Drucksache 18 / 10 734 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Czaja (FDP) vom 10. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. März 2017) und Antwort Entwicklung Verbraucher- und Jugendschutz im Glücksspielbereich Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Regierungschefs der Länder planen derzeit die Unterzeichnung eines zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrages auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 16. März. Der Senat von Berlin hat dem Abgeordnetenhaus den Vertragsentwurf am 27. Januar zur Kenntnisnahme zugeleitet, welches den Entwurf am 16. Februar in den Rechts- und Hauptausschuss überwies. Die geplanten Änderungen beziehen sich vornehmlich auf eine punktuelle Überarbeitung im Bereich der Sportwette. Hierbei spielt der Verbraucher- und Jugendschutz eine wichtige Rolle. Seit 1. Januar 2008 regelt der Glücksspielstaatsvertrag das Glücksspiel in Deutschland, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2006 das damals vorherrschende staatliche Glücksspielmonopol kritisiert hatte. Der Staatsvertrag wurde zuletzt durch die am 01. Juli 2012 in Kraft getretene erste Änderung des Glücksspielstaatsvertrages aktualisiert . 1. Wie hat sich die Glücksspiel- Suchtprävalenz in Berlin von 2006 bis einschließlich 2016 entwickelt? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.) Zu 1.: Repräsentative Angaben zu Fragen des Glücksspielverhaltens bzw. der Glücksspielsucht bezogen auf die Berliner Bevölkerung liegen dem Senat nicht vor. Hierzu wird auch auf die Antwort zu Ziffer 5 der Schriftlichen Anfrage 18/10415 verwiesen. 2. In welchem Umfang wurden die verschiedenen Glücksspielarten von pathologischen und hiervon gefährdeten Spielern zwischen 2006 und einschließlich 2016 in Berlin genutzt? (Bitte nach Jahren und Glücksspielarten - wie im Jahresreport 2015 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder unterteilt - aufschlüsseln) Zu 2.: Aus vorhandenen Erkenntnissen der Berliner Suchthilfe lassen sich nach Auffassung des Senats Rückschlüsse auf besonders problematische Glücksspielformen und Entwicklungen ziehen. Dafür werden die Angaben der Klientenstatistik des Suchthilfeangebots „Café Beispiellos “ zugrunde gelegt (Träger: Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.). Die Einrichtung ist Bestandteil des Berliner Suchthilfesystems und nimmt als überregionales Spezialangebot eine gesamtstädtische Funktion wahr. Das „Café Beispiellos“ begleitet Menschen mit problematischem bzw. pathologischem Glücksspielverhalten und hilfesuchende Angehörige aus allen Berliner Bezirken. Im Anhang (Tabelle Nr. 1) werden Entwicklungen hinsichtlich der pathologisch genutzten Spielformen der im „Café Beispiellos“ beratenen Personen mit einer Glücksspielproblematik im Verlauf der Jahre 2006-2016 dargestellt. Der mit Abstand größte Anteil an den problemverursachenden Spielformen entfällt auf das Spielen an Geldspielgeräten (Spielhallen/Gaststätten). Dieser Befund aus der Suchtberatung ist bundesweit übereinstimmend . Im oben dargestellten 10-Jahres-Verlauf fällt darüber hinaus (bis 2015) eine Zunahme der Nennung von Geldspielgeräten durch die Klientel auf. An zweiter Stelle steht die Nutzung von Wetten, wobei es sich in der Suchtberatung fast ausschließlich um Personen handelt, die Sportwetten nutzen. Der Anteil an (Sport-) Wetten unter den pathologisch genutzten Spielformen hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. In Anbetracht dieses Befundes unterstützt der Senat die im Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag vorgesehene Neuregulierung im Bereich der Veranstaltung von Sportwetten mit dem Ziel, auch diesen Bereich zeitnah einer effektiven ordnungsrechtlichen Regulierung und Kontrolle zugänglich zu machen. Aus suchtfachlicher Sicht und vor dem Hintergrund der konkreten rechtlichen Änderungen – Aufhebung der Kontingentierung der Sportwettveranstaltungskonzessionen für die Dauer der Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10734 2 verlängerten Experimentierphase u.ä. – hält der Senat insoweit jedoch die Durchsetzung hoher Anforderungen im Hinblick auf den Jugend- und Spielerschutz bezogen auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Berlin für unverzichtbar. Die im Zusammenhang mit der Staatsvertragsänderung dann noch vorzunehmende Anpassung der Ausführungsregelungen des Landes Berlin wird diesem Anliegen Rechnung tragen. Auch im Bereich der sonstigen Glücksspiele gibt es eine Zunahme an problemverursachenden Spielformen. Dabei handelt es sich nach den Erfahrungen der Beratungspraxis vor allem um Problematiken im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen. 3. Welche Informationen liegen dem Senat darüber vor, wie sich das Glücksspielverhalten der Berliner Bevölkerung im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet von 2006 bis einschließlich 2016 entwickelt hat?