Drucksache 18 / 10 715 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Philipp Bertram (LINKE) vom 14. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. März 2017) und Antwort Gesundheitsversorgung Geflüchteter in Notunterkünften – MedPoints Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchen Notunterkünften für Asylsuchende werden derzeit sogenannte MedPoints betrieben? Zu 1.: Zur Verbesserung der medizinischen Grundversorgung Geflüchteter wurden im Jahr 2016 sogenannte „Med-Punkte“ eingerichtet. Die frühere Bezeichnung MedPoints wird nicht mehr verwendet und durch die neue Terminologie Med-Punkte ersetzt. Med-Punkte sind medizinische Stützpunkte für die hausärztliche und pädiatrische Gesundheitsversorgung in Großunterkünften, die mit Ärztinnen und Ärzten, Pflege- und Assistenzkräften, Koordinationskräften, Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern sowie in einigen Unterkünften zusätzlich mit Hebammen besetzt sind. Derzeit werden in elf Großunterkünften mit einer jeweiligen Belegungskapazität ab fünfhundert Unterbringungsplätzen Med-Punkte betrieben. Zum 01.04.2017 wird eine zwölfte Einrichtung hinzukommen . Die jeweiligen Standorte befinden sich in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf (2), Lichtenberg (2), Marzahn-Hellersdorf (1), Neukölln (1), Spandau (4), Tempelhof-Schöneberg (1) und Treptow-Köpenick (1). 2. Mit wie vielen Stellen und welchen Stellen sind diese MedPoints jeweils besetzt? Zu 2.: Die Med-Punkte werden temporär mit medizinischem Fachpersonal durch die Med-Punkt Betreiberinnen /Betreiber besetzt, auf Grundlage der Vereinbarungen aus den Betreiberverträgen. Mit den jeweiligen Med- Punkt Betreiberinnen/Betreibern ist auf vertraglicher Grundlage folgender Personaleinsatz vereinbart worden: • Ärztin/ Arzt: Wöchentlich drei Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter , hiervon eine Stunde als Kindersprechstunde , die durch einen Pädiater durchzuführen ist. • Pflegekräfte: Wöchentlich drei Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter • Assistenzkräfte: Wöchentlich drei Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter • Koordinationskraft: Wöchentlich drei Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter • Sprachmittlerinnen/Sprachmittler: Wöchentlich sechs Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter, hiervon möglichst 3 Stunden durch Sprachmittlerinnen • Hebammen (sofern durch den jeweiligen Med- Punkt Vertrag vorgesehen): Wöchentlich dreiundeinhalb Stunden pro einhundert in der Unterkunft untergebrachter Geflüchteter. 3. Welche Sprechstundenzeiten werden jeweils in den MedPoints angeboten und welche Auslastung ergibt sich für diese? Zu 3.: Die jeweiligen Med-Punkte Bertreiberinnen /Betreiber erstellen individuell den Sprechstundenplan auf der Grundlage des zuvor beschriebenen Personalschlüssels . Dabei wird davon ausgegangen, dass dreißig Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren sind. Die Verteilung der allgemeinmedizinischen und pädiatrischen Sprechstunden legen die jeweiligen Med-Punkte Betreiberinnen /Betreiber nach ärztlicher Einschätzung eigenverantwortlich fest. Sofern in einem Med-Punkt Hebammenleistungen zu erbringen sind, sind diese regelhaft in den wöchentlichen Sprechstundenplan zu integrieren. Die Auswertung der Behandlungsstatistiken sowie die Rückmeldung der Standortleiterinnen bzw. Standortleiter der Med-Punkte zeigen, dass die Sprechstunden regelmäßig sehr gut besucht werden und ausgelastet sind. Durchschnittlich werden pro Stunde ca. 6 Patientinnen und Patienten im Med-Punkt behandelt. Hinzu kommen Bagatellfälle (Versorgung von kleineren Schürf- oder Schnittwunden , etc., die in den Behandlungsstatistiken nicht erfasst werden. Die pädiatrischen Sprechstunden wurden Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 715 2 aufgrund des hohen Bedarfs erst kürzlich aufgestockt, um Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern während der Kinderarztsprechstunden mit durchführen zu können. 