Drucksache 18 / 10 648 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader (LINKE) vom 07. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. März 2017) und Antwort Brandanschlagsserie der Deutschen Widerstandsbewegung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Eine sich als Deutsche Widerstandsbewegung (DWB) bezeichnende Gruppierung oder Einzelperson verübte im Zeitraum zwischen dem 25. August und 24. November 2014 eine Serie von Brandanschlägen auf Regierungs-, Parlaments- und Parteigebäude in Berlin. An Tatorten wurden Bekennerschreiben hinterlassen, die auf einen rechtsmotivierten Tathintergrund schließen lassen (vgl.: „Unbekannte ‚Widerstandsbewegung‘ soll hinter Anschlägen stecken“, Spiegel Online vom 14. Dezember 2014, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/anschlaege-inberliner -regierungsviertel-durch-neuewiderstandsbewegung -a-1008315.html). Wann und unter welchen Umständen haben der Senat und die Strafverfolgungsbehörden erstmals Kenntnis von der Existenz der DWB bekommen? Zu 1.: Die „Deutsche Widerstandsbewegung“ (DWB) trat bundesweit erstmals im Kontext einer versuchten schweren Brandstiftung zum Nachteil der Bundesgeschäftsstelle der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) vom 25. August 2014 in Erscheinung . Am Tatort hinterlassene sogenannte Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) in Form von Flugblättern waren mit „Deutsche Widerstandsbewegung“ unterzeichnet. 2. Wie viele Straftaten werden der DWB nach derzeitigem Stand zugerechnet (bitte nach Datum, Ort und Tatvorwurf bzw. Straftatbestand und Tathergang auflisten)? Zu 2.: Grundlage für die Beantwortung der Frage bildet der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Dabei handelt es sich entgegen der „Polizeilichen Kriminalstatistik “ (PKS) um eine Eingangsstatistik. Die Fallzählung erfolgt tatzeitbezogen, unabhängig davon, wann das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Die folgenden statistischen Angaben stellen keine Einzelstraftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) dar. Bei der Darstellung handelt es sich um Fallzahlen . Ein Fall bezeichnet jeweils einen Lebenssachverhalt in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit identischer oder ähnlicher Motivlage, unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen, Tathandlungen, Anzahl der verletzten Rechtsnormen oder der eingeleiteten Ermittlungsverfahren . Es werden nur die Fälle gezählt, die gemäß den bundesweit verbindlichen Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Rahmen des KPMD-PMK für Berlin statistisch zu zählen sind. Um die Fallzahlen übersichtlich und in Teilbereichen vergleichbar darzustellen, erfolgt die Unterteilung in die Deliktsarten Terrorismus, Gewaltdelikte, Propagandadelikte und sonstige Delikte. Der DWB werden nach aktuellem Stand neun Straftaten zugerechnet. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 648 2 Nummer Zähldelikt Tatzeit Sachverhalt Straße Postleit - zahl 1 Brandstiftung § 306a Strafgesetzbuch (StGB) 25.08.2014 02:52:00 Der Beschuldigte bewarf die CDU-Geschäftsstelle mit einem Brandsatz. Es konnten mehrere Flugblätter der DWB festgestellt werden. Klingelhöferstraße 10785 2 Brandstiftung § 306a StGB 29.09.2014 02:00:00 Der Beschuldigte warf einen Molotowcocktail in den Eingangsbereich des Reichstages. Es wurden mehrere Flugblätter der DWB aufgefunden. Platz der Republik 10557 3 Brandstiftung § 306a StGB 04.11.2014 08:00:00 Der Beschuldigte warf vermutlich einen Brandsatz in Richtung Paul-Löbe-Haus. Paul-Löbe-Allee 10557 4 Brandstiftung § 306a StGB 24.11.2014 02:18:00 Der Beschuldigte versuchte erneut, einen Brandanschlag auf das Paul-Löbe-Haus zu verüben. Es wurden Flugblätter