(Bitte nach Jahren aufschlüsseln) Zu 3.: Bei dem etwa in der Fragestellung zu 2. erwähnten Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder handelt es sich um eine Erhebung der Gemeinsamen Geschäftsstelle der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder, die sich in zentralen Bereichen jedoch auf bundesweite Erhebungen nationaler oder internationaler Recherche-Netzwerke oder auch auf – ebenfalls bundesweit angelegte – Studien wissenschaftlicher Einrichtungen stützt. Dem Senat liegen insofern weder im glücksspielrechtlichen Kontext noch in suchtfachlicher Hinsicht entsprechende Betrachtungen für das Land Berlin oder vergleichende Darstellungen im Verhältnis zu anderen Bundesländern vor (gleiches gilt auch hinsichtlich der jährlichen Entwicklungen u.ä. - vgl. hierzu auch Antwort auf Frage 1.). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt jedoch zweijährliche (bundesweite) Repräsentativerhebungen zum Glücksspielverhalten und zur Glücksspielsucht durch. Relativ stabil lagen dabei – gemessen an dem Anteil mindestens problematisch spielender Personen, die das jeweils betreffende Glücksspiel gespielt haben – Geldspielgeräte und Sportwetten im oberen Risikobereich. Dem Senat sind keine Umstände bekannt, die die Aussagekraft derartiger Ergebnisse und Befunde auch für das Land Berlin grundlegend in Frage stellen könnten. Hinsichtlich des (quantitativen) Spielverhaltens der Berliner Bevölkerung in zentralen legalen Spielangeboten (Deutsche Klassenlotterie Berlin und Spielbank Berlin) wird abschließend auf die im Anhang (Tabelle Nr. 2) erfolgte Darstellung der jeweiligen Umsatzentwicklungen hingewiesen (Gesamtumsätze insofern jedoch unabhängig vom Wohnort der Spielenden u.ä.). 4. Wie hoch war die Teilnahme von minderjährigen Spielern an Glücksspielangeboten in Berlin im Zeitraum von 2006 bis einschließlich 2016? (Bitte nach Jahren und Glücksspielarten - wie im Jahresreport 2015 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder unterteilt - aufschlüsseln ) Zu 4.: Dem Senat ist die Anzahl der tatsächlich an - legalen oder illegalen - Glücksspielangeboten in Berlin teilnehmenden Minderjährigen nicht bekannt. Im Rahmen der Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD) 2011 wurden Daten in fünf Bundesländern erhoben, darunter Berlin. Dabei wurden über 6.000 Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Jahrgangsstufen an Regelschulen auch zu ihrem Glücksspielverhalten befragt. Die Nutzung unterschiedlicher Glücksspielformen in Prozent wird im Anhang (Tabelle Nr. 3) abgebildet (12-Monats-Prävalenz). 5. Welche Größe hatte der Glücksspielschwarzmarkt in Berlin im Zeitraum von 2006 bis einschließlich 2016? (Bitte nach Jahren und Glücksspielarten - wie im Jahresreport 2015 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder unterteilt - aufschlüsseln) Zu 5.: Dem Senat liegen keine auf das Land Berlin beschränkten Angaben vor (vgl. auch Antwort zu Frage Nr. 3). Der Senat geht jedoch davon aus, dass sich die tendenziellen Aussagen bundesweiter/nationaler Betrachtungen auch auf das Land Berlin übertragen lassen. Im durch den Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag konkret angesprochenen Bereich der Sportwetten wird in Übereinstimmung mit den Befunden in anderen Großstädten /Ballungsräumen von einem derzeit überdurchschnittlichen Bestand von nicht erlaubten Angeboten („Wettbüros “) ausgegangen, der im Anschluss an eine Neuregulierung der Veranstaltungsberechtigungen ebenfalls einer umfassenden Neuregulierung und Bereinigung zugeführt werden muss und soll. Berlin, den 27. März 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Apr. 2017) Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10734 3 Anhang Tabelle Nr. 1 Problemverursachende Spielformen in Prozent (Mehrfachnennungen waren möglich, daher jeweils > 100 %) Jahr Geldspielgeräte Spielhallen, Gastronomie Spielbank “Kleines Spiel“* Spielbank „Großes Spiel“** Wetten Sportwetten, Pferdewetten sonstige Glücksspiele z.B. Online- Glücksspiele, Lotterien 2006 68,0 21,9 11,7 7,4 12,6 2007 62,7 22,0 9,2 14,7 18,5 2008 69,5 23,5 12,7 11,0 17,2 2009 77,4 14,0 12,7 12,5 13,9 2010 82,1 8,6 9,7 14,6 15,6 2011 83,5 10,0 12,7 16,0 16,7 2012 84,8 5,8 9,3 17,3 15,9 2013 84,9 7,4 11,6 18,5 15,9 2014 86,0 11,0 10,7 22,5 18,0 2015 86,0 9,5 10,3 21,8 19,8 2016 82,7 8,7 12,0 26,4 22,3 * Glücksspielautomaten ** Roulette, Black Jack, Poker etc. Tabelle Nr. 2 Jahr Jahresspieleinsätze der Deutschen Klassenlotterie Berlin (alle Spiele) in Mio. Euro Jahres-Bruttospielerträge der Spielbank Berlin Gustav Jaenicke GmbH & Co.KG in Mio. Euro 2006 318 91 2007 310 90 2008 269 65 2009 286 54 2010 263 53 2011 261 54 2012 248 56 2013 273 62 2014 267 62 2015 274 68 2016 268 72 Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10734 4 Tabelle Nr. 3 Bayern Berlin Brandenburg Mecklenburg- Vorpommern Thüringen Karten-/ Würfelspiele privat 20,3 16,5 16,2 16,4 15,5 Geldspielautomaten 6,5 9,1 4,1 2,8 2,7 Poker, Karten im Internet 6,5 6,2 5,6 6,5 4,2 Lose 30,2 21,3 22,8 25,9 23,1 Lotto (6 aus 49) 6,2 6,9 5,6 6,3 6,2 Fernsehlotterie 1,8 1,0 1,6 1,5 1,1 Toto 1,0 2,4 0,7 0,5 0,5 3,2 6,7 3,3 1,8 2,1 Sportwetten bei Buchmachern 1,2 2,2 1,1 1,7 0,6 Tischspiele in Spielbanken 4,0 3,1 3,8 3,3 2,5 Automatenspiele in Spielbanken 2,6 3,7 1,9 1,8 1,4 irgendein Glücksspiel 46,9 41,9 37,5 39,7 37,1