4. Welche Zusatzleistungen (psychiatrische, pädiatrische Versorgung) werden jeweils über das Grundversorgungsangebot hinaus angeboten? Zu 4.: Grundsätzlich stellen die Med-Punkte eine allgemeine hausärztliche und pädiatrische Erstversorgung der in der jeweiligen Unterkunft wohnenden Geflüchteten sicher. In drei Großunterkünften wird eine zusätzliche Versorgung für Schwangere und Wöchnerinnen durch Hebammen vorgehalten. Teilweise werden unabhängig von der vertraglichen Vereinbarung mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zusätzliche Angebote für die Geflüchteten in den Unterkünften vorgehalten , mittels individuellen Kooperationsvereinbarungen der Med-Punkte Betreiberinnen/Betreiber mit Drittanbietern. 5. Wie viele Sprachmittler*innen für welche Sprachen und mit welcher Stundenzahl stehen jeweils zur Verfügung? Zu 5.: Gemäß den neuen Med-Punkt Betreiberverträgen , die ab dem 01.04.2017 gelten, stehen wöchentlich Sprachmittlerinnen und Sprachmittler für sechs Stunden pro einhundert untergebrachter Geflüchteter zur Verfügung . Von diesen sechs Stunden sollen möglichst drei Stunden durch Sprachmittlerinnen abgedeckt werden. Das von den Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern vorzuhaltende Spektrum umfasst die Sprachen Farsi und Arabisch, sowie eine weitere entsprechend der in der jeweiligen Unterkunft vordringlich benötigten Sprache. Die Leistungen der Sprachmittlerinnen und Sprachmittler können auch durch Ärztinnen und Ärzte, Pflege-, Assistenz - oder Koordinationskräfte erbracht werden, sofern diese den an Sprachmittlerinnen und Sprachmittler gestellten Anforderungen genügen, also mindestens über Sprachkenntnisse entsprechend der Stufe B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügen . 6. Plant der Senat eine Evaluierung der MedPoints? Wenn ja, wann wird voraussichtlich ein Evaluierungsbericht vorliegen? 7. Ist geplant, anhand einer möglichen Evaluierung systemische Leitlinien für die Arbeit von MedPoints zu entwickeln oder ggf. weiterzuentwickeln bzw. wird angestrebt , das Rahmenkonzept „Medizinische Versorgung von Asylsuchenden“ fortzuschreiben? 8. Sind im Rahmen einer Evaluation Patient *innenbefragungen geplant? 9. Inwieweit ist die Weitergabe von Wissen sowie die Verstetigung guter Praxis Teil einer geplanten Evaluation ? 10. Inwieweit zielt eine Evaluation auf die Bewahrung von Wissen und Erfahrungen aus den MedPoints im Hinblick auf den geplanten Freizug der Notunterkünfte? Zu 6. bis 10.: In den ab 01.04.2017 geltenden Med- Punkt-Verträgen ist eine quartalsweise Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Med-Punkte auf der Grundlage eines Evaluierungskonzeptes durch das zuständige LAF vorgesehen. Erste Ergebnisse einer Evaluierung werden voraussichtlich im Sommer 2017 vorliegen. Das Evaluierungskonzept sieht unter anderem in einem Stufenmodell die Anpassung der Sprechzeiten bis hin zur Auflösung des Med-Punktbetriebes vor, sollten bestimmte Behandlungszahlen unterschritten werden. Befragungen von Patientinnen und Patienten sind nicht vorgesehen. Durch die Vergabe der Med-Punkte an erfahrene medizinische Betreiberinnen/Betreiber wird eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung der Geflüchteten sichergestellt. Die Einführung eines standardisierten Berichtswesens , der regelmäßige Erfahrungsaustausch mit den Betreiberinnen/Betreibern der Med-Punkte, dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und den Sozialdiensten sowie Tätigkeitsberichte der vor Ort eingesetzten ärztlichen Lotsinnen und Lotsen führen dazu, dass dem LAF umfassende Informationen über den gesundheitlichen Zustand der Geflüchteten in den Unterkünften vorliegen , einschließlich der Aspekte Kinderschutz, Hygiene und Ernährung. Die Analyseergebnisse und Erfahrungsberichte sind in die Fortführung des Rahmenkonzeptes zur medizinischen Versorgung Geflüchteter für das Jahr 2017 eingeflossen und werden bei der Initiierung und Umsetzung zukünftiger Maßnahmen des Senats zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung geflüchteter Menschen Berücksichtigung finden. 11. Wie plant der Senat, den Zugang Geflüchteter zum Regelsystem nach Freizug der Notunterkünfte zu organisieren ? 12. Bestehen in Bezug auf den Übergang der Geflüchteten ins Regelsystem Kooperationen mit medizinischen Versorgungseinrichtungen oder Einrichtungen der Gesundheitsprävention ? Wenn ja, welche sind dies und wie sind diese mit Sprachmittler*innen ausgestattet? 13. Welche Übergangslösungen sind geplant, um bei Umzug Geflüchteter den Zugang zu den MedPoints aufrechtzuerhalten , wenn ein Zugang zum Regelsystem noch nicht praktikabel ist? 14. Plant der Senat die Öffnung der bestehenden Med- Points auch für Geflüchtete außerhalb von Notunterkünften und unabhängig von der Form der Unterbringung als praktikable temporäre Lösung? Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 715 3 15. Plant der Senat alternativ die Schaffung zusätzlicher niedrigschwelliger Angebote, die Geflüchteten den Zugang zum Regelsystem der Gesundheitsversorgung unabhängig von der Form der Unterbringung ermöglichen ? Zu 11. bis 15.: Die Versorgung der in Berlin lebenden Geflüchteten in den vorhandenen Regelsystemen ist ein wichtiger Baustein der Integration und erklärtes Ziel des Berliner Senats. Um parallel zum grundsätzlich bereits vorhandenen Zugang der Geflüchteten zum medizinischen Regelsystem dieses temporär zu stützen und damit die landesweiten Arztpraxen, Rettungsdienste und Notaufnahmen zu entlasten, hat das LAF verschiedene Maßnahmen konzeptioniert. So wurden u. a. in kleineren Unterkünften ohne Med-Punkt-Betrieb sogenannte ärztliche Lotsinnen und Lotsen niederschwellig eingesetzt. Diese hatten insbesondere die Aufgabe, über den Zugang zum Gesundheitssystem zu informieren, den Gesundheits- und Impfzustand der Bewohnerinnen und Bewohner zu erfassen und in Kooperation mit den Sozialdiensten besonders schutzbedürftige Personengruppen zu identifizieren. Im Rahmenkonzept der Medizinischen Versorgung ist die Arbeit der ärztlichen Lotsinnen und Lotsen weiterhin vorgesehen und soll auch auf neu errichtete Unterkünfte (Tempohomes, MUFs) ausgeweitet werden. Zudem werden auch künftig sowohl ortsgebundene Sanitätsdienste am Ankunfts- und Registrierungszentrum des Landes Berlin als auch mobile Sanitätsdienste im gesamten Stadtgebiet im Einsatz sein. Aufgabe der Sanitätsteams ist die medizinische Erst- und Notfallversorgung von verletzten und akut erkrankten Geflüchteten sowie die Zuführung der Patientinnen und Patienten ggf. zu Notfallrettungsdiensten und Ambulanzen im Sinne einer Lotsenfunktion. Um dem notwendigen temporären Bedarf an psychosozialer Beratung – insbesondere in größeren Unterkünften – gerecht zu werden, ist zudem geplant, zeitlich befristet niedrigschwellige Beratungen zu implementieren. Themen der Beratung sind vor allem persönliche Probleme , aber auch Familienkonflikte und Schwierigkeiten, die sich beispielsweise aus Fluchterfahrung, Traumata etc. entwickeln. Ziel ist es, die Schwierigkeiten von Menschen in ihrem kulturellen Kontext zu verstehen und sie wieder an ihre Stärke und Selbstständigkeit heranzuführen. Darüber hinaus hat die Erfahrung des Jahres 2016 gezeigt , dass die Notwendigkeit besteht, übergangsweise und zeitlich befristet Hebammen anzustellen. Schwangere Frauen und Wöchnerinnen, die in Unterkünften ohne Hebammenversorgung untergebracht sind, finden äußerst selten und höchstens vereinzelt sie betreuende Hebammen . Hintergründe sind u. a. Unkenntnis über den Zugang zum Regelsystem sowie Sprachbarrieren. Es ist daher beabsichtigt, teilnahmewilligen Hebammen mobil in Unterkünften einzusetzen, um den gesetzlichen Versorgunganspruch temporär bis zur Ertüchtigung des Regelsystems abzudecken. Auch die Med-Punkte sind als übergangsweises und zeitlich befristetes ergänzendes Instrument vor Ort konzipiert , um die medizinische Versorgung von geflüchteten Menschen in Großunterkünften sicherzustellen und ihnen den Zugang zum Regelsystem zu erleichtern. Oberste Priorität hat im Bereich der medizinischen Versorgung die vollständige Integration der geflüchteten Menschen in das Regelsystem. Berlin, den 31. März 2017 In Vertretung Daniel T i e t z e _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Apr. 2017)