der DWB hinterlassen. Paul-Löbe-Allee 10557 5 Brandstiftung § 306b StGB 23.03.2015 02:36:00 Der Beschuldigte warf einen Brandsatz gegen die Fassade des Paul-Löbe-Hauses. Im Nahbereich wurden Flugblätter der "Deutschen Widerstandsbewegung " aufgefunden. Konrad-Adenauer- Straße 10557 6 Brandstiftung § 306a StGB 21.04.2015 01:41:00 Der Beschuldigte warf einen Molotowcocktail in den Bereich des Haupteinganges des Paul-Löbe-Hauses. Konrad-Adenauer- Straße 10557 7 Sachbeschädigung § 303 StGB 24.05.2015 03:00:00 Der Beschuldigte entzündete einen Brandsatz und warf diesen gegen die Mauer des Schlosses Bellevue. Anschließend warf er Flugblätter der DWB auf den Boden und entfernte sich. Spreeweg 10557 8 Brandstiftung § 306 StGB 08.06.2015 02:42:00 Der Beschuldigte warf eine Strickleiter über den Zaun des Bundeskanzleramtes. Da er diese jedoch nicht erreichen konnte, entfernte er sich mit einem Fahrrad. Ein vor Ort zurückgelassenes T-Shirt roch stark nach Benzin. Willy-Brandt- Straße 10557 9 Brandstiftung § 306 StGB 09.07.2015 04:00:00 Auf dem Gelände des Bundeskanzleramtes wurde eine Brandstelle auf den Betonplatten festgestellt. Der Beschuldigte hatte offenbar eine Strickleiter über die Mauer geworfen und von dort einen Molotow-Cocktail geworfen. Willy-Brandt- Straße 10557 Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 648 3 3. Am 7. Juli 2015 nahm die Bundespolizei einen Tatverdächtigen fest, als dieser versucht haben soll, einen Brandsatz gegen das Gebäude des Bundeskanzleramtes zu schleudern (vgl.: „Tatverdächtiger nach Brandanschlag auf Kanzleramt festgenommen“ Spiegel Online vom 9. Juli 2015, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tatverdaechtige r-nach-brandanschlag-auf-kanzleramt-festgenommen-a- 1042831.html). Der Tatverdächtige erhängte sich am 13 Juli 2015 in seiner Zelle (vgl.: „Verhafteter Musiklehrer tot in Zelle aufgefunden“, Spiegel Online vom 13 Juli 2015, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/brandanschlagauf -kanzleramt-verdaechtiger-tot-aufgefunden-a- 1043395.html). Welche Erkenntnisse liegen abschließend zur Todesursache des Tatverdächtigen 48-jährigen Musiklehrers vor? Zu 3.: Im Anschluss an die Tat vom 9. Juli 2015 wurde ein auf dem Fahrrad flüchtender, später geständiger Beschuldigter festgenommen, gegen den im Nachgang zur Festnahme Haftbefehl erging. Der Beschuldigte erhängte sich am 13. Juli 2015 in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Moabit. 4. War der Tatverdächtige vormals mit Straftaten in Erscheinung getreten bzw. wurden Ermittlungen gegen den Tatverdächtigen geführt (bitte auflisten nach Straftatvorwurf , Gegenstand des Ermittlungsverfahrens, Tatort, Tatzeitpunkt, Ausgang des Ermittlungs-/Strafverfahrens)? Zu 4.: Zu dem Tatverdächtigen lagen vormals keine polizeilichen Erkenntnisse vor. 5. Welchen Inhalt hatte das in der Zelle des Tatverdächtigen aufgefundene Schreiben und enthielt es Hinweise auf die Taten oder die Motivlage des Tatverdächtigen ? Zu 5.: Aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes sind hierzu keine Angaben möglich. 6. Gab es im Zuge der Festnahme Durchsuchungsmaßnahmen in der Wohnung oder am Arbeitsort, etc. des Tatverdächtigen? Wenn ja, wurden dort Hinweise auf Tatmittel, Tathintergrund bzw. Motivlage des Tatverdächtigen aufgefunden und wenn ja, welche? Zu 6.: Die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten förderte beispielsweise Entwürfe für Bekennerschreiben zu Tage, wie sie an den Tatorten hinterlegt worden waren. Außerdem wurden schriftliche Merkzettel aufgefunden, worauf bei der Tatausführung zu achten sei. 7. War der Tatverdächtige den Sicherheitsbehörden durch die Teilnahme an rechten Veranstaltungen/Versammlungen bekannt und wenn ja, zu welchen Veranstaltungen /Versammlungen gab es Hinweise? 8. Bezog oder besaß der Tatverdächtige völkische, nationalistische, neonazistische oder anderweitige rechte Schriften, Bücher, Dokumente, CDs, Datenträger, etc. und wenn ja, welche? 9. War der Tatverdächtige Mitglied oder Sympathisant einer rechtsgerichteten Organisation oder Gruppierung und wenn ja, welcher und zu welchem Zeitraum? Zu 7. - 9.: Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor. 10. Welche Taten werden nun abschließend dem Tatverdächtigen zur Last gelegt (bitte auflisten, nach Tatort, Tatzeitpunkt und Art der Straftat)? Zu 10.: Dem Beschuldigten werden die in der Antwort zu Frage 2 benannten Taten zugerechnet. 11. Woher hatte sich der Täter die Tatmittel beschafft? Zu 11.: Bei den Tatmitteln handelte es sich um handelsübliche Bierflaschen, die mit Autobenzin gefüllt waren . Wo diese Materialien jeweils beschafft worden waren , ist nicht bekannt. 12. Stammen die am Tatort aufgefunden Bekennerschreiben eindeutig vom Täter und wie begründen die Ermittlungsbehörden ihre diesbezügliche Einschätzung? Zu 12.: Grundlage für die Zurechnung der SBS sind das glaubwürdige Geständnis des Beschuldigten sowie die im Zuge der Durchsuchung seiner Wohnung sichergestellten Gegenstände. 13. Schließen die Ermittlungsbehörden die Tatbeteiligung weiterer Personen an den in 10. genannten Taten aus und wenn ja, warum? Wenn nein, wie ist hier der Ermittlungsstand ? 14. Schießen die Ermittlungsbehörden die Kenntnis von weiteren Personen zur Tatvorbereitung/-durchführung zu den Taten in Frage 10 aus und wenn ja, warum? Wenn nein, wie ist hier der Ermittlungsstand? Zu 13. und 14.: Die Ermittlungen wurden grundsätzlich in alle Richtungen geführt. Für die Beteiligung weiterer Personen an den genannten Brandanschlägen liegen keine Anhaltspunkte vor. Objektive Spuren, die auf eine Beteiligung Dritter hindeuten , sind nicht gegeben. Die vollständige Auswertung der sichergestellten Speichermedien ergab weder Hinweise auf Mitwisserinnen oder Mitwisser beziehungsweise Mittäterinnen oder Mittäter. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 648 4 In seinem glaubhaften Geständnis gab der Beschuldigte zudem an, allein gehandelt zu haben. 15. Liegen bei der Abteilung II der Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Verfassungsschutz) Quellenmeldungen mit Bezug zur Deutschen Widerstandsbewegung vor? Zu 15.: Mit der Frage werden Auskünfte zu Informationen begehrt, die aus zwingenden Geheimhaltungsgründen nicht im Rahmen der Beantwortung einer Schriftlichen Anfrage veröffentlicht werden können. Eine Offenlegung operativer Maßnahmen des Berliner Verfassungsschutzes könnte Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und die Fähigkeiten des Berliner Verfassungsschutzes zulassen . Die Antwort des Senats muss insoweit als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades „GEHEIM“ nach § 7 Absatz 2 der Verschlusssachenanweisung für die Behörden des Landes Berlin (VSA) eingestuft werden und kann auf Wunsch in einer Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz, dem der Fragesteller angehört, in geheimer Sitzung erteilt werden. 16. Sieht der Senat nach allen vorliegenden Erkenntnissen einen rechtsterroristischen bzw. terroristischen Hintergrund vorliegen? Wie ist die Begründung für diese Einschätzung? Zu 16.: Unter Beachtung der Gesamtumstände, welche sich aus den bisherigen Erkenntnissen und den Tatumständen ergeben, handelte es sich bei den Taten um politisch motivierte Straftaten eines Einzeltäters. Ein rechtsterroristischer oder terroristischer Hintergrund konnte bislang ausgeschlossen werden. Berlin, den 23. März 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mrz. 2017)