheit bei der Berliner Polizei geplant? Zu 6.: Ja. Eine gesonderte Einheit ist bei der Polizei Berlin nicht geplant. Ergänzend weise ich auf die Beantwortung der Frage Nr. 5 Ihrer o. g. Schriftlichen Anfrage Nr. 17/18519 hin. 7. Was hat die Überarbeitung der Handlungsanleitungen und Arbeitsabläufe des LKA Berlin zu diesem Vorgang ergeben? Zu 7.: Die Handlungsanleitung der Polizei Berlin zur EAÜ befindet sich derzeit in der Überarbeitung, deckt jedoch jetzt schon die zu beachtenden Verfahrensweisen im Alarmierungsfall ab. Der hier relevante Geschehensablauf betreffend Rafik Y. wäre auch durch eine Anpassung der Handlungsanleitung nicht zu verhindern gewesen. Berlin, den 21. März 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mrz. 2017)