Drucksache 18 / 10 699 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 14. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. März 2017) und Antwort Schuldistanz in der Berliner Schule Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie definiert der Senat Schuldistanz und welche Formen von Schuldistanz beobachtet der Senat? Zu 1.: Schuldistanz bedeutet, dass sich Kinder und Jugendliche geistig, zeitlich und räumlich von ihrer Schule distanzieren. Hinweise auf Schuldistanz sind unterrichtsvermeidende Verhaltensweisen und nachweisbare Abwesenheit in der Schule. Da Unterrichtsvermeidung sowohl entschuldigt als auch unentschuldigt stattfindet, ist dies für die Feststellung der Schuldistanzstufe erst einmal unerheblich. Es wird wertfrei festgestellt, in welchem Ausmaß sich die Schülerin oder der Schüler von der Schule distanziert. Die Schuldistanzstufen sind in der Handreichung Schuldistanz (S. 6 ff.) beschrieben. Die Handreichung Schuldistanz ist online abrufbar unter: http://www.berlin.de/sen/bildung/unterstuetzung/praevent ion-in-der-schule/schulverweigerung/. 2. Orientiert sich die Diagnose, ob ein Kind bzw. Jugendlicher unter die Kategorie Schuldistanz fällt, allein an der Anzahl der Fehltage oder welche weiteren Merkmale sind nach Ansicht des Senats notwendig? Zu 2.: Der Senat versteht Schuldistanz als Phänomen und nicht als Kategorie. Merkmale sind unterrichtsvermeidende Verhaltensweisen und nachweisbare Fehlzeiten. 3. Welche Ursachen sind nach Auffassung des Senats ausschlaggebend für schuldistanziertes Verhalten? 4. Welche Faktoren befördern nach Beobachtung des Senats schuldistanziertes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen ? Zu 3. und 4.: Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Frage 8. der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/10336 vom 24. Januar 2017. 5. Wie viele Kinder und Jugendliche zeigen nach Ansicht des Senats ein schuldistanziertes Verhalten (sortiert nach Alter und Bezirk)? Zu 5.: Erfasst wird die Anzahl der Schülerinnen und Schüler nach versäumten Unterrichtstagen (insgesamt sowie davon unentschuldigt), weiterhin die Anzahl der Verspätungen. Auf dieser Basis wird die Fehlquote pro Schulstufe ermittelt. Eine Differenzierung nach Altersstufen erfolgt nicht. Die Daten werden halbjährlich getrennt nach Bezirken und Schulart für die Jahrgangsstufen 5 - 6 und 7 - 10 erhoben. Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Frage 1. der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/10124 vom 22. November 2016. 6. Welche Maßnahmen finden an den Berliner Schulen zur Vermeidung von Schuldistanz statt (sortiert nach Bezirk, Schule und Maßnahme) und welche außerhalb von Schule? Zu 6.: Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Fragen 2. und 4. der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/10116 vom 07. Dezember 2016 sowie der Frage 7. der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/10269 vom 06. Januar 2017. 7. Auf welche Kooperationspartner greifen die Berliner Schulen zurück? Zu 7.: Die Schule wählt ihre Kooperationspartner eigenverantwortlich aus. Diese werden zentral nicht erfasst. 8. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe, Psychiatrie und KJPD in den Bezirken? Zu 8.: Hierzu verweise ich auf die Beantwortung der Frage 5. der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/10116 vom 07. Dezember 2016 sowie auf die Basisinformationen „Seeli- Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 699 2 sche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, die online abrufbar sind unter: http://www.berlin.de/sen/gessoz/_assets/publikationen/gesundhe it/seelische_gesundheit_endfassung_23_09_2016_su.pdf. 9. Welche Modelle und Projekte zur Beschulung in Kleinklassen bzw. zur Beschulung außerhalb von Schule werden in Berlin angewandt? Zu 9.: Etabliert ist die Förderung in sonderpädagogischen Kleinklassen. Dies sind temporäre Lerngruppen in den Klassenstufen 1 - 10, in die Schülerinnen und Schüler mit komplexen Problemlagen aufgenommen werden. Die Betroffenen haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf , der zumeist die Lebensbereiche der sozialen, geistigen und körperlichen Entwicklung betrifft. Auch aufgrund dieser Komplexität werden die sonderpädagogischen Kleinklassen immer in Kooperation mit den zuständigen Jugendämtern eingerichtet, sodass durch die enge Verzahnung bei der Einrichtung dieser Klassen die Hilfeleistungen von Schule und Jugendämtern gleichermaßen wirksam werden können. Mit der professionellen Gestaltung eines sozialen Lern- und Lebensumfeldes, das sowohl motivierende und stabilisierende Situationen und Beziehungen bietet als auch Lernerfolge schafft, ist der Abbau von Schuldistanz eine originäre Aufgabe dieser Lerngruppen, jedoch nur ein Baustein bei der Förderung und Entwicklung der gesamten Persönlichkeit und deren Umfeld. Darüber hinaus organisieren die Bezirke in ihrer Eigenständigkeit Maßnahmen, um stark schuldistanzierte Schülerinnen und Schüler zurückzugewinnen und in die Regelschule zu reintegrieren, die keinen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Dieses Lernen am anderen Ort wird oft von Trägern der freien Jugendhilfe umgesetzt. Häufig unterstützen Partnerschulen den Unterricht mit ihren Lehrkräften. 10. Wie viele Kinder und Jugendlichen nahmen in den letzten fünf Jahren an solchen Maßnahmen wie lange teil? Zu 10.: Diese Daten werden nicht zentral erfasst. 11. Wie erfolgreich ist, nach Ansicht des Senats, dieses Modell? Zu 11.: Die Schülerinnen und Schüler verbleiben unterschiedlich lange in den sonderpädagogischen Kleinklassen und im Lernen am anderen Ort, von wenigen Wochen oder Monaten bis zu zwei Jahren. Schülerinnen und Schüler können zum Teil ihre Schuldistanz überwinden und nach einer Übergangsphase wieder regulär am Unterricht ihrer Stammklasse oder einer anderen Klasse teilnehmen. Sie werden auch am Übergang in das Berufsleben und beim Erwerb eines Schulabschlusses erfolgreich unterstützt. Die Bezirke, Schulen und Jugendhilfe schätzen und nutzen die Maßnahmen Kleinklasse und temporäre außerschulische Lerngruppe. 12. Wie viele Plätze stehen in den einzelnen Projekten landesweit zur Verfügung? Zu 12.: Sonderpädagogische Kleinklassen werden bedarfsorientiert eingerichtet. Im aktuellen Schuljahr werden landesweit etwa 580 Schülerinnen und Schüler in 67 sonderpädagogischen Kleinklassen unterrichtet. Da es sich dabei immer um temporäre Lerngruppen mit hoher Durchlässigkeit handelt, unterliegt die Anzahl der Schülerinnen und Schüler dieser Klassen einer organisatorischen Schwankung. Temporäre außerschulische Lerngruppen werden in der Eigenständigkeit der Bezirke bedarfsorientiert umgesetzt . Die Anzahl der Plätze wird zentral nicht erfasst. 13. Wie lautet nach Einschätzung des Senats der aktuelle Bedarf an Plätzen? Zu 13.: Es lässt sich keine eindeutige Schätzung des Bedarfs vornehmen, da die bedarfsauslösenden komplexen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen nicht systematisch als Daten erfasst werden können. Auch erfolgt die Einrichtung der sonderpädagogischen Kleinklassen anhand der gemeldeten konkreten Bedarfe und ist abhängig von anderen Konzepten zur Reduktion von Schuldistanz. Die steigende Anzahl psychischer Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter führen insgesamt auch zu einem höheren Bedarf an schulischen Maßnahmen . 14. Für welchen Zeitraum wird die durchschnittliche Schulbefreiung gewährt? Zu 14.: Entsprechend § 41 Absatz 3 Schulgesetz kann die Schulaufsichtsbehörde eine Schülerin oder einen Schüler von der Schulbesuchspflicht befreien, wenn ein besonderer Grund vorliegt. Diese besonders begründeten Einzelfälle werden nicht zentral erfasst. 15. Wie wird die Beschulung von Kindern und Jugendlichen , die vollstationär in der Jugendhilfe oder Psychiatrie aufgenommen werden, sichergestellt? Zu 15.: Hier erfolgt eine schulische Versorgung durch die regulär den Kinder- und Jugendpsychiatrien angebundenen Klinikschulen. Alle Patientinnen und Patienten erhalten dort in enger Rücksprache mit dem medizinischtherapeutischem Personal Unterricht, der in Art und Umfang ihren individuellen Bedarfen entspricht. Berlin, den 23. März 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mrz. 